Kapitel 33 - In guten wie in schlechten Zeiten

Aurelia

Mit Henry über meine Ängste und meine Vergangenheit zu reden, tat unheimlich gut. Er hörte mir zu, gab mir Raum, gab mir aber auch Nähe und das Gefühl, nicht alleine zu sein.

Wenn ich ihn nicht ohnehin bereits gestanden hätte, mich in ihn verliebt zu haben, so wäre es spätestens jetzt der Fall gewesen.

Nach dem Bad steckte er mich in ein großes Handtuch, rieb mich trocken und verfrachtete mich danach in meinen alten Lieblingspyjama. Einen, den er eigentlich nie hätte sehen sollen, aber aus irgendeinen Grund, trotzdem gefunden hatte.

Mein alter rosa-karierter warmer Pyjama. Dazu passende warme Socken.

Er selbst zog sich nur die Boxershorts und ein weites graues T-Shirt an und ging dann mit mir zurück ins Wohnzimmer. Wir kuschelten uns auf meinem Sofa zusammen, Henry warf die Decke über uns, während ich es mir an seiner Brust bequem machte.

Von Endgame bekam ich kaum etwas mit. Henry dafür alles. Denn jedes Mal, wenn ich kurz wach wurde, sah er mich kurz an, streichelte meinen Kopf, während ich wieder einschlief. Er versuchte sich daran, Fehler im Film zu finden. Doch es gelang ihm kein einziges Mal.

Abends trug er mich dann ins Schlafzimmer, deckte mich zu und zog mich an sich heran.

Seine Anwesenheit tat mir unheimlich gut und ich konnte aus dem Schlaf und seiner ständigen Nähe wieder Kraft schöpfen.

Am nächsten Morgen sah die Welt schon wieder besser aus. Auch wenn Henry mich im Schlaf fest umklammert hielt und ich unter der Decke, dem warmen Pyjama und Henrys Heizungskörper kurz davor war, geröstet zu werden.

Doch irgendwann wachte auch Henry auf und ich bekam zumindest für kurze Zeit wieder frische Luft bevor wir uns dem faulen Morgensex hingaben.

Ein paar Stunden später, Mitten beim Mittagessen, klingelte dann mein Handy. Als ich den Namen des Anrufers las, fing ich schon an zu strahlen. „Roger! Schön dich wieder zu hören! Wie gehts dir?"

Mein selbsternannter Onkel lachte am Ende der Leitung. „Hallo, Relia! Ich müsste doch der sein, der sich nach deiner Gesundheit erkundet. Aber alles gut bei mir. Und bei dir?"

„Oh, alles soweit gut."

„Sehr schön!" flötete er in seinem guten Deutsch und etwas im Hintergrund verriet mir bereits, dass Federer wohl schon wieder auf dem Platz stand. „Ich bin heute bei deinen Eltern. Hast du vielleicht Lust auf ein kleines Spiel? Deinen Bruder bin ich gerade dabei zu besiegen."

Ich grinste auf. „Traust du dich wieder mit mir zu spielen?"

„Unbedingt! Mir tut das immer noch wahnsinnig leid, dass"

Ich unterbrach ihn sofort. „Nein! Du hast damit ja nichts zu tun! Alles wieder gut. Ja, lass uns spielen. Wann passt es dir denn?"

„Ähm" ertönte es am Ende kurz, als wenn er auf die Uhr sehen müsste „Ich schätze, ich brauche noch knapp eine Stunde für deinen Bruder, bis er aufgibt."

Im Hintergrund hörte ich Mikel nur müde Ha Ha sagen. Ich musste grinsen.

„Sagen wir 15 Uhr? Dann kann ich bei deiner Mutter noch ein Stück Kuchen und Kaffee abfangen. Ich hab schon gesehen, dass sie diesen wahnsinnig leckeren Rhababer-Kuchen gemacht hat. Den mit der leckeren Eiweiß-Decke. Wenn ich mich nicht ran halte, ist dein Bruder und Sascha wieder schneller als ich."

Jetzt musste ich wirklich lachen. „Geht klar, Roger. Dann fünfzehn Uhr. Bis dahin."

„Bis dahin, Reli."

Ich legte auf und sah zu Henry, der gerade mit seinem Handy beschäftigt war. „Roger hat zum Spiel eingeladen. Willst du mitkommen?"

Henrys tiefblaue Augen hoben sich zu mir an. „Oh, ich würde ehrlich gesagt, heute mal ins Gym gehen. Ich suche gerade schon nach einem guten."

„Ich gehe in das in der Weststraße. Wenn du willst, kannst du dir meine Karte mitnehmen. Die haben die Option, dass ich eine Person auswählen darf, die für mich geht, wenn ich selbst gerade nicht gehen kann."

Henry zog eine Braue hoch. „Du gehst ins Gym?"

Fragend zog ich die Augen zusammen. „Na von nichts kommt nichts. Und Tennis spielen alleine reicht nicht aus, um in Form zu bleiben und gut in dem Sport zu bleiben. Ein bisschen Kraft muss man schon an derer Stelle sammeln."

„Stimmt." hab Henry zu. „Wenn ich deine Mitgliedskarte bekommen kann und du mir den Laden empfiehlst, würde ich den nehmen."

„Klar." sagte ich sofort, sprang auf und holte mein Portmonee samt Karte aus meiner Tasche, die glücklicherweise auf dem Küchentisch lag. Ich überreichte sie ihm.

Als ich ihm die Karte übergab, berührten sich unsere Finger und alles in mir begann zu prickeln. Ohne die Karte loszulassen, senkte ich den Kopf zu ihm herab. „Danke für gestern, Henry. Ohne dich, hätte ich das nie so gut durchgestanden. Danke, dass du dich so gut um mich gekümmert und mir zugehört hast. Das war wohl mein emotionalster Seelenstrip, den ich je hingelegt habe. Und ... du hast Recht. Ich sollte damit ja vielleicht wirklich mal an die Öffentlichkeit gehen. Wenn es nur einem einzigen Menschen hilft, dann ist es das ja schon wert."

Seine freie Hand legte sich an meine Taille und sah mir tief dabei in die Augen.

„Das gehört zu einer Beziehung dazu, Auri. Und ich helfe dir, wo ich nur kann. Das machen doch Ritter so."

Ich schmunzelte bei seinem Vergleich wieder auf und nahm nun ungehindert Platz auf seinem Schoß.

„Trotzdem ist es nicht selbstverständlich, was du gestern gemacht hast. Selbst für den Freund an meiner Seite nicht." Sanft strich ich ihn über das lockige Haar, was ich so sehr liebte. „Ich glaube nicht, dass es jemanden gegeben hätte, der mir so gut hätte helfen können, wie du es getan hast."

Jetzt schmunzelte er auch und legte die Arme erneut um meine Mitte. „Ich weiß doch, was mein Mädchen braucht. Wir ergänzen uns einfach perfekt."

„Tun wir!" gab ich zurück und küsste ihn. Dabei legte ich meine Hände an seinen Wangen und gab mich seinen warmen weichen Lippen hin, die mit meinen harmonierten.

Es war ein zarter liebevoller Kuss, der mit einem kurzen Kuss auf meiner Nasenspitze endete.

Ich streichelte nochmal seine stoppeligen Wangen. Doch dieses Mal zog ich dabei die Stirn Graus. „Du fühlst dich so warm und schwitzig an. Ist alles okay bei dir?"

„Alles gut." versicherte er mir mit einem Lächeln. „Mir gehts gut. Mir ist bloß ein bisschen warm. Alles gut, Darling. Versprichst du mir aber, beim Training vorsichtig zu sein? Ich würde dich ungern nochmal sieben Wochen vom Tennis ablenken wollen."

Ich schmunzelte und streichelte erneut durch sein weiches lockiges Haar. „Ich pass auf. Roger sicher nochmal mehr als ich schon. Ich schätze, er hat schon einen Michelin-Anzug für mich herstellen lassen."

Nun lachte Henry wirklich laut auf und hielt sich den Bauch fest. Es dauerte Sekunden, ehe er sich die Tränen aus den Augen wischen konnte. „Das kann ich mir nur allzu bildlich vorstellen. Vor allem nach dem Präsentkorb, den du bekommen hast."

„Er hat es lieb gemeint. Und du benutzt die Kuscheldecke mit den aufgedruckten Tennisbällen jeden Abend, mein Guter. Dabei gehört sie rechtmäßig mir!"

„Genau wie der Mini-Ball an meinem Schlüsselbund."

„Und die Weinflasche hast du auch fast alleine vernichtet."

Er tätschelte lieb gemeint mein Oberschenkel. „Du hast auch die Hälfte davon abbekommen. Nur war ich halt etwas schneller beim Trinken gewesen als du."

„Mag sein." gab ich leise zurück und sah zu Kal, der im gemütlichen Tempo zu uns in die Küche lief.

Henry sah seinen besten Freund für eine Weile an, ehe er wieder zu mir sah. „Kannst du vielleicht Kal mit zum Tennis nehmen? Ich würde ihn ja mit ins Gym nehmen, aber gerade bei Gyms, bei denen ich noch nicht war und nicht weiß, ob sie Hunde überhaupt erlauben, lasse ich ihn lieber Zuhause. Oder am liebsten bei dir, wenn du ihn mitnehmen würdest."

Als hätte Kal jedes Wort von Henry verstanden, stellten sich plötzlich seine Ohren auf, der Puschelschwanz begann zu wedeln und die Zunge wurde bis zum Anschlag mit einem glücklichen Ausdruck im Gesicht herausgehangen. Und diesen spielerischen Blick schenkte er natürlich mir.

Abrupt hielt er dann aber inne und lief aus der Küche hinaus zurück ins Wohnzimmer.

„Der versteht doch jedes Wort, was wir sagen, oder?" flüsterte ich meinem Freund zu, der es mit einem Kichern beantwortet. „Davon gehe ich aus. Manche Sachen will er nicht verstehen und andere wiederum, die nicht für ihn bestimmt sind, versteht er besser als ich."

Kals Laufen war schon von Weiten auf dem Parkett zu hören, ehe er wieder in die Küche kam. Mit seinem Tennisball im Maul.

Wieder lachte Henry laut auf. Wieder seufzte ich laut auf.

Das würde Ja was werden!

*

Ich kam mit Kal pünktlich wie verabredet beim Tennisplatz meiner Eltern an.

Sie schienen gerade alle fertig mit Kaffee und Kuchen geworden zu sein. Meine Eltern, Roger, Sascha und auch Mikel saßen gemeinsam am Großen Campingtisch meiner Eltern. Die Teller waren leer. Die Tassen auch.

Zu meiner Enttäuschung der Kuchenteller auch.

Kal schien es dagegen nicht zu stören und trottete mit mir zusammen zu meiner Tennis-Familie ohne loszurennen.

Als Roger uns hörte, sprang er auch schon vom Stuhl auf und lief mit offenen Armen auf uns zu. „Relia, schön, dass du es einrichten konntest!"

Ich strahlte los und umarmte meinen ältesten Tennisfreund herzlich, was Kal mit einem lauten Bellen untermalte.

„Für dich doch immer." Wir lösten uns und Roger sah zu Kal. „Du bist wohl auf den Hund gekommen?"

„Oh, nein. Der gehört meinem Freund." erklärte ich.

Mikel setzte die Stirn in Falten. „Henry ist heute nicht mit dabei?"

Ich seufzte. „Nein. Er hat schon Blasen an den Fingern vom Spielen. Ich hätte ihn so oder so heute einen Tag Ruhe verordnet. Deshalb ist heute mal wieder das Fitnesstudio angesagt."

„Schade." seufzte Sascha, auf dessen Schoß ich das schlafende Leckermäulchen fand.

Roger grinste wie ein Honigkuchenpferd. „Ah! Dann bist du jetzt also so richtig mit dem jungen Mann von unserem Spiel offiziell zusammen."

„Der junge Mann ist nur zwei Jahre jünger als du, Roger. Aber ja."

„Und er ist Superman!" verkündete Sascha noch, was mich wieder zum genervten Stöhnen brachte. „Ja, das weiß wohl die halbe Welt."

„Ah, desch isch wirklich a richtig lieba netter Mann. Den bhalda wir gerne als Dochdrmo! Er isch wirklich arg heflich und kann sogah deidsch, ned wohr Mausle?"

„Ja, Mama!" Und besser hochdeutsch als meine Mutter, wenn sie in ihrer Muttersprache sprach. Mich wunderte es jedes Mal, wie Dad und auch Roger sie verstehen konnten. Dad, der nur allzu ungern deutsch sprach, weil er sich, seiner Meinung nach dabei jedes Mal die Zunge brach.

Großer Gott, wo war ich hier nur gelandet?

Roger legte mir tröstend eine Hand auf die Schulter. „Genug davon! Was hältst du von einem kleinen Match, Relia?"

„Klar gern! Deshalb bin ich ja hier!"

„Oder wir spielen Doppel?" fragte nun mein Bruder.

Ich zuckte mit den Schultern und sah Roger an. „Meinetwegen. Wenn du auch willst., Roger"

Roger nickte begeistert. „Klar. Wir beide gegen Sascha und Mikel! Wenn das kein Spaß wird!"

*

Spaß hatte unser kleines Match auf jeden Fall gemacht. Auch wenn wir es wirklich gelassen angehen ließen und Roger und ich zusammen mehr versemmelten als gewannen.

Aber immerhin verloren wir nur mit knappen Rückstand.

Vielleicht lag unser Verlust aber auch an der Gegenseite, die allzu gern Roger und mich mit seltsamen Geräuschen beim Aufschlag ablenken wollte. Oder auch Kal, der urplötzlich einmal meinte, mich unbedingt im Moment meines Aufschlages anspringen zu müssen. Mit Anlauf.

Mein aufgeschlagenes Knie dankte ihm dafür.

Der Spot war danach natürlich auf meiner Seite und Roger ließ es sich dieses Mal nicht nehmen, mir ein besonders schönes buntes Pflaster auf die kleine wunde Stelle zu kleben. Ein Überbleibsel seiner beiden Töchter.

Nun zierte das tapfere Einhorn jedoch mein Knie. Helfen tat es uns aber auch nicht. Dazu waren Sascha und Mikel wahrscheinlich auch einfach viel zu gut aufgewärmt und in Übung.

Trotz unserer Niederlage, schüttelte wir uns nach dem Spiel die Hände und Mikel machte von uns vieren noch ein Foto, dass wir alle sofort posteten.

Solche Fotos waren doch legendär.

Gemeinsam richteten wir noch den Sandplatz wieder her, ehe jeder von uns wieder seinen eigenen Weg ging. Meiner führte noch zu einem kurzen Einkauf in den Supermarkt, bevor ich zurück nach Hause ging.

Dort angekommen, war ich überrascht, dass die Tür nicht abgeschlossen war, sondern offen war.

Henry war also auch schon wieder da.

Ich ließ Kal als erstes ein, der sofort ins Wohnzimmer stürmte. Rasch streifte ich meine Turnschuhe von den Füßen und legte sie zurück ins Schuhregal. Dann kam der Schlüssel an seinen Haken an der Garderobe.

„Henry?" rief ich und lief ins Wohnzimmer hinein.

Dort fand ich ihn auch. Nur nicht so, wie ich es mir vorgestellt hatte.

Er lag auf meinem Sofa. Zusammengerollt und unter meiner dicksten Kuscheldecke.

Sein Gesicht war blass und von Schweiß bedeckt. Neben ihm auf dem Boden stand mein Wischeimer. Mein Herz zog sich vor Angst zusammen. 

Ich lief sofort zu ihm und hockte mich vor ihn. Direkt neben Kal, der ebenfalls besorgt sein Herrchen musterte. „Henry, hey." sagte ich besorgt und streichelte seine Wange.

Nur langsam öffnete mein Freund die Augen und brachte ein kleines Lächeln zustande. Auch wenn ich ihm ansah, dass er Schmerzen hatte.

"Hey." Er krächzt.

„Was ist denn los mit dir? Was ist passiert?" Ich streichelte durch sein durchnässtes lockiges Haar, das ihm an der Stirn klebte.

Sein Blick machte mir wirklich sorgen. Es waren doch nur vier Stunden vergangen, seit ich zum Tennisplatz gegangen war.

„Ich dachte, ich hätte was falsches gegessen. Aber inzwischen glaube ich das nicht mehr." murmelte er mit belegter Stimme und dreht das Gesicht in das dünne lilane Kissen unter seinen Kopf hinein.

Ich erkenne, wie er das Gesicht vor Schmerz verzieht.

"Oh Baby." flüsterte ich und streichelte ihm über die Wange.

Sie ist feucht und warm. Scheiße. Er brütet wirklich etwas aus.

Vorsichtig lugte ich nun doch in meinen Wischeimer hinein.

Doch außer Wasser, Speichel und gelber Schleim war da nichts drin.

Scheiße.

„Wie oft musstest du schon brechen?"

„Vier oder fünf Mal." antwortete er knapp und rollte sich noch enger zusammen.

Du meine Güte. Das hieß, er hatte schon nichts mehr im Magen und erbrach Gallensaft.

„Hast du schon irgendwas eingenommen?"

Er schüttelte kraftlos den Kopf.

Ich erhob mich sofort und lief ins Bad. Unter dem Waschbecken befand sich ein kleiner Schrank. Darin lag meine Entenwärmflasche, die ich mir herausnahm. Ich zog die rote Gummiwärmflasche aus dem Entenstoffteil heraus und legte beides auf die Toilette, die neben dem Waschbecken stand.

Bevor ich mich zum Medikamentschrank umdrehte, öffnete ich den Wasserhahn und ließ warmes Wasser herausströmen.

Dann war mein Glasschrank dran. Ich holte die pflanzlichen Magentropfen, Fiebersaft und die anderen Magentabletten und das Fieberthermometer heraus.

Rasch füllte ich noch die Wärmflasche, packte sie zurück in das gelbe Entenplüschtier und lief zurück zu meinem kranken Freund.

Kal wimmerte besorgt auf, als er mich wieder kommen sah. Ich packte die Medikamente auf den Couchtisch und streichelte ihn. „Ich kümmere mich um ihn, Bärchen. Mach dir keine Gedanken. Der wird wieder."

Vorsichtig zog ich die Decke zurück. Henry hatte die Arme fest um seinen Bauch geschlungen und die Beine angezogen.

Behutsam lockere ich seine Arme, legte ihm die Ente auf den Bauch und zog die Decke wieder hoch.

Ich griff nach dem Fieberthermometer. „Mund auf."

In seinem Blick erkannte ich, dass er darauf gerade absolut keine Lust hat. Doch er fügte sich und öffnete den Mund und ließ mich ihm das Thermometer unter die Zunge legen.

Müde schloss er die Augen. „Keine Ahnung, wann es mir das letzte Mal so scheiße ging."

„Sch" machte ich und streichelte seine viel zu warmen Wangen erneut. „Ruh dich aus. Ich bin ja da."

Er seufzte erschöpft auf und schien sich langsam wirklich fallen zu lassen. Um den starken Mann zu spielen, war jetzt der falsche Moment.

Das Thermometer piepste wenige Momente später und ich zog es ihm aus dem Mund.

Wie zu erwarten war. 40 Grad Fieber. Armer Bär.

„Komm, setz dich mal ganz kurz auf."

Doch meine Idee wurde von einem lauten Knurren in seinem Darm oder Magen unterbrochen.

Ich reagierte sofort und griff meinen Wischeimer, als ich sah, wie sich sein Gesicht grün färbte und es sich schmerzlich verzog.

Wieder erbrach er nur noch Gallensaft.

Ich rieb ihm seinen Rücken und versuchte irgendwie, ihn zu beruhigen, während er seinem Schmerz und seiner Übelkeit erlag. Sein ganzer Körper war schweißgebadet und er zittert. Sein Gesicht war voller Qual und ich hatte das Gefühl, dass ich gleich anfangen müsste zu weinen. Ich hatte ihn noch nie so schwach erlebt.

Meinen sonst so übermenschlich starken Henry.

Erschöpft setzte er sich auf und ich reichte ihm das Glas mit Wasser, was er sich wohl selbst hinter den Couchtisch gestellt hatte.

Henry spülte sich damit den Mund aus und spuckte alles anschließend in meinen Wischeimer. Oder wohl eher ehemaligen Wischeimer.

„Tut mir leid, dass du das mit ansehen musst." seufzte er und sah mich nur noch aus halbgeöffneten Augen an.

Ich legte mir ein Lächeln auf die Lippen, auch wenn ich wusste, dass sein Zustand alles andere als normal war. „In Guten wie in schlechten Zeiten. Und du hast mir ja auch schon beim Übergeben zusehen müssen."

Ich drehte mich zum Couchtisch herum und nahm den Fiebersaft. „Aber trotzdem würde ich dich gern wieder in alter gesunder Form sehen, also musst du jetzt nochmal die Popobacken zusammen drücken und das Zeug hier trinken."

Er brummte nur und schloss die Augen.

Ich nahm den durchsichtigen Deckel von der Fiebersaftflasche ab und füllte ihn bis zur Hälfte mit der braunen Flüssigkeit. Dann setzte ich mich neben ihn. „Trink!"

Wieder ein Brummen. Doch er nahm mir den kleinen Becher ab und schluckte den Saft herunter - und verzog angewidert das Gesicht. „Der ist ja ekelhaft."

Tja. Wo wir einmal dabei waren, nahm ich nun auch die Pflanzentropfen und füllte den kleinen Becher damit erneut. „Tut mir leid. Aber da musst du jetzt durch. Und Oma hat immer gesagt, was ekelig schmeckt, hilft auch - und so wie es dir gerade geht, sollte es dann wirklich Wunder bewirken."

Nun reichte ich ihm die Tropfen, die er auch tapfer trank und danach auch noch die Magentabletten.

„Ich mach dir noch eine Kanne mit Kamille und hol dir einen Lappen für die Stirn. Leg dich wieder hin und ruh dich aus."

Wieder ein Brummen, während ich ihm half, sich auf meinem Sofa wieder lang zu machen. Dieses Mal fiel mir jedoch sofort auf, dass er sich nicht wieder zusammenkullerte, sondern ausgestreckt blieb.

Das war ein kleines gutes Zeichen. Ich legte ihm die Ente zurück auf den Bauch und lief los.

„Auri?" krächzte er schwach und ich blieb mitten im Raum stehen und drehte mich zu ihm herum.

Er schnaufte zwar nach Luft, lächelte aber ganz zart. „Ich könnte mir keine bessere Krankenschwester wünschen. Danke. Für alles."

Ich konnte mir ein Schmunzeln nicht verkneifen. „Alles für meinen kranken Opi."

Statt einer Antwort gab er nur einen Laut von sich, den er wohl als Geralt von Riva des Öfteren in Stafel eins von sich gegeben hatte, bevor er die Augen schloss.

Ich flitzte in die Küche und brühte eine Kanne mit Kamillentee und besorgte mir aus dem Schlafzimmer einen Waschlappen, den ich im Bad anfeuchtete. Beides brachte ich zusammen ins Wohnzimmer.

Henry gab einen zufriedenen Laut von sich als ich den Lappen auf seine Stirn legte. Danach setzte ich mich mit zu ihm aufs Sofa.

Schnell jedoch wurde ich von ihm im Halbschlaf so positioniert, dass sein Kopf auf meinem Schoß lag und ich die Beine auf dem Couchtisch ausstrecken konnte. Ich suchte mir irgendeinen Film auf Netflix heraus, den ich zwar schon einige Male gesehen hatte, aber immer noch klasse fand.

Die Lautstärke drosselte ich auf ein Minimum, damit mein persönlicher Ritter in Ruhe schlafen konnte.
Inzwischen hatte er sich zu meinem Bauch herumgedreht und die Arme um meine Mitte geschlungen.

Während des ganzen Filmes schlief er fest durch und musste sich kein weiteres Mal übergeben. Auch das Fieber sank langsam.

Gott sei Dank.

Immer wieder streichelte ich sein Haar oder Wange, was er hin und wieder mit einem leichten Lächeln bedankte.

Es wurde Abend und seine gefallene Temperatur stieg wieder etwas, was ich allerdings auf den Tee schob. Dafür blieben die Medikamente in seinem Bauch.

Draußen war es inzwischen Dunkel und mir taten von meiner Liegeposition inzwischen alle Glieder weh. Ich wollte nur noch ins Bett. Aber Henry konnte ich auf keinen Fall hier zurücklassen.

Also musste ich ihn irgendwie wieder wach bekommen.

Kein Streicheln, kein nettes Zureden funktionierte. Küsse auf seinen Mund dagegen schon. Nur unter Protest öffneten sich seine Augen.

„Lass uns rüber gehen. Ein ordentliches Bett wird dir gut tun und mir auch."

Wieder ein Brummen. Aber er erhob sich langsam. Ich hörte seinen Bauch wieder quietschen, doch alles schien soweit in Ordnung zu sein. Zumindest war ihm weder übel, noch kam das Fieber zurück.

Ich taxierte uns wie ein altes Rentnerpaar durch meine Wohnung und brachte meinen Muskelmann in meinem Bett zum Liegen.

Rasch öffnete ich noch das Fenster, holte die Entenwärmflasche aus dem Wohnzimmer und füllte sie nochmal mit warmen Wasser. Anschließend lief ich zurück ins Schlafzimmer und legte die Ente wieder auf seinen Bauch.

Als ich einen kurzen Blick in sein Gesicht warf, erschrak ich allerdings. Seine Augen waren inzwischen wieder offen und er beobachtete mich, ohne auch mal ein Sterbenswort zu sagen.

„Was hast du am Knie gemacht?" Jetzt klang seine Stimme deutlich besser und auch wieder fester, obwohl sie schlaftrunken war.

„Das war Kal. Seine Motivation, mich vor dem Aufschlag anspringen zu müssen, war etwas zu gut gemeint und er hat mich umgerissen. Roger hat mir freundlicherweise ein Pflaster seiner Töchter gegeben."

Henry seufzte tief auf. „Tut mir leid. Manchmal hat er wirklich noch das Benehmen eines Welpen."

Ich winkte ab und lief um das Bett herum auf meine Seite. „Es ist nicht halb so wild, wie es aussieht. Aber Papa Roger wollte unbedingt erste Hilfe leisten."

„Tut mir trotzdem leid."

„Kal hat's ja nicht so gemeint." Ich zog die Decke zur Seite und legte mich hinein.

Da Henry nun wieder eine halbwegs normale Temperatur hatte, konnte ich mich auch wieder an ihn kuscheln. Er breitete den Arm aus, sodass ich mich an seine Brust legen konnte.

Er küsste meinen Haarschopf. „Du bist wunderbar zu mir gewesen, Darling. Danke."

„In Guten wie in schlechten Tagen, Henry." murmelte ich gähnend und schmiegte mich an ihn.

Endlich herrschte Stille und ich konnte endlich auch zur Ruhe kommen.

Bis ich Henry Schnaufen hörte. Es klang belustigt. „Eigentlich etwas, was zur Ehe gehört."

Bei dem Wort Ehe wurde ich plötzlich hellhörig und riss die Augen wieder auf.

Henry küsste ein weiteres Mal meinen Haaransatz und streichelte meinen Arm. „Du würdest eine ziemlich gute Ehefrau abgeben, Auri. Ich muss mich ranhalten, wenn ich nicht will, dass dich mir jemand wegnimmt."

Gott sei Dank war es im Zimmer dunkel, denn ansonsten hätte man wahrscheinlich meine puderroten Wangen gesehen und auch wie ich panisch in die Leere blickte.

Heiraten? Mich?

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top