Kapitel 29 - Katzenangst
Henry
Sie war der Wahnsinn. Nicht nur, dass sie in diesem Sport wirklich hammermäßig war. Ihre liebevolle und nette Art mir den Tennis näher zu bringen, war ein riesiger Ansporn für mich, selbst Gefallen daran zu finden.
In Windeseile waren die beiden Stunden um und Aurelia eilte nochmal zu ihrem Vater, um den Platz noch länger für uns zu reservieren.
Es machte wirklich Spaß und mit jedem Schlag mehr spürte ich, wie mir die Schläge besser gelangen.
Doch immer wenn ich dachte, ich wäre so weit, es auch mal mit ihren Profi-Schlägen aufnehmen zu können, bewies sie mir mit einem Schlag das Gegenteil.
Sie war schnell und wendig. Schlitterte über den Sandboden und konnte jeden meiner Bälle, so schlecht sie auch übers Netz kamen, sofern er übers Netz kam, zurückzubringen. Für mich schon ein reines Wunder.
Auch nach vier Stunden war sie noch gut in Form, während ich glaubte, mir würde die Hand abfallen. Wir machten kurz danach Schluss.
Wir legten die Schläger ab, dehnten uns ab, bevor ich sie mir schnappte und zu mir hoch hievte. Ihre Beine schlangen sich schnell um meine Hüfte und die Arme legten sich um meinen Nacken.
„Danke für die Trainerstunde."
Ihre Nasenspitze stupste an meine an. „Ich sollte dir danken. So viel unentdecktes Talent zu finden, ist ein reines Wunder."
Mein Lächeln wurde noch größer, als ich sah, wie ihres immer mehr anwuchs. „Dann meinst du, ich hab mit meinen bald vierzig Jahren doch noch die Chance, Profi zu werden?"
„Ich sehe da viel Potential." hauchte sie zu mir herab, bevor sich ihre Lippen auf meine drückten.
Mir entfuhr ein tiefes Brummen, als ich spürte, wie ihr Körper sich gegen meinen lehnte und ihre Finger sich in mein feuchtes Haar und an mein Gesicht legten. Ihr Kuss wurde intensiver und bald tanzten unsere Zungen eng umschlungen miteinander.
Ich seufzte ihren Namen und überlegte bereits fieberhaft, wo wir noch ein wenig Zweisamkeit haben könnten. Doch ehe ich sie fragen konnte, wo dieser Ort wäre, hörte ich schon jemanden ihren Namen rufen.
Ich konnte mein verärgertes Brummen nicht verkneifen und folgte Auris Blick in die Ferne.
Ein langgewachsener dünner Kerl, eindeutig Tennisspieler, mit drahtigen Beinen und Armen stand da und winkte uns zu, ehe er auf uns zu joggte.
Er hatte dunkelblondes längeres Haar. Trug etliche goldene Ketten und wirkte noch recht jung. Vielleicht war er ein paar Jahre jünger als Auri.
Ich ließ Aurelia wieder ab, legte aber einen Arm um ihre kleine Taille. Irgendwie lag da etwas im Gesicht des jungen Mannes, das mich glauben ließ, dass er Auri vielleicht nicht nur als Tennis-Freundin mochte.
„Sascha! Hi!" begrüßte ihn Auri in einer freundlichen Stimmlage.
Als der großgewachsene junge Mann vor uns stehen blieb, der selbst mich um mindestens zehn Zentimeter übertrumpfte, musste sich Auri auf die Zehenspitzen stellen und der junge Mann sich tief herunterbeugen, ehe sich beide zur Begrüßung umarmen konnten.
Dann war ich an der Reihe. Wir reichten uns freundlich die Hände.
„Hi, Alexander."
„Henry."
Dann wurde sein Grinsen größer. Er sah erst mich, dann wieder Auri und dann wieder mich an und grinste wie in kleiner Junge zur Weihnachtsbescherung. „Du hast dir echt Superman geangelt."
Auris Miene verzog sich für wenige Bruchstücke innerhalb einer einzigen Sekunde nach unten. Ein Gesicht, das mich sofort zum Lachen brachte, ehe es spöttisch wurde. „Nein. Superman würde ich mir nie angeln. Wenn nur den echten Henry Cavill. Oder Geralt von Riva."
„Wieso nicht Superman?" platzte ich dazwischen.
Aurelia sah mich mit hochgezogener Braue an. „Na erstens hieße das, ich würde im DC Universum leben. Nein, Danke! Und dann stelle ich mir das Zusammenleben mit einem Superhelden wie Superman echt nicht einfach vor. Ständig ist er auf lebensbedrohlichen Missionen, ständig wäre ich in Gefahr, weil ich wahrscheinlich neben Kryptonit seine Schwäche wäre, in der Luthor ständig seine Chance sehen würde.
Nachher wäre ich noch auf Batman's Hilfe angewiesen! Oder die von Robins. Oh, und Wo wir schon dabei sind; Wieso hat der neue Batman eigentlich schon wieder keinen Robin? Ich meine ja, eure Filme grenzt Welten von der Batman Film aus den 50er ab, aber nicht alles an dem war schlecht. Ganz im Gegenteil. Vor allem Robin nicht! Aber nein. Kein Robin für Batman.
Und dann wohl der schlimmste Grund: er hat ständig seinen Anzug unter seinen Sachen!
Jetzt stell dir mal vor, ich würde ihn auf der Arbeit überraschen. Wir würden flirten, wir würden uns näher kommen, bis wir irgendwann in den Kopierraum verschwinden - und dann trägt er diesen Anzug darunter! Ich habe an diesen Anzug noch keinen Reizverschluss gesehen!
Trägt er ihn aber nicht und es passiert ein Unglück, wäre ich wieder schuld! Abgesehen davon, würde ich gar nicht wissen, wie ich Lois Joanne Lane in den Schatten stellen sollte."
Ich war beeindruckt. Da wusste ja jemand eine Menge von der angeblichen Konkurrenz. „Sicher hat der Anzug einen Reizverschluss! Das hat jede Superheldenuniform. Seiner ist einfach nur unter seinem roten Umhang. Er ist da ja nicht reingewachsen! Und ich glaube fest daran, dass du Wege und Mittel finden würdest, Lois in den Schatten zu stellen."
„Überleg dir doch aber mal, wie unsexy das aussieht, wenn er sich erstmal aus diesem Latexanzug schälen müsste. Alleine kommt der doch da gar nicht raus!"
Ich schnaufte belustigt auf. Ja, die Vorstellung hatte schon was für dich. „Dann würdest du ihm eben helfen. Wo ist das Problem? Superman repräsentiert wohl den besten Superhelden von allen. Er ist der Beste von uns in dem Sinne, dass er alle Prüfungen durchgemacht hat, die ein Mensch durchmachen kann. Gehasst zu werden. Nicht gewollt zu sein. Alles Menschliche tun zu wollen, um besser zu werden. Nicht in der Lage zu sein, es zu erreichen. Von sich selbst enttäuscht zu sein und trotzdem jedes Mal kämpfend zurückzukommen. Nenn mir einen Helden, der besser ist. Einen Helden, der es mehr verdient hat, eine tolle Frau zu bekommen."
Darüber musste ich keine Sekunde nachdenken „Captain Amercia. Ende. Er war klein, schwach und strotzte vor Mut, Tapferkeit und Demut. Er war ein Held, bevor er zu Captain Amercia wurde und danach steht er ja wohl defintiv eine Stufe noch über Superman! Schließlich kann er nicht fliegen oder hat Laseraugen. Er ist ein super Anführer und braucht keine Superkräfte zu haben, um zu beweisen, wie ein Mensch innerlich wachsen und großartig werden kann.
Mag ja auch sein, dass Superman ein netter Typ ist. Nur ist das aber eben nicht mein Typ Mann, den ich mir sofort angeln würde, wenn ich die Auswahl hätte."
Ah! Jetzt wurde es interessant. Ich überkreuzte die Arme vor der Brust und lauschte ihren Worten wohl genauso gespannt wie der junge Tennisspieler.
„Er ist so glatt. Ohne Kanten und Ecken ... ohne ... Vergangenheit."
Na sieh einer an. Sie stand also auf Problemfälle.
Auch wenn mir das deutlich machte, warum sie so zu mir hielt, was meine persönliche Vergangenheit anging und auch wenn ich wusste, dass es nicht nur daher geredetes Zeug war, lehnte ich mich trotzdem noch ein Stück aus dem Fenster.
„Er hat seinen Adoptivvater, seine Heimat, sein Volk und seine Eltern verloren. Wie viel Vergangenheit mehr braucht er denn noch?"
Ich sah wie es in ihr loderte - und fand das unheimlich betörend, sie so in Rage zu bringen.
„Das ist bei 90% der Marvelfiguren die Ausgangsposition. Aber mit denen passiert etwas. Superman ist mir trotz all seiner Verluste zu geleckt."
Ich funkelte sie schelmisch an und wagte den Tanz mit dem Feuer. „Du meinst, zu nett. Oder liegt es daran, dass du dir nicht eingestehen willst, dass du eine DC Figur magst?"
Ihre Augen zogen sich zu zwei gefährlichen Schlitzen zusammen. „Tu. Ich. Nicht!"
„Sag mir nicht, du würdest nicht darauf stehen, wenn ich mit dir zusammen fliegen würde. Ich sag nicht, dass du gerne die Jungfrau in Nöten seien wolltest, weil das wärst definitiv nicht du - aber ich glaube tief in dir drin, hättest du insgeheim nichts dagegen, wenn ich dich aus den Klauen des Feindes befreien würde."
Oh weh. Da war er. Der Blick, mit dem sie einst schon den Wirt in der Cafeteria bestraft hatte. Der Blick, der sagte, dass sie gleich explodieren würde.
„Genau, Cavill. Von dir. Ich würde mich von dir retten lassen. Ich würde mit dir fliegen. Nicht von ihm! Schön erkannt."
Na was sagt man dazu? Ich hatte mich selbst nur versehentlich selbst genannt, aber das Aurelia selbst im Sturm von Wut und Ärger daraus ein Liebesgeständnis macht, ließ mein Herz einen Sprung machen.
Sie schloss für einen kurzen Moment die Augen, schien in Gedanken bis drei zu zählen, atmete tief auf und sah mich dann wieder an.
„Geralt von Riva ist schweigsam, ein wunderbarer Liebhaber, Freund und Ziehvater und er könnte mir beibringen, dass ich mich selbst verteidigen kann. Er will ein Held sein, obwohl er glaubt, nicht gut genug dafür zu sein. Das ist anziehend. Außerdem" wollte sie weiter erklären und sah mich nun von oben bis unten an. Ich kam nicht umhin zu sehen, wie ihr schönes Gesicht an Farbe gewann und ihr Blick hungrig wurde und sich ihre Brust schwerer hob und senkte. Da war wohl jemand gerade mit seinen Gedanken in ganz fernen Phantasiewelten unterwegs. Oder in Erinnerungen an die letzten Tage am Witcher Set, in der ich ihr ihre wilden Phantasien mit Geralt von Riva eins, zwei Mal verwirklichen konnte. Tage, die besonders waren. Für uns beide.
Sie suchte lange nach Worten. Ihre smaragdgrünen Augen funkelten wild auf. Voller Leidenschaft. „Außerdem habe ich das Gefühl, dass da eine Chemie zwischen ihm und mir wäre."
Fuck.
Ich war selbst dabei in diesem gefährlichen Grünen Meer aus Hunger, Leidenschaft und Hingabe zu versinken.
„Ihr beiden passt echt super zusammen." sagte langsam Alexander und brachte uns beide damit aus unserer kleinen Blase.
Er gab einen schnaufenden Laut von sich und steckte die Arme in die Hosentaschen. „Ich habe nicht mal die Hälfte von den Namen verstanden, die ihr gesagt habt. Ihr seid totale Nerds. Ich dachte immer, Aurelia mit ihren Marvelschlägern und diesen unendlichen Wissen über Superhelden und Romanfiguren wäre die einzige berühmte Person, die soviel darüber weiß."
Das wurde ja immer besser! Sie war also auch ein ernannter Nerd.
Aurelia senkte fast schon beschämt den Kopf, was mir leid tat und streichelte aufbauend ihre Schultern. „Mach dir nichts draus. Ich hab den Anruf, dass ich die Rolle für Superman bekommen habe, verpasst weil ich mitten beim WoW-Spielen mit meinen Brüdern war. Wäre die Mailbox nicht rangegangen, hätte ich die Rolle wahrscheinlich nicht bekommen. Außerdem weiß die halbe Welt von meinem War Hammer Hobby, mein Interesse an PCs rumzubasteln, dass ich Computerspiele mag und dass ich am Witcher Set das lebende Witcher-Lexikon genannt werde. Es muss dir nicht peinlich sein."
Ganz im Gegenteil. Genau sowas habe ich gebraucht. Jemanden zum Fachsimpeln. Jemand, der tief in solcher Materie ist.
Aurelia schien einfach nur für mich allein gemacht zu sein.
Sie seufzte schwer. Lächelte mich dann aber zuversichtlich an. „Beim Dreh zu Throne of Glass waren wir beide gleich schlimm, oder?"
Ich wackelte nachdenklich mit den Kopf. „Wir haben beide die Bücher gelesen. Mögen unsere Charakter ziemlich und kennen ihr Wesen auch ziemlich gut. Ich würde sagen, wir haben uns die Waage gehalten."
Sie kicherte leise und nahm wieder meine Hand, ehe sie sich Alexander zuwandte. „Um aber wieder zum Punkt zu kommen; Schön dich hier zu sehen. Ist schon eine Weile her, dich hier mal gesehen zu haben."
Alexanders Kopf drehte sich für einen kurzen Moment zum Platz um. Sein Blick verlor sich in Erinnerungen, ehe er wieder Aurelia ansah. „Ja. Entweder bin ich weg oder du. Ich glaube, das letzte Mal haben wir vor drei oder vier Jahren zusammen gespielt."
„Kann gut möglich sein." murmelte sie und sah dann mich an. „Sascha, Mikel und mich verbindet der Tennis ziemlich. Wir sind alle drei Kinder von Tennisspielern. Wir waren schon auf dem Platz, da waren wir nur wenige Tage alt. Die Schläger hatten wir eher in der Hand, als das wir laufen konnten. Saschas Eltern brachten ihn regelmäßig in den Sommerurlauben mit zu uns und wir drei hatten dann hier unseren Spaß gemacht."
Alexander verdrehte die Augen. „Wenn wir nicht gerade in irgendwelchen Trainingscamps waren."
„Die waren doch toll." lachte Aurelia zynisch.
Nun lachte auch der große Tennisspieler auf, sah mich an und zeigte auf Aurelia mit seinem Schläger. „Deine Freundin musste mich regelmäßig aus der Scheiße ziehen, wenn ich meine Zeit auch mal anders als mit Tennis verbringen wollte. Oder wenn wir uns in der Nacht heimlich aus den Bungalows geschlichen hatten, um im See noch schwimmen zu können. Ich wusste, dass wenn Aurelia dabei war oder sie auf mich aufpasste, dass es nie Ärger gab."
Auris Wangen färbten sich vor Scham rot. Ich grinste sie an. „Hab schon das ein oder andere darüber gehört."
Der Blick, den mir Aurelia schenkte, ging mir durch Mark und Bein, so zart und süß war er.
Alexander tätschelte Aurlias Schulter. „Wie meine Mutter immer sagt; Wir atmen, trinken und essen Tennis. Wir drei schon seit Geburt an. Selbst wenn wir nicht mehr aktive Sportler sind. Der Sport ist immer Teil deines Lebens. Einmal dran gehangen, kommt man nicht mehr davon los."
„Wahres Wort, mein lieber alter Tennisbruder im Geiste." kicherte sie und sah dann zu mir auf. „Mal sehen, ob das bei dir auch so wird."
*
Wir redeten noch eine Weile mit Sascha, ehe Auri und mir der Magen knurrte. Es war weit nach Mittag, als wir mit dem Tennisspielen fertig waren. Aurelia zeigte mir, wie man einen sandigen Tennisplatz nach dem Spielen sauber machte. Wie man ihn richtig abschleppte, die entstandenen Gruben wieder glättete und die Linien wieder sauber kehrte. Dinge, über die ich mir vorher nie einen Kopf gemacht hatte.
Wir schafften den Tennisballwagen, samt der Rollen wieder in den Schuppen und liefen dann gemeinsam vor zum Vereinshaus, wo Aurelias Eltern und ihr Zwillingsbruder bereits an dem langen Champingtisch saßen und mit ihrem Mittag fertig waren.
Es roch herrlich nach meinen absoluten Lieblingsessen aus Kindheitstagen. Nudeln mit selbstgemachter Tomatensoße, Hackbällchen und Käse. Mir lief das Wasser im Mund zusammen.
Kaum hatte uns ihr Vater entdeckt, grinste er auf. „Hey ihr beiden! Na wie war's? Tennisblut geleckt?"
„Absolut! Auch wenn ich das Gefühl hab, mir fällt gleich die Hand ab." gab ich zurück und stellte mich rasch noch Aurelias Bruder Mikel vor.
Der strahlte sofort über beide Ohren, als er mich sah.
Für mich sahen Aurelia und ihr Bruder tatsächlich nicht sehr ähnlich aus.
Aurelia war klein, drahtig, hatte von Naturaus eher dunkles Haar, grüne Augen und ihre Gesichtszüge wirkten rund und weich. Ihre Ausstrahlung konnte unheimlich warm und herzlich sein. Doch wenn sie es darauf anlegt, wirkte sie aber auch kühl und unnahbar.
Mikel dagegen war fast so groß wie ich und war nicht so drahtig. Man sah deutlich, dass auch er trainierte. Sein Haar war heller als Aurelias und ging fast ins Blond hinein. Seine Augen waren blau und sein Gesicht wirkte doch eher kantiger und grober. Doch selbst ohne dass er lachte, strahlte er um sich herum eine beruhigend, tiefenentspannte Einstellung aus. Man fühlte sich in seiner Umgebung seit der ersten Sekunde wohl - und seine warme weiche Stimme erledigte da den Rest.
Ich konnte mir gut vorstellen, wie aber genau diese Einstellung andere Kinder damals dazu ermutigen konnte, ihn als deren Opfer zu ernennen.
Aber ich schätzte inzwischen sprach sein Erfolg für sich und niemand machte sich mehr über ihn lustig.
„Hi, Henry. Schön dich persönlich kennenzulernen. Meine Schwester kommt aus dem Seufzen und Schwärmen über dich gar nicht mehr raus."
Er hatte das letzte Wort gerade fallen gelassen, da flog ihm schon ein Plastikbecher gegen den Kopf.
Aurelia, die ihrem Bruder gegenübersaß und gerade dabei war, sich den Teller mit Essen zu füllen, verengte verärgert die Augen.
Seufzend sammelte ihr Bruder den Becher vom Boden auf und stellte ihn ihr wieder zum Teller. „Ich muss sicherlich nicht erwähnen, dass sie das Temperament für uns beide übernommen hat."
Ja, ich konnte mir allmählich ein Bild davon machen, was die beiden als Kinder alles veranstaltet hatten.
„Komm setz dich, Henry. Du musst doch wahnsinnigen Hunger haben. Ich hoffe, dir sagt mein Essen zu." sagte nun Aurelias Mom im perfektem Englisch zu mir und brachte mich aus den Gedanken.
„Es riecht absolut köstlich, Gerlinde. Danke!" Ich setzte mich neben Aurelia, die bereits schon beim Essen war und schlug mir den Teller voll.
Auri reichte mir die halbvolle Tüte mit veganen Käse, die ich ihr dankend entgegennahm.
„Die Bällchen sind alle aus Hack. Außer die in der Tupperdose. Die sind aus ... Wie heißt das, Mäusle?"
„Weizenkeime." schmatzte meine Freundin. Ich war wieder mal überrascht darüber, wie schnell sie Essen in ihrem kleinen Körper verschwinden lassen konnte. Anscheinend war sie ausgehungerter als ich.
Ich musste nicht fragen, ob sie mir etwas von ihrer veganen Alternative abgeben würde, denn die Dose war fast leer.
Es war köstlich und erinnerte mich genau an das Essen aus meiner Kindheit. Aurelia und ich mussten wohl beide ausgesehen haben, als hätten wir drei Tage nichts mehr gegessen, doch Aurelias Eltern schien das nicht zu stören. Stattdessen gingen sie einige Spieler durch, die heute wohl vorbei kommen würden und gingen ihre Trainingspartner und -Pläne durch.
„Wie teilst du dir das Jahr mit dem Tennis-Training, Drehen und Auszeit ein?" fragte ich Aurelia, die ihre letzten Makkaronis mit der Gabel aufspießte.
„Halbes Jahr drehen, viertel Jahr für mich, viertel Jahr für den Tennis. So ist meine Jahresaufteilung. Wobei das selbstverständlich wild durcheinander gemischt ist und ich nicht ein Vierteljahr Urlaub am Stück mache."
Das war interessant. Während ich fast durchgehend vor der Kamera stand und alles so nahm, wie es kam und mir zwei, drei Mal im Jahr die Zeit für Urlaub nahm, war bei ihr alles fest durchplan. Musste es aber anscheinend auch bei dem Berufsleben.
„Was kostete eine Stunde bei dir?"
Ich hörte Mikel Lachen. Auris Vater war der nächste, der kicherte. „Bevor Relia mit ihrer Serie erfolgreich wurde, hatte sie immer mal wieder Kurse angeboten mit dem Vermerk, dass man sie, als ehemalige Weltranglisten 87 buchen konnte. Da hatte die Stunde was gekostet?"
„361€" antwortete Aurelia kurz und knapp und machte sich den Rest aus der Dose auf ihren Teller.
„Genau. Damals kamen vor allem die Nachwuchsspielerinnen zu ihr. Aber seit Relia mit ihrer Serie berühmt wurde, konnten wir den Preis vervierfachen und ihre Sommerkurse sind innerhalb weniger Minuten ausgebucht, sobald wir sie online stellen."
Aurelia brummte mürrisch und sah ihren Vater kurz an. „Mag sein. Das Problem ist nur, dass jetzt auch alle möglichen Vögel mit mir spielen wollen."
„Darum haben wir uns aber bereits vorher gekümmert." warf ihr Vater ein. „Alle die eine Stunde mit Aurelia wollen, müssen sich vorher in einem Portal dafür anmelden und registrieren. Das ist schon nicht ganz so einfach und dann muss man außerdem einen kurzen Lebenslauf dazu senden, der die eigene Tenniskarriere beleuchten soll. Meine Tochter spielt nur mit ausgelesenen Anfängern. Alle anderen müssen uns gewisse Kenntnisse vorzeigen, damit wir den Termin bestätigen."
Mir wurde plötzlich unwohl. Ich sah zu Aurelia hinüber. „Ist dir je dabei was von einem Fan passiert?"
„Nein." fing sie an, doch den Blick den sie ihrem Essen schenkte, zeigte mir schon, dass sie trotzdem negativen Situationen ausgesetzt worden sein musste. „Mom und Dad passen da wirklich gut auf. Nur am Anfang, als die Serie berühmt wurde und ich mit ihr, standen hier viele Leute um den Tennisplatz, die mich sehen wollten. Sogar als ich nicht da war. Viele standen Tag und Nacht hier und machten nicht nur mir und meiner Familie irgendwann Angst, auch die Gästezahl ging Berg ab. Manch einer von den Leuten, die hier warteten, waren nicht nur Fans, sondern richtige Stalker. Ich konnte einen Sommer lang nicht hier spielen, weil ich nicht wusste, wie wir Abends hier wieder raus kommen sollten. Die Typen haben meine Familie überall hin verfolgt, um herauszufinden, wo ich gerade war."
„Ja." sagte Gerlinde nun auch mitfühlend. „Wir mussten ständig die Polizei rufen, bis die Typen komplett weg waren. Aber inzwischen haben wir auch dafür Wege und Mittel gefunden, wie wir und unsere Gäste hier unbeschwert spielen können. Das geht zwar nur mit vermehrten Sicherheitspersonal, aber lieber das, als wenn Relia abends Angst haben muss, dass sie jemand Fremdes verfolgt. Oftmals war sie nämlich noch bis tief in den Abend hier. Da wo es schon lange dunkel war."
Ich konnte nichts gegen dieses Gefühl der Wut tun. Nichts gegen dieses Gefühl, Aurelia vor genau solchen Leuten beschützen zu müssen. Es war wie ein Urinstinkt, der in mir aufkam und den ich nur schwer wieder herunterschlucken konnte.
Auch wenn ich wusste, dass sie alleine bestens zurecht kam, dass sie keine Hilfe brauchte, war da immer noch der Gedanke an dieses zierliche kleine Mädchen, dem nichts passieren durfte.
Ich atmete mehre Male tief ein und aus und versuchte mir einzureden, dass ich nicht in diese Rolle als ihr Beschützer fallen durfte. Nicht so. Und erst recht nicht so sehr, dass ich solchen Stalkern am liebsten die Schädeldecken einschlagen wollte.
„Inzwischen ist aber alles wieder gut." sagte Aurelia rasch und sah mich erneut an. Ein zartes Lächeln breitete sich auf ihren Lippen aus. „Und heute kann ich ja ruhigen Gewissens mit meinem großen tapfern Ritter vom Spielfeld gehen."
Ich nahm ihre freie Hand in meine. „Du kannst mir immer Bescheid sagen, wenn du in solchen Situationen steckst. Egal, ob ich bei dir bin oder am anderen Ende der Welt. Du kannst mich immer anrufen oder mir sagen, dass ich dich abholen soll. Okay?"
„Danke, Henry. Das ist sehr lieb von dir."
Wow. Ich war erstaunt, dass kein Einwand kam. Doch das bedeutete wohl auch, dass ihr diese Zeiten wirklich zugesetzt haben mussten. Ich wünschte manchmal wirklich, dass die Polizei bei solchen Stalkern mehr machen konnte, als nur Verwarnungen auszusprechen.
Aber das war eine andere Sache.
Aurelia aß ihren zweiten Teller auch in einem Zuge leer, ehe sie sich mit einer Serviette den Mund abwischte und den Stuhl wegschob. „Wo wir gerade bei Ängsten sind." sagte sie, stand auf, gab Kal nochmal einen letzten warnenden Blick, ehe sie hinters Vereinshaus verschwand.
Mir schwante Böses. Böses in Form einer Katze.
Und genau mit der kam sie auf den Arm wieder zurück. Das war der rote Kater von dem Bild, das sie mir gesendet hatte.
Sie hatte sich den Kater wie ein Baby in die Arme gelegt und lief damit zu Kal, der neben mir saß und sich bereits neugierig aufrichtete.
Auri blieb ein paar Meter vor Kal stehen, der neugierig den Kopf schräg hielt und schnüffelte.
Dann hockte sie sich hin und erlaubte Kal, sich zu nähern.
Mir klappte die Kinnlade herunter. Kal bellte nicht, jagte die Katze nicht oder zeigte irgendein Anzeichen davon, dass er Katzen sonst eigentlich nicht mochte.
Stattdessen lief er schwanzwedelnd auf Aurelia zu, streckte freundlich die Zunge raus, sah erst meine Freundin an, ehe er an dann an der Katze schnüffelte.
Aurelias Kater schien sich in ihren Armen absolut sicher zu fühlen. Er lag da, gab Kal nur einen leicht verschlafenen Blick, ehe er sich wieder umsah.
„Fein gemacht, du Kuschelbär." lobte Aurelia, streichelte Kals Kopf und stand auf. Mitsamt des Katers und lief zum Tisch.
„Darf ich vorstellen; Gulliver Halle. Allseits bekannt als mein Leckermäulchen, weil er einfach alles futtert." hörte ich sie noch von hinten sprechen - ehe mir plötzlich der Kater wie eine Trophäe vor die Nase gehalten wurde.
Leckermäulchens Blick galt nur kurz mir, bis er wieder herum sah. Weder wehrte er sich noch gab er sich irgendwie ängstlich. Er schien Aurelia absolut zu vertrauen. Auch wenn er sich in dieser Haltung wohl auch nicht unbedingt sehr wohl fühlen musste.
Und plötzlich, ehe ich mich versah, saß ihr Kater auf meinem Schoß und sah mich mit halb geschlossenen Augen an.
Na super! Ganz große Klasse!
Mikel schnaufte erheitert auf und goss sich dabei etwas Wasser aus einer Flasche in seinen Becher. „Leckermäulchen ist wohl der entspannteste Kater der Welt. Wenn er nicht am schlafen oder Sonnen ist, läuft er durch die Gegend und geht nach Fressen schnorren. Ich hab ihn noch nie jagen, fauchen oder angreifen sehen. Ich weiß nicht mal, ob er in der Lage wäre eine Maus zu fangen."
Wetten bei mir würde er damit anfangen?
Aurelias zog ihren Stuhl an meinen heran und fing an, Leckermäulchens Kinn zu streicheln. Hatte sie denn keine Angst, dass er sie beißen konnte? Wahrscheinlich nicht, denn der Kater begann mit seinem Pfoten auf meinen Oberschenkeln zu tapsen und machte es sich dann innerhalb von Sekunden auf mir gemütlich. Ich hoffte, er würde mit seinen Krallen aufpassen, denn er wirbelte sich von der Linken auf die rechte Seite und ließ es sich gefallen, wie Auri sein Kinn kraulte.
Aurelias freie Hand legte sich an seinen Bauch und fing dort an, dass lange dichte rote Fell zu streicheln.
Der Kater fing tief an zu schnurren und lockte damit Kal an, der interessiert der Szene musterte.
„Das Fell am Bauch einer Katze ist am weichsten. Katzen bieten diese Stellen nicht jedem an. Es zeugt schon von tiefem Vertrauen, wenn sich Katzen einer Person so offen zeigen." erklärte mir Aurelia.
Ihr Dad grunzte. „Ja. Außer die Katze unserer Nachbarin. Die geht auf jeden zu und lässt sich überall kraulen. Die muss es wirklich nötig haben."
Aurelia nahm ihre Hand von seinem Bauch und nahm meine. Ja, mal eben so eine Katze zu streicheln war wirklich nichts für mich. Vor allem wegen ihrer plötzlichen Launen und der schmerzenden Krallen. Das musste ich als Kind schmerzhaft lernen. Seitdem hatte ich nie wieder einer Katze vertraut. Aber ich vertraute Aurelia, wie sie es damals bei mir und den Pferden getan hatte und überließ ihr meine Hand.
Sie führte sie zu seinem Bauch und legte sie darauf.
Es war unheimlich weich und flauschig. So schönes weiches Fell hatte ich Ewigkeiten nicht mehr gefühlt. Ganz anders als das Fell auf seinem Rücken oder das Fell von Kal.
Meine Finger begann sein Fell erst zu streicheln und dann zu kraulen. Irgendwann ließ Aurelias Hand ab und sie kümmerte sich nur noch um sein Kinn.
„Katzen zeigen Menschen eher Zuneigung, wenn sich der Mensch nicht viel mit ihnen abgibt. Dann strahlt er für Katzen weniger Gefahr aus, als wenn jemand wild schreiend zu einer Katze eilt um sie zu streicheln.
Wenn du merken solltest, dass Leckermäulchen dich ansieht und ganz langsam zwinkert, ist das seine Art, dich anzulächeln und wenn er dir seinen Po zeigen sollte, ist das auch nur ein Zeichen von Vertrauen. Wundere dich also nicht. Leckermäulchen findet schnell Vertrauen in Menschen. Vor allem welche, die ich mag."
Und das wusste die Katze innerhalb von Sekunden, in denen sie mich und Aurelia gesehen hatte?
Sollte mir egal sein. Leckermäulchen lag vollkommen tiefenentspannt auf meinem Schoß und hatte sie Augen geschlossen. Auri ließ langsam sein Kinn los und ich sah mit an, wie der Kater sich zusammenrollte und Anfang auf mir einzuschlafen.
„Kraul mal seinen Kopf. Das mag er beim Einschlafen besonders."
Genau! Schön direkt in der Nähe von seinen kleinen spitzen scharfen Zähnen!
Aber ich war tapfer und zog es durch. Man sollte mir ja nicht nachsagen, dass ich die Rolle eines Monsterschlächters verkörperte, aber Angst vor einer Katze hatte.
Dem Kater schienen meine Streicheleinheiten auch zu gefallen. ... Und langsam, na ja ... Es war schon beruhigend wie der Kater schnurrte und so entspannt wirkte.
Auri lehnte sich in ihren Stuhl zurück und überließ mir ihren Kater.
Der beäugte nur sein Frauchen kurz, dann mich und schloss dann wieder die Augen. Sehr gut.
Ja. Ja, so langsam konnte ich tatsächlich etwas Gefallen an der Situation finden.
Leckermäulchen maute kurz auf, was ich wohl als ein „Reicht mit dem Kopf, streichle mich woanders weiter!" interpretiert hätte. Also war nun sein Rücken dran. Ich streichelte ihn einige Male auf und ab, ehe der Kater urplötzlich aufstand und mit den Vorderpfoten auf meine Brust tapste. Seine grünen Augen, die wohl fast die selbe Farbe wie Aurelias hatten, musterte mich lange. Kein Zwinkern. Also ein Lächeln? Dann schnellte sein Kopf nach vorne und er rieb seinen Kopf an meiner Brust. „Auri?" fragte ich trotzdem nervös.
„Er will mit dir kuscheln. Streichle ihn weiter, setz dich ein Stück zurück und macht es euch beiden bequem."
Was?
Doch ehe meine Hände den Kater wieder finden konnten, war der noch ein Stück weiter an mir hochgeklettert und ließ sich einfach so an meiner Brust nieder. Ich senkte mich im Stuhl nach unten, um meinen Oberkörper möglichst in eine waagerechte Stellung zu bringen. Wie es Aurelia gesagt hatte, fing ich wieder an ihn zu streicheln und Zack schnurrte er zufrieden auf.
Kal sah mich fragend an. Er schien gar nicht richtig verstehen zu können, was das hier war. Ich zuckte unschuldig mit den Achseln und machte es dem kleinen Tier auf mir bequem.
Mit jeder Minute mehr, entspannte ich mich und fing an den kleinen Kerl auf mir zu mögen. Der Kater war wirklich entspannt und nett. Warum waren nicht alle Katzen so?
„Und Kinder? Habt ihr noch Pläne für heute?" wollte Aurelias Dad wissen.
Auri, die gerade am Handy beschäftigt war, sah erst mich an, dann ihren Dad. „Henry und ich fahren hiernach zu mir nach Hause. Für den Rest des Tages haben wir noch nichts vor."
Ich sah meine Freundin grinsend an. „Kann man in Madrid irgendwo schön trinken gehen?"
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