Kapitel 21 - Sie gehört zu mir
Henry
Ich hatte es selbst kaum aus dem Bett geschafft. Ich war unheimlich müde und erschöpft. Entweder lag es am Flug oder an der letzten Nacht mit Aurelia. Jedenfalls konnte ich kaum die Augen aufhalten, als ich mich aufrichtete und einen Blick auf meine genauso erschöpfte Freundin warf.
„Kommst du mit duschen?" fragte ich gähnend. Erst schüttelte sie den Kopf. Doch keine Sekunde später sah sie mich dann doch verschlafen an und nickte.
Natürlich konnte ich es vergessen, sie in dem kleinen Badezimmer, das direkt an unserem Schlafzimmer angebracht war, zu lieben. Das Duschen mit Schiene war schwierig genug. Aber es waren nur noch fünf Wochen bis sie die Schiene los sein würde. Doch solange würden wir damit auch noch zurecht kommen. Uns lief nichts weg.
Ich half Aurelia dabei, sich einzuschäumen, etwas, was ich sehr gern tat und wusch sie anschließend so ab, dass ihr geschientes Bein trocken blieb.
Den Rest bekam sie alleine hin. Auch wenn ich kaum die Augen von ihr abwenden konnte. Ihr Körper war einfach viel zu schön, um ihn nicht anzusehen.
Sie war das perfekte Verhältnis von Kurven und Muskeln. Durchtrainierte definierte Schenkel und Waden. Ihre Hüfte war breiter. Weiblicher. Ihr Bauch flach und straff. Ihre Brüste waren wie für meine Hände maßgefertigt. Genau wie ihr Hintern.
Ihre Arme waren zwar drahtig und man sah auch hier, dass sie diese Muskeln trainiert hatte, aber es war im gesunden Verhältnis.
Doch nichts kam an ihre Augen heran. An diese smaragdgrünen Augen mit den leichten braungoldenen Sprenkel darin. Für diese Augen hätte ich alles getan.
Als wir fertig waren, trug ich sie aus der Dusche heraus und hüllte sie in ein Handtuch ein. Ihre schlauen kleinen Finger fanden ihren Weg zu meinem nackten Körper und glitten meinen Oberkörper hinauf. Aber für Sex hatten wir leider keine Zeit. Nicht nur ihr Magen knurrte, die Rufe nach mir vor dem Fenster wurden auch immer mehr.
Trotzdem musste wenigstens ein bisschen Zeit für Zärtlichkeit blieben. Wir küssten uns lange und innig, ehe ich mich löste und sie anlächelte. „Wirst du klar kommen?"
Sie seufzte kurz auf, nickte dann jedoch. „Bekomme ich hin. Wenn ich es geschafft habe, deine Mutter zu überzeugen, schaffe ich auch den Rest."
„Kleine Gladiatorin." sagte ich grinsend und erntete sofort einen gezielten Schlag auf den Oberarm. „Nenn. Mich. Nicht. Klein!"
„Mom und Dad haben Dich doch auch klein genannt!" verteidigte ich mich grinsend und konnte gerade noch ihren zweiten Schlag abfangen.
„Das lasse ich deinen Eltern ja auch noch durchgehen. Aber du weißt, dass das Limit erreicht ist! Ich mag es nicht, wenn man mich nur auf meine Körpergröße reduziert und es das erstbeste ist, was einem zu mir einfällt. Ich bin doch mehr als das!"
So hatte ich das noch nicht gesehen und mir taten meine Worte sofort leid. Ich ging kurz in die Hocke, packte sie bei den Oberschenkeln und hob sie hoch, sodass ihre Beine in der Luft baumelten und wir auf Augenhöhe waren. „Du bist alles, Auri." sagte ich mit sanfter Stimme. „Tut mir leid. Nur ... genau deine Größe ist es auch, die ich so liebe. Nie würde jemand erwarten, dass in dieser Größe dieses riesige Löwenherz schlägt. Diese enorme Kraft und diese Güte und Liebe. Wenn ich dich als klein betitele dann nur, weil ich genau das an dir schätze. Ich mache mich nicht über dich lustig. Niemals. Dafür hast du mir viel zu oft bewiesen, was diese Größe alles verändern kann."
Ihr Blick wurde langsam weicher und sie legte die Arme um meinen Hals. „Danke." sagte sie nur und küsste mich zärtlich.
Als ich sie wieder auf den Boden stellte und uns wieder knappe dreißig Zentimeter voneinander trennten, hätte ich sie mal liebsten wieder hochgehoben. Aber die Pflicht rief.
Bevor wir wieder übereinander herfallen konnten, ging Auri ins Bad, um sich zu schminken.
Ich zog mir eine einfache dunkle Jeans, ein dunkelblaues Karohemd an, dessen Saum ich mir in die Hose steckte und krempelte die Ärmel nach oben bis zum Ellenbogen.
Aurelia öffnete die Tür vom Bad und trat ein. Fast zeitgleich fielen unsere Kinnläden nach unten.
Aurelia sah unglaublich aus. Ihr Make Up wirkte dezent, aber es betonte ihre grünen Augen unglaublich. Ihr blond gefärbtes Haar hatte nur ganz leichte Wellen. Die seitlichen Partien hatte sie nach hinten gekämmt und mit einem Haargummi befestigt.
Sie hatte ein ähnliches Kleid gewählt, wie das von gestern.
Das hier war etwas offener. Der Ausschnitt ging bis zu ihrem Schlüsselbein. Der grüne Farbton war etwas dunkler. Aber es ging ihr wieder bis zu ihren Knien. Es sah wieder hinreißend aus.
„Henry." stöhnte sie frustriert auf und lief auf mich zu. Zeitgleich umfingen meine Arme ihre Mitte und ihre Hände legten sich auf meine Brust. Frustriert sah sie zu mir auf. „Wie soll ich mich denn auf deine Familie konzentrieren, wenn du wie aus einem Männermagazin entsprungen aussiehst."
Ich lachte auf. „Wenn du wüsstest, was gerade in meinem Kopf vorgeht, seit ich dich vor fünf Sekunden gesehen habe."
Sie grinste lasziv und fuhr mit einer Hand meinen Bauch herab zu meiner Hose. Grinsend streichelte sie über die dortige Beule. Ich schloss brummend die Augen. „Kann mir denken, was das für Gedanken waren."
„Können wir nicht hierbleiben und das Problem angehen?"
Sie seufzte schwer und ließ mich los. „Nein. Vor dem Fenster wartet ein Mop an Kindern, die dich sehen wollen - und ich werde nicht die sein, die sie aufhält. Außerdem habe ich Hunger."
„Keine Argumente, die mich absolut überzeugen, aber dein Wohl steht natürlich an allererster Stelle."
Widerwillig verließen wir unser Zimmer und durchliefen den Flur. Als ich neben ihr lief, fiel mir plötzlich eine Frage ein, die ich ihr eigentlich schon am Abend unseres Frage-und-Antwort-Spiel fragen wollte. Doch irgendwie ergab es sich nicht. „Willst du eigentlich Kinder?"
Mit dieser Frage schien sie als allerletztes gerechnet zu haben. Doch sie blieben ehrlich. „Ich liebe Kinder. Ich liebe ihre Phantasie, ich liebe ihre Ehrlichkeit und wie sie die Dinge auf dieser Welt sehen. Ich liebe es mit ihnen zu reden und zu spielen. Aber ... wenn ich mir ein Bild von mir selbst malen müsste, wie ich mich zukünftig sehe, wird da nie ein Kind auftauchen. Ich bin nicht abgeneigt, ein Kind zu bekommen, wenn es mit dem richtigen passiert." erklärte ich rasch, „Aber ich würde selbst wohl nie mit der Idee Morgens aufstehen, schwanger werden zu wollen. Irgendwie ... ich mag mein Leben wie es jetzt ist. Und bei dir?"
„Eine Familie, Heiraten, ein schönes großes Haus im Grünen kaufen und darin leben ... Ja, das ist schon ein Traum von mir." Neugierig sah sie mich an und ich erzählte weiter. „Ich hab so lange ein Leben gelebt, was nur von heut auf morgen ging. Sicherlich hatte ich immer diesen Familien-Traum in mir. Heiraten gehört für mich zu einer Beziehung dazu. Kinder sind mir erst in den letzten paar Jahren wirklich wichtig geworden. Seit dem ich Kal habe. Seitdem ich gemerkt habe, was Verantwortung mit sich bringt. Ich versuche diesen Sport, dieses gesunde Leben auch zu führen, weil ich kein kranker alter Vater werden will, der mit seinen Kindern nicht toben kann - denn schließlich steht bei mir die 40 näher als die 30. Aber du hast schon recht, es muss alles stimmen."
Ein kleines Lächeln zierte ihre Lippen. „Ich sag ja auch nicht, dass ich dagegen bin. Es ist nur nicht mein Traum, für den ich alles bereit bin zu tun. Aber ich würde es so führen wie, wir es gesagt haben. Alles mit der Zeit - und sollte der passende Zeitpunkt kommen oder es einfach so passieren, gehen wir es auch zusammen an. Oder?"
Diese Frau war ein wahres Wunder. Am liebsten hätte ich ihre Hand genommen, wenn diese nicht gerade an den Krücken waren. „Ja. Zusammen können wir alles angehen."
Sie schnaufte erheitert auf und blieb dann aber an der Treppe stehen, die nach unten führte. „Aber sei dir jetzt schon gewiss, dass ich niemals jemals und überhaupt ein Babyjahr einlege."
Ich schnappte sie mir sofort und nahm sie in meinen Armen auf, wie ein Bräutigam seine Braut vorm Betreten ihres Hauses. Sie strahlte mich überwältigt an - und ich sie auch, während ihre Krücken auf den Boden aufschlugen. „Einverstanden. Dafür wird sich sicherlich irgendwann auch noch eine passende Lösung finden. Jetzt testen wir mal deine Familientauglichkeit an Hand einer Großfamilie."
„Wehe, du lässt mich alleine!"
„Niemals!" versicherte ich ihr und küsste sie erneut.
Ihre Lippen waren so weich und einladend auf meinen, dass ich sie am liebsten zurück ins Zimmer getragen hätte und ... Ich musste einen kühle Kopf bewahren.
Ich bückte mich nach ihren Krücken und lief mit meiner Aurelia in den Armen die Treppe herab. Unten angekommen, stellte ich sie vorsichtig ab und reichte ihr die beiden Krücken. Doch unwillkürlich legten sich meine Hände wieder an ihre Wangen und meine Lippen fanden erneut zu ihren. Was hatte diese Frau nur mit mir angestellt? Ich konnte an nichts mehr denken als an sie.
Unser Kuss vertiefte sich. Meine Hand wühlte sich in ihr Haar, während die andere Hand ihren Po streichelte.
Sie öffnete den Mund und ließ mich ihren Duft aufsaugen und meine Zunge mit ihrer tanzen. Erst ganz vorsichtig, dann entfachte ein zartes Feuer. Sie gab dabei einen kleinen heißen Ton von sich, der mich sofort steif werden ließ. Ich musste sie einfach nehmen. Ich würde das nie den ganzen Tag aushalten. Ich wollte nur noch in ihr sein. Ich wollte sie schmecken, sie riechen und sie dazu bringen, meinen Namen zu schreien, während ich ihre Brüste massierte.
Genau das flüsterte ich ihr uns Ohr. Auri schloss die Augen und gab sich meinen Händen hin. „Schlaf mit mir. Bitte." Das klang überhaupt nicht mehr nach meiner kleinen emanzipierten Freundin. Doch ich wollte auch nichts anderes mehr. Scheiß aufs Frühstück. Wir würden meine Familie heute früh genug sehen.
Wir gehörten ins Bett. Oder in den Wandschrank. Oder ins Bügelzimmer. Hauptsache die Tür ließ sich zuschließen.
„Onkel Henry, küsst ihr euch?" ertönte urplötzlich eine erheiterte kleine Mädchenstimme.
Aurelia und ich fuhren schlagartig auseinander.
„Meggy!" sagte ich atemlos und sah zu dem kleinen blonden neunjährigen Mädchen, das nur wenige Meter vor uns stand und uns beobachtete. Scheiße. Wie viel hatte sie gerade mit angehört? Fuck.
Meine kleine Nichte grinste und drückte ihre kleines Schmusepferd an sich. „Ist das deine neue Freundin, Onkel Henry?"
Aurelia, die der kleinen mit dem Rücken Zustand, war noch vollkommen in Schockstarre versetzt. Meine Hand lag immer noch auf ihren Po, den ich festgeklammert hielt. Ganz langsam ließ ich ihn los.
Wir hätten doch einfach im Bett bleiben sollen. Jetzt hatten wir den Salat.
Vorsichtig ließ ich Aurelia los und machte mich zu meiner jüngsten Nichte auf und ging vor ihr in die Hocke. „Ja. Das ist Aurelia. Meine Freundin."
Das Mädchen sah Aurelia lächelnd an, als sich Aurelia endlich aus ihrer Starre befreite und sich zu uns drehte.
„Bist du eine Prinzessin?" fragte Meggy schüchtern.
Aurelia hob nachdenklich eine Braue an. „Nein. Nein, eigentlich nicht."
Ich stupste meine Nichte auf den Bauch. „Wie kommst du denn darauf?"
Schüchtern frimmelte Meggy an ihren Fingern und traute sich kaum mehr uns anzusehen. „Weil sie so hübsch ist, Onkel Henry. Und hübsche Mädchen sind alle Prinzessinnen. Das sagt Papa immer." Das erzählte Charlie? Konnte ich mir kaum vorstellen.
„Dann bin ich wohl doch eine." antwortete Aurelia hinter mir, nun deutlich gelassener und lief auf uns zu.
Meggy beäugte wachsam die Krücken und die Beinschiene von Auri. „Hast du dir da wehgetan?"
Aurelia nickte ernst. „Ja. Ich habe mir beim Sport das Bein ganz doof umgeknickt. Da mussten die Ärzte es ins diesen großen Schuh stecken, damit es heilen kann."
Meggy nickte langsam und verständnisvoll. „Tut es weh?"
Aurelia schüttelte den Kopf lächelnd. „Ein bisschen. Aber dafür hat mir der Doktor ein paar Tabletten gegeben, damit es nicht allzu doll weh tut. Es wird schon wieder."
Jetzt grinste Meggy wieder und sah mich an. Sie sah Charlie wie aus dem Geschicht geschnitten aus. Genau wie ihre drei anderen Geschwister. „Onkel Henry, dann musst du die Prinzessin ja überall hintragen."
Ich stupste ihre Nase spielerisch an, woraufhin sie kicherte. „Na sicher. Ist doch Ehrensache bei einer Prinzessin."
„Dann wirst du ihr Prinz?"
„Nein." sagte Aurelia grinsend. „Henry ist doch mein Ritter. Ich brauche keine Prinzen. Ein Ritter ist viel besser."
„Wieso?"
Aurelia lächelte meine Nichte freundlich an. „Weil sie dich beschützen und kämpfen können. Außerdem haben sie viel bessere Geschichten zu erzählen als ein Prinz, der den ganzen Tag im Schloss bleiben und studieren muss. Ein Ritter kommt viel rum und muss Monster und böse Menschen jagen. Sie sind mutig und tapfer und aufopferungsvoll. Genau wie dein Onkel."
Diese Frau war einfach nur unglaublich.
Meggy sah mich wieder an. „Du bist also ein Ritter?"
Ich zuckte unschuldig mit den Schultern. „Wenn das die Prinzessin sagt, dann wird das schon so sein, Kleines."
Meggy strahlte übers ganze Gesicht und rannte dann urplötzlich in Richtung Küche los. „Onkel Henry ist ein Ritter und wird die Prinzessin heiraten! Er hat sie geküsst, Mama!"
Ich erhob mich, während Aurelia lachte. „Wenn das nicht für Gesprächsstoff sorgen wird."
Ich gab einen brummenden bejahenden Ton von mir und blickte in Richtung Küche. „Die Kleine hat eine unglaubliche Phantasie."
„Gehen wir rein." sagte Aurelia und lief mit mir zusammen durch den Flur in Richtung Küche.
Die Tür war angelehnt, doch die Kulisse an Stimmen war jetzt schon enorm laut. Vor allem das Lachen der Kinder.
„Bereit?" fragte ich und legte eine Hand auf die Tür.
Aurelia lächelte mich mutig an. „Bereit, Cielo." Ich musste unbedingt herausfinden, was dieser Name bedeutete. Ich kannte die Übersetzung zum Wort Himmel, aber verstand ich nicht, warum das in Spanien ein Kosename war. Aber ich würde es schon noch herausfinden.
Meine freie Hand legte sich an die freie Stelle zwischen ihren Schulterblätter. Dann öffnete ich die Tür und mehrere duzend Augen sahen uns entgegen. Alle saßen sie an der langen, langen Esstafel in der großen Küche meiner Eltern. Meine Brüder, deren Frauen, deren Kinder und meine Eltern. Dazu gab es auch noch ein halbesduzend Hunde, die herum liefen. Einer davon rannte auf uns zu.
Kal sprang freudig an mir hoch und begrüßte meine Liebste mit einem freudigen Bell. Als wenn er genau wüsste, dass er in ihrem Zustand nicht an ihr hochspringen dürfte.
Ich sah Aurelia schwer ausatmen. Doch sie lächelte tapfer ... vielleicht sogar mit einer Spur Freude.
„Da ist die Prinzessin!" rief Meggy vom Schoß ihrer Mutter Heather aus.
Jimmy, ihr älterer Bruder, frische zehn geworden, verdrehte die Augen. „Das ist doch keine Prinzessin, Meggy!"
„Doch! Sie ist hübsch! Hübscher als Mama und wer hübsch ist, ist auch eine Prinzessin! Das sagt Papa!"
Heathers Blick, den sie meinem jüngsten Bruder zuwarf, war unbezahlbar und ich kam nicht mehr umhin, mir das Grinsen zu verkneifen.
„Wenn ich allen vorstellen darf, dass ist Aurelia Halle. Schauspielerin, ehemalige Profi-Tennisspielerin und meine Freundin." sagte ich laut, ohne meine Hand von ihrem Rücken zu nehmen.
„Und um die Sache gleich vorwegzunehmen: das war ein Tennisunfall. Nichts anderes. Und ja, mir gehts gut." sagte Aurelia rasch hinterher, woraufhin ich sah, wie meine Mutter breit grinste. Ja, Auri hatte wirklich ihr Herz gestohlen. Etwas unheimlich seltenes bei meiner Mutter.
Ich hörte die Stühle auf den mediterranen Fließenboden Schaben. Alle standen auf und kamen auf uns zu.
Zuerst mein ältester Bruder Niki.
Er schlang Aurelia sogleich in eine liebevolle Umarmung. „Hi. Ich bin Niki. Schön dich kennenzulernen."
Alleine für dieses ehrliche große Lächeln, dass ihm meine Freundin schenkte, spürte ich bereits wieder, wie sich etwas in meiner Hüftgegend tat. Diese Frau erschafft um sich einen Zauber aus Freude, Wärme und Zuneigung, wie ich es selbst zuvor noch nie bei jemandem gesehen hatte.
„Hi, Niki. Ich bin Aurelia."
Mein Bruder grinste sie viel zu breit an. Als er mich dann begrüßte, flüsterte er mir ins Ohr: „Hübsche Wahl, mein lieber Bruder. Ich hoffe, da hat nicht wieder nur dein Schwanz gesprochen."
„Leck mich!" knurrte ich finster zurück.
„Nein, Danke! Den Job überlasse ich lieber deiner Freundin. Ich drücke euch trotzdem die Daumen. Sie scheint wirklich ... erwachsen zu sein, im Gegensatz zu deinen vorherigen Verflossenen."
Er konnte es nicht lassen - und ja, wahrscheinlich hatte ich diese Sprüche auch verdient.
Als Nikis älterster Sohn, Lewis, an der Reihe war, Aurelia zu begrüßen, fielen ihm beinahe die Augen aus. „Du bist Aelin aus Throne of Glas! Fuck, meine Mates, werden mir das nie glauben. Kann ich ein Foto mit dir machen? Ist das okay?"
Ich war erstaunt. Lewis redete nie mehr als fünf Worte an Tag. Er war gerade in der vollen Blüte seiner Pubertät und launisch wie das Aprilwetter.
Doch das wusste Aurelia nicht und lächelte freundlich. „Klar."
Das ließ sich Lewis nicht zwei Mal sagen, zog das Handy raus, was sein Vater nur mit einem schweren Seufzen bekundete, und machte mit Auri mehrer Fotos.
„Kann ich die auf Insta Posten? Ist das okay für dich?"
Auri kicherte. „Kein Ding. Verlink mich aber brav und schick mir mal deine Daten. Dann folge ich dir gerne."
Lewis verlor sämtliche Farbe. „Wow, fuck!"
„Lewis! Wortwahl!" knurrte seine Mutter. Doch Lewis schien es kaum zu interessieren. Er grinste wie ein Honigkuchenpferd.
„Dein Onkel wird ab kommende Staffel Rowan spielen. Weißt du das schon?"
Promt war die Freude aus seinem Gesicht weg. Lewis sah mich an als sei ich ein Außerirdischer. „Du? Ach, du heilige Kacke! Wer ist daran denn schuld?"
„Lewis!" rief nun auch sein Vater.
Aurelia ließ sich davon jedoch nicht abschrecken. Sie lächelte freundlich. „Das dachte ich am Anfang auch. Ausgerechnet Superman wird mein Seelenverwandter werden." Sie warf mir einen frechen Seitenblick zu, während ich Kichern in der Masse hörte. „Aber es hat sich rausgestellt, dass er sehr gut in seiner Rolle aufgeht. Er passt echt gut rein."
Sah Lewis wohl nicht so. Als heranwachsender Mann war ihm wohl alles peinlich, wo einer seiner Verwandten mit drin steckte. Sein Vater und ich teilten uns Platz 1.
„Scheiße, dann kann ich die bald nicht mehr mit den Mates gucken. Kannst du mir nicht eine Serie lassen, wo du nicht mitspielst?" fragte er mich genervt. „Tobeys Freundin ist total verknallt in dich. Dann wird sie uns die ganze Zeit nerven, wenn wir Throne of Glass sehen wollen."
Auri zuckte mit den Schultern. „Dein Onkel ist ja jetzt fest an mich vergeben. Vielleicht hilft das ja das und sie will die Serie nicht mit euch sehen."
Lewis sah sie achselzuckend an. „Muss wohl."
Als Nächstes war Nikis Frau dran, die sich mehrmals bei Aurelia und mir entschuldigte. Lewis wäre riesiger Fan der Serie. Dazu die Pubertät.
Aurelia tat es mir einen sachten Nicken ab.
Nun folgte mein jüngster Bruder Charlie. Natürlich konnte er es nicht lassen, einen Witz über Aurelias Körpergröße zu machen. „Mensch, Henry. Die Kleine kannst du dir ja locker unter den Arm klemmen." sagte er grinsend zu mir.
Aurelia verengte die Augen und mir schwante sofort nichts gutes. „Traust du dir das auch zu mir zu sagen, wenn du dich auf einen Hocker setzt und mir in die Augen siehst?"
Den Blick, den meine Liebste ihn zu warf, hätte einen Waffenschein gebraucht. Das war wohl mit der Grund, warum sie eine gern genommene Schauspielerin war. Sie ließ sich nicht unterkriegen und bekam, was sie wollte.
Charlie machte große Augen und sah mich dann fast schon panisch an. Ich zuckte mit den Schultern. „Ich würde an deiner Stelle aufpassen. Sie kann ziemlich doll zuschlagen."
„Tut mir leid, Klei- Aurelia."
Meine Freundin entspannte sich wieder merklich und setzte ihr höfliches Lächeln auf. „Kein Ding."
Da war sie wieder. Ihre Sonnenschein-Attitüde, die ich so sehr liebte.
Der Rest der Kinder folgte. Meine vier Nichten mochten Aurelia auf Anhieb. Vor allem Meggy kam aus ihren Prinzessinnentraum gar nicht mehr raus.
Meine restlichen sechs Neffen dagegen, hielten sich zurück. Auch wenn der kleine Oliver große verliebte Augen machte. Aber mit seinen fünf Jahren war er noch zu schüchtern.
Alle schienen Aurelia wirklich zu mögen. Vor allem Mom, die Aurelia gleich in eine feste Umarmung nahm und sie nach ihrem Gesundheitszustand fragte. Sie schien sich wirklich Sorgen zu machen. Bei der riesigen Schiene allerdings auch kein Wunder.
Dad fragte ebenfalls nochmal, wie es ihr ging. Und tatsächlich sah ich in Auris Augen für einen kurzen Moment so etwas wie Erschöpfung. Aber nur kurz.
Hatte sie heute Morgen überhaupt ihre Schmerzmittel genommen?
„Setzt Euch, meine Lieben und greift zu. Wir haben für alle etwas dabei." Mit diesen Worten eröffnete Mom den Tisch.
Freundlicherweise hatte man für uns beiden zwei Stühle nebeneinander freigelassen. Ich half Auri, sich zu setzen und legte ihre Krücken an die nächstbeste Wand. Kal nahm zwischen uns Platz und beäugte Aurelia wachsam und beschützend.
Der Blick meiner Freundin ging über den Tisch. Hunger stand deutlich in ihr Gesicht geschrieben.
Es gab alles, was es für ein englisches Frühstück brauchte. Spiegelei. Rührei. Kleine gebratene Würtchen. Bohnen in Tomatensoße. Mit Speck. Auch die Eierkuchen sahen nicht sehr vegan aus.
Und in der Duft von Speck und Würstchen war sicherlich auch nicht allzu prickelnd für Aurelia.
Ich beugte mich zu ihr hinüber. „Gehts?"
Sie verstand sofort, was ich meinte und nickte. Sie griff sie eines der Brötchen und nahm sich die selbstgemachte Konfitüre meiner Mutter. Butter mied sie. Lag wohl an der grinsenden Kuh darauf.
Trotzdem tat sie mir leid. Ihr ging es so schon nicht gut und dann gab es hier die volle Breitseite an tierischen Produkten. Früher hätte ich wohl nie so gedacht, sondern Veganern einfach ihren Schicksal überlassen. Aber inzwischen gab es in meinem Kopf einen Wandel.
Ich selbst nahm mir etwas vom Rührei und schnappte mir zwei dunkle Vollkornbrötchen, die ich mit Käse belegte.
Kaum hatte ich reingebissen, seufzte ich auch schon leise aus. Hier auf dem Land schmeckte einfach alles besser.
„Erzähl mal, Aurelia. Wie hast du unseren Bruder kennengelernt? Am Set, oder?" wollte Simon wissen.
Auri nickte. „Jab. Wir haben uns vor ein paar Wochen beim finalen Vorsprechen zum ersten Mal gesehen. Und seit zwei Wochen drehen wir jetzt zusammen."
„Dann seit ihr seit zwei Wochen erst zusammen?" fragte Simons Frau. Ich konnte genau sehen, wie Aurelias Augen bei dem Wort 'erst' größer wurden.
Doch ich wusste, dass sie auch das klären würde. „Na ja. Sicherlich hätten wir es auch gerne noch eine Weile für uns behalten, aber die Presse ist schneller als Schall und mit den neusten Drohnen und Co. werden Bilder vom Dreh schneller gemacht, als einem lieb wäre. Und da ich nicht zu den Menschen gehöre, die gerne Versteckspiele spielen und ihre Zuneigung für einen anderen Menschen im Verborgenen halten, haben wir uns dafür entschieden, es öffentliche zu machen, ehe die Presse davon erfährt."
„Das zwischen uns hätte wahrscheinlich auch noch mal wesentlich länger gebraucht, wäre Aurelias Unfall nicht gewesen." verteidigte ich diese schnelle Ankündigung zwischen uns beiden.
Aurelia sah mich mit einem milden Lächeln an. „Ja. Aber Henry konnte mich mit seinen Pflegerfähigkeiten absolut überzeugen. Da war's um mich gesehen."
Damit schien sich Cynthia zufrieden zu geben.
Mit kauendem Mund mischte sich Charlie wieder ein. „Und der Unfall ist wirklich beim Tennis passiert? Keine ... falsche Bewegung bei was anderem?"
Ich verdrehte die Augen. Das war mir so klar, dass mindestens ein dummer Sex-Witz auf Kosten ihrer Beinschiene kommen musste. Doch auch hier übernahm Aurelia ihre Verteidung selbst. Sie grinste angriffslustig meinen Bruder an. „Der Unfall ist während eines Spiels mit dem Freund meiner Eltern passiert."
„Deine Eltern sind auch beim Tennis dabei?" fragte Nikis Frau.
„Ja. Ihnen gehört der größte private Tennisplatz in Madrid. Sie haben sich über die Jahre einen guten Namen gemacht, sodass schon viele wirklich große Tennisstars bei uns waren."
„Auch Alexander Zverv?" fragte Simons älteste Tochter Leyla, die gerade frisch zwölf geworden war, schüchtern nach.
„Absolut. Hin und wieder kommt Sascha mit seinem Bruder bei uns spielen. Aber inzwischen hat er mich beim Tennis um Meilen übergeholt. Er hat es wirklich verdient, so weit oben in der Weltrangliste zu stehen."
„Und er ist süß." gestand Leyla grinsend. So viel Mut hätte ich ihr gar nicht zugetraut.
Aurelia erwiderte dazu nichts und lächelte nur nett. Ich musste diesen Typen dringend mal googeln. Es schien ja, als würde ihn die halbe Welt kennen.
„Und Roger Federer?" fragte Niki. Ich war erstaunt, wie viele Angehörige meiner Familie sich mit Tennis auskannten.
„Mit dem hatte ich diesen Unfall erlebt. Ich war nicht wendig und schnell genug und bin umgeknickt. Zack. Bänderriss."
Die Hälfte der Personen am Tisch verzog schmerzhaft das Gesicht, während mein ältester Bruder nicht schlecht staunte.
„Und Nadal? Hast du auch schon mal mit ihm die Ehre gehabt?" fragte Niki erneut.
Ha! Aurelias kleines Geheimnis. Vielleicht würde sie jetzt mehr sagen.
Sie wusste kaum recht, was sie sagen sollte. Also lächelte sie charmant auf. „Ich kenne ihn, ja. Ich durfte auch schon ihm und meinem Bruder beim Spielen zusehen."
„Und? Wie ist er so? Der ist doch auch so ein Geschichtsträchtiger Sportler."
Aurelia sagte gar nichts mehr. Stattdessen presste sie fest die Lippen zusammen und macht ein leises hmm-mhm.
Also würde sie auch bei meiner Familie nicht mehr sagen. Verdammt.
Es folgten weitere Fragen rund um Tennis, Aurelias Eltern und ihren Bruder, bis Mom Kaffee und Tee einschenkte.
Es schien so als hätte meine Familie sie bereits innerhalb weniger Sekunden ins Herz geschlossen. Vor allem aber Meggy, die Aurelia die ganze Zeit aus glänzenden Augen betrachtete. Ihre Prinzessin.
War sie ja auch. Irgendwie. Aelin war ja eine.
Das Frühstück hatten wir mit Bravour bestanden und nachdem alle noch beim Abräumen halfen, beschloss ich, Aurelia eine Pause von dem wilden Durcheinander zu gönnen.
Ich wusste, dass es viel für sie war, auch wenn sie es sich nicht ansehen ließ. Doch immer wieder entdeckte ich einen müden verstohlenen Blick zu mir.
Ich half Mom noch dabei, alles Geschirr im Geschirrspüler unterzubringen. Mom wirkte dabei ernst. Als sie die Klappe zur Maschine schloss, atmete sie schwer aus.
Wir waren inzwischen alleine in der Küche. Alle hatten sich ins große Wohnzimmer verkrümelt.
„Ich glaube, deine Kleine braucht dich mehr, als du gerade glaubst." sagte sie und sah mit mir gemeinsam aus der zweiten Tür, die von der Küche ins Wohnzimmer führte und uns einen Blick auf das große Sofa schenkte, auf dem Aurelia mit Meggy und ihrem kleinen Bruder saß und geduldig dem Kleinen zuhörte.
Ich seufzte. „Ich weiß. Sie braucht eine Pause. Ich versuche sie gleich mal frei zu bekommen."
Mom schüttelte den Kopf. „Das mein ich nicht, mein Sohn." sagte meine Mutter sanft. „Ich sehe ihr an, wie sehr sie dich mag. Wie schnell ihr Herz schlägt, wenn sich eure Blicke treffen. Sie ist tapfer, mutig und kann bestens auf sich selbst aufpassen. Sie ist eine gestandene Frau, die weiß, was sie im Leben will."
Ich lächelte stolz. „Das ist sie."
Sanft legte mir Mom eine Hand auf den Oberarm. „Aber ich merke, dass sie all diese Kraft gerade von dir tankt. Ich sehe ihr an, wie sie kämpft. Mit dem Druck hier. Mit dem Druck der Presse. Das sie hier so entspannt sitzt, verdankt sie dir. Sie ist ein wirklich tolles Mädchen, Henry, und sie tut dir so gut, wie keine Frau bisher. Bitte tu ihr und dir selbst den Gefallen und kämpfe um das, was ihr gerade Euch aufbaut."
Mein Blick wurde trübe. „Mom..."
„Ich weiß, wie schwer dieses Leben für dich ist, dass du dir ausgesucht hast, auch wenn es so oft nur die Sonnenseiten zeigt. Und ich habe es immer respektiert, wenn du eine neue Frau hierher gebracht hast und uns nach kurzer Zeit mitgeteilt hast, dass es wieder nicht gereicht hat. Ich habe sogar dieses junge Ding akzeptiert, worüber alle mit vorgehaltener Hand getuschelt haben.
Aber diese Frau dort trüben; lass sie nicht wieder gehen, Henry. Auch wenn die Zeiten mal schwerer werden und es schwierig wird. In der Liebe gibt es nicht immer diese eine gerade Strecke mit Sonnenschein und Vogelgesang. Manchmal liegen Tonnenschwere Steine auf dem Weg. Manchmal gibt es Regenwolken und manchmal zieht auch ein Sturm auf. Aber ihr werdet nie alleine diesen Weg gehen. Ihr habt immer einander."
Die Worte meiner Mutter trafen mich vollkommen unvorbereitet. Sie hatte nie zuvor so mit mir geredet.
Ich konnte nicht anders als, sie in den Arm zu nehmen und ihr einen Kuss auf die Wange zu drücken.
„Ich liebe dich, Henry. Du hast es so verdient, glücklich zu sein."
Wir ließen einander wieder los und ich spürte aus der Ferne Auris liebevollen Blick auf mir, bevor sie Meggy wieder zuhörte und eifrig nickte.
„Danke, Mom. Für alles."
Meine Mutter streichelte gerührt meine Wange, ehe sie mich losließ und den Geschirrspüler einschaltete. „Und jetzt gönnt euch mal eine Pause, bevor es Mittag gibt. Das wird wohl eure letzte Gelegenheit sein, durchzuatmen, bevor deine Nichten und Neffen wirklich begreifen, dass ihr beiden hier seid und mit euch spielen wollen."
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