43 Die Echte Wahrheit
Nach ein paar anderen, verlasse ich ebenfalls den Konferenzraum. Aufgrund Akiras Vorschlag, den Feenkönig zu ermorden, herrschte ein riesiger Tumult. Manche sahen darin, genauso wie Akira, die einzige Möglichkeit. Andere wiederum begannen an seinen Absichten und seinem Gewissen zu zweifeln oder beleidigten ihn als ehrenlos. Nicht ganz reinen Gewissens, gebe ich zu, auch ich stimmte für Akiras Vorschlag. Sicher, dass mich meine Entscheidung einholen würde, wenn es so weit käme, durchquere ich schnellen Schritts den breiten Gang der Bibliothek.
„Luna." Akira heftet sich an meine Versen und marschiert neben mir über den langen Gang. „Kann ich dich noch einmal sprechen?" Noch während seiner Frage zieht er mich am Oberarm sacht in einen der endlosen, von Büchern eingerahmten, Flure.
Direkt fällt mir auf, wie ein paar neugierige kleine Elfen und während ihrer Arbeit beobachten. Wie jede normale Person, langweilen auch sie sich mal in ihrem Job und hoffen auf Abwechslung. Natürlich hadere ich zuerst. Doch auf diese unschöne Weise mit ihm auseinander zu gehen, würde mir mein Leben lang nachhängen. Abgesehen davon, bin ich nach dem langen Tag viel zu müde, um mich wieder mit ihm zu streiten oder ihn abzuschütteln. Begleitet von einem aufgeregten Kribbeln in der Brust, nicke ich ihm zu. „Lass uns nach oben gehen", schlage ich vor und deute mit meinem Blick auf die kleinen Spione über unseren Köpfen.
„Gute Idee...", murmelt er etwas in die Länge gezogen und mehr zu sich selbst, als zu mir, während ich mich bereits in Bewegung setze. Zügig latschen wir die hölzerne Wendeltreppe hinauf, um uns die erwünschte Privatsphäre zu verschaffen. „Hier wohnst du?" Neugierig durchquert er das kleine Zimmer, zieht kurz die Lianen beiseite, um einen Blick auf den Balkon zu werfen. Dann, selbstbewusst, wie eh und je, lässt er sich einfach auf mein Bett fallen.
Um ihm zu bedeuten, wie ernst ich es meine, setze ich mich auf den kleinen Hocker, aka Baumstumpf, gegenüber von dem Bett hin. „Du wolltest reden. Dann rede", fordere ich ihn auf, sodass er sich auf die Kante des Bettgestells setzt.
„Ja", antwortet er. Sein Blick schweift herum, gleitet über meinen Körper und mein Gesicht. „Ich dachte, du hättest es verdient wenigstens so viel zu erfahren, wie du willst. Nach allem, was ich getan habe, gehe ich nicht davon aus, dass du mir glaubst... Aber wenn du es möchtest, kannst du mich mit all den Fragen löchern, die dir auf dem Herzen liegen." Nervös, oder vorgespielt nervös, ich weiß es nicht, knetet er seine Hände durch, worauf sie sich weiß und rot flecken. „Trotzdem würde ich gerne zuerst etwas erzählen. Vielleicht hilft es dir, mir wenigstens ein paar der Worte aus meinem Mund zu glauben."
Analysierend bringt die Beschreibung meiner Haltung, Akira gegenüber, auf den Punkt. Ich analysiere seine Worte, prüfe die Echtheit, mustere jedes Zucke, jeden Atemzug, der schneller geht, als der Vorherige. „Na, gut. Ich werde dir zuhören", gebe ich ihm Bescheid. Er beginnt zu reden und im gleichen Augenblick erleide ich wohl einen kleinen Herzinfarkt. Ich bin so aufgeregt, die Suppe meiner Gefühle ist nicht mehr zu trennen.
„Mein Vater und ich, unsere Vergangenheit ist nicht in eine kurze Geschichte zusammenzufassen. Über die Jahre ist so viel Geschehen und jedes Ereignis ritt uns durch eine Welle anderer Gefühle in eine tief schürfende Feindschaft. Cyrus war schon immer streng und äußerst... durchsetzungsfähig. Als ich sieben war, starb meine Mutter. Attentäter drangen in ihre Gemächer ein und enthaupteten sie. Ich bin bis heute der einzige Zeuge. Nachdem sie fort war, nahm mein Vater die Aufgabe auf sich, mich vernünftig zu erziehen" erzählte Akira. Beinahe spuckte er die letzten Worte vor uns auf den Boden.
Einer ‚vernünftige' Erziehung a la König Cyrus also. Ich sehe, wie der Schmerz durch die von Sternen beleuchteten Sommerhimmel huscht und sie beinahe wie helle Seen aussehen lässt. Trotz der offensichtlichen Trauer, der Verletztheit, trotz des Bloßlegens seiner Seele, frage ich mich, ist sie echt?
„Er trainierte mich, lehrte mich die Gepflogenheiten der Menschen und schickte mich in deine Welt. Der König wusste, du würdest kommen und sah einen Vorteil darin, den Hofe zu euch zu bringen, wenn er euch nicht zu sich bringen kann." Sein intensiver Blick bohrte sich in meine Augen.
Ich kann ein Schlucken nicht unterdrücken. Die Enttäuschung, welche sich in mir breit macht, drückt sofort auf meine Tränendrüsen. Krampfhaft versuche ich stark zu bleiben. Immerhin vertraue ich Akira noch immer nicht ganz und möchte mich nicht schwächer vor ihm zeigen, als nötig.
„Sein Plan war es eigentlich dich in seine durchgeknallten Machenschaften einzuweihen und zu verwickeln. Ich habe mich quergestellt, habe damals nicht verstanden, warum er Unschuldige belügen würde. Wir haben uns recht schnell angefreundet, du und ich. Ab da an war mir klar, auf wessen Seite ich stehen möchte...", er sucht meinen Blick, den ich so gekonnt abwende, wie schon etliche Male zuvor.
Natürlich weiß ich, dass er auf mich hinaus will. Aber meint er mich wirklich?
„Es ist deine Luna."
Ich schaue auf, unmittelbar in seine leuchtenden Augen - eine Sternschnuppe scheint wie ein Hoffnungsschimmer von den blauen Himmeln zu fallen. Mit zusammengepressten Lippen versuche in den schmerzhaft drückenden Kloß in meiner Kehle hinunter zu schlucken. Würde ich jetzt reden, brächen alle Dämme. Deshalb nicke ich nur mechanisch.
„Bitte versteh, dass es nie mein Plan war, dein Vertrauen zu missbrauchen. Auch wenn ich wusste, der Tag würde irgendwann kommen, hatte ich Angst, es dir zu beichten. Ich fürchtete deine Missgunst und den Verlust dessen, was wir hatten seit wir Kinder waren. Du warst meine Vertraue und meine Freundin. Je länger ich schwieg, desto umfangreicher und erdrückender wurde die Lüge. Ich bin feige und egozentrisch aber bitte, bitte verstoß mich nicht", bettelt er förmlich, seine Hände betend ineinander gefaltet.
„Was-"
„Nein, ich weiß, was du fragen willst. Wir hatten kaum Zeit und ehe ich dir erklären konnte, wer ich bin, hatten dich bereits die Wachen mit sich genommen. Ich wollte dich kein zweites Mal belügen, doch dieses Mal sah ich keinen anderem Ausweg. Du wolltest, genauso wie ich, aus dem Palast fliehen. So habe ich dir nicht nur die Gelegenheit, sondern auch die nötige Motivation verschafft."
Kaum zu glauben, was da gerade aus seinem Mund kam. Die nötige Motivation verschafft? „Du hättest mit mir reden können, wir wären gemeinsam geflohen, hättest du es wirklich gewollt."
„Glaube mir, wenn ich dir sage, dass es nicht im Rahmen des Möglichen lag."
„Dir glauben?", spotte ich laut über seine dämliche Aussage.
„Wie hätte ich dir sagen sollen, was los ist, wenn du deine Gedanken nicht für sich behalten kannst?", verteidigt Akira seinen Standpunkt und erhebt sich ebenfalls. „Sie können Gedanken lesen. Einen Blick in deine Augen und sie sehen deine Gefühle, deine Erinnerungen."
Er hat Recht. Verdattert starre ich ihm entgegen. Es dauert eine Weile, bis die Realität zu mir durchsickert. Im Hintergrund höre ich, wie Akira weiter auf mich einbrabbelt, doch verstehen tue ich kein Wort. Habe ich mich geirrt? Er hat mir definitiv etwas verschwiegen aber macht ihn das auch zu meinem Feind? Er ist der Sohn von König Cyrus, doch wenn ich seinen Worten Glauben schenken kann, dann hasst er seinen Vater sogar. Welcher Sohn würde schon einen Attentat auf seinen Vater vorschlagen, wenn er ihn liebte? Andererseits: Das könnte eine Falle sein. Vielleicht will er uns nur in den Palast locken. Doch würden die Ratsmitglieder ihn dann Willkommen heißen. Einige von denen sind immerhin uralt. Vor allem Hikaru. Er wusste von Anfang an, wer Akira ist und vertraut ihm dennoch.
Da ich viel Wert auf Hikarus und Egberts Urteilsvermögen lege, ziehe ich das Fazit, Akira ist nicht mein Feind. So ändert sich zwar nicht die Tatsache, dass er mich belog, doch der Anlass der Lüge ist ein komplett anderer. Es ginge nicht mehr darum, mich aus dem Grund düsterer Machenschaften heraus hinters Licht zu führen, sondern um einen Freund, der Angst vor meiner Reaktion hatte. Wie hätte ihr auch ein Kind so eine durchdachte Lüge auf die Nase binden können? Sein ganzes Leben seit dem achten Lebensjahr zu einem riesigen Schauspiel zu machen... das traue ich nicht einmal einer hinterlistigen Fee zu.
Ich bin müde und erschöpft und ich vermisse meinen besten Freund. Es wird mir schwer fallen. Bestimmt ist meine Entscheidung dumm. Trotzdem möchte ich ihn nicht länger hassen. „Okay."
„Was?" Mit hängenden Armen, zerzaustem Haar und Tränen in den von dunklen Schatten umrandeten Augen, steht mein Freund vollkommen verdattert vor mir.
„Mund zu, sonst kommen Fliegen rein", scherze ich etwas fehl am Platz.
„D- du verzeihst mir?"
„Nein... Aber ich verstoße dich auch nicht. Du kannst nicht erwarten, dass ich dir plötzlich wi-"
Akira stürmt auf mich zu, um mich beinahe zu erdrücken. „Danke", höre ich ihn an meiner Schulter schluchzen.
Das kann nicht sein. Noch nie habe ich den immer lustigen Suppenkasper auch nur eine Träne aus dem Augenwinkel wischen sehen. Während auch mir ein paar Tränen hochkommen, erwidere ich die Umarmung meines Freundes und klopfe ihm ein paar Mal tröstend auf den Rücken.
***
Nach der halben Ewigkeit ohne etwas zwischen den Zähnen knurrte mein Magen unangenehm laut und zerriss die angenehme Stille im Raum. So kommt es, dass wir nun, gemeinsam mit den anderen Asylanten, an einer der riesigen Tafeln sitzen und unser Abendbrot verschlingen. Trotz nerviger Nebenerscheinungen, tut es gut, Akira wieder bei mir zu haben. Tatsächlich habe ich sogar seine liebevollen Hänseleien vermisst oder seine Angewohnheit, mir immer den letzten Rest meines Essen vor der Nase wegzuschnappen. Für diesen kleinen Augenblick scheinen sogar beide Welten vollkommen in Ordnung zu sein.
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Heute haben wir einfach die 1K Reads erreicht. Leute ihr seid einfach die Besten! Danke!😍🥺
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