Kapitel 11 - Die Stunde des Henry Cavills

Aurelia

Ich sah Henrys Gesicht über mir. Es war schmerzlich verzogen als er nach meinen Körper tastete, um ihn festzuhalten. „Auri. Auri, sieh mich an. Es wird alles gut. Es wird alles gut." hörte ich Henry sagen.

Mir liefen die Tränen übers Gesicht. „Mein Bein tut so weh, Henry."

Für ein kurzen Moment sah der Superman-Schauspieler zu meinem Fuß herab, den Roger gerade untersuchte.

So höllisch wie mein Bein brannte und schmerzte war mir fast schon klar, dass es sich nicht um einen einfach umgeknickten Knöchel handelte.

„Das ist ein Bänderriss. Wir müssen sie ins Krankenhaus schaffen. Der Knöchel wird bereits dick. Sie braucht dringend etwas gegen die Schmerzen."

Scheiße. Scheiße. Scheiße!

Das war das aller aller letzte was ich wollte.

Ich verlor nun jeden Anstand. Der Schmerz war so übermächtig, dass ich das Weinen nicht mehr zurückhielt.

Ich wollte nur noch nach Hause. Zu meinen Eltern. Ich wollte in eine Umarmung meiner Mutter. Ich wollte, dass mir Papa mir sagt, dass alles gut werden würde. Dass ich nicht gerade dran war, den Dreh zu ruinieren.

Ich wollte Leckermäulchen neben mir, der beruhigend auf meinem Bauch schnurrte.

„Ich lauf schnell ins Haus und besorge ein paar Kompressen. Kannst du Reli schon mal zu meinem Auto bringen? Wir fahren sie gleich in die Notaufnahme." sagte Roger und ließ meinen Knöchel los.

Nein! Keine Notaufnahme! Das musste so gehen! Das musste es einfach!

Ich hörte wie mein ältester Freund loslief. Zeitgleich packten mich feste Arme und hoben mich hoch.

Ich sah kaum mehr etwas durch den dichten Tränenschleier.

Henry drückte mich an seine Brust wie ein Kleinkind.

„Ich bin bei dir, Auri. Jede Sekunde. Es wird alles gut werden. Du musst das nicht alleine durchstehen. Ich bin bei dir."

War es nicht genau das, was ich hören und fühlen wollte? Jemand, der für mich da war? Der mich in eine Umarmung zog und mir sagte, es wird alles gut werden?

„Geht das so mit deinem Fuß?" fragte er, doch ich schlang nur die Arme fest um seinen Hals als wäre er der rettende Anker. Ich wollte ihn nie wieder loslassen. Heut nicht. Morgen nicht.

Gott, ich war so eine Hexe ihm gegenüber gewesen.

„Ganz ruhig. Ich bin da." säuselte er zu mir herab und lief langsam los.

Allmählich wusste ich gar nicht mehr wieso ich weinte. Ob es der Schmerz war. Ob es die Schuldgefühle waren oder einfach weil ich endlich erkannt hatte, was Henry wirklich für mich war.

Er war kein Freund für mich. Auch nicht irgendein Experiment, das mich ständig ins Träumen brachte.

Ich hatte mich in ihn verliebt. Seit der ersten Sekunde. Seit er meinen Hals geküsst hatte. Und ich habe ihn gemieden und habe gesagt, dass Superman doof sei. Dabei war er immer da gewesen. Von Sekunde eins an, wann ich ihn gebraucht hatte.

Ich merkte kaum, wie Roger wieder auftauchte und auch nicht, wie er mir eine kalte Kompresse aufs Bein legte.

„Wir gehen zu meinem Wagen. Setz dich mit ihr hinten rein und kühl das Bein weiter. Der Weg wird nicht lang sein."

Die Sicht vor meinen Augen verschwamm immer weiter. Ich hörte zwar noch wie Henry und auch Roger lieb gemeinte Worte zu mir sagten, aber all das hatte überhaupt keine Bedeutung mehr für mich.

Mir tat so unheimlich doll das Bein weh, dass ich schreien wollte.

Ich hörte wie Autotüren geöffnet wurden und wie Henry mit mir in seinen Armen einstieg.

Der Rest verlief wie in Trance.

*

Ich hasste Notaufnahmen. Ich hasste sie wirklich. Als ehemalige Sportlehrerin war ich immer mal wieder in eine gekommen. Verstauchtes Gelenk, starke Blutergüsse oder eben jetzt ein Bänderriss.

Jedes Mal fühlte ich mich wie im Schlachtehaus. Fünf Ärzte hatten mich immer und immer wieder untersucht und sich gegenseitig die unterschiedlichsten Heilmethoden zugerufen. Und ich wollte einfach nur noch in mein Bett.

Ich hatte noch mitbekommen, wie Henry sich lautstark dafür einsetzen wollte, mit in die Notaufnahme zu dürfen - sogar sein Promibonus hatte er spielen lassen - aber der Oberarzt der Notfallaufnahme, warf ihn und Roger hochkant raus.

Ich wusste gar nicht mehr richtig, wo die beiden inzwischen waren.

Irgendwann kamen mir Minuten wie Stunden vor. Erst als der letzte Arzt zu mir kam, schien es endlich mal voran zu gehen.

„Es tut uns Leid, Ms Halle. Wenn Sie nichts dagegen haben, würden wir Sie gerne diese Nacht bei uns im Krankenhaus lassen. Wir würden den Bluterguss an ihrem Sprunggelenk gerne weiter beobachten."

Sofort gingen all meine Sirenen im Kopf an. Ich schüttelte meinen Kopf. „Auf keinen Fall. Ich muss morgen wieder am Set stehen. Die Produktion kann mich keinen Tag rauslassen."

Der Arzt verzog mitfühlend das Gesicht. „Ich glaube wirklich, dass es besser ist, wenn Sie"

„Nein." fiel ich ihn ins Wort und wäre von der Liege am liebsten wieder aufgesprungen. Obwohl die Tränen ungehindert weiter über mein Gesicht flossen, gebe ich mich kämpferisch. „Gebe Sie mir die Papiere, die ich unterschreiben soll, damit ich auf eigenes Risiko gehen kann, nur lassen Sie mich bitte gehen."

Auf keinen Fall würde die Produktion meinetwegen zum Stillstand kommen. Ich wusste was ein Aufalltag kostete und ich würde nicht daran Schuld sein!

Der Arzt dreht sich herum, zu seinen Schreibtisch. „Wie Sie meinen."

In den nächsten zweieinhalb Stunden wurde mein Bein mit Kompressen gekühlt, ehe es in eine Schiene gelegt wurde. Immerhin war ich dankbar nicht optiert werden zu müssen. Doch das Gefühl, durch eine so dumme Bewegung durch ein einfaches Training nicht nur meinen Lieblingssport im schlimmsten Fall aufgeben zu müssen, sondern auch meine Arbeit als Schauspieler machte mich nur wütend auf mich selbst.

Gegen die Schmerzen gab man mir einige Schmerzmittel mit und injektierte mich auch gleich einige davon durch die Vene. Es folgten auch noch zwei Beruhigungsmittel. Obwohl ich nun mein gerissenen Bänderriss kaum mehr spürte, wollten die Tränen einfach nicht vergehen.

Ich sah immer im Fernsehen wie die Leute benommen von Schmerzmitteln auf Höhenflügen unterwegs waren. Doch mein Kopf blieb auch weiterhin klar. Leider.

Mit der Beinschiene und Krücken ausgestattet, ließ man mich endlich aus der Notausnahme gehen. Ich war bereits dran, mit meinem Handy das nächste Taxiunternehmen herauszusuchen, als ich im Eingangsbereich des Krankenhauses Henry sitzen sah.

Mein Herz machte einen riesigen Sprung. Er hatte auf mich gewartet. Nein. Nicht nur das. Er hatte sich in all den Stunden, in denen ich behandelt wurde, hier gewartet. Obwohl er nicht wusste, ob ich hier bleiben würde oder nach Hause durfte.

Ich weiß nicht, ob es an den Schmerzmitteln lag oder an seinem weichen Gesichtsausdruck. Mich erfasste bei seinem Anblick plötzlich solche großen Schuldgefühle, dass mich ihr Gewicht fast in die Knie gezwungen hätte.

Ich war so gemein zu ihm gewesen ... Ich hatte so viel schlimmes über seine Rolle als Superman gesagt. Gerade am Anfang.

Kaum hatte er mich erkannt, stand er auch schon auf und lief auf mich zu.

Und ich? Ich finsterer Dämon aus der Hölle? Ich humpelte schniefend auf ihn zu und ließ mich von ihn in die Arme nehmen. Ohne mich zu entschuldigen. Ohne ein Wort der Reue zu verlieren.

Starke große Arme schlangen sich um meinen Körper und drückten mich an seine warme starke Brust. Ich konnte seinen Herzschlag unter dem grauen T-Shirt spüren. Und wieder war da sein unheimlich anziehender Geruch, den ich nur noch in mich hinein inhalierte als würde mich jeder Atmenzug am Leben halten.

Sanft strich er mir über das Haar und den Rücken, legte seine Wange an mein Haar. „Roger musste schon los. Aber er wird dich noch anrufen und er wünscht dir gute Besserung. Ich habe mit Carmen geredet. Sie weiß Bescheid." murmelte er in mein Haar. Noch bevor mir das Herz bei diesen Worten stehen bleiben konnte, fügte er eilig hinzu: „Es ist alles in Ordnung. Das ganze Team wünscht dir beste Genesung und Carmen hat explizit sagt, dass du dir keine Gedanken machen sollst. Wir können deine Szenen nach hinten schieben und deine Schiene wird auch kein Problem sein zu kaschieren. Mach dir darum keine Sorgen.
Alles was jetzt nur noch zählt ist, dass es dir schnell wieder besser geht, Auri."

Dieser verdammt dicke Kloß wollte einfach nicht aus meinem Hals verschwinden, nachdem er sich auf Henrys Worte hin gebildet hatte. Ich ließ mich immer weiter an ihn heranziehen, spürte wie er mir einen sanften Kuss auf die Stirn drückte und mir all seine Sicherheit und Geborgenheit schenkte, die er nur für mich aufbringen konnte.

Ich wollte mich entschuldigen. Für mein Verhalten. Für mich selbst. Sogar für meinen Unfall, wegen dem er nicht zurück ans Set konnte. Nicht zurück zu Kal, der die ganze Zeit bei Chris war. Aber alles, was aus meinen Mund als wilde verschniefte Wortfetzen herauskamen und die wohl eines Untertitel bedürften, tat mein großer Bär nur mit einen müden Lächeln ab und streichelte mich wieder und wieder. Mitten im Wartebereich des Krankenhauses.

Aber es war mir alles egal. Auch wenn vielleicht einige der Wartenden hier, uns erkannt hatten, zählte für mich jetzt nur noch das Jetzt und Hier.

Irgendwie bekam ich es nach gefühlten Stunden dann endlich hin, mich ein Stück von ihm zu lösen und ihn anzusehen.

Er sah müde aus. Und mitgenommen. Doch er lächelte und ließ mein kleines Herz damit schneller schlagen. „Danke, Henry."

Er ließ mich für einen kurzen Moment los, um sich gleich danach zu mir zu stellen. „Kein Problem, Auri. Alles kein Problem."

Und ob es das war! Doch darüber wollte ich jetzt ausnahmsweise mal nicht nachdenken.

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