Kapitel 25 - Zurück zu den Wurzeln

Aurelia

1 Woche später

Mein Atem blieb stehen, als ich den Ball als Start meiner Ausholbewegung an meinen Schläger hielt.

Das Auge von Agamotto sah mir dabei entgegen, welches die Saiten meines Doctor-Strange-Schlägers zierte.

Die Freude, endlich wieder Spielen zu können, drang durch meinen ganzen Körper. Ich musste mich ermahnen, es nicht zu übertreiben.

Aber jetzt ging's erstmal los! Mit dem ersten Aufschlag brachte ich das Match in Gang.

Durch hohen Fokus und schnelle Reaktion versuchte ich das Schonen meiner Beine zu kompensieren. Doch bereits nach wenigen Punkten erlangte ich immer mehr Vertrauen und konnte mich immer besser bewegen.

Mein Kontrahent hatte es zunehmend schwerer, Punkte zu erzielen und ich brachte ihn ordentlich ins schwitzen.

Es stand 5:2 40:30 für meinen Brudee. Ich fühlte mich den ganzen Punkt schon an der Spitze meines Könnens, aber leider reichten die besten Schläge trotzdem nicht aus. Ich befand mich gerade der Offensive und schlug ihm Ball für Ball um die Ohren, aber Mikel blieb ruhig, reagierte gut und schickte alle Bälle mit guter Länge zurück.

Er sah meine Schläge voraus. Meine Ausdauer ließ langsam nach - ich musste etwas tun. Er ließ sich nicht weit genug hinter die Grundlinie drängen, um mit einem Stop kurz hinters Netz den Punkt zu holen. Also entschied ich mich für einen Versuch, ihn aus dem Konzept zu bringen. Und zwar indem ich ihm den nächsten Ball leicht und ohne Spin mitten vor die Füße spielte und provokativ zum Netz stürmte. Ich sah Verwunderung und dann Trotz in seinen Augen - perfekte Voraussetzung für einen ungezwungenen Fehler!

Ich nahm all meine Konzentration für einen Volley zusammen, während Mikel offensichtlich zu einem vernichtenden Schlag ausholte. Mit einem lauten Knall schoss der Ball zu meiner linken und traf tatsächlich die Netzkante! Das passiert ihm sonst nie. Doch meine Freude hielt nur einen einzigen Augenblick, denn der Ball flog hoch von der Kante ab, über mich drüber - nur um um Haaresbreite noch im Feld zu landen. "Sorry!", hörte von der anderen Seite. Was ich nicht hörte, war bedauern. Eher neckische Schadensfreude.

Na super! Das war es mit meinem Sieg.

„Mach dir nichts drauß, Aurelia. Dafür, dass seit zwei Tagen die Schiene ab ist, hast du gut gespielt. Sehr gut sogar, wenn man bedenkt, dass du sieben Wochen lang nicht gespielt hast." Brüderlich tätschelte Mikel meine Schulter.

Für mich trotzdem nicht wirklich befriedigend. Auch wenn ich weiß, dass Mikel der Achte in der Weltrangliste ist. Und ich war längst kein Profi mehr.

„Ja ja." murmelte ich daher und packte meinen Doctor-Strange-Schläger ein.

„Erzähl mal, Schwesterchen. Wie gehts dir sonst so? Bei deiner Ankunft vorhin warst du ja nicht sehr gesprächig gewesen. Hergekommen und gleich den Bruder zum Match aufgefordert. Ich muss nicht erwähnen, dass ich dafür ein wichtiges Training hab sausen lassen." sagte Mikel in seiner freundlich-ruhigen und irgendwie auch immer noch schelmischen Art.

Ich seufzte schwer und ließ mich auf meine Bank fallen und streckte meinen kleinen Körper darauf aus.

Mikel stellte sich wartend neben mich und grunzte. „Meine Schwester, die Freundin von Superman. Vor ein paar Wochen noch wolltest du von ihm nichts wissen und jetzt plagt dich die Sehnsucht."

Ich verzog das Gesicht zu einer miesepetrigen Miene. „Mich plagt das nicht!"

„Ich weiß wie Liebeskummer bei dir aussieht, Aurelia. Und jetzt bist du dir selbst gerade der Bilderbucheintrag davon. Erzähl doch deinem Bruder was los ist!"

Ich seufzte schwer und ließ den linken Arm von der Bank in die Luft fallen. Verfluchtes Zwillingsgen. Mikel schien immer genau zu wissen, wie es mir ging. Dabei waren wir doch nicht mal eineiige Zwillinge. Im Pinzip sahen wir nicht mal recht ähnlich aus.

Mikel, mit seinem großgewachsenen Tenniskörper, den langen dünnen Beinen, dem dunkelblonden Wuschelhaar, das er seit Jahren immer gleich trug und diesen liebenswerten freundlichen Gesichtsausdruck.

Und doch verstand er mich besser als unsere Eltern, meine Freunde und sogar besser als Leckermäulchen. Er war nun mal meine zweite Hälfte.

„Er fehlt mir, Mikel." gab ich kleinlaut aus mir heraus und zog eine Schnute. „Er, seine blöde Stimme, sein blöder Körper, sein blöder männlicher Duft, seine blöden tiefblauen Augen, seine blöde Eigenschaften mir die Angst zu nehmen. Es ist zum Mäusemelken! Ich hab das Gefühl, ich wäre dauerdeprimiert!"

Mikel grinste breit auf und hockte sich neben mich. „Das ist so, wenn man frisch verliebt ist, Schwesterchen."

„Ja, aber doch nicht bei mir!"

Mikels blau-grüne Augen funkelten belustigt auf. „Auch bei dir. Der Mann hat einfach dein Herz im Sturm erobert."

Ich seufzte ab und richtete den Blick gegen Himmel auf. „Womöglich."

„Nicht womöglich. Ich weiß wie meine Schwester aussieht, wenn sie verliebt ist. Und gerade bist du auch dafür das Paradebeispiel. Erzähl mal. Wie ist er so?"

Ich sah zu meinem Bruder hinüber und zog fragend eine Braue an. „Seit wann interessierst du dich für meine Freunde?"

Unschuldig zuckte er mit den Schultern. „Womöglich wird ein Superstar mein Schwager werden. Und im Gegensatz zu dir mochte ich ihn als Superman vorher schon. Die Filme mit ihm waren gut. Scheint ein sympathischer Mann zu sein."

Na super. Ein DC Fan in der Familie. Davon hatte ich bislang nichts geahnt.

„Er ist nett."

„Nett?" wiederholte er kichernd. „Du suchst dir doch keinen Typen aus der nett ist! Nett ist die kleine Schwester von Scheiße. Du brauchst doch jemanden, der dir Parole bieten kann und sag mir nicht, dass er das nicht kann! Denn sonst würdest du nicht hier liegen und ihn vermissen."

Ich verengte die Augen zu zwei gefährlichen Schlitzen. „Du weißt mehr über mich, als dir gut täte, mein Bruder!"

Wieder zuckte er unschuldig mit den Schultern. „Wir haben uns neun Monate lang einen ziemlich engen Raum geteilt. Das Kinderzimmer danach war auch nicht viel größer gewesen. Ja. Ich weiß eine Menge über dich. Ob ich will oder nicht. Und jetzt mach mal Platz."

Brummend erhob ich mich aus meiner liegenden Position und setzte mich auf. Mikel setzte sich gleich neben mich.

„Er ist wirklich nett." wiederholte ich und fügte dazu, „Nicht in dem Sinne von zu nett, sondern ist er wirklich lieb. Er hat mir bereits bei so vielem geholfen, dass ich gar nicht weiß, wo ich anfangen soll. Er hat mir mit meinem Pferdeproblem geholfen. Ich kann jetzt reiten. Fast komplett angstfrei."

Mikel verschlug es die Sprache. „Er hat was geschafft?"

Rasch erzählte ich ihm von Henrys Heldentat und auch wie er mit mir aus der Cafeteria ging, ehe ich den Wirt hätte anspringen können. Seine größte Heldentat war wohl aber die Pflege um mich und mein Bein und auch wie er mit mir segeln und Motorrad fahren war.

Mikels Miene wurde immer verstörter. Als ich fertig war, standen in seinen Augen duzende von Fragen. „Du bist mit ihm Motorrad gefahren? Und geflogen? Und gesegelt? Du hasst doch alles, was kein Fahrrad, Zug oder Auto ist."

Unschuldig war ich es dieses Mal, die mit den Achseln zuckte. „Ich sagte doch, er ist nett."

„Aber er kann auch anders, oder? Ansonsten würde dich der Kerl doch nicht interessieren." harkte Mikel nochmal nach.

Ich seufzte. „Kann er. Er kann damit umgehen, wenn ich mich über DC lustig mache und schießt selbst zurück. Ich würde sagen, wir sind auf Augenhöhe. Aber das, was ich am meisten an ihm schätze, ist dass er zu meinem Ruhepol geworden ist. Jemand, dem ich vertrauen kann und mich so zeigen kann, wie ich bin. Ich muss nicht ständig tough, mutig und stark sein. Er nimmt mich so, wie ich bin."

Mikels Lächeln wurde freundlich und hell. „Das freut mich für dich, Aurelia."

Ich seufzte aus. „Wir stehen ja in Kontakt. Er hat mir vorhin erst ein Bild von sich und Kal, seinem Hund, aus dem Gym gesendet."

„Trotzdem vermisst du ihn, mhm?"

„Ja." gab ich leise von mir und wurde von meinem Bruder sofort in eine tröstende Umarmung genommen.

„Wenn ihr mal heiratet, lass mich dann die Ansprache halten. Ich werde dich dann an den heutigen Tag erinnern. Wie du vom DC-Hasser zur Ehefrau von Superman wurdest."

„Nicht. Lustig!" brummte ich zurück, ohne mich aus seiner Umarmung zu befreien.

*

Nur wenige Minuten, nachdem Mikel und ich den Tennisplatz verlassen hatten, tauchten auch schon Mama und Papa auf.

Breit grinsend. Beide mit einem Gesicht, das aber auch Klärungsbedarf signalisierte.

Da lag es nur nahe, dass wir einen Familienabend machten. Einen, den es schon lange nicht mehr zwischen uns gab. Entweder war Mikel auf Turnieren unterwegs oder ich war mit dem Dreh von Filmen beschäftigt.

Doch heute stand dem nichts mehr im Weg. Papa und ich schmissen den Grill an, während Mikel und Mama sich um das Essen kümmerten. Eine uralte Tradition in der Familie Halle.

Dad zündete die Kohle an, während ich das Grillgitter säuberte und anschließend einfettete. „Du glaubst gar nicht, wie oft Roger hier in den letzten sieben Wochen angerufen und nach dir gefragt hat." erzählte mein Dad auf Spanisch irgendwann nachdem wir mit den Smalltalk-Themen durch waren. Dad grunzte auf. „Er hat dir sogar einen Präsentkorb kommen lassen, weil er nicht wusste, wo du genau drehst. Der arme Junge hat ein furchtbar schlechtes Gewissen."

Ich seufzte theatralisch auf. „Er hat doch nichts falsch gemacht. Der Unfall ist wegen meiner Schussligkeit heraus passiert."

„Mag sein, aber du weißt, wie Roger ist und wie sehr er dich und Mikel mag. Er kennt euch von Klein auf. Hat euch gern trainiert und mit angesehen, wie aus euch Erwachsene wurden. Dass du dir ausgerechnet bei ihm die Bänder reißt, hat ihn sicherlich mehr getroffen, als wenn es bei jemandem anderen passiert wäre."

Da hatte er wohl recht. Wir arbeiteten noch eine Weile stumm vor uns hin, bis Mama mit einer großen Schüssel Salat auf die Terrasse des Vereinshauses herauskam und ihn auf den Tisch stellte. „Mäusle, wilscht du Tofu oder lieber Gemüsle-Spießle?"

Ich sah sie mit einer unschuldigen Miene an. „Beides?"

„Beides." sagte sie sofort und stürmte sofort ins Vereinshaus zurück.

Ihre zweite Heimat, mit einer Küche darin, die ihr und Dad wohl Vertrauter waren, als ihre eigene. Ich glaube, dass ich hier häufiger Mittag nach der Schule gegessen hatte, als Zuhause.

Dad gab ich das Gitter zurück, dass er sogleich auf den entflammten Grill legte. Doch ehe ich mich an den Campingtisch setzen konnte, hörte ich es eher, als ich es sah und sprang auf.

Leckermäulchen!

Wenn mein roter Kater für etwas bekannt war, dann dass er meine Wiederankunft oft mit lautem fröhlichen Miauen bekundete.

Ich ging bereits zum Tisch, als Leckermäulchen mit einem freudigen Miauen an mir vorbeizog, um auf den Tisch zu springen.

Erwartungsvoll sahen mich seine grünen funkelnden Augen an, während er mir näher kam und sich bereits auf die Hinterbeine zu stellen versuchte.

Ich schnappte ihn mir sofort und nahm ihn wie ein Baby in meine Arme auf. „Mein kleines Baby. Oh, was hab ich dich vermisst!"

Mein Herz blühte auf. Mein kleines Baby Kätzchen. Mein kleines süßes Baby Kätzchen!

Ebendieses begann mit seiner kleinen rauen Zunge mein Gesicht abzulecken und zugleich seinen Kopf gegen meinen zu reiben. Schließlich musste er mich nach all den Hundegerüchen wieder für sich markieren.

Ich drückte meinen Kater fest an mich. So fest, dass wohl jede andere Katze längst mit Kratzen und Fauchen davongesprungen wäre.

Mein Kater dagegen dachte nicht einmal nach, abzuhauen und rieb den Kopf immer schön weiter in mein Gesicht.

Nach dutzenden Liebesbekundungen, die Henry wahrscheinlich grün vor Eifersucht hätten werden lassen, ließ ich ein Stück von Leckermäulchen ab. Ließ ihn aber auf keinen Fall herunter. Wahrscheinlich für den Rest des Abends nicht mehr. Das war weder in seinem, noch in meinem Sinne.

Ich setzte mich auf den Stuhl und holte mein Handy heraus.

„Schau mal in die Kamera, mein kleines Mäusebaby. Wir machen jetzt mal ein hübsches Foto."

Das Resultat war okay. Leckermäulchen hatte sie Augen zu, aber das tat unserem gemeinsamen Foto kein Abbruch.

Ich speicherte es, öffnete WhatsApp und schickte ich Henry das Bild zusammen mit einen Text.

Er antwortete sofort darauf.

Ihr beiden seht großartig zusammen aus. ❤️ Vielleicht freue ich mich ja doch schon etwas, deinen kleinen Freund kennenzulernen. 😸

Oh und wie er das würde! Ich packte das Handy weg und sah Dad eine Weile dabei zu, wie er noch am Grill herumbastelte, ehe wir mit dem Feuer machen beginnen konnten.

Mom und Mikel brachten schnell das Essen heraus und zusammen deckten wir den Tisch, bevor Dad anfing zu Grillen und ich mich weiter im Liebkosen meines Katers versank.

Ich würde noch eine ganze Woche haben, ehe ich Henry besuchen würde. Eine Woche für mich, Tennis, meine Familie und meinen Kater. Vielleicht war es ja genau jetzt die richtige Zeit für eine Veränderung.

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