0. The girl who fell between the cracks (Maybell Summers P.O.V)
Diese Geschichte muss nicht zwingend für Lunés Geschichte gelesen werden, daher auch die Null. Es ist eher eine Hintergrundgeschichte, die sich über den Verlauf von "Lerne Fliegen" zieht.
Sie erzählt Leopold Rosendorns Geschichte, bis wir ihn als Lulus Bruder in "Lerne Fliegen" kennenlernen.
Maybell Summers kommt dabei in Leopolds Kapitel ("Everything in life has a price") bei "Lerne Fliegen" vor. Sie ist die Schwester von Rubys Mutter, daher Rubys Tante.
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"Someone who thinks death is the scariest thing doesn't know a thing about life."
-Sue Monk Kidd, The Secret Life of Bees
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The girl who fell between the cracks
1959
Maybells Herz hüpfte, flatterte, sprang. Wie ein kleiner Vogel, den sie einmal mit ihren Kinderhänden gefangen hatte. Jedes Mal wenn der Boden vor ihrem Versteck knarzte, eine der dunklen Stimmen erklang, hielt sie das Wesen wieder an sich gedrückt. Die Männerstimmen waren so dunkle, wie die Schwärze in der Kammer unter der Treppe.
Ihre Schwester hatte Maybell versichert, dass ihr niemand etwas tun würde. Immer und immer wieder. Während sie ihre kleine Schwester gleichzeitig zu der schmalen Tür unter der Treppe zerrte. Wenn Maybell über ihr Handgelenk rieb, konnte sie immer noch die kalten Finger der Schwester fühlen.
Eostras Hände waren immer kalt. Selbst wenn sie mit ausgestreckten Händen vor dem mannshohen Kamin im Empfangszimmer saß, erschauderte immer noch jeder unter ihren Berührungen. Trotzdem waren die Umarmungen der großen Schwester warm.
Erneut Stimmen, Knarzen, Rufe. So nah, dass sie sich in der Dunkelheit an Maybells zitternden Körper zu drücken schienen. Sie hatte Angst, sie wollte nicht mehr, sie war das Spiel leid.
Mit vorsichtigen Fingern tastete sie die Holzwand ab. Sie war uneben und bei jedem Splitter, der sich in ihre weiche Haut drückte, hätte sie am liebsten aufgeschrieen. Vielleicht wäre dann jemand gekommen. Ihre Mutter, die über die jüngste Tochter den Kopf schütteln würde, eine der Hauselfen oder ihre Brüder. Maybell wollte bemitleidet, mit bunten Lichtern aus Zauberstäben ablenkt und getröstet werden.
Aber sie traute sich nicht zu weinen. Zu nah waren die Stimmen, zu eng die Angst.
"Es ist vorbei." Ein Mann sprach. Maybell hatte Angst vor ihnen. Alles machte ihr Angst, seit ihr Vater vor wenigen Tage beim Abendessen in sich zusammengefallen war und sie allein gelassen hatte.
„Wir werden uns euch niemals beugen." Das war die stolze Stimme ihrer Mutter und Maybell suchte fieberhaft weiter nach der Tür. Sie wollte zu ihr laufen.
„Ihr habt es mir beinah zu einfach gemacht" Der Mann sprach langsam, mit samtiger Stimme. „Habt euch alle hier versammelt, so als hättet ihr auf mich gewartet."
„Mutter", flehte die viel jüngere, geliebte Stimme ihrer Schwester. „Es ist noch nicht zu spät, ich werde ihn heiraten..."
„Niemals" Schneidend und entschlossen klang ihrer Mutter nun und Maybell hielt in der Kammer inne. So kalt klang sie nur, wenn ihre Hand kurz davor war rote Flecken auf Wangen zu hinterlaßen. „Eher sterben wir mit dem Rest unserer Familie, so wie es sich gehört..."
„Mutter..." Grünes Licht drang plötzlich in die Kammer, durch die Ritzen unter der Tür und Maybell kniff die Augen zusammen. Ein dumpfer Laut erklang auf den Dielenböden, er war ihr vollkommen unvertraut.
„Nun, Eostra, du bist also doch bereit mein Angebot zu überdenke?" Die Stimme des Mannes war nun so kalt, wie die ihrer Mutter kurz zuvor.
„Ihr habt meine gesamte Familie ausgelöscht" Eostra klang stolz und traurig zugleich. „Glaubt Ihr wirklich, man könne mich noch zu irgendetwas zwingen?"
„Oh, doch das glaube ich" Erneut erklangen Schritte und bevor Maybell wusste wie ihr geschah, wurde die Tür zu ihrem Versteck aufgerissen. Grobe Hände zerrten sie ins Licht und erschrocken presste Maybell die Augen zu. „Wie sieht es nun aus?"
Die schmerzhaften Hände ließen Maybell in der Luft baumeln und verwirrt und überfordert fing sie an zu weinen. Sie mochte dieses Spiel nicht.
„Mein Herz, komm her" In Eostras Stimme waren ebenfalls Tränen und Maybell wurde aus den fremden Händen, in die Arme ihrer Schwester gezogen. „Alles ist gut, Maybell. Alles ist gut, solange du deine Augen geschlossen lässt."
„Du überdenkst mein Angebot?" Der fremde, fürchterliche Mann war viel zu nah und Maybell drückte ihr Gesicht in den Umhang ihrer Schwester.
Sie hörte keine Antwort von Eostra, doch sie wurde hochgehoben und aus dem Haus getragen. Das konnte sie hören.
Erst als frische Luft auf ihr Gesicht traf, öffnete sie die Augen. Ihre Schwester trug sie fort von dem großen, stolzen Haus, in dem Maybell aufgewachsen war.
Und während sie noch zurücksah, ging es in Flammen auf.
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"How sadly the bird in his cage watches the butterflies."
-Kobayashi Issa
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A boy like the rising sun
1969
Gläser. Hoch, geschwungen, gefüllt, klirrend, in Händen, die sich an sie klammerten. Schöne Hände, junge Hände, alte Hände. Ein Glas in Maybells blasser Hand. Gefüllt. Sie leerte es, ohne etwas zu schmecken.
Hohe Decken, dunkle, schwere Vorhänge, in denen man ertrinken konnte, wenn man nur wollte. Tanzende junge Menschen, wie ein Meer wogend. Eine Gruppe aus Musikern, die nie auch nur eine Note verfehlten. Hungrige Augen, die sie beobachteten. Schimmernde Festumhänge und Kerzenschein.
Kinder, das waren sie alle. Kinder, die es auf diesem Ball den Großen nachtaten. Ihren Eltern, ihren Familien, ihrem Blut, welches ihnen die Macht gab die Welt zu tragen.
Maybell Summers wandte sich ab. Eigentlich sollte sie und ihre Schwester noch dazugehören. Sie sollten weiterhin die Erwartungen ihrer Eltern tragen, die Verantwortung ihres reinen Blutes.
Nicht weit saß sie. Eostra Lestrange. Mit feinen Gräben im blassen Gesicht und einem Kind an der Seite. Ihre Schönheit war nicht schuld daran, dass Lestrange Senior, der Mann, der neben ihr sprach, sie hatte besitzen wollen. Dafür waren die Summers nie bekannt gewesen. Es war ihr reines Blut, die Tatsache, dass er sie nur so haben konnte, die ihn dazu gebracht hatten die Summers auszulöschen.
Maybell war die letzte Summers. Und sie war eine Gefangene.
Sie konnte spüren, wie ihr der Verstand entglitt. So einfach, wie sie es mit dem Glas in ihrer Hand hätte tun können. Fort von diesem Ball, einer von vielen, von den hungrigen Blicken und der Hand ihrer Schwester, die ihre Tochter festhielt. Eostra, die ein elfjähriges Kind daran hinderte, sie mit dem Mann an ihrer Seite allein zu lassen.
Für ihre Schwester gab es nur eine Art von Flucht. Und an dieser hinderten sie Maybell und ihre Tochter. Das hatte sie ihrer kleinen Schwester anvertraut.
Bemüht darum nicht die Kontrolle zu verlieren, noch ein wenig länger zu bleiben, verließ Maybell die Familienszene.
Es war erdrückend warm in dem Ballsaal und Maybell schob sich am Rand der Menge entlang. Sie wusste nicht einmal, in wessen Herrenhaus sie sich befand.
Schon lange hatten sie die mächtigen Familien und ihr wertvolles Blut aufgehört zu interessieren. Durch ihre Adern floss das gleiche Blut und was hatte es ihr genützt?
Maybell wurde überraschend aus ihren trüben Gedanken gerissen, als sie anrempelt wurde. Die lauwarmen Reste ihres Getränks schwappten auf ihre Hände und verwundert sah sie sich um.
„Entschuldige!" Ein Junge, vermutlich nicht viel älter als sie, kam auf sie zugelaufen. „Ich bekomme sie einfach nicht gebändigt."
Der Junge, oder eher junge Mann, trug eine Durmstrang Uniform, die viel zu warm für den Saal war. Mit einem schiefen Grinsen auf den Lippen kam er vor ihr zum Stehen und strich sich helle, honigblonde Locken aus den Augen.
„Wer?" Maybell folgte dem Blick des Jungen zu einer Marmorstatue. Dort kauerte ein Mädchen, wohl kaum älter als ihre Nicht, und blinzelte verschlagen zu Maybell und dem Jungen.
Blonde Locken kräuselten sich wild um ihren Kopf und der edle Festumhang ließ vermuten, dass sie einmal ordentlicher ausgesehen hatte.
„Wir bekommen uns nicht häufig zu Gesicht", erklärte der Junge entschuldigend. Wie das Mädchen, welches sehr offensichtlich seine jüngere Schwester war, hatte er große, runde Augen. Doch seine waren von einem hellen Blau.
Maybell erwiderte lächelnd, „Dann würde ich ihr schleunigst hinterher.", und deutete zu dem Mädchen, welches sich gerade davonmachte.
„Stimmt" Ein breites Lächeln, welches in dem jungen Gesicht perfekt saß, machte sich auf seinen Lippen breit. Unzählige Sommersprossen tanzten dabei auf seiner Nase. „Kennt man sich?"
„Nicht das man wüsste." Maybell streckte ihm nicht ihre Hand hin, damit er einen Kuss darauf drücken konnte. Plötzlich kam ihr diese vertraute Geste lächerlich vor.
„Nun, verrätst du mir..." Doch bevor der Junge seinen Frage beenden konnte, klammerte sich plötzlich das kleine Mädchen an sein Bein. „Luné", rief er lachend und hob sie mit Leichtigkeit hoch.
Das Mädchen quietsche vergnügt, als ihr Bruder sich mit ihr im Kreis drehte.
Beide leuchteten und wirkten wie zwei Sonnen, eine große, eine kleine, die umeinander kreisten.
„Dein Bruder ist gerade in ein wichtiges Gespräch vertieft, Luné", ließ der Junge seine Schwester wissen.
Diese streckte ihm die Zunge heraus. „Du kannst später noch mit hübschen Mädchen reden, Leo." Sie strampelte mit den Beinen, bis er sie absetzte. „Ich will den Geheimgang sehen."
„Wenn du weiter so rumschreist, ist es bald kein Geheimgang mehr", tadelte er sie sanft und strich ihr über die Locken.
Das Mädchen sprach in schnellem Deutsch auf ihren Bruder ein. Dieser schüttelte tadelnd den Kopf und nickte zu Maybell. Das Mädchen schien es ein Augenrollen zu unterdrücken und drehte sich zu ihr um.
Maybell sagte zögernd, „Guten Abend, Luné."
„Guten Abend, Miss", erwiderte das Mädchen erneut in klarstem Englisch und sank in einen perfekten Knicks. Dann drehte sie sich wieder zu ihrem Bruder, der sie voller Zuneigung ansah. „Geheimgang, jetzt."
„Können wir nicht..."
Das Mädchen ließ ihn nicht ausreden. „Ich habe das hübsche Mädchen begrüßt, dafür bringst du mich zum Geheimgang." Sie zog am Ärmel des schimmernden Umhang ihres Bruder.
„Natürlich, natürlich" Er hob die Hände. „Alles was das Fräulein möchte."
„Geht doch." Zufrieden drehte sich das Mädchen auf dem Absatz herum und stolzierte davon.
„Entschuldige" Der Junge sah von seiner Schwester zu Maybell. „Wie es scheint, habe ich eine Verabredung."
„Dann viel Erfolg" Maybell lächelte ein letztes Mal und schob sich dann an ihm vorbei. Aber so einfach machte er es ihr nicht.
„Warte", rief er und kam ihr mit großen Schritten nach. Aus seinem Umhang fischte er seinen Zaubstab. „Noch einmal Entschuldigung." Mit einem Schwung des Stabes verschwand das Getränk von Maybells Händen.
„Danke" Verblüfft betrachtet Maybell ihre nun sauberen Hände.
„Immer wieder gern" Ein breites Lächeln ließ seine Sommersprossen erneut tanzen und mit einer Verbeugung, die so perfekt wie der Knicks seiner Schwester war, eilte er davon.
Verblüfft sah Maybell ihm nach. Als er sich über die Schulter noch einmal nach ihr umsah, wurden ihre Wangen warm.
Sie schüttelte den Kopf über ihre eigene Zerstreutheit und steuerte endlich ihr Ziel an. Eine der großen gläsernen Türen, die aus dem Ballsaal führten.
Auf der Tanzfläche in der Mitte drehten sich weiterhin die Paare und es fiel Maybell nicht schwer unbemerkt zu bleiben. Zumindest war sie das gewohnt. Im Gegensatz zu dem strahlenden Jungen. Sie war sich sicher, dass er sich in alle Gedächtnisse brannte.
Ihr Glas überließ sie einer Hauselfe und endlich trat sie hinaus an die frische Luft. Es war ein warmer Sommerabend, voller Versprechungen, und auch draußen tummelten sich die Gäste.
Obwohl es schon spät am Abend sein musste, war der Himmel über ihnen immer noch hell und Maybell trat über eine wuchtige Marmortreppe hinaus in den Garten.
Fernlichter hingen zwischen hohen Bäumen und schmale, ausgetreten Pfade verloren sich dazwischen. Maybells Ziel war es nur gewesen, den stickigen Ballsaal zu verlassen, und so wählte sie wahllos einen der Wege.
Je weiter sie sich von dem imposanten Herrenhaus in ihrem Rücken entfernte, desto ruhiger wurde es. Lachen und Gespräche verklangen und Maybell entspannte sich.
Der Pfad führte den Hügel, auf dem das Haus stand, hinab und beinah wünschte sich Maybell, er würde niemals enden.
Doch dann lichteten sich die Bäume und sie stand plötzlich vor einem großen Kuppelbau aus Glas. Verblüfft lehnte sie den Kopf in den Nacken. Die Scheiben waren beschlagen und sie sah schwach Ranken und Blühten dadurch.
Sie trat näher heran und schaute sich über die Schulter um. Das Haus war nur noch als ein leuchtender Fleck durch die Bäume zu erkennen und niemand war ihr gefolgt.
Vorsichtig zog sie an einer hölzernen Tür, die in das Glas eingelassen war. Zu ihrer Überraschung öffnete sie sich.
Warm feuchte Luft schlug ihr ins Gesicht und Maybell blinzelte. Zu ihrer Überraschung hörte sie plätscherndes Wasser und zarten Vogelgesang und mit einen Blick zurück trat sie über die Schwelle und zog die Tür hinter sich zu.
Strahlend rote Rosen, beinah schon zu schön, rankten sich überall um sie herum an Metallgestellen hinauf, hinauf und hinauf, zu der gläsernen Kuppel des Baus. Ihr Geruch war betörend.
Tiefer trat Maybell in das Gewächshaus, über einen Weg aus grauen Steinen. Sie entdeckte Teiche, in denen blasse Fische schwammen und über die kleinen Marmorbrücken führten. Sogar ein Wasserfall kreuzte ihren Weg.
Über ihrem Kopf hüpften kleine, goldene Vögel über die Rosen. Die unzähligen Dornen schienen sie nicht zu kümmern.
„Was ein Glück du hast-", erklang es plötzlich und erschrocken ließ Maybell eine goldene Rose los, die sie gerade betrachtet hatte. „-meine Großmutter ist in den Küchen beschäftigt, sonst würde sie dich an die Fische verfüttern."
„Wie bitte?" Es war der goldene Junge von der Feier. Er saß auf einer Bank aus weißem Stein, so als hätte er dort schon die ganze Zeit auf sie gewartet.
„Hier verbringt meine Großmutter ihre freie Zeit" Der Junge beugte sich über nächsten Teich. Blasse Fische stoben an die Oberfläche in Erwartung von Futter. „Wenn sie wüsste, dass du in der Nähe ihrer kostbaren Lieblinge bist..."
„Das sind keine normalen Rosen, oder?" Maybell hob einen schweren Blütenkopf an. Die Blättern waren mit goldenen Punkten gesprenkelt.
„Die berühmten Rosendorn Rosen", erwiderte der Junge und zuckte mit den Schultern. Er schien die Fische deutlich interessanter zu finden. „Wir züchten sie seit Jahrhunderten mit Magie, da haben sich ein paar Eigenarten entwickelt."
„Ihr?" Mit Abstand blieb Maybell vor dem Jungen stehen und er richtet sich auf, um sie anzusehen.
„Leopold Rosendorn" Er stand auf und streckte ihr seine Hand hin. „Mit wem habe ich die Ehre?"
Widerwillig schüttelte sie seine Hand. Seine Haut war angenehm warm. „Maybell Summers."
„Freut mich, Miss Maybell" Er setzte sich wieder auf die Bank und deutete auf den Platz neben sich.
Anstatt sich zu setzen, fragte Maybell, „Wo ist deine Schwester geblieben?"
„Hat ihre beste Freundin gefunden" Unglücklich verzog er das Gesicht. Dabei sahen seine hellen Augen an Maybell vorbei. „Da ist so ein großer Bruder plötzlich nicht mehr so interessant."
„Ihr seid nicht oft zusammen?" Zögerlich ließ sich Maybell ebenfalls auf der Bank nieder, wobei sie die äußerste Kante bevorzugte.
Überrascht drehte er sich mit dem Oberkörper zu ihr. „Unsere Großeltern halten es nicht für richtig, uns gemeinsam zu erziehen." Unter seinen Augen waren gräuliche Schatten, die durch den warmen Ton seiner Haut auf den ersten Blick nicht auffielen.
„Erziehung ist es also wert, euch getrennt zu halten?"
„Wir gehen auch auf verschiedene Schulen" Er zupfte an dem Pelzkragen seiner Durmstrang Uniform, der so gar nicht in das Gewächshaus passen wollte.
„Sie geht nach Hogwarts?", fragte Maybell, die sich an das perfekte Englisch seiner Schwester erinnerte.
„Grüntal" Als Maybell nichts sagte, fügte er hinzu, „Kleine, private Schule in Deutschland. Es nimmt dir keiner übel, wenn du sie nicht kennst."
Maybe spürte sein Zögern und bevor er nach ihrer Schule fragen konnte, deutete sie auf die goldenen Vögel über ihren Köpfen. „Sie sind wunderschön."
„Oh ja" Leopold zog seinen Zauberstab gedankenlos hervor und schwang ihn. Einer der Vögel stieß ein erschrecktes Zwitschern aus, bevor er, offensichtlich gegen seinen Willen, in Leopold anderer Hand landete. „So kannst du ihn besser betrachten", erklärten er.
Empört rief Maybell, „Doch nicht so, lass ihn frei."
„Wie bitte?" Offensichtlich mehr aus Überraschung öffnete Leopold die Hand und zwitschert entkam der kleine, goldene Vogel. Er schien aus schimmernden Metal zu sein und doch flatterte er durch die Luft.
„Du kannst ihn doch nicht einfach so seiner Freiheit berauben." Maybell stand auf und stemmte die Hände in die Seite.
Anstatt den Blick beschämt zu senken, runzelte Leopold die Stirn. Dann sagte er sehr ruhig, „Entschuldige, ich habe nicht nachgedacht."
„Gut" Maybell trat näher an die Rosenranke und streckte ihre Arme aus. So blieb sie ruhig stehen.
„Was bei Merlin tust du?"
„Siehst du das nicht?"
„Versuchst du dich als Statue?"
„Ich lade sie ein."
„Wen?"
Maybell nickte aufwärts zu den Vögeln, die aufgehört hatten herumzuhüpfen und sie neugierig betrachteten.
Zu ihrer Überraschung reagierte Leopold nicht wie erwartet. Er starrte sie nicht entsetzt an, noch zeigte er mit dem Finger auf sie.
Er lachte. Doch es war ein anderes Lachen.
Ein sanfter, freudiger Laut drang aus seinem Mund, der kaum laut genug war um die Vögel aufzuschrecken. „Ach..." Er lächelte sie an und Maybell konnte es nur erwidern.
Dann stand er auf, trat näher an eine andere Gruppe von Vögeln und hob ebenfalls die Arme. „Mache ich das so richtig?"
„Perfekt-" Maybell bekam das Lächeln gar nicht aus dem Gesicht. „-Leo."
Er legte den Kopf schief und erneut fielen ihm honigblonde Locken in die Augen. „Wollen wir Freunde sein, Bell?"
Vor Verblüffung ließ Maybell beinah die Arme sinken. Freunde war ein Wort, welches sie aus Büchern kannte. „Was bedeutet...Freunde für dich?"
Immer noch lächelnd sah er hinauf zu der gläsernen Kuppel. „Ich liebe es, wie die Sonne im Sommer kaum unterzugehen scheint."
„Es muss schön sein andere Himmel zu kennen.", murmelte Maybell. „Wie ist er im Norden?"
„Über Durmstrang?" Wie Maybell senkte Leopold den Kopf und ihre Blicke trafen sich. Dann schloss er die Augen. „Der Himmel ist heller, alles ist heller unter einem strahlenden Blau, beinah wie das Eis der Gletscher. In ihnen bricht sich das Sonnenlicht in den schönsten Farbe." Er lächelte. „Und dann gibt es die Monate ohne Sonne, wenn der Himmel sich am Rand erhellt, doch der Sonnenaufgang kommt nie."
Mit großen Augen fragte Maybell, „Wie ist das?"
„Kennst du das Gefühl wenn du Mitten in der Nacht aufwachst und alles ist dunkel um dich? Wenn du dir nicht sicher bist ob du noch träumst?" Obwohl er ihr Nicken gar nicht sehen konnte, fuhr er fort. „Genauso. Alles fühlt sich weniger real an, weniger wie Tag."
Träumerisch ließ Maybell ihre Arme sinken. Sie war gefangen mit dem Bild von all den Himmel, die sie nicht kannte und niemals sehen würde.
„Ich könnte es dir zeigen" Leopold hatte wieder die Augen geöffnet. „Die Schule ist an das Flohnetzwerk angeschlossen."
Maybell spürte weder Trauer noch Wehmut, als sie antwortete, „Womöglich in einem anderen Leben."
Über die Distanz hinweg sahen sie sich an. Dann hoben sie beide wieder den Blick und beobachteten die Vögel in ihrem Flug.
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"Love can make even nice people do awful things."
— Jude Deveraux
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Like smoke, slipping trough empty hands
1975
„Guten Morgen, Miss." Der Angestellte trag aus einem Schatten in der Eingangshalle an sie heran. „Miss..."
„Ja?", fragte Maybell sanft. In ihrem Morgenrock war sie den Morgen über durch das Anwesen der Lestranges gewandert. Nun sah sie, wie der junge Mann beschämt seinen Blick abwandte. „Was gibt es?"
„Nun, Miss" Es war ein junger Kerl, vermutlich kaum aus der Schule raus. Seine Wangen röteten sich. „Ihr habt Besuch."
„Wer?" Verwundert schloss Maybell das Buch in ihren Händen. Als der Angestellte weiter verlegen stotterte, seufzte sie.
Der Herr des Hauses hatte einen Spaß daran das Gerücht zu verbreiten, Maybell wäre nicht bei klarem Verstand. Dadurch hatte er erreicht, dass selten jemand mit ihr sprach. „Wo?"
Der Mann deutete Richtung Frühstückssalon und Maybell eilte darauf zu. Den Angestellten oder sein Verhalten hatte sie bereits wieder vergessen.
Im Salon stand ein blonder Mann in einem dunklen Reiseumhang mit dem Rücken zu ihr. Er hatte die Hände verschränkt und sah durch die geöffneten Glastüren hinaus auf den Garten.
Am Frühstückstisch war eine Hauselfe damit beschäftigt Platten aufzubauen.
„Leo", rief Maybell und legte ihr Buch achtlos auf den Tisch.
Der Mann, ihr guter Freund, erinnerte sich Maybell tadelnd, drehte sich zu ihr herum. Eisblaue Augen begenten ihre, doch das hatte sie noch nie gekümmert. Solange das Eis irgendwann schmolz.
„Maybell" Ein erleichtertes Lächeln tauchte auf Leopold Rosendorns vollen Lippen auf, so als hätte er an Maybells Auftauchen gezweifelt.
„Was machst du hier?" An ihm vorbei sah Maybell in den Garten. Dort ging gerade erst die Sonne über den Hecken auf. Die Uhrzeit überraschte sie weniger, Leopold schlief nicht viel. „Du warst erst letzte Woche hier."
Sie sagte dies ohne Tadel, stattdessen stellte sie nur die Tatsache fest, dass mehr als wöchentliche Besuche über der Norm waren.
„Wie geht es dir?" Amüsiert hob Leopold eine helle Augenbraue, als er ihre Kleidung bemerkte. „Gut geschlafen?"
„Du bist nicht in deinem Haus", ließ Maybell ihn wissen. Sie fragte ihn nicht nach seinem Befinden. Seine angespannten Schulter und die immer noch verschränkten Hände sagten ihr genug.
„Lass uns Frühstücken." Er zog einen Stuhl für sie unterm Tisch hervor. „Du hast doch sicherlich noch nicht gegessen?"
Maybell suchte sich ihren Platz selbst aus, was Leopold mit einem Lächeln quittierte. „Wo kommst du her?"
„Stadtsitz.", presste Leopold hervor und sah an ihr vorbei.
Maybell richtete den Silberteller vor ihr. „Emilia?"
„Alle."
„Julius und Camille?"
„Und Luné." Seiner Stimme fehlte der sonst so presente sanfte Tonfall, wenn er seine jüngere Schwester erwähnte.
„Eine ungewöhnliche Kombination."
„Eine Falle", informierte er sie. „Emilia hatte zum Tee geladen."
„Kein schmackhafter Tee?"
„Ein verflucht ekelhafter Tee" Mit einer Gabel stach er auf das Holz des Tisches ein. Erst als Maybell ihm einen tadelnden Blick zuwarf, ließ er es sein.
So aufgebracht hatte sie ihn bisher nur zwei Mal in all den Jahren gesehen. Vor wenigen Wochen, als sein Großvater, Aland Rosendorn, gestorben war. Und vor einem Jahr, als er an Lunés Geburtstag plötzlich in der Eingangshalle der Lestrange gestanden hatte.
„Rechtfertigen, dass sie meinen Großvater..." Er unterbrach sich selbst und holte tief Luft. Sein Gesicht war schärfer, die Knochen prominenter geworden.
„Das reicht, vielen Dank", ließ Maybell die Hauselfe sanft wissen. Diese hatte weiterhin Essen aus der Küche herbeigeschafft.
Die Elfe verbeugte sich tief und Leopold sagte abschätzig, „Ich werde nie verstehen, warum du so freundlich zu ihnen bist."
„Sie können diesem Haus genauso wenig entkommen wie ich" Maybell hielt ihren sanften Tonfall bei. Sie wusste, dass Leopold ihn gerade sogar noch mehr als die Elfe brauchte. „Tee?", fragte sie und hob die Kanne an.
Ein schwaches Lächeln zuckte um Leopolds Mundwinkel und Maybell goss ihm stattdessen Kaffee ein. „Danke, Bell." Erschöpft stütze er den Kopf in die Hände. „Ich wusste nicht, wo ich sonst hinsollte."
„Wie gut, dass der Hausherr ausgeflogen ist" Gleich nach dem Aufstehen hatte sich Maybell noch einmal versichert, dass Lestrange Senior wirklich für mehrere Tage verreist war.
„Und Eostra?"
„Hat er mitgenommen." Aus ihrem Mund klang es, als hätte sie nur einen zusätzlichen Festumhang erwähnt, den der Hausherr eingepackt hatte. So war es ja auch.
„Das trifft sich gut" Leopold sah ihr wieder in die Augen. „Ich muss dir eine Frage stellen."
„Ja?"
Sehr langsam und bedacht sagte er, „Würdest du mich heiraten, Maybell?"
„Bitte?" Verwundert starrte sie ihn an. Von allem was sie erwartet hatte, dies war es nicht.
Sachlich und mit geöffneten Händen fuhr er fort, „Emilia ist einverstanden. Es ist eine gute Verbindung. Die Summers waren eine alte und mächtige Linie."
„Und warum sollte ich..." Der Gedanke war so absurd, dass Maybell lachen musste. Doch Leopold stimmte nicht ein.
„Ich könnte dir alles bieten, Maybell. Ein Zuhause, Freiheit." Er fasste den Raum mit seiner Hand ein. „Du wärst keine Gefangene."
„Leo", sagte sie sehr, sehr sanft. „Wie kommst du bloß auf soetwas?"
„Ich könnte dir einen Zauberstab besorgen" Weiterhin fixierten seine Augen ihre. „Du könntest doch noch Magie lernen, so wie du es immer wolltest."
„Leo, gerade du weißt, dass es nicht so einfach ist."
„Hör zu, Maybell" Über den Tisch hinweg fasste er nach ihrer Hand. Seine Haut war wie immer warm, beinah schon fiebrig. „Wenn du diesem ganzen Wahnsinn entkommen möchtest, dann können wir auch ganz woanders neu anfangen. Irgendwo unter neuen Himmeln."
Ein wehmütiger Ausdruck schlich sich auf sein Gesicht, bei der Erinnerung an ihr erstes Treffen. Damals waren die Dinge, zumindest für ihn, so viel simpler gewesen.
„Du würdest deine Schwester niemals in diesem Wahnsinn im Stich lassen", erinnerte Maybell ihn sanft, aber nachdrücklich. „Genauso wenig wie ich meine."
„Luné...ist ohne mich besser dran." Er ließ ihre Hand los und mit verschränkten Armen lehnte er sich zurück.
„Das ist eine Lüge." Maybell rührte sich nicht. „Und du weißt, wie es um meine Schwester steht."
„Ist es schlimmer geworden?"
„Seit ihre Tochter...seit Rubina weg ist-" Unglücklich verzog Maybell das Gesicht. „Nur ich halte sie noch im Leben." Für einen Moment musste Maybell die Augen schließen. „Lestrange weiß das. Sonst wäre ich schon vor vielen Jahren gestorben."
Die Erinnerung an ein vertrautes, geliebtes Haus, welches vor ihren Augen niederbrannte, stieg in ihr auf. Ungeduldig schob Maybell die Erinnerung zur Seite.
Leopold schwieg. Er sah sie stumm an, dann hielt er ihr einen silbernen Korb mit Toast hin.
Ohne mehr Worte frühstückten sie.
Erst als Maybell ihren zweiten Tee lehrte, sagte Leopold unvermittelt, „Luné wird nach den Vorfällen in Grüntal nicht an die Schule zurückkehren."
„Emilias Entscheidung?" Maybell ließ die Tasse sinken.
„Ihre eigene. Sie hofft all dem zu entkommen." Leopold sprach zu dem Rührei auf seinem Teller gewandt. „Du weißt, dass ich den Auftrag habe sie zu töten?"
„Sie würde nie versuchen dir zu entkommen, Leo."
„Womöglich ahnt sie es." Nachdenklich schob er das Essen hin und her. „Seit einem Jahr habe ich sie nicht gesehen."
„Wie ging es ihr?"
„Nicht gut. Sie ist verängstigt. Ohne meinen Großvater fehlt uns eine Führung." Aland Yaxley war vor wenigen Wochen gestorben und Maybell erinnerte sich immer noch an die Tränen in Leopolds Augen.
„Ist sie bei euren Eltern?"
„Nein" Er rammte wieder die Gabel in den Tisch. „Emilia."
„Emilia?", fragte Maybell verblüfft. Obwohl sie außer Leopold nie ein anderes Familienmitglied der Rosendorn getroffen hatte, kannte sie alle doch dank seinen Erzählungen. Auch wusste sie, dass die junge Erbin der mächtigen Familie das Oberhaupt, ihre Großmutter, nicht leiden konnte.
„Besser als unsere Eltern." Die Zacken der Gabel verbogen sich, so fest drückte er sie in das Holz.
Ach, dachte Maybell, von dort kam dieses Mal der Ärger. Es war ungewöhnlich, dass Leopold seine Eltern überhaupt erwähnte. Er war nicht bei ihnen aufgewachsen und hatte sich nur an sie gewandt, wenn er glaubte seiner kleinen Schwester geschah Unrecht durch sie.
Geduldig wartete sie, bis Leopold bereit war wieder zu sprechen. „Sie konnten nicht mehr länger eine Lüge leben. Und nun wo Emilia endlich meinen Großvater beseitigt hat..." Vertrauter Schmerz huschte über sein Gesicht. Leopold war bei ihm aufgewachsen. Und er war sich sicher, dass Emilia ihn vergiftet hatte.
„Was für eine Lüge, Leo?"
„Über den Blutstatus meiner Mutter." Er griff erneut nach der Gabel, doch beinah augenblicklich ließ er sie wieder los. Seine Augen huschten durch den Raum, doch sie waren immer noch allein. „Sie ist Muggelstämmig, Maybell, verdammt noch mal, Muggelstämmig."
Maybell brauchte einen Moment um sich zu sammeln. Camille Rosendorn stammte also nicht aus einer magischen, reinen Blutlinie. Ihre Eltern waren Muggel.
Sie kannte Leopolds Welt, sie wusste was dies in dort bedeutete. Dagegen waren die altehrwürdigen Lestranges beinah sanftmütig.
„Leo..."
„Ich bin ein Halbblut" Hilflos starrte er sie an. So als hätte sie die Antwort darauf.
„Deine Schwester..."
„Bei Merlin." Mit einem Stöhnen vergrub er den Kopf in den Händen. Seine Schultern zuckten. „Sollte das jemand, irgendjemand, jemals erfahren...es wäre ihr Todesurteil."
„Ich wünschte es wäre anders, Leo." Maybell wusste, was Leopold alles tat, um seine kleine Schwester am Leben zu halten. Wie er sein eigenes Leben dafür bereits verdammt hatte, indem er sich dem Dunklen Lord als Pfand für seine Familie angeboten hatte.
„Hast du über mein Angebot nachgedacht, Maybell?" Er stand auf und Maybell tat es ihm nach.
„Es tut mir leid, Leopold."
Leise seufzte er und sah sie offen an. Jeder Widerstand schien in ihm erlahmt zu sein. Vor ihr stand kein Mann, der noch bereit war zu kämpfen.
„Du hast so viel mehr als das hier verdient, Maybell."
„Ich weiß" Sie lächelte und trat um den Tisch auf ihn zu. Sanft nahm sie sein Gesicht in ihre Hände. Es war das erste Mal, dass sie ihn in all den Jahren bewusst berührte. „Womöglich befindet sich eine bessere Welt hinter all dem, mein Freund, eine Welt, die wir verdienen."
Große, hoffnungsvolle Augen sahen sie an. Vorsichtig, als hätte er Angst sie würde fliehen, umschloss er ihre Hand mit seiner. „Ich hoffe wir sehen uns dort, Bell."
„Bis bald, Leo" Sachte entzog sie sich ihm.
Mit unendlicher Traurigkeit sah er sie an. „Bis bald, Bell."
Leopold Rosendorn verließ das Anwesen der Lestrage und wie immer blieb Maybell zurück.
Anstatt ihm nachzusehen, richtete sie den Blick auf den neusten Tagesprophet, den die Elfe hereingebracht hatte.
Schon nach einem kurzen Blick faltete sie die Zeitung zusammen, versteckte das Bild eines brennenden Muggel Dorfs.
Leopold Rosendorn stand darunter als Verantwortlicher für die Gräueltat.
Ihn sollte Maybell nur noch eimal sehen, beinah ein Jahr später. Es gab keine wöchentlichen Treffen mehr, kein Lachen, welches nur sie beide verstanden. Maybell laß seinen Namen in den Zeitungen, unter immer fürchterlicheren Überschriften. Sie nannten den goldenen Jungen ein Monster.
Und dann stand er plötzlich wieder im Haus der Lestranges und noch bevor der Dunkle Lord ihn in den Speisesaal rief, wusste Maybell es. Sie wusste, dass er gekommen war um sein Leben für das seiner Schwester anzubieten.
Sie weinte keine Tränen für ihn. Sie zerbrach entzwei für ihn, als sie nicht viel später das dumpfe Geräusch im Speisesaal hörte.
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