42 Schlachtplan

Vertrauen und Misstrauen, Zuneigung und Hass, Freundschaft und das Abbild eines Feindes vermischen sich. Die Puzzleteile fügen sich eines nach dem anderen zu dem Bild einer Person zusammen - Akira. In jedem der Puzzleteile steckt eine andere Erinnerung, eine andere Emotion. Gut kämpft gegen Böse, Licht prallt auf Finsternis. Was soll ich glauben? Die bunten Farben der Gefühle mischen sich zu einem schwarzen Gesöff zusammen, das mir die Magenwände zu verätzen scheint. Übrig bleibt nur die Verwirrung. Ihr Schleier bedeckt die Vergangenheit, die Geschehnisse. Er vernebelt die sonst so klaren Gefühle, um mir jede Entscheidung, die ich zu treffen habe, noch viel schwerer zu machen - er verdeckt die Wahrheit. Irgendwo in den tiefen meiner Gehirnwindungen, bin ich mir sicher, habe ich die Antwort.

Auch die Sonne versteckt sich langsam hinter dem breiten Horizont dieser magischen Welt und lässt mich allein. Bis der letzte Strahl hinter dem Ende der Welt versiegt, stehe ich auf dem hölzernen Balkon, in ständiger Begleitung meiner aufwühlenden Gedanken. Immer noch grüblerisch, gehe ich zurück in die Wohnung, um mich auf den nächsten Trainingstag vorzubereiten. Das bedeutet, ich muss schnell ins Bett, bevor es noch später wird und ich morgen, wie ein Zombie über den Trainingsplatz stolpere.

***

Seit gestern Abend habe ich Akira nicht mehr gesehen. So ungern ich es auch zugebe, bereitet mir seine Abwesenheit Kopfzerbrechen. Leise Enttäuschung ebbt durch meine Wehen, bei der Vermutung, dass er wieder abgehauen ist. Damit wäre bewiesen, er hat sich nie einen Dreck um mich geschert und alles, was wir zusammen erlebt haben, war für ihn nichts weiter, als ein Spielchen.

Glücklicherweise trägt das harte Training dazu bei, dass ich abends gut einschlafen kann, sodass mich meine düsteren Spekulationen nicht bis mitten in die Nacht quälen können. Mein Kopf fühlt sich, trotz allem, was hier so los ist, freier an, als am Anfang meiner Reise. Ich habe das Gefühl, meine Mitte gefunden zu haben, mit mir im Reinen zu sein. Das wirkt sich auf meine ganze Lebensweise aus. Meine Taten sind bedachter, meine Gedanken nicht mehr die eines unreifen, 17jährigen Teenagers.

Gerade als ich mir das verschwitzte Oberteil über den Kopf ziehen will, fliegt etwas Kleines durch meine Tür.

„Entschuldigung", ruft der blonde Elf.

„Schon gut. Was ist los?"

„Egbert schickt mich. Für heute Abend ist eine Ratsversammlung angesetzt worden. Eure Anwesenheit ist erwünscht", rattert der Nachrichtenüberbringer herunter.

„Danke. Sagt ihnen, ich werde kommen." Die erste Versammlung seit Monaten, die nicht dem wöchentlichen Plan entspricht. Das werde ich mir wohl kaum entgehen lassen. Irgendetwas muss geschehen sein.

„Sehr gut", piepst der Elf noch schnell über seine Schulter, da ist er auch schon zur Tür hinaus und die Treppen hinunter.

Die Körperpflege wird wohl warten müssen. Die Versammlung hat die höhere Priorität. Kurzerhand folge ich dem Kundschafter die Treppen hinunter. Bei jeder Stufe, die ich heruntergehe, wackeln meine Beine, wie grüner Pudding. Das wiederum ist der Nachteil des Trainings. Ich habe so gut, wie immer, Muskelkater. Mittlerweile bin ich den Wackeligen Gang gewohnt, so dauert es nicht lange, bis ich aus der Tür, direkt in die Nächste stürze. Mitten im Versammlungsraum den Rates bleibe ich, neben den anderen Anwesenden, vor dem runden Tisch stehen. Zu meiner Überraschung ist einer der Anwesenden kein anderer, als der verlogene Prinz. Heute steht noch ein Stuhl mehr im Raum, sodass sich Akira direkt neben mit niederlässt.

„Lasst uns Beginnen", ordnet Egbert schnell an, was der alte Zauberer Hikaru nur mit einem bedeutungsvollen Kopfnicken unterstützt. „Akira, bring uns doch bitte alle auf den neuesten Stand."

Konfus reiße ich meinen Kopf in seine Richtung.

Er wirft mir nur einen schnellen Seitenblick zu. „Auf meiner Flucht begegnete ich einigen Schattenkreaturen. Sowohl im Wald, als auch im Feenreich machen sich die Missbildungen breit. Ich hörte in manchen Dörfern, ein paar seien sogar bis in das Territorium der Nymphen vorgedrungen."

Die Ratsmitglieder werfen sich skeptische Blicke zu. Niemand hätte damit gerechnet, dass sie es, trotz der errichteten Schutzwälle, so weit schaffen. Immerhin sind das mehrere Tagesmärsche durch den Wald.

„Sie schleichen unentdeckt durch die Wälder und besetzen unseren Kontinent, wie Parasiten. Wo ich auch lang ging, die Ödnis nimmt mehr und mehr Fläche ein. Wenn wir nicht aufpassen, wird sie das gesamte Land auffressen."

„Er hat Recht", krächzt der Zauberer. „Unsere Schutzposten mussten schon wieder weichen. Trotz ausgebildeter Krieger, dringt die Dunkelheit weiter vor. Einige unserer Krieger, vor allem die Zentauren machen im Wald Jagd auf herumstreifende Monster, die die Grenze überwinden konnten. Die Wächter sind erschöpft. Monatelang stehen sie Tag und Nacht an den Grenzposten, bekommen kaum Schlaf. Wir wussten alle, dass dies keine Lösung von Dauer ist. Die Länder müssen sich zusammentun. Es wird Zeit, dass die Retterin sich ins Spiel einbringt", verkündet Hikaru. Seine alten, weisen Augen, mustern mich.

Hikaru spricht die Wahrheit. Das ist mein Einsatz. Dafür habe ich mich die letzten Wochen und Monate abgerackert. Jeder in diesem Dorf wusste schon bei meiner Ankunft, wie schnell sich die Lage zunehmend verschlechtert. Es war nur eine Frage der Zeit, bis wir uns überlegen müssen, wie wir am besten Vorgehen. Bis jetzt hat keiner eine Lösung für das Problem, trotz reichlicher Überlegungen. Der Rat sitzt nicht erst seit gestern an einer Lösung für eine Rettung. Währenddessen habe ich täglich trainiert, um mich bestmöglich auf das, was uns bevorsteht, vorzubereiten. Akiras Weckruf überrumpelt uns keines Falls, doch müssen wir nun härter, denn je, versuchen, alles und jeden hier zu retten. Die Nerven des Rates liegen schon seit geraumer Zeit blank. Hoffen wir, dass keiner an Anwesenden einen Zusammenbruch ertragen muss. „Ich werde tun, was in meiner Macht steht. Doch wie wollen wir vorgehen?"

Theodor, ein belesener Satyr, zieht eine Karte hervor und rollt sie auf dem Tisch aus. „Die grau schraffierte Fläche sind die bereits infiltrierten Gebiete", offenbart er. Es ist deutlich zu sehen, dass die grau schraffierte Fläche schon öfters nachgemalt und vergrößert wurde. Unter dem bedeutungsvollen Grau ist verlorenes Land zu erkennen, das von einer dicken, schwarzen Linie umrandet wird, welche die Stellungen der Grenzposten beschreibt. „Das nächst gelegene Land, ist das der Elfen, also der obere Teil des Waldes. Genau da, wo auch wir sind. Direkt hinter uns liegt das Territorium der Nymphen und nordöstlich davon das Feenreich. Wie du hier erkennen kannst, zieht sich ein langes Gebirge durch unseren Kontinent - die blauen Berge." Theodor fährt mit seinen Fingern immer wieder über das vergilbte Papier, um mir die Grenzen und Länder zu zeigen.

„Ich nehme an, dort ist Zwergenland?", frage ich und muss bei dem Klischee leicht schmunzeln.

„Genauso ist es. Dahinter liegt das Land der Riesen. Hier oben", er zeig auf eine riesige blaue Fläche am oberen Ende der Karte, „tut sich bereits das Meer auf. Die kleine Insel dort ist die Heimat der Drachen."

„Okay, wo fangen wie an?"

„Nun, genau da liegt das Problem", erklärt Theodor. „Die Zwerge", er zeigt auf das Grenzgebirge, „helfen nur, wenn sie ausgezahlt werden. Wir sind zu wenig Leute, als dass sie sich uns einfach so anschließen würden. Doch um die Gier der Zwerge zu stillen, haben wir nicht genug Gold. Das haben nur die Feen. Der erste König nahm, bevor sich die Grenzen zogen, ganze Kammern an Gold mit sich. Die Zwerge warten schon lange auf eine Gelegenheit, sich das Gold zu Eigen zu machen. Wie wir alle wissen, ist der Feenkönig gegen eine Allianz. Auf diesem Weg, werden wir es nicht schaffen."

„Die einzige Möglichkeit, eine Allianz zu schaffen liegt darin, sich mit den Feen zu verbünden", murmelt Egbert. Die Riesen sind so stur, sie werden die Relevanz einer Verbindung erst anerkennen, wenn auch die anderen Reiche mitspielen. Ihr Gebiet ist bis jetzt noch nicht betroffen von der Krankheit des Landes, also sehen sie keinen Grund dafür, sich uns anzuschließen. Die Zwerge und die Kobolde haben außerdem auch noch eine alte Fede zwischen ihren Ländern, die sie zuerst beiseite legen müssten." Egbert verzeiht angestrengt sein Gesicht und massiert sich die Schläfen, während er im Raum auf und ab fliegt.

„Wir sollten bei den Feen ansetzen", meint Gloged, der Gnom in unserer Runde. „Die anderen Länder sind zu weit entfernt, es würde viel zu lange dauern."

„Er hat Recht", stimmt Hikaru ihm zu. Auch die anderen Mitglieder des Rates nicken brummend mit ihren Köpfen.

„Und wie wollen wir den sturen König überzeugen?", ruft Mäire energisch.

„Wir müssen seine Schwachstelle finden", bringe ich mich mit in die Unterhaltung ein. „Aber ich war nicht lange genug bei Hofe, um etwas herauszufinden oder zu wissen. Akira, Salvatore, was ist mit euch?" spreche ich die beiden Feeischen direkt an. Hier ist nun kein Platz für Akiras und meine Streitigkeiten. Doch was, wenn sein Vater ihn geschickt hat? Würde er das machen? Außer mir scheint niemand im Rat seine Zweifel zu haben, also vertraue ich meinen Verbündeten.

„Schön wär's", schnaubt Akira. „Er ist grausam und skrupellos. Cyrus geht über so viele Leichen, wie nötig, um seine Machtgier zu befriedigen. Weder das Land, noch das Geld, was wir aufbringen können, würde ihn befriedigen. Der König reißt alles an sich, wenn mir mit ihm Handel treiben."

So wie mir, fehlen auch den anderen die Worte. Keiner hat mehr hilfreiche Ideen oder weiß, wie wir vorgehen können. Schweigen breitet sich in dem großen Konferenzsaal aus. Bis auf die Geräusche des angestrengtem und verzweifelten Atems der Ratsmitglieder, hört man draußen nur die Bewohner des Dorfes reden.

„Wie müssen ihn stürzen", durchbricht Akira, der Sohn des Königs selbst, die Mauer. „Ein Attentat ist die einzige Lösung."

Der Rat ist schockiert, mich eingeschlossen.

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