Kapitel 31 - Das kleine Mädchen von damals

Aurelia

Ich wachte von dem Geruch von Kaffee und warmen Öl und rasenden Kopfschmerzen auf.

Die Seite neben mir im Bett war leer.

Ich gab einen brummenden Laut von mir. Das war die Rache des Knoblauchschnapses und Henrys gemeiner Fragen zu Nadal. Die hatten mich alles gekostet.

Mir war zwar nicht übel, aber der Specht in meinem Kopf hämmerte unermüdlich auf meine Nerven.

Doch Rettung war in Sicht, wie ich bemerkte. Auf dem Nachttisch neben dem Bett standen ein Glas Wasser und zwei Aspirintabletten.

Wie fürsorglich von ihm!

Ich schnappte mir die Tabletten und spülte sie mit einem kräftigem Hieb Wasser herab.

Vorsichtig stand ich auf. Es drehte sich nichts. Der Magen blieb da wo er war und war stumm. Sehr gut.

Mein Kleid, das ich gestern noch getragen hatte, lag zusammen mit meinen High Heels auf dem Parkettboden. Daneben Henrys T-Shirt, sein Kapuzenpullover und seine Hose.

Perfekt!

Ich schnappte mir den Pullover, zog ihn mir über und machte mich los, Henry zu finden.

Auf halbem Wege in die Küche wurde ich stürmisch von Kal begrüßt, der es fast geschafft hatte, mich mit seinem Hechtsprung unzureißen. Ich konnte mich gerade noch an der Wand abfangen, ehe mir seine Zunge durchs Gesicht wischte.

Ich jammerte auf und versuchte seinen Kopf von meinen wegzuschieben. „Lass das, Kal! Ich will ohnehin noch duschen gehen! Das musste Du nicht noch machen, alter Bär."

Er löste sich fröhlich von mir, strahlte mich noch ein wenig an, ehe er zurück in die Küche lief und bellte. Meine Ankündigung.

In meiner kleinen Küche angekommen, stand die Balkontür weit offen und brachte die erste schöne frisch-warme Herbstluft herein. Dazu war leise das Radio eingeschalten in dem gerade Kyrie von Mr. Mister lief.

Was mich aber wesentlich mehr faszinierte, war der nackte Rücken, der mich begrüßte.

Henry summte leise das Lied mit, während er sich um die Pfannkuchen kümmerte.

Ich ging zu ihm, schlang die Arme um ihn und küsste seinen Rücken. So gut es mit meiner Größe eben ging.

"Guten Morgen, Darling." Er sagte er fröhlich und , drehte sich zu mir um, um meine Lippen einzufangen. „Ich glaube, das ist mein Pullover, den du da trägst." Er flüsterte gegen unsere verbundenen Lippen. Meine Hände zupften an seinen dunklen Locken, die noch feucht vom Duschen waren. Seine Wangen waren mit Stoppeln bedeckt, die meine Wange auf die bestmögliche Weise zerkratzten.

"Hmmm. Dein. Mein. Unser. Ich dachte nach gestern Abend waren wir uns klar darüber geworden, dass es nur noch unser gibt." flüsterte ich zurück, löste mich vom ihm und lief durch meine kleine Küche an die gegenübliegende Küchenseite, wo Henry aus meinen kläglichen Obstresten einen kleinen Obstzeller gezaubert hatte. Mit Bananen, Kiwi und Äpfeln.

„Haben wir und der Pullover steht dir ziemlich gut. Besser als mir." sagte er lächelnd und drehte einen weiteren Pfannkuchen um. „Die sind selbstverständlich vegan. Ich hatte Hunger und hab das Kochbuch gefunden. Das Rezept für diese Bananen-Pfannkuchen sah ziemlich simpel und lecker aus. Außerdem wollte ich dich überraschen, nachdem du meinetwegen deine restlichen Schnäpse exen musstest."

„Äußerst freundlich von dir. Und Danke auch für das Aspirin." gab ich zurück und klaute mir noch zwei weitere Stückchen Apfel.

"So bin ich, Darling." Seine tiefe Stimme wurde grob als er sich wieder zu mir herumdrehte und den Pfannenwender auf die Arbeitsfläche ablegte. Seine tiefblauen Augen zeigten ein brennendes Feuer, als er die Küche mit zwei Schritten durchquerte und sich vor mir aufbaute. Die Arbeitsplatte hinter mir bohrte sich in meinen Rücken rein. Ich musste den Kopf in den Nacken legen, damit ich zu ihm Aufsehen konnte. Seine muskulösen Arme schlangen sich um meine Mitte und zogen mich nah an seine Brust.

„Dein Pullover ist so groß, dass ich ihn fast als Kleid verwenden kann. Wenn ich damit auf die Straßen Paris gehe, wird das bestimmt in Mode kommen." Sagte ich ihm, als er seine Lippen auf meine gebracht hat. Ich konnte die Leidenschaft und das brennende Verlangen des Kusses spüren.

„Solange du es bist, die unter meinen Sachen nackt bleibst und das nur für mich und für Zuhause ist, ist das absolut okay für mich. Auch wenn ich dann nicht garantieren kann, dass ich dich jemals wieder aus dem Bett lassen würde."

Eine seiner Hände glitt meinen Körper herab bis zum Saum seines Pullovers, um darunter zu kommen und die Hand auf meinen nackten Po zu legen.

Ich konnte nur schwer die Augen aufhalten. Nach unserer Nacht gestern war alles an mir wund, schmerzte und verlangte nach einer Pause. Je länger wir uns kannten, die Grenzen des anderen allmählich wussten, gab es kein Zurück mehr. Keine Schüchternheit oder Scham mehr voreinander. Wir waren beide derart gleich gepolt, was unsere Vorlieben anging, dass jeder Sex in purer Lust zueinander endete und wir immer probierfreudiger und noch süchtiger aufeinander wurden - weil es einfach ein wunderbares Abendteuer war. Doch selbst das beste Abenteuer hinterließ Spuren, das selbst Gleitgel nicht lange retten konnte.
Aber Henry schaffte es dennoch, meine Weiblichkeit sofort wieder startbereit zu bekommen.

Was allerdings auch startbereit wäre, war mein Magen, der beim Geruch der Pfannkuchen laut knurrte.

Henry feixte breit. „Besser wir geben meiner kleinen süßen Freundin was zu Essen, bevor es sich in eine Bestie verwandelt."

Wie bitte?! Mir fiel die Kinnlade herunter. „Das hast du nicht im Ernst gesagt, Cavill!"

Er lachte fies auf und ich war in Angriffsstimmung übergelaufen.

„Oh, das findest du also lustig? Mich auf meine Größe zu reduzieren und mich dann auch noch Biest zu nennen, wenn ich hungrig bin. Wenn ich ausgehungert bin! Nur weil ich nach Sport mehr Essen brauch als eine Banane." fragte ich und lief zum Wasserhahn.

„Ich reduziere dich auf gar nichts, Darling. Das solltest Du doch am besten wissen. Vielleicht sollten wir wirklich mal über dein Problem mit deiner Größe reden."Henry versuchte noch die Wogen zu glätten, doch dafür war es zu spät.

Ich schnappte mir den herausziehbaren Wasserhahn und betätigte ihn.

Mein Freund konnte nicht mehr reagieren. Er konnte sich nur noch die Hand vors Gesicht halten, um den kalten Strahl nicht komplett ausgesetzt zu sein.

Ein langer Strahl traf ihn einmal komplett von oben bis unten.

Er tropfte von oben bis unten, als ich den Wasserhahn wieder zurücksteckte und selbst grinste. „Ich bin halt nicht ich, wenn ich hungrig bin." gab ich spitz zurück.

Feuer loderte in seinen Augen auf. „Du kleines fieses" weiter kam er nicht, denn kaum hatte er sich in Bewegung gesetzt, flitzte ich auch schon davon.

Gott sei Dank war ich klein und wendig und konnte unter seinen zugreifenden Armen drunter hinweg bücken.

Doch es reichte längst nicht, um vor ihm zu entkommen. Er eilte mir nach. Mit ins Wohnzimmer.

Ich lief zu meinem Sofa, dass Gott sei Dank mitten im Raum stand und versteckte mich dahinter.

Doch mein Freund, mit seinen riesigen Beinen, Armen und Oberkörper baute sich kampfbereit davor auf und wartete mit zusammengezogenen Lidern auf meine nächste Bewegung.

„Du willst mir doch nichts Böses, Henry?" fragte ich vorsichtig und zuckte nach links, was ihm ebenfalls dazu animierte nach links zu treten.

Ich wusste, dass ich keine Chance hätte, wenn er erstmal in meiner Nähe wäre. Ich war vielleicht schneller und wendiger. Aber dafür war er größer, stärker und hatte wohl mehr Motivation mich zu fangen als ich um davon zu laufen.

„Ich würde dir nie was Böses wollen."

„Da sagt dein Gesicht aber was anderes!" Das sah so aus wie Theseus, kurz nachdem er zu Beginn des Films kämpfen wollte. Das war ein kampfesfreudigstiges Lächeln.

„Vertrau mir."

„Niemals!" rief ich und eilte um das Sofa herum. Henry strömte mir sofort nach und wollte nach mir greifen, doch ich umrundete das Sofa schnell und verschaffte mir wieder sicheres Gebiet.

Wir jagten noch einige Male herum, bis er einfach den Sprung auf mein Sofa machte und rüber klettern wollte. Mein geheiligter Schutz war weg! Doch ehe er über das Sofa geklettert war, war ich schon aus dem Wohnzimmer gestürmt und rannte in den Flur um mir wieder Sicherheit in der Küche zu verschaffen.

Doch ausgerechnet jetzt stand Kal mitten im Flur und meinte, mich wieder begrüßen zu müssen. Er stürmte von vorn auf mich zu und Henry hatte es geschafft hinter mir aufzutauchen.

Ich saß in der Klemme! Nein!

Ehe ich mich versah, hatte mich Henry geschnappt und mich einfach so über die Schulter geworfen.

„Lass mich runter!" protestierte ich und streckte mich sogleich aus, um an den Rand seiner Boxershort zu kommen, doch ich war zu kurz und kam nicht mal an den Bund heran. Argh!

Ich warf einen kurzen Blick über die Schulter und entdeckte, dass mein Freund das Bad als Ziel eingeschlagen hatte. Mir schwante furchtbares. Ich hatte ein Duschkabine. Eine begehbare große Duschkabine.

„Nein! Nein! Nein! Nein!" rief ich auf und versuchte mich mit den Händen an der Wand irgendwo festzuhalten. Den Türrahmen der Badezimmertüre bekam ich zu fassen und krallte mich fest.

„Ah, ah, ah! Nicht klammern, mein Liebling!" flötete er in einer Samtstimme und brauchte nur eine freie Hand um mich vom Rahmen lösen zu können.

„Ich trage doch dein Pullover, Henry! Den willst du doch nicht nass machen. Lass mich runter!" jammerte ich wehleidig.

Er öffnete die doppelseitige Glastür und lief mit mir hinein.

„Vergeltung fühlt sich immer besser an als Rache!"

„Oh-ho! In manchen Fällen aber schon." Er ließ mich tatsächlich erst in die hinterste Ecke der Dusche ab und baute sich wie eine große Mauer vor mir auf. Kein Entkommen.

Nein! "¡Dios mío, sálvame!" entkam es mir auf spanisch.

Ich zog den Kopf zu den Schultern heran, drehte mich von ihm weg zur Wand und umklammerte mich selbst.

Ich erwartete einen eiskalten Strahl. Doch nichts passierte. Vorsichtig lugte ich über meine Schulter hinweg zu Henry, der nur mild lächelte.

„Na na! Als ob ich dich so ärgern wollen würde."

Er streckte eine Hand nach mir aus und streichelte meine Wange. Langsam begann ich mich aus meiner Haltung zu lösen und sah zu ihm auf.

„Ich hab's ja verdient. Außerdem war die Verfolungsjagd schon Spaß genug für mich."

Seine zweite Hand legte sich an meine andere Wange. „Frühstücken?"

Ich nickte vorsichtig. So richtig wollte ich den Frieden noch nicht trauen. „Und dann einen faulen Sonntag?"

„Das oder wir beide gehen doch nochmal auf den Tennisplatz."

Da hatte wohl wirklich jemand Blut geleckt!

*

Henrys zweite Tennisstunde hielten wir dieses Mal auf dem Hartplatz ab.

Der Betonboden hatte den Vorteil, dass er deutlich ebenmäßiger ist als Sand oder Gras und der Ball so besser und gleichmäßiger springen konnte. Für einen Anfänger besser als Sand.

Dad gab uns die Ballmaschine mit, die ich nun vor dem Netz platzierte und einstellte. Henry in der Weile wärmte sich bereits auf, rannte ein paar Runden um den Platz und beugte und stretchte allerlei Muskeln.

„So sollte es gehen." murmelte ich, stand aus der Hocke auf und drückte auf den An-Knopf. Rasch rannte ich zur Grundlinie hinüber und wartete auf den ersten Ball.

Im perfekten Winkel kam er auf meine Vorhand zu, sodass ich alle Zeit der Welt hatte, mich auf eine perfekte Ausführung zu garantieren.

Der Ball flog mit ordentlichem Tempo übers Netz.

Der nächste flog auf meine Rückhand.

Auch der ging wie in einem Bilderbuchflug übers Netz und auf die andere Seite.

Ich eilte wieder nach vorne und drückte den aus-Knopf. Dann sah ich zu Henry, der mich mit hochgezogener Augenbraue und einem Ungläubigem Gesichtsausdruck ansah.

„Was ist los?" wollte ich wissen und lief zu ihm.

Er sah mit geöffnetem Mund in die Ferne. Schien nach den richtigen Worten zu suchen. Als er sie endlich hatte, zog er die Stirn in Falten. „Hatte es dein Ex-Freund auch so verdammt schwer gehabt, sich auf irgendwas zu konzentrieren, wenn er dich Tennis hat spielen sehen?"

Ich schniefte erheitert auf und streichelte seinen Arm. „Armer alter hormongesteuerter Bär."

Henry seufzte tief und griff sich seinen Schläger. Jetzt war nicht die Zeit für weitere Liebelei. Vor allem nicht, wenn meine Eltern in der Nähe waren.

„Aber nein. Hatte er nicht. Wir kannten uns ja im Prinzip schon seit den Jugendtrainings. Ich konnte ihn nicht wirklich mit meiner Technik beeindrucken. Dafür war er selbst zu gut gewesen. Höchstens im Spiel, wenn ich ihn doch mal besiegen konnte."

Henry brummte nörgelig und ich wusste nicht ob dieser Ton vielleicht an der Eifersucht war lag oder ob es die Aussicht auf ein langes Training ohne Erlösung für seine männlichen Probleme war.

Jedenfalls ging er zur Grundlinie und ließ sich von mir nochmal die Technik zeigen. Dieses Mal bemühte er sich um eine möglichst neutrale Beobachtung.

Ich lief wieder vor zum Netz und schaltete die Maschine wieder ein und sah mir die ersten zehn Bälle an, die Henry fast alle übers Netz brachte.

„Sehr gut." lobte ich, schaltete die Maschine wieder aus und zeigte ihm noch ein paar technische Unsauberkeiten, die er verbessern sollte.

Er lernte schnell und hatte sehr gutes technisches Verständnis, was es mir einfach machte, ihm Dinge beizubringen. Wobei ihm seine Kraft und Stärke auch weiterhalfen.

Wir übten noch eine Weile weiter, ich zeigte und verbesserte seine Technik weiter bis ich das Gefühl hatte, dass er bereit für ein paar längere Ballwechsel mit mir war.

Kal kommentierte alles nur mit einem müden Gähnen und sah uns gelangweilt zu. Henry müsste ihn wohl mit einer besonders langen Runde belohnen, so brav wie er da lag und all die schönen Bälle an sich vorbei ließ, ohne auch nur einem einzigen nachzurennen.

Das war für mich als Teilzeit-Trainerin keine Selbstverständlichkeit. Einige meiner Kunden hatten auch ihre Hunde mitgebracht, was in den meisten Fällen in einem Chaos endete.

Doch Henry schien seinen Kumpel im Griff zu haben. Meistens zumindest.

An diesem Tag trainierten wir nur knappe zweieinhalb Stunden, ehe es uns reichte. Oder eher bis Mom uns zum Kaffee und Kuchen rief.

Selbstgebacken! Ein Traum!

Henry und ich schafften zusammen fast den ganzen Kuchenteller, sodass meine Eltern mit ihrem einen Stück leben mussten. Doch wie Eltern nun einmal sind, wollten sie auch nicht mehr haben und opferten alles den ausgehungerten Kindern.

„Ich hab noch nie so guten Kuchen gegessen, Gerlinde. Und ich hatte einen von Tom Crus zu Weihnachten bekommen." lobte Henry und versenkte das letzte Stück Erdbeer-Schmand-Kuchen in seinem Mund.

Ich verdrehte die Augen. „Als ob Tom Crus den selbst gebacken hätte."

„Na, das nicht!" erklärte Henry mit vollem Mund und nahm ein Schluck Kaffee. „Aber er war wirklich gut gewesen. Aber lange nicht so frisch, schmackhaft und leicht wie dieser Erdbeerkuchen."

Mama wurde ganz rot von Henrys Schmeichlei und wir beide wussten auch, dass an den Worten Supermans nichts gelogen war. Mom konnte wirklich megamäßig gut backen.

Vollgefressen ließ ich den Kopf an Henrys Schulter fallen und atmete schwer aus. „Ich bin so satt, dass ich bald platzte."

„Ach, Mäusle. Das waren doch gerade mal fünf Stück. Du hast schon mehr geschafft."

Na super! Das untermalte Henrys Bild der hungrigen biestischen Aurelia noch mehr. Vielleicht schien er sich deshalb das Lachen verkneifen zu müssen.

Doch ehe ich wirklich darüber nachdenken konnte, hörte ich es auch schon Miauen.

Mit entspanntem Blick lief Leckermäulchen auf uns zu. Gerade fertig geworden vom Sonnenbad.

Ich richtete mich wieder auf. Bereit meinen kleinen Babykater im Empfang zu nehmen. Doch was machte er? Statt zu mir zu kommen, lief er auf direktem Weg zu Henry.

Noch während des Laufens, mauzte er ihn an und sprang, ohne Kals, Henrys oder meinen verdatterten Gesichtsausdruck wahrzunehmen auf den Schoß des Hollywoodstars und sah ihn an.

„Er ist noch nie jemand auf den Schoß gesprungen. Außer bei Mikel und mir. Ansonsten tänzelt er erst um die Füße herum und maut solange, bis ihn jemand hochnimmt." erklärte ich verblüfft.

Henrys Scheu vor Katzen gab sich allmählich und er fing an meinen Kater zu streicheln. Erst am Rücken, dann wagte er sich zum Kopf vor.„Tja. Da siehst du mal, wie es mir ging, als Kal lieber bei dir im Bett geblieben ist, anstelle mich zu begrüßen."

Merkwürdig. Verdattert sah ich Kal an, der mit enttäuschter Miene sein Herrchen ansah. Gab er sich einfach mit einer Katze ab!

Als seine dunklen Augen mich fixierten, lächelte er dann aber doch wieder. Zumindest streckte er freudig die Zunge heraus und lief um Henrys Stuhl herum, bis er bei mir war und auf seine Streichelkur wartete.

Na ja. Ich hatte ja nichts anderes mehr zu tun.

Dad dagegen lachte beherzt, nahm sein Handy und machte ein Foto von uns vieren. „Ihr habt wohl eure Kinder getauscht?"

Henry schmunzelte und sah mich an. „Scheint fast so, als würde das mit der Patchworkfamilie gut klappen."

Familie. Ja, tatsächlich fühlte es sich immer mehr wie eine an.

*

Da wir für den Abend noch nichts vor hatten, beschlossen wir ein Restaurant zu besuchen, in dem es auch wunderbare Cocktails gab.

Henry bestellte sich einen lecker riechenden Reis-Nudelauflauf, während ich mich mit den Wraps vollstopfte.

Die Luft und die Temperaturen waren angenehm, sodass wir uns gemütlich in den Innenhof setzen und essen konnten.
Doch wenn etwas noch besser als die Wraps waren, dann war es mein Aperol Spritz mit hauseigenen Orangen.

Den brauchte ich auch, um eines von Henrys Lieblingsthemen folgen zu können. Computerspiele.

Er mochte keine PlayStation. Er mochte keine X-Box. Switch spielte er nur selten. Dafür liebte er alles, was man am Computer spielen konnte. Witcher. WoW. Mit Red Dead - Wie-auch-immer, hatte er erst angefangen.

Aber ich war eine geduldige Zuhörerin. Auch wenn ich mir am liebsten in den Hintern gebissen hätte, als ich nur in einem Nebensatz gesagt hatte, dass ich auch mal eine Weile Diablo gespielt hatte. Damit war Henrys Feuer entfacht und er erzählte mir allerlei Sachen über sein Gamer-Leben.

Siebzig Prozent der Wörter, die er verwendete konnte ich wahrscheinlich nicht mal aussprechen.

Aber ich fand es schön, dass er mir davon erzählte. Hätte er ja auch nicht machen müssen. Doch irgendwann musste ich ihn tatsächlich unterbrechen und mich kurz für die Toilette abmelden.

Gott sei Dank war alles frei und ich konnte gleich auf die erste Toilette gehen.

Die Ruhe hielt jedoch nicht lange an. Ich hörte das Gelächter schon, bevor sie die Tür zur Toilette aufrissen.

„Oh mein Gott, das ist wirklich Henry Cavill." gagerte die erste los, während eine andere sofort wieder künstlich loslachte.

Ich verdrehte nur die Augen. Nicht mal hier hatte man seine Ruhe.

„Was meint ihr? Soll ich mal zu ihm gehen und die Lage abchecken?" fragte wieder die erste.

Ich konnte nur tief seufzen. Der Tag war schön gewesen und auf solche nervigen Fans hatte ich heute echt keine Lust gehabt.

„Spinnst du?" Kam nun von einer anderen weibliche Stimme. „Der ist doch nicht alleine hier! Gestern stand auf Promiepool, dass er mit seiner Ische hier irgendwo Urlaub machen muss. Sie wurden gestern schon im Louvi Louis gesehen. Müssen total verknallt sein, laut dem Bericht. Nur am Lachen und Flirten. Die sprechen sogar schon davon, dass er ihr bald einen Antrag machen will."

„Als ob!" meldete sich nun wieder die erste zu Wort. „Der kann das doch nicht ernst meinen mit dem kleinen Zwerg! Die ist wie groß? Knapp nen Meter? Die kann doch nicht mal alleine über die Tischkante schauen, wenn Henry sie nicht hochhält."

Mir klappte die Kinnlade herunter. Klar, war ich es gewöhnt gemeine Dinge über mich zu lesen und auch mal zu hören, aber hier ging es nur um mich. Hier ging es um meine Beziehung!

„Ha ha ha! Ja!" bestätigte Nummer zwei lachend und klatschte in die Hände. „Hast du gelesen was Gina auf Telegram über sie geschrieben hat? Man hat sie gefragt, was sie zu Henry hält. Sie hat nur darauf geantwortet, dass es entweder an ihrer Persönlichkeit liegen muss, oder weil sie beim Blasen gleich stehen bleiben kann! Ha ha! Er hätte echt mal seine Ex behalten sollen. Die war wenigstens cool gewesen. Scheiß drauf, was andere inzwischen über sie behaupten! Jeder kann hier sagen, was er will. Meinungsfreiheit! Und Gina macht wenigstens ihr Maul mal auf!"

Das glaubte ich gerade nicht. Das war widerlich, was diese Frauen da von sich gaben. Und auch Henrys blöde Ex! Sofern das wahr war, was sie da von sich gab. Aber das würden andere Parteien für uns klären müssen.

„Oh mein Gott, ja-ha! Das habe ich auch gelesen. Der hatte noch nie so eine kleine Freundin gehabt. Und dann hat die das mit ihrer komischen Tenniskarriere ja auch nie geschafft. Richtige Loserin. Hoffentlich erkennt Henry das bald mal. So einen Gartenzwerg braucht der nicht. Nee! Die kann doch nur niedlich in die Kamera schauen."

Ich wollte das nicht. Ich wollte nicht, dass mir die Tränen in den Augen standen. Ich war eine mutige, starke Frau. Ich hatte für so vieles kämpfen müssen. Für jeden Mist!

Diese Mädchen kannten mich nicht. Kannten meinen Sport nicht. Wussten nicht, was ich alles aufgeben hatte, um für einen Sommer lang in den Top 100 zu sein.

Plötzlich fühlte ich mich wieder wie acht. Als ich nach einem Umzug in eine neue Schule musste. Mit fremden Kindern. Als alle meine Freunde weg waren. Als es nur Mikel und mich gab.

Als alle über mich hergefallen waren und sich über meine Größe lustig gemacht hatten. Zwerg. Liliputaner. Schlumpfine. Däumelinchen.

Nach meinem ersten Schultag war ich weinend zu Papa gelaufen, der mich sofort in den Arm genommen hatte.

Du musst stark sein, terron de azucar. Das musst du immer bei solchen Leuten sein. Sie wollen sehen, dass du zerbrichst, damit sie selbst daran wachsen können. Aber das darfst du nicht. Nicht vor ihnen. Du musst den Menschen zeigen, dass es sich nie lohnt, böse zu anderen zu sein. Stehe immer für dich ein. Stehe immer zu dir. Diese Größe ist ein Geschenk. Auch wenn du das vielleicht noch nicht erkennen kannst. Aber du wirst anderen damit zeigen, dass man mehr schaffen kann als sie glauben. Sei stark, meine Tochter. Und wenn dein Herz voll Kummer ist, kannst du immer zu den Menschen gehen, die dich lieben. Sie werden wieder dafür sorgen, dass du mit der Stärke einer Löwin weiterkämpfen kannst. Glaub mir, terron de azucar.

Dads Worte begleiteten mich seitdem jeden Tag. Jeden Tag auf dem Trainingsplatz. Jeden Tag in der Schule.

Sie gaben mir Kraft, mich gegen die Kinder in der Schule zu rüsten und ich hatte damit auch Freunde gefunden.

Aber es gab so oft Tage, an denen mein kleines Löwenherz müde war vom Kämpfen. Und heute war genau solche ein Tag.

Vielleicht lag es am Alkohol, vielleicht auch an Henrys eigentlich lieb gemeinten Sticheleien, die mir trotzdem näher gingen, als er sicherlich gewollt hätte.

Aber heute erreichten die Worte der Mädchen ein ziemlich schmerzhafte Grenze in meinem Kopf.

„Wer weiß, ob das überhaupt echt ist." Mischte sich Nummer drei ein.

Nummer zwei schien es zu bejahen. „Wäre nicht das erste mal, dass Cavill aus PR Gründen so tut als wäre er in einer Beziehung. Denkt mal an Kaley Cuoco zurück."

„Nein!" sagte nun auf wieder Nummer eins. „Der will nur One Nigh Stands. Der will keine Frau fürs Leben. Das wäre Ja auch eine Verschwendung, wenn er nur noch eine einzige Frau in seinem Leben hätte. Aber ich bin gern bereit ihn heute Nacht freiwillig zur Verfügung zu stehen!"

„Ha!" lachte Nummer zwei wieder. „Und du hast mehr im Bett drauf als diese kleine Anziehpuppe! Kannst du dich an sein eines Interview erinnern, als er beschrieben hat, dass wenn er sich in die Rolle des Supermans versetzen will, es so ähnlich ist, wie einen wilden dominanten Partner im Bett zu haben? Da spricht er eindeutig aus Erfahrung. Erfahrung, die er mit Gina gesammelt hat. Durch sie brauchte er ja auch kein Cardio mehr zu machen, sondern sich nur auf den Kraftsport konzentrieren! Ich wette, wenn du erstmal mit ihm im Bett warst, steht die Trennung gleich am nächsten Tag in den Zeitungen!"

Das reichte mir nun aber wirklich!

Ich wischte mir die Tränen vorsichtig aus dem Gesicht ohne meine Schminken zu ruinieren und betätigte die Klospühlung.

Ich hörte schon eine der drei Ladys Oh Oh sagen. Aber da mussten sie jetzt durch.

Das würde mein kleines Löwenherz noch schaffen müssen.

Ich atmete tief ein. Wieder aus. Kinn hoch. Imaginäre Krone richtigen. Brust raus und mein Lächeln setzte ich auf die Stufe Überheblich und Unnahbar herauf, dass ich mir selbst dafür auf die Schulter klopfen wollte.

Dann öffnete ich die Kabine und trat aus.

Stolz. Tapfer. Mutig. Schön. Unantastbar.

Und so lief ich auf die Mädels zu, dir nicht älter als 18 waren.

Alle hatten sich im Gesicht zu kleinen Clowns geschminkt. Meine Nummer eins war eine lebendige Barbie. Sauerstoffblondes Haar. Künstliche Nase. Dicke Brüste. Eine Taille die meiner gleich kam.

Doch was mich wirklich amüsierte waren ihre eigenen Körpergrößen. Sie waren nur wenige Zentimeter größer als ich. Außer Barbie Girl. Die war tatsächlich mindest eins siebzig.

Alle standen sie zusammen vor den Waschbecken und starrten mich an.

„Meine Damen, würdet ihr bitte kurz zur Seite treten, ich würde mir gerne die Hände waschen."

Ohne weitere Worte machten sie mir Platz. Ich spürte ihre Blicke auf mir und wie eine der Dame eine andere vielsagend ansah.

Ich derweile nahm mir alle Zeit der Welt, wusch meine Hände, seifte sie ein, machte sie wieder nass und machte den Hahn danach zu.

Nummer drei stand relativ ungünstig am Papierspender, sodass ich ein weiteres Mal erwähnen musste, dass ich dort gerne ran würde.

Auch sie ging stillschweigend weiter.

Super.

Dann würde ich jetzt mal den Moralapostel spielen.

Mit einem fröhlichen Lächeln drehte ich mich zu den jungen Frauen herum. „Ich gebe euch mal einen süßen, kleinen Tipp, Mädels. Sicherlich ist es wahnsinnig toll, mal einen Star in seiner Heimatstadt zu sehen und ich kenne Henry inzwischen so gut, um zu wissen, dass es ihn freut, wenn Mädchen ihm Komplimente machen und seinen Namen herumschreien. Aber was er definitiv nicht mag, sind Hühner, die unpolitisch gegenüber seiner Freundin werden. Aber das muss ich den echten Henry-Cavill-Fans ja nicht erklären."

Ich warf mein verknülltes Papier geschickt in einer Bewegung in den Mülleimer, unter den Spender und lächelte ein weiteres Mal auf. „Und noch was; ich hoffe wirklich, dass ihr mit diesem Sprach-Niveau nur über Leute herzieht, die es ohnehin nie hören würden. Ihr könnt damit andere wirklich hart verletzen, aber das wollt ihr ja anscheinend auch, damit ihr eure eigene Unzufriedenheit mit eurem ..." Sag jetzt bloß nicht Armselig, Reli! Wenn die Weiber damit zur Presse gehen, hast du den nächsten Skandal an der Backe! „Trostlosen Lebens vergessen könnt. Mein Ratschlag an euch; redet mal mit den Leuten, anstelle über sie herzuziehen.
Nicht jeder hat, so wie ich, einen reichen erfolgreichen Anwalt im Boot sitzen, der Euch zur Vernunft bringen kann."

Ja, der Anwaltsjoker war eigentlich überflüssig. Eigentlich. Aber ich fand, bei den Beleidigungen hatte ich ihn mir schon verdient. Ich habe ja auch nicht gedroht.

„Sie wollen uns verklagen?" fragte die solariumsgebräunte Dame mit dem pinkenen ärmellosen Oberteil schockiert nach.

Anscheinend hatte ich wohl doch gedroht. Na was soll's.

Ich tat so als würde ich ernsthaft darüber nachdenken und legte kurz den Kopf schief. „Darüber werde ich wohl nachdenken müssen, wenn ich gleich noch mit Henry bei der Aftershow Party bin."

Barbie lachte schnepferisch auf. „Mädels, die hat nicht mal unsere Namen. Beruhigt euch!"

„Oh" sagte ich leise und deutete mit der Hand in Richtung der Bar des Restaurants. „Das brauch ich nicht. Der Laden hier funktioniert nur mit Reservierungen. Eure Namen stehen hier irgendwo und für den Fall einer Gerichtsverhandlung, würden sie mir die zukommen lassen. Die Post würde in einer Woche in eurem Briefkästen liegen."

Zuckersüß zuckte ich mit den Schultern und grinste erneut. „Wir sehen uns Mädels!"

Ich ging aus dem Bad und hörte entsetztes Schnappen nach Luft.

„Das meint die nicht ernst!" rief Nummer zwei auf.

„Ich hab euch gesagt, wir sollten es lassen!" erwiderte Nummer drei panisch.

Nur Barbie sagte nichts, sondern gab nur einen nachdenklichen Murmellaut von sich.

Eigentlich hätte ich diesen Triumph feiern müssen.

Doch kaum war die Tür hinter mir zugefallen, fiel auch mit ihr mein Mut und meine Tapfernheit ab und ich war wieder die achtjährige Aurelia, die nur noch zu ihrem Dad wollte.

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