52 Nur Freunde?

Knapp einen Monat, nachdem Akira uns verlassen hat, lande ich mit dem gestohlenen Greif vor den Toren des Palastes. Akira wurde vor ungefähr eine Woche zuvor zum König gekrönt und nach einem ausführlichen Gespräch mit seinen Beratern, haben wir die Einladung für eine Verhandlung über ein Friedensabkommen erhalten. Das Schauspiel läuft, wie geplant, über die Bühne und bereits nach einer Woche Aufenthalt und zahlreichen, hitzigen Diskussionen, war der feeische Hofstaat mit der Hochzeit einverstanden. Schließlich würde auch das Volk der Feen mit der Retterin an seiner Seite an Macht und Sicherheit gewinnen. Für die Verkündung der frohen Botschaft wurde sogar ein prunkvoller Ball abgehalten.

„Fräulein Evans, der König lässt euch Kammerzofen und Kleider schicken", ertönt die Stimme eines alten Freundes in der Tür meines Gemaches.

„Danke, Ailwyn. Lass sie eintreten." Der König? Daran werde ich mich wohl nie gewöhnen.

Erhaben schreiten die Feen, die Hände voller feinster Seide, in das große Zimmer ein. Sobald meine Leibwache sich zurück vor die Tür begeben hat, fangen sie an um mich herumzuwuseln.

Meine Haare werden gelockt, gestriegelt und säuberlich hochgesteckt. Allein für die Frisur brauchen die fleißigen Bienchen bestimmt eineinhalb Stunden. Während ich abwartend auf dem, aus dem Boden gewachsenen Stuhl sitze, driften meine Gedanken ab. Erneut finde ich mich in meinem Gedankenlabyrinth wieder. Ich bin so aufgeregt, dass ich förmlich durch seine langen Gänge und Windungen hindurch renne. Ein Wechselbad der Gefühle bringt mein Herz zum Klopfen. Wüsste ich es nicht besser, würde ich vermuten, ich habe gerade einen kleinen Herzinfarkt, doch das ist nur die Nervosität. Meine Handinnenflächen sind ganz schwitzig und in meinem Margen rumort es so heftig, dass ich glaube, mich gleich übergeben zu müssen. Das nennt man dann wohl die typische Panik vor der Hochzeit. Aber ich bin erst 17 Jahre alt und heirate meinen verdammten besten Freund. In einer kitschigen Liebesschnulze wäre das wohl ein Beweis für meine unendliche Liebe, doch das hier ist kein Ehegelübde, in dem ich meine große Liebe auch als meinen besten Freund betitele.

„Reichst du mir bitte die Perlen?", fragt das eine Mädchen das andere. Vorsichtig, als hielte sie einen Schatz in den Händen, wahrscheinlich ist dem auch so, reicht die meiner Friseurin eine Perle nach der anderen. Vorsichtig dreht sie sie glänzenden Kugeln in meine aufwendig hochgesteckten, weißblonden Haare. So schön haben sie noch nie ausgesehen. Das Kleid, in welches sie mich hinein quetschen, war oben weiß und verlief in eine dunkles, tiefes Blutrot, das mein Schlappe hinter mit herzieht. Über all, bis hin zu dem Schneeweißen Dekolte, verläuft in goldenen, filigranen Mustern, versteckt das Königswappen über das Hochzeitskleid - ein prachtvoller Kopf eines Greifes.

An der Seite von Ailwyn schreite ich durch die Gänge des Palastes, den ich vor knapp vier Monaten noch so fürchtete. Vier Monate sind vergangen, seit ich aus meiner Welt, meinem Zuhause, geflohen bin und hier Schutz suchte. So viel ist hier passiert und wer weiß, was währenddessen in der Menschenwelt geschehen ist. Die Polizei hat den Großteil der Suche nach mir bestimmt schon aufgegeben. Vier ganze Monate haben sie nicht das kleinste Lebenszeichen von mir erhalten. Sie müssen davon ausgehen, dass ich tot bin. Doch Madi und Kathrin sind bestimmt noch immer am Boden zerstört, hoffen verzweifelt auf ein Zeichen. Ich sehe sie vor mir, wie Madi sich nicht mehr um ihr schönes Haar kümmert, das sie sonst so liebevoll pflegt. Kathrin, mit tiefen Augenringen, versinkt in einem Haufen an Arbeit, die sie nicht bewältigen kann, denn die Trauer ist zu viel des Guten. Maße ich mir zu viel an? Nein, ich sorge mich. Ich überlasse sie dem armseligen Schicksal einer für's Leben gezeichneten Familie. Auf ewig traumatisiert von dem Verschwinden ihrer Tochter, ihrer Schwester, ihrer Freundin.

„Fräulein Evans, geht es ihnen gut?", fragt mich mein Begleiter in seinem, wie üblich, höflichen Tonfall.

„Ja, alles ist in Ordnung. Das ist nur die typische Panik einer Braut", beruhige ich den Wachmann. Ich möchte schreien, wegrennen. Meine Füße tragen mich mechanisch durch die Gänge des Palastes.

„Keiner gewöhnlichen Braut", höre ich es neben mir nuscheln.

„Was?"

„Entschuldigt. Ich sagte nur, dass ihr keine gewöhnliche Braut seid, Fräulein Evans", wiederholt Ailwyn seine Worte weitaus sicherer.

„Nein, das bin ich wohl nicht. Aber wie soll ich auch die Heldin eurer Welt sein, wenn ich stinknormal bin?", scherze ich, um mich ein wenig von der bevorstehenden Hochzeit abzulenken. Dabei kommen wir gerade vor der Tür des linken Tür des Thronsaals zum Stehen.

„Das meinte ich nicht", erwidert Ailwyn noch schnell, bevor sich die Tore öffnen und die Zeremonie beginnt.

Verwirrt werfe ich einen letzten Blick zu Ailwyn, bevor ich schwer atmend einen Fuß vor den anderen Setze. Aus dem Augenwinkel erkenne ich, wie Akira auf der anderen Seite des Saals, zu meiner Rechten, das gleiche tut. So anmutig, wie es mir möglich ist, schreite ich den Weg, zwischen all den Beobachtern entlang und biege ab, als ich am Thron vorbeigelaufen bin. Direkt vor dem riesigen Podest, über dem der Sitz des Königs schwebt, treffen Akira und ich uns.

Sein Anzug ist in den gleichen Farben und Verzierungen gehalten, um unsere Zugehörigkeit darzustellen.

Den Traditionen der Waldbewohner entsprechend überreicht Egbert uns einen Samen, welchen wir als Zeichen für das Gedeihen unserer Verbundenheit gemeinsam in einen mit Erde gefüllten Topf pflanzen. Ganz die unromantische Art und Weise der Feen, bringt Ailwyn einen Vertrag vor, den wir beide unterschreiben müssen.

Akira setzt zuerst seine Unterschrift auf das lange Stück Pergament, bevor er mir den Stift überreicht, damit ich es ihm gleichtun kann.

Nach außen hin, darf ich nicht zögern, doch innerlich schreie ich bis in den Himmel hinauf, um mich für meine Entscheidungen zu verfluchen. Unsere Schicksale sind besiegelt. Wir sind unser Zuhause, Luna. Denk daran, er ist dein Zuhause. Wir verbeugen uns voreinander, als ein Zeichen unseres tiefen Respektes. Als ich mich aufrichte, rutscht mir das Herz in die Hose. Ob sie wohl einen Kuss erwarten? Ich bin mir unsicher.

Doch Akira erledigt das für mich. Zielbewusst tritt er einen Schritt auf mich zu und lässt seine Hand in meinen Nacken fahren. Vorsichtig zieht er mich an sich heran, bis unsere Gesichter sich ganz nahe kommen. Kurz bevor sich unsere Lippen berühren hält er inne.

Unsere Blicke treffen sich, doch deuten kann ich den seinen nicht. Der Augenblick dauert eine kleine Ewigkeit. Eine schöne Ewigkeit.

Langsam schließt er die Lücke zwischen uns ich schließe die Augen. Der Kuss ist intensiv und Nerven aufreibend. Ohne wirklich zu wissen, was ich da tue, gebe ich mich doch tatsächlich der Leidenschaft hin, die in meinem Blut pulsiert und in meinem Bauch ein Feuerwerk entfacht. Kurz bin ich überrascht, als Akira sich schwer atmend von mir löst und zurücktritt.

„Ich präsentiere, König Akira Justinus Lucianus und seine Gemahlin Luna Evans!", ruft Ailwyn der Masse zu. Alle beginnen zu jubeln und zu feiern.

Ich aber schaue verwirrt zu meinem besten Freund herüber. So sollte ich nicht fühlen, wenn ich in seiner Nähe bin. Wir sind nur Freunde, oder?

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