Kapitel 39 - Ja, ich will doch nicht

Henry

1. Woche zuvor

Charlie sah mich fassungslos an. „Du willst ihr einen Antrag in eurem ersten gemeinsamen Urlaub machen? Nach nicht mal drei verdammten Monaten?"

Ich gab einen brummenden Laut von mir. War ja klar, dass Charlie so reagieren würde. Ich hätte es besser wissen müssen. Trotzdem hatte ich mich verplappert. Und nun hatte ich den Salat. In Form meines jüngsten Bruders, der auf der anderen Seite der Welt gerade fassungslos seinen Computermonitor anstarrte.

„Erstens kennen wir uns bereits länger als drei Monate."

„Oh ja richtig! Es sind drei, die ihr euch kennt. Zusammen seit ihr nur zwei. Das verändert selbstverständlich alles, Henners!" gab Charlie sofort in seiner spitzen Art zurück.

Ich ignorierte es. Stattdessen sprach ich weiter. „Es gibt für mich keinen guten Grund, länger zu warten. Ich liebe sie. Mehr als ich es je zuvor für eine andere Frau getan habe. Und ich weiß, dass es bei ihr genauso ist. Wir leben zusammen. Jeden einzelnen Tag. Nichts fühlt sich mit ihr verkehrt oder falsch an. Ich kann mit ihr über alles reden. Alles tun. Es ist als wäre sie maßangepasst für mich!
Kal liebt sie. Er vergöttert sie und hat sie seit dem allerersten Tag akzeptiert. Das hat er zuvor bei noch niemand anderes gemacht.
Wieso soll ich noch länger Zeit vergehen lassen, in der sie längst meine Frau sein könnte?"

Statt mich zu unterstützen, seufzte meine jüngster Bruder nur am Ende der Leitung auf. „Das ist es ja, Henners! Sie passt perfekt zu dir. Sie akzeptiert deine ganzen verflossenen Bettgeschichten - weshalb dich schon die ein oder andere Frau sitzen gelassen hat. Sie akzeptiert dein Leben. Sie akzeptiert deinen Hund. Sie akzeptiert unsere riesige Großfamilie und Mom liebt sie jetzt schon mehr als jede andere Schwiegertochter in der Familie.
Mach dir das bloß nicht kaputt!
Du hast mir doch letztens erst selbst gesimst, dass sie dir gesagt hat, dass sie für Ehe und Kinder noch nicht bereit ist. Wieso lässt du ihr dann nicht mehr Zeit?
Was hast du davon, sie jetzt zu fragen, wo es klare Tatsachen gibt, dass sie nicht will und riskierst damit, sie zu verlieren?"

„Weil ich weiß, dass es nicht so sein wird." gab ich sofort zurück. Ja! Ich hatte wirklich das Gefühl, dass sie nicht nein sagen würde.

Charlie fuhr sich frustriert mit beiden Händen über das Gesicht. „Henry, du hast gesagt, ihr sagt euch immer die Wahrheit. Wenn sie sagt, sie ist noch nicht soweit, dann ist sie noch nicht soweit. Man heiratet doch nicht nach nur zwei Monaten!"

„Ich will sie nicht nach zwei Monaten heiraten, sondern sie fragen, ob sie meine Frau werden will."

„Wo, verdammt ist da der Unterschied? Du setzt ihr ein Messer auf die Brust! Sie wird sich unsicher und eingeengt fühlen. Sie wird doch nicht nur nein sagen und weiter machen. Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie sehr sie dich liebt. Du drängst sie mit deinem Egoismus in eine Richtung, die nicht gut für sie und eure Beziehung sein wird. Gib ihr doch wenigstens noch ein Jahr."

Ich schüttelte nur den Kopf. Ich war mir so sicher. So sicher, wie bei nichts anderem in meinem Leben. „Ich weiß, dass es das richtige ist, Charlie. Ich weiß es einfach."

„Woher, verdammt?" fragt mein Bruder absolut entnervt auf.

Ich gab ein kurzes Seufzen von mir. „Weil mich dieses Gefühl bei ihr noch nie getäuscht hat."

„Aber wenn es das dieses Mal tut, Henry, dann stehst du womöglich vor den Scherben eurer Beziehung. Und dann verlierst du wieder eine Frau, die dein Leben bereichert hat." Er machte eine kurze Pause und schüttelte fast schon enttäuscht den Kopf. „Nein. Dann verlierst du noch mehr. Du wirst die Frau deines Lebens verlieren."

*

Aurelias Mund stand immer noch Meilenweit offen.

Sie sah aus, wie vom Bus überfahren. Immer wieder streifte ihr Blick meinen und ging dann tiefer zu der Box, die ich immer noch in der Hand hielt.

Ich hatte ihr alles gesagt. Ich hatte mich ihr erklärt. Ich hatte alles auf eine Karte gesetzt.

Nun lag es nur noch an ihr.

Aurelia schloss langsam ihren Mund und lief den einen Schritt, der uns trennte, zu mir und ging dann selbst auf die Knien.

Ehe ich mich versah, lagen ihre Arme um meinen Nacken und sie versteckte das Gesicht an meinem Hals.

Nun wusste ich überhaupt nicht mehr, was los war.

Mein Herz schlug immer schneller. Immer mehr Gedanken tauchten in mir auf, die mir sagten, dass ich es versaut hatte. Dass sie sich von mir trennen würde. Dass ich die Frau verloren hatte, die mir so viel bedeutete.

Ich bekam es allmählich mit der Angst zu tun. Mit einer Angst, die ich das letzte mal nur bei meiner Ex-Freundin verspürt hatte. An dem Tag als sie mich verlassen hatte.

Ich zog die Arme an mich heran und legte sie um Aurelia.

„Sag was. Irgendwas. Bitte." raunte ich zu ihr herab. Ich würde das nicht mehr lange durchstehen.

Nur ganz langsam löste sie sich von mir. Und weil sie bis zur letzten Sekunde ihr Gesicht vor meinem Blick versteckte, wusste ich, dass sie geweint hatte.

Fuck.

Ich hatte alles ruiniert.

Fuck!

Fuck!

FUCK!

Ich hielt es nicht mehr aus. Ich musste wissen, was los ist. Ob ich es für immer versaut hatte.

Mein Finger legten sich an ihr Kinn und drückten es leicht nach oben.

Ich sah die Tränen in ihren wunderschönen grünen Augen. Aber sie lächelte. Und es erreichte ihre Augen. Sie strahlten. Auch unter all den Tränen.

„Henry, wie sollte ich diesen Antrag denn jemals ablehnen können?" schluchzte sie mit einem deutlichen Lächeln in der Stimme.

Es dauerte Sekunden, ehe ich die Bedeutung ihrer Worte verstand.

Sie hatte ja gesagt.

Mein Herz machte einen wilden Sprung.

Ich ließ ihr Kinn los und wischte die Tränen, die nun begannen über ihre Wangen zu laufen, weg. Ohne dabei auf meine eigenen zu achten, die mir einzeln über die Wangen rollten.

Ungehindert breitete sich mein Grinsen aus. „Ist das ein Ja?"

Sie schniefte schief auf und lachte auf. „Denkst du, nach der Ansprache lasse ich dich gehen? Ich wäre doch schön blöd, wenn du das jemals wieder einer anderen Frau sagst!"

Nun lachte ich auch auf. „Das hätte ich ja nicht vor. Deshalb der Antrag."

Plötzlich waren ihre Arme wieder um meinen Hals gelegt und ihre Lippen auf meinen. „Antrag angenommen, Henry."

*

Wir blieben noch lange an der Klippe sitzen und schauten auf den Horizont, der sich langsam in die schönsten Abendfarben kleidete.

Wir saßen nebeneinander. Aurelia an meine Schulter gelehnt und ich mit dem Arm um sie gelegt.

Wir sagten nicht viel. Genossen einfach das Gefühl, der Glückseligkeit, der Umgebung und das Beieinander.

Doch irgendwann hörte ich Aurelia leise lachen.

„Was ist so lustig?" wollte ich wissen und wagte einen Blick zu ihr herab.

Ihre grünen Augen sahen zu mir auf. „Dir ist aber bewusst, dass ich deinen Namen nicht annehme."

Natürlich war mir das von Anfang an klar gewesen. Es würde so wie bei den meisten Hollywoodpaaren laufen. Jeder hatte seinen Namen, mit dem man berühmt wurde. Niemand wollte sich in diesem Geschäft von jemanden anderes abhängig machen.

Bei Aurelia kam noch die ehemalige Profikarriere dazu.

Trotzdem gab ich mich frustriert und schockiert. „Was? Aurelia Cavill klingt doch super! Du kränkst mein Ego."

Sie kicherte in ihrer glockenhellen Stimme. „Ich schätze, ich nehme ihn ja an. Zumindest als Doppelnamen. Aber draußen, außerhalb unserer kleinen Blase, will ich weiter unter meinem Namen arbeiten."

Ich lächelte zu ihr herab. „Da nimmst du mir die Worte aus dem Mund."

Es dauerte eine Weile, bis sie die Intension meiner Worte verstand. Verwirrt zog sie die Brauen zusammen. „Du willst meinen Namen auch annehmen?"

„Hallo? Wenn ich die Möglichkeit habe, in eine verdammt berühmte Tennisfamilie einzuheiraten, dann nehm ich jede Chance an."

Auri kicherte laut auf. „Du bist unmöglich, Cavill."

Erheitert zog ich beide Augenbrauen an. „Cavill-Halle, Darling."

„Du bist unmöglich." lachte sie und kuschelte ihren Kopf zurück an meine Seite. Dann folgte ein tiefes Seufzen. „Wir sollten das Zelt aufbauen, bevor es dunkel wird."

Ich gab einen bejahenden Laut von mir, nahm den Arm aber nicht von ihr. Stattdessen legte ich die Wange an ihren Haarschopf.

„Henry?" hörte ich es dann irgendwann wieder unter mir fragen.

„Aurelia?"

„Sagen wir es den anderen?"

Daran hatte ich noch gar nicht gedacht. Die anderen. Freunde. Familie. Die Presse.

„Heute nicht." gab ich mit einem zufriedenen Lächeln zu ihr herab. „Der Abend und die Nacht gehört nur uns beiden. Wie wärs, wenn wir es morgen einfach bei WhatsApp präsentieren?"

Aurelia lachte wieder auf. „Aber nur, wenn wir dir meinen Ring aufsetzen und du ganz begeistert in die Kamera schaust."

Ich lachte auf. Genau so liebte ich sie. „Eine andere Idee wäre mir nie in den Sinn gekommen."

Sie grinste breit und seufzte dann zum wunderschönen Sonnenuntergang zu. „Meine Mutter wird umfallen vor Freude. Sie sieht dich ja jetzt schon fast als ihren Sohn an."

„Meiner Mom gehts mit dir nicht anders. Wenn das hier schief gelaufen wäre, hätte sie mich wahrscheinlich enterbt und verstoßen."

Ich hörte Aurelia Kichern. Dann würde sie wieder ruhiger und seufzte zufrieden aus. „Der Presse will ich es nicht sagen." sagte sie dann irgendwann.

„Müssen wir auch nicht. Es ist eine Sache zwischen uns beiden. Dem Rest geht es nichts an, wenn wir das nicht wollen."

Überrascht sah sie mich an. „Dann würdest du auch eine kleine Hochzeit in Kauf nehmen?"

Ich verzog ernst das Gesicht. „Absolut! Das wäre mir sogar recht lieb. Nur die Familien, ein paar Freunde und gut ist. Wir müssen ja auch nicht zwangsläufig England oder Spanien zum Heiraten wählen. Ich nehm so ziemlich jedes andere Land auch. Solang es uns beiden gefällt. Wenn du willst, brauch auch keiner davon zu erfahren. Wir könnten auch still und heimlich nach Vegas und dort heiraten."

Auri gab einen nachdenklichen Laut von sich. „Über sowas habe ich noch nie nachgedacht."

Ich lachte und zog den Arm enger um sie. „Was soll ich sagen? Das sind Gedanken, die mir seit dem Vorsprechen durch den Kopf gehen. Im Prinzip habe ich bis zur Rente bereits alles durchgeplant."

Wieder lachte sie auf. Gott sei Dank. Andere Frauen hätten das wahrscheinlich nicht so einfach hingenommen. Aurelia dagegen verstand meinen Humor perfekt und spielte mit ihm. „Da bin ich ja froh. Nachher hätte ich mir darüber auch noch Gedanken gemacht. Was bin ich zufrieden mit meinem baldigen planfreudigen Mann."

Und ich erst!

*

Wir verschliefen am nächsten Morgen komplett. Was allerdings nicht weiter schlimm war. Statt der eigentlich geplanten Wanderung, die uns den Sonnenaufgang bieten sollte, frühstückten wir in aller Ruhe und änderten die heutige Runde um.

Ich baute das Zelt ab, während Aurelia das Auto startklar machte. Dann starteten wir.

Die Tour ging zu einer Wanderstrecke in den Bergen. Wir stellten den Jeep ab, verschlossen das Gepäck und nahmen eine Wanderung im Süden des Nationalparks auf.

Hand in Hand und mit den Rücksäcken bewaffnet, nahmen wir die Strecke quer durch die schöne Landschaft. Ich war immer wieder erstaunt von der Schönheit dieser Insel. Atemberaubende Berglandschaft mit tiefen Schluchten, ausgewaschenen Höhlen & einzigartigen Felsformationen. Je nachdem wo wir im Isalo Nationalpark waren, gab es Stellen an denen es quietschgrün vor lauter Bäumen, Sträuchern und Pflanzen waren und dann wieder Stellen wie hier, in der man mehr vom roten Sandboden sah, von dem Madaskar auch den Spitznamen Rote Insel hatte.

Ich war nie zuvor hier gewesen und war unendlich dankbar das hier mit Aurelia erleben zu dürfen, die sich immer mehr als kleine Abendteuerin entpuppt. Zumindest solange es auf kein Motorrad ging.

Sie quietschte nicht einmal auf, als wie aus dem nichts eine kleine Scharr Lemuren auftauchte und ein besonders freches Exemplar ihr auf die Schulter sprang und sich umsah.

Stattdessen lachte sie erfreut auf, während ich den Moment versuchte mit der Kamera einzufangen.

Nach einer weiteren Stunde Wandern kamen wir dann endlich an einen der natürlich angelegten Pools an, die man hier im Park immer wieder fand.

Dieser hier war verlassen, sodass wir beschlossen, hier anzuhalten und zu verschnaufen, ehe wir die Rücktour zum Jeep planen würden.

Doch bevor ich auch nur den Rücksack absetzen konnte, um unsere Badesachen auszupacken, hörte ich es neben mir schon aufschreien.

Splitterfasernackt stand Aurelia im glasklaren Wasser und umklammerte sich selbst. Zitternd sah sie zu mir auf. „Das ist ja eiskalt!"

Lachend nahm ich den Rucksack ab und packte ihn neben ihren. Rasch fanden meine Sachen neben ihren ihren Platz.

Fuck.

Fuck.

Fuck, war das kalt!

„Quellwasser!" gab Aurelia bibbernd von sich, als ich bei ihr ankam und sie umklammerte.

„Bei einer Außentemperatur von fast dreißig Grad kann aber auch das Quellwasser verdammt nochmal wärmer sein!"

Auri lachte nur.

Allzu lange hielten wir es im kalten Wasser nicht aus, ehe wir zum Trocknen wieder ans Land schwammen und ich die Handtücher aus den Rucksack holte.

Dankend nahm meine Verlobte ihres an und trocknete sich rasch ab.

Verlobte.

Großer Gott.

Ich hatte es wirklich geschafft, diese wahnsinnig tolle Frau für mich zu gewinnen. Sie würde meine Frau werden.

Wir würden zusammen alt und grau werden.

Ich würde mit ihr alles erreichen können. Sie würde meine Glückseligkeit werden.

„Gibt es irgendeinen Grund für dein Grinsen?" unterbrach mich Aurelia plötzlich.

Ich schnaufte erheitert auf und packte unsere Handtücher wieder zurück in meinen Rücksack. „Nein eigentlich nicht. Nur, dass die tollste Frau des Universums meine Frau werden will. Das gibt mir doch ein wenig Neuen Lebensmut."

„Oh! Ich hoffe, diese Frau weiß auch von deinem Vorhaben." sagte sie trocken und lächelte zart, als sie vor mir stehen blieb und mir die Arme um die nackte Hüfte legte.

Grinsend schob ich ihr eine lose Strähne, die sich aus ihrem Pferdeschwanz gelöst hatte, hinter ihr Ohr. „Weiß nicht. Ich überrasche sie gern. Manchmal hat sie es ganz schön schwer mit meinen spontanen Vorhaben."

Ihr Lächeln war meine Sonne. Meine Zuversicht und mein Kraftpol. Alles in mir kribbelte, wenn ich dieses verdammt schöne Lächeln sah und ich würde bis ans Ende meiner Tage dafür sorgen, dass ich es jeden Tag auf ihrem Gesicht sehen würde. „Ach, da würde ich mir keine allzu großen Sorgen machen. Hab gehört, dass man sie manchmal überraschen muss, weil genau solche spontanen, unerwarteten Dinge ihr Leben besonders schön machen können."

„Verrückte Frau!" hauchte ich noch, bevor sich unsere Lippen trafen und wir unseren Aufenthalt an dem natürlich angelegten Pool noch etwas verlängerten.

*

Die nächsten Tage vergingen wie im Flug. Wir erkundeten, wir wanderten, badeten und zelteten. Es war unglaublich schön.

Fast schmerzte mir schon das Herz, als wir nach einer Woche den Jeep wieder abgeben mussten und den Nationalpark verließen.

Doch die Trauer war nur von kurzer Zeit. Denn das Ressort, in das wir als Nächstes anreisten, war mindestens genauso schön.

Von hier aus unternahmen wir allerhand Aktivitäten. Wir gingen schnorcheln, tauchen, segelten, fuhren zur Pirateninsel, sahen uns verschiedene kleine Städte und Dörfer an.

Es war ein einzigartiger Urlaub, den ich mir besser kaum hätte vorstellen.

Doch je normaler die Tage wieder wurden und je mehr Aurelias Entscheidung meine Frau zu werden normal wurde, umso mehr kamen wieder seltsame Gedanken in mir auf.

Gedanken, die ich längst aus meinem Hirn verbannt hatte.

Was war, wenn ich einen Fehler gemacht hatte?
Was, wenn ich mit meiner Entscheidung falsch lag. Wenn ich etwas in mir lange Zeit selbst belogen hatte?
Was, wenn ich doch lieber Superman als Captain Britian spielen wollte?

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