Kapitel 23 - Segeln für Anfänger
Aurelia
Als Kind hat man ja die interessantesten Träume und Wünsche. Mit Hulk zum Mond springen, Popstar werden, eine eigene Tierarztpraxis, mit Shakira einmal zusammen tanzen und singen oder gemeinsam mit Captain America für die Ehre des Vaterlandes kämpfen.
Was jedoch nie mein Traum war, war Superman das imaginäre Cape beim Kotzen zu halten.
Henry hatte sich wohl doch ein bisschen zu sehr in die Vergnüglichkeit der Feier gestürzt und würgte zusammen mit Charlie in diversen Büschen und später auch noch in unsere Gästetoilette.
Marianne hatte mir extra noch einen Beutel für unterwegs mitgegeben, nachdem ich ihr versichern musste, dass ich wirklich mit Henry und seinem Zustand in einem Zimmer schlafen wollte.
„Bier auf Wein, das lass sein!" lehrte ich, während mein Freund aufrecht im Bett saß und sich aufs Atmen konzentrierte.
Zumindest hatte ihn die kalte Dusche wieder nüchtern gemacht.
Superman brummte nur finster und massierte sich mit Daumen und Zeigefinger die Nase.
„Es war kein Wein, es war dieser widerliche Kräuterschnaps aus Kanada. Ich hätte es einfach lassen sollen. Ich geh auf die Vierzig zu. Die Tage, an denen mein Körper Alkohol gut vertragen hat, zählen längst zur Vergangenheit."
Ich kicherte und platzierte meinen Kopf auf seinem Schoß und warf die Arme um seine sitzende Mitte. „Soll ich dich jetzt Sugar-Daddy nennen?"
Henry stöhnte auf. „Bloß nicht. Schlimm genug, wenn das das Internet tut. So alt fühle ich mich dann doch nicht."
„Für eine zwanzigjährige Freundin, wie mich hat's doch auch erreicht!"
Skeptisch sah er zu mir herunter. „Nächstes Jahr wirst du dreißig."
Sofort schnellte ich nach oben und bohrte ihm den Zeigefinger in die Brust. „Sag. Sowas. Gemeines. Nie. Wieder!"
Er grunzte kurz und löste dann seine Hand vom Gesicht, um sie mir auf die Schulter zu legen. „Entschuldige. Macht der Gewohnheit. Ich musste mich in den letzten Jahren immer mal wieder dafür rechtfertigen, warum meine Freundinnen immer jünger waren als ich."
Ich zuckte mit den Schultern. „Ich sehe da nicht das Problem. Mein Ex war auch ein paar Jahre älter als ich. Was soll's? Wenn es passt, passt es. Klar, uncool wenn der Partner lieber mit seinem Tablettenkarusel spielt, während man selber lieber noch feiern geht, aber wenn es ansonsten passt, man sich verträgt und ehrlich ist, warum nicht?"
Henry nickte langsam. „Jab. Und die Sache mit dem Familiegründen wird schwieriger mit einer Frau in meinem Alter."
Ich hob eine Braue an. „Na ja, da gibts immer Wege und Mittel."
Henry zog anzüglich eine Braue an. „Ich bevorzuge aber den natürlichen Weg, was das angeht." erklärte er und seufzte dann. „Simons Frau und er haben den Weg einer künstlichen Befruchtung mitmachen müssen. Ich war mehr oder weniger immer an Simons Seite, weil es echt nicht leicht für ihn und seine Frau war. Ich weiß, wie das an die Psyche gehen kann. Sicherlich, wenn es nicht anders geht, ist es so und es ist eine Möglichkeit, sein Ziel zu erreichen. Aber ich wünsche es trotzdem keinem, diesen Weg gehen zu müssen. Es hängt unheimlich viel Geld, Nerven und Kraft daran."
Das verstand ich - und auch, wieso diese Familiensache für Henry so wichtig war. Aber was dieses Thema anging, so musste er mir einfach noch mehr Zeit geben.
„Was war das jüngste Küken, was du dir geangelt hast?" fragte ich grinsend und lehnte mich an der Stirnseite des Bettes an.
Henry verdrehte sofort die Augen und brummte auf. „Bei dem Thema verliere ich, ehe ich angefangen habe."
Meine Augen weiterten sich. „So jung, ja?"
„Ja." brummte er und schien das Thema meiden zu wollen, doch der Zug dafür war längst abgefahren.
Erwartungsvoll sah ich ihn an, auch wenn ich es verstanden hätte, wenn er nicht darüber hätte reden wollen. Nadal war für mich ja nun mal auch ein schwieriges Thema.
Mein Freund jedoch seufzte tief auf und ließ den Blick in die Ferne gleiten. „Ihr Name war Tara und ich hab sie in einem Club in London kennengelernt. Sie war mir gleich aufgefallen. Lange Beine, kurvige Hüften, üppige Brüste, lange blonde Haare und ein süßes femines Gesicht. Ich war betrunken und war mental nicht unbedingt in der besten ... Lage. Sie dagegen wusste sofort, wer ich war und wir beide landeten in dieser Nacht zusammen im Bett.
Ich hab erst am nächsten Morgen rausgefunden, dass sie zu dem Zeitpunkt gerade 19 geworden war."
„Und wie alt warst du?"
Henry sah mich vorsichtig an. „33."
Oh.
„Ich wollte es beenden. Ich wusste, dass wenn die Presse das rausbekommen würde, ich der Idiot der Nation sein würde.
Aber irgendwie schaffte sie es, mich von sich zu überzeugen. Sie war im Luxus aufgewachsen, sonst hätten wir uns nie in diesen schweineteuren Club kennengelernt. Daher merkte ich schnell, dass sie nicht wirklich an mir als Schauspieler interessiert war, sondern an mir als private Person.
So ging das einige Monate und ich verknallte mich wirklich in sie - und irgendwann war ich bereit, sie der Öffentlichkeit zu zeigen. Wir gingen zusammen auf Partys, auf Galas und am Ende nahm ich sie sogar mit zur Oscar Verleihung. Du kannst dir sicherlich vorstellen, was die Presse über uns geschrieben hat." Wieder seufzte er tief. „Während ich das ganze locker angehen wollte, klammerte sie Monat für Monat immer mehr an mir und wollte, dass ich bei ihr bleiben sollte, statt zu drehen."
„Sie war 19, Henry." sagte ich ganz sanft. Ich hätte mich wahrscheinlich selbst nicht anders verhalten.
„Ich weiß." seufzte er und fuhr sich durchs Haar. „Ich hab auch versucht, sie überallhin mitzunehmen. Aber es wurde immer schlimmer mit ihr und ich konnte ihr einfach nicht das geben, was sie brauchte. Also machte ich nach nicht mal einem Jahr Beziehung Schluss."
„Das tut mir leid."
„Mhm." brummte er nachdenklich und sah mich nun endlich an. „Sie hat geweint, sie hat mich verflucht und um sich geschlagen. Ich habe ihr Herz brechen sehen, Auri, und das ist etwas, worüber ich tatsächlich nur schwer hinweggekommen bin. Aber ich wusste, dass meine Entscheidung richtig war.
Aber das war nur der Anfang vom wirklichen Ende.
Ich hatte mit ihr abgeschlossen. Sie mit mir aber nicht und wollte mich zurück.
Sie kam ungefragt zu meiner Geburtstagsfeier und wollte mich wieder ins Bett bekommen. Ich schmiss sie raus, auch wenn es mir das Herz zerriss als sie mir nachrief, dass ich die Liebe ihres Lebens gewesen wäre.
Aber was erwartete sie? Sie war 19. Sie hatte noch gar nicht richtig gelebt und ich war ihr mehr oder weniger erster richtiger Freund. Natürlich schmerzen Trennungen. Aber sie wusste doch noch gar nicht richtig, was Liebe ist.
Na ja. Jedenfalls rannte einer ihrer Freunde zur Presse und erzählte, ich hätte sie zu meinem Geburtstag eingeladen. Wir wären noch Freunde. Aber ich war die Liebe ihres Lebens und sie litt meinetwegen. Sie hatte die ganze Wahrheit verdreht und meine damalige PR-Managerin gefiel das auch noch und ich durfte mich selbst nicht dazu äußern.
Ich hätte sie echt Ohrfeigen können."
Ich streichelte mitfühlend seine Brust. „Armer alter Bär."
Wieder schnaufte er, ehe er die Arme um mich legte und mich an sich zog. „Ja. Aber ich bin selbst Schuld. Steig mit keiner Frau ins Bett, deren Alter du nicht weißt."
„Hast du mich denn gegoogelt?" fragte ich nun und entdeckte sofort ein fettes Grinsen im Gesicht meines Freundes. „Wenn du nur wüsstest, meine süße clevere Aurelia. Wenn du nur wüsstest."
„Stalker." murmelte ich und machte es mir an seiner Brust bequem. Sein Atem wurde ruhiger. Bald schon waren seine Atemzüge so gleichmäßig und tief, dass ich wusste, dass er eingeschlafen war und auch ich fand kurz danach meine Ruhe.
Das Frühstück war in der großen Runde doch eher Verhalten. Charlie und Henry hatten beide mit den Nachwehen ihres letzten Sauf-Abenteuers zu tun und starrten mehr auf ihr Frühstück als richtig bei den Gesprächsthemen dabei zu sein.
„Habt ihr schon Pläne für heute Abend?" fragte und Marianne, während sie sich etwas vom Rührei auf den Teller legte.
Henry reagierte nur langsam. Sein Kopf schien wirklich kurz vor der Explosion zu stehen. „Unser Flug geht erst neunzehn Uhr. Wir brauchen auch erst zwei Stunden vor Flugbeginn am Hafen sein. Wir haben also noch keine Pläne, was wir bis dahin machen wollen."
Mochte sein. Doch so zerknautscht, wie er aussah, würde heute nicht viel werden. Henrys Blick driftete zum Küchenfenster, das einen herrlichen Blick auf den Garten und den See dahinter bot.
„Ihr könntet uns ja in den Tierpark begleiten. Er ist wirklich sehr liebevoll eingerichtet. Man spürt richtig, wie die Tiere darin aufgehen." schlug Heather vor.
Henrys kurzer Blick, den er mir zuwarf, sprach Bände. Auch ich war nicht der größte Freund von Tierpärken und Zoos.
„Mom, habt ihr noch das Boot?" fragte Henry und sah weiterhin aus dem Fenster.
„Natürlich, Sohn. Willst du mit Aurelia ein bisschen Segeln gehen?"
Segeln? Ich wäre beinahe vom Stuhl gefallen. Ich war noch nie zuvor Segeln. Obwohl ich den Sport immer sehr schön fand.
„Wenn wir dürfen, gern. Was sagst du, Darling?" Nun sahen mich nicht nur ein Paar tiefblauen Augen an, es waren mehre duzende.
Nicht nur, dass er mich zum Segeln auf dem Boot seiner Eltern eingeladen hatte, er hatte mich auch noch vor seiner Familie bei meinem Kosenamen genannt. Irgendwo hörte ich ein verliebtes Orrw. Während ein anderer, ich legte den Verdacht auf Lewis, einen Würgelaut von sich gab.
Ich hörte Henrys Papa lachen. „Keine Sorge, meine Kleine. Mein Jungs haben allesamt Boots- und Segelscheine gemacht. Henry bringt dich sicher übers Wasser."
Ach was. Von dieser Erkenntnis war ich tatsächlich verblüfft. Henry konnte ich mir so gar nicht auf einem Boot vorstellen. Schon gar nicht segelnd.
Aber warum nicht? Eine Bootsfahrt die lustig, eine Bootsfahrt die ist toll!
*
Mir fielen vor Entsetzen beinahe die Augen aus den Höhlen. „Das ist doch nicht dein verdammter Ernst, Cavill! Das mache ich garantiert nicht mit!"
Henry zuckte unschuldig mit den Schultern und rollte die rote Höllenmaschine aus der Garage seiner Eltern heraus. „Dir passiert nichts!" versicherte er mir mit sanfter Stimme.
Doch die half mir gerade auch nicht weiter. Ich deutete auf mein geschientes Bein. „Und damit soll ich fahren?"
„Ja." sagte Henry und brachte das Gerät vor mir zum stehen. Es war riesig und mächtig und sah schon so aus, als würde es mehrere Hundertsachen fahren. „Du wirst genauso heil ankommen wie wir abfahren werden. Glaub mir. Ich fahre schon seit Ewigkeiten."
Nein. Das überzeugte mich überhaupt nicht. Das merkte auch Henry und stöhnte auf. „Ich fahre sicher, Aurelia. Dir wird nichts passieren."
„Ich kann deine Fahne von gestern bis hierher riechen! Du kannst doch gar nicht fahren!"
Er besaß doch tatsächlich die unverschämte Frechheit zu Grinsen. Er legte mir einen Arm um die Schultern und ich kam nicht mehr umhin zu erkennen, dass Superman in ledernen Biker-Klamotten verdammt sexy aussah. "Auri, ich bin nüchtern. Mir gehts gut. Ich fahre sicher. Dir wird nichts passieren. Ich lass dich nicht fallen. Ich werde nicht zu schnell fahren. Du wirst lebend ankommen. Versprochen."
Allmählich gingen mir wirklich die Ausreden aus. Ich war noch nie Motorrad gefahren. Das war eine Sache für Adrenalinjunkies. Ich fuhr ja selbst nie mit dem Auto schneller als 120. Und der Schlitten von Henry sah so aus, als würde der erste gang erst mal bei 120km/h anfangen zu laufen.
"Wenn wir sterben sollten, bring ich dich um, Cavill!"
Mein Freund schnaufte erheitert auf, löste sich von mir und ging zurück in die Garage.
"Und wenn wir dann Geister sind, werde ich dich dein ganzes Geisterleben lang verfolgen und dir sagen; Ich habe es dir doch gesagt!"
Henry kam zurück. Mit einem zweiten Helm. Er stellte sich genau vor mich und schob mir den Helm auf den Kopf.
Super. Ich sah ihn durch das Visier hindurch schief grinsen. "Sieht super aus."
Ich gab nur einen brummenden Laut von mir und folgte ihm zum Motorrad. Jetzt gab es wirklich kein Zurück mehr. Ich schnaufte tief durch.
Henry gab mir seinen Rucksack, den ich mir umschnallte und hievte mich auf das eiserne Monster und verstaute meine Krücken auch noch irgendwie. Dann schob er das Motorrad auf die Straße und setzte sich seinen eignenen Helm auf.
Dann schwang er sich auf, griff nach dem Lenker und sah nochmal zu mir zurück. "Hast du für den Ernstfall eigentlich deinen Organspendeausweis dabei?"
"Cavill!" donnerte meine Stimme durch die Siedlung seiner Eltern. Ich boxte noch in Richtung Arm, doch er war wesentlich schneller als ich und zog den Arm weg, ehe ich treffen konnte.
Blödmann.
Henry ließ den Motor laut aufheulen und setzte sich. Meine Arme schlangen sich sofort um seine Mitte, als wäre er mein rettender Anker. Na ja. War er ja irgendwie auch.
Henry lenkte uns aus der Ausfahrt hinaus und auf die Straße.
Ich musste schnell zugeben, dass er wirklich vorsichtig und gut fuhr. Nicht zu schnell, er drängelte sich nicht durch und hielt sich gut von den Autos fern. Außerdem fuhr er nicht auf allzu gefüllten Straßen.
Langsam konnte ich mich entspannen und ließ ganz langsam von Henry ab, bis ich ihn nur noch locker umklammerte.
Wir fuhren eine knappe halbe Stunde, bis wir am Strand ankamen. Henry parkte das Motorrad in der Nähe einiger Garagen, wo aber auch schon andere Motorräder standen.
Kaum standen wir und hatten unsere Helme abgenommen, bekam ich auch schon mein Tapferkeitskuss. „Siehst du, ich fahre gut. Du hast es überlebt."
„Gerade so." neckte ich und versetzte ihn einen zarten Stupser in die Rippen.
Gemeinsam liefen wir zum Strand herab oder besser gesagt, wurde ich den meisten Teil davon getragen und wir genossen für ein paar Momente den Zauber von Sand, Wellen, Meeresrauschen, zarten Wind und das Kreischen von Möwen.
Das Meer schaffte es immer, den Frieden in mir herauszubringen. Es brachte Erholung. Es zeigte mir die Unendlichkeit so vieler Dinge und wie belanglos manche Sachen waren. Hier gab es nur die Wellen, den Sand und den Himmel. Hier war es egal, wer man war und was man geschaffen hatte.
Ich schloss für ein paar Momente die Augen und genoss die milde warme Sonne, die auf uns strahlte.
„Es ist wunderschön hier."
„Ist es." bestätigte Henry und zog mich noch ein Stück fester in seine Arme hinein. Er gab mir einen kurzen Kuss auf den Schopf und lief dann mit mir in seinen Armen weiter, bis der Sand unter unseren Füßen zu Beton wurde. Dort ließ er mich wieder ab und wir gingen zu einer Anlegestelle für Segelboote, die vom Strand nicht weit weg war.
Vor dem Steg war eine verschlossene Käfigtür, die Henry mit seinem Schlüssel öffnete und uns rein ließ.
Er lief auf den Steg und blieb vor einem mittelgroßen Segelboot stehen. Einfach und schlicht sah es definitiv nicht aus. Das wusste selbst ich, die noch nie gesegelt war. Aber im Vergleich zu den anderen Booten war dieses hier doch mehr vom Luxus gezeichnet. Hier passten gut und gerne vier bis fünf Leute drauf.
Rasch stieg er auf das Boot und half mir dabei, ebenfalls aufs Segelboot zu kommen.
„Willkommen auf der Marianne. Das hier ist das Segelboot meines Vaters und meines." verkündete Henry stolz.
Ich zog beeindruckt die Brauen hoch. „Nicht schlecht. Haben deine Brüder auch solche Boote?"
„Nein. Die meisten nicht. Wenn sie segeln wollen, nehmen sie in der Regel dieses hier. Außer Charlie. Der hat in Kanada sein eigenes."
Ich nickte und ließ mich auf die kleine Bank neben dem Steuer nieder. Neugierig sah ich mit an, wie Henry das Boot vorbereitete. Ich hatte absolut keine Ahnung, was er da machte und welchen tieferen Sinn das ganze hatte. Aber es schien einen zu haben, denn kaum war das große Segel vorbereitet und Henry hinterm großen Steuer verschwunden, legte das Boot auch schon langsam ab.
Ganz geheuer war mir das ganze hier nicht. Vor allem nicht, als Henry aufs Meer steuerte und unser Segelschiff mehrere Male schräg auffahren ließ.
Trotzdem war es schön, die Wellen unter sich zu spüren. Die Möwen in der Luft zu hören und das Meer um sich herum zu sehen - auch wenn ich wünschte, dass es Henry langsam angehen lassen würde.
Henry brachte uns ein großes Stück hinaus, bis unser Boot fast alleine war. Dort lichtete er den Anker und brachte das Boot zum Stehen.
Endlich!
Rasch verschwand er unter Deck und kam mit einem kleinen Picknickkorb wieder.
Erstaunt hob ich beide Brauen an. „Sag mir bitte, dass der da nicht seit deinem letzten Date steht."
Er schnaufte erheitert auf und lief zum Deck. Ich folgte ihm.
„Keine Sorge, Auri. Du bist die erste Frau, die ich mit dem Segelboot meiner Eltern hierher bringe. Die meisten Frauen sind nicht sehr begeistert, wenn ich vom Segeln erzähle. Da muss ich schon einiges an Vertrauen aufgebaut haben, um jemand vom Segeln zu überzeugen. Dabei passiert doch nichts schlimmes." erklärte er mir und breitete eine rot-blau-karierte Decke aus und half mir, mich zu setzen.
„Nein. Nur der Weg hierher war's."
Wieder grinste er breit und ließ sich neben mir nieder. Seine tiefblauen Augen sahen mich liebevoll an. „Ja. Du Motorradbezwingerin."
„Ich schätze mal, du hattest schon mal eine Freundin gehabt, die auch so ein Adrenalinjunkie war, wie du."
Sofort veränderte sich sein Gesichtsausdruck und aus der verliebten Miene wurde schlagartig etwas, dass sich nur ungern an diese Zeit zurück erinnern wollte. Da war ich wohl ins Fettnäpfchen getreten.
„Ja." sagte er kurz und griff nach dem Picknickkorb.
Ich versuchte zurückzurudern. „Tut mir leid, falls ich alte Wunden getroffen habe." entschuldigte ich mich vorsichtig, doch Henry tat es mit einem Kopfschütteln und einem Seufzen ab.
„Da kannst du ja nichts für. Es war damals ... ziemlich toxisch zwischen Gina Carano und mir gelaufen. Sie war ... ein Feuerwerk an Frau gewesen. Höher, schneller, weiter, tiefer und das immer und immer wieder. Keine Pausen. Sie war immerzu auf der Überholspur im Leben gewesen. Dazu kam ihr nicht gerade guter Ruf, der mir zwar persönlich egal war, weil ich mich in sie als Person verliebt hatte, aber meinem eigenen Image schadete es noch Jahre nach der Trennung so viel, dass ich heute noch auf Twitter dafür ausgebuht werde. Obwohl niemand von denen Gina persönlich kennt.
Das war alles ziemlich viel für mich damals. Wir trennten uns, fanden dann wieder zusammen, trennten uns dann wieder ... Es war schwierig gewesen."
Ich wusste gar nicht richtig, wo ich anfangen sollte. Also nahm ich das erst beste. „Du warst mit Gina Carano zusammen? Wow ... Das ähm ..." Such nach freundlichen Worten, Halle!
Aber alles, was mir einfiel, waren die negativen Schlagzeilen über sie. Vorwürfe über Rassismus. Die Transphobie. Mir fielen noch ein paar weitere Sachen ein, aber Henrys unglücklicher Gesichtsausdruck, ließ mich wieder zum Thema zurückkommen. „Tut mir leid für dich."
Er zuckte mit den Schultern. „Ich hab es zwei Jahre lang nicht richtig gecheckt, mit wem ich da eigentlich zusammen war. Das muss dir nicht leid tun. Außerdem hätte ich ohne Gina Kal nicht adoptiert."
„Wieso?" wollte ich wissen.
Als er mich nun ansah, war sein Gesicht rot. „Wir ... wollten Kinder und haben uns darauf geeinigt erst mal mit einem Hund anzufangen. Deshalb haben wir Kal adoptiert. Nach dem Ende der Beziehung habe ich ihn dann behalten. War also alles gut so, wie's gekommen ist."
Nun entglitten mir wirklich die Gesichtszüge. Ich wusste ja inzwischen, wie wichtig ihm das Thema Familie war. Ich wusste nicht ob ich sauer, traurig oder einfach nur froh sein sollte, dass Henry von ihr losgekommen war.
Und so beschloss ich, meinen Weg zu gehen. Ich rückte zu ihm und nahm seine Hand in meine. „Es tut mir wirklich leid für dich, was du schon alles durchleben musstest. Aber vielleicht wird es ja jetzt leichter. Mir bedeutet das mit dir wirklich viel und ich verspreche dir hiermit feierlich, dass du mit mir zumindest nie einen schlecht Ruf bekommen wirst."
Er lächelte nicht. Sah auch weiterhin nicht wirklich froh aus. Doch wenigstens etwas Zuversicht meinte ich in seinen Augen sehen zu können.
„Glaub mir, wenn ich dir sage, dass sich mit dir alles bisher anders, besser und richtiger anfühlt, als mit meinen Beziehungen vorher. Du bringst mir Licht und Wärme in mein Leben zurück. Dafür alleine bin ich dir schon so unendlich dankbar, Auri."
Auch wenn mich Henrys Worte wirklich aufblühen ließen, war es Zeit für einen Themenwechsel. Was immer Gina mit ihm gemacht hatte, irgendwas in Henry war darüber immer noch verletzt und ich wollte nicht weiter danach suchen. Nicht heute. Nicht an unserem letzten freien Drehtag.
Ich ließ seine Hand los, griff nach dem Korb und öffnete ihn. „Wow. Da hat ja jemand noch große Dinge vor." staunte ich und nahm die Champagnerflasche heraus.
Alkoholfrei.
Uh! Erdbeeren! Himbeeren! Und war das ...
„Veganer Mozzarella. Ja, dein Freund ist lernwillig."
„Du bist perfekt!" grinste ich ihn an und holte alles aus dem Korb heraus. „Wann hast du das an Bord gebracht?"
Henry schnappte sich eine Erdbeere, bevor ich die Schale auf die Decke stellen konnte. „Ich nicht. Gott sei Dank gibt es hier ein paar Leute, die sich darum kümmern können."
Ich holte noch zwei Champagner-Gläser heraus, während Henry den Rest an Snacks auf die Decke platzierte. Dann machte er sich an die Flasche und entkorkte.
„Ich hoffe, er schmeckt dir. Es gibt wirklich nur wenig Champagner, den ich mag. Eigentlich trinke ich lieber Wein oder das gute einfache Bier. Aber für besondere Anlässe, gibt es auch was besonderes. Zumindest bereitet der mir hier keine Kopfschmerzen."
Er schenkte uns ein und ließ jeden von uns beiden zwei Himbeeren hineinfallen.
„Auf deine erste Segeltour." sagte er wieder in seiner guten alten Henry Form und prostet mir zu.
„Auf unserer beiden Neuanfänge." fügte ich hinzu und stieß an, bevor ich einen Schluck nahm.
Er schmeckte tatsächlich wahnsinnig gut. War fruchtig, süß und prickelnd.
Henry stellte das Glas nach zwei Schlucken ab und machte es sich auf der Decke in einer liegenden Postion gemütlich.
Er schloss langsam die Augen und ließ sich von der Augustsonne bescheinen. „Das habe ich wahnsinnig vermisst." gestand er.
Ich schnappte mir eine weitere Erdbeere. „Das Segeln, das Motorradfahren." Oder eine Frau auf ein Segelboot zu bekommen?, wollte ich noch scherzhaft fragen. Aber schluckte den Satz dann doch herunter, um ihn nicht wieder an seine Ex zu erinnern. Er hatte es verdient, glücklich zu sein. Da konnte ich auch mal mein Mundwerk halten.
„Segeln. Sonne. Sommer. Zeit abseits von allen. Hier draußen ist man auf sich gestellt. Auf das Meer, den Wind und sich selbst."
Ich grinste ihn an. „Oh! Und dann nimmst du mich mit hieraus!"
„Mit niemanden würde ich das hier gerade lieber genießen als mit dir, Darling."
Ich schnaufte freudig auf, setzte nun auch mein Glas ab und legte mich neben ihn. Mein Kopf legte sich an seine Brust, während mein linker Arm sich um seine Mitte legte.
„Danke dafür." murmelte ich in den Stoff seines T-Shirts hinein und schloss die Augen.
„Nicht dafür, Auri. Nicht dafür." murmelte er leise und fast im Schlaf versunken.
Und während über uns die wenigen Möwen fröhlich lachten, schliefen wir beide eng umschlungen beieinander ein und genossen einfach nur noch das Hier und Jetzt.
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