3 Spion

Wir haben Juni und wie auch alle anderen Schüler, gehe ich mit Madi, die sich zu meiner Linken unterhakte, schnell auf den Eingang der Schule zu, um der stechenden Sonne zu entkommen. Die Hitze ist erdrückend, schon am Morgen, und es wird noch schlimmer. Von Weitem sehe ich Akira, wie jeden Morgen am Eingang der Highschool auf mich warten.

Er lehnt an der Außenwand der Schule, die Arme genauso lässig wie seine Beine überschlagen. Der schwarze Stoff seines T-Shirts passt sich perfekt an seine breiten Schultern und die muskulöse Brust an.

Ist der verrückt? Wer trägt denn bei diesen Temperaturen schwarz?

„Na, wen haben wir denn da? Das Geburtstagskind", witzelt er, als sei ich noch eine Fünfjährige. Mit einem fetten Grinsen kommt mein bester Freund auf mich zu und schließt mich in seine Arme. Fröhlich rubbelt er mit seiner Hand über meinen Kopf.

„Hi", murmele ich an seinem Hals vorbei und löse mich schnell wieder aus der schwitzigen Umarmung. Meine Finger fahren wie eine Kamm durch mein Haar, um es nach Akiras Attacke wieder zu bändigen.

„Herzlichen Glückwunsch, Kratzbürste". Er zieht ein feines Silberkettchen hervor, stellt sich hinter mich, um mir die Kette umzulegen, und als er sie über meinen Kopf hebt, erkenne ich auch das Motiv des Anhängers - ein Sichelmond.

„Danke, Akira. Sie ist wunderschön." Das Kettchen gefällt mir wirklich. Dessen schlichte Erscheinung passt besser zu mir als irgendeine von diesen großprotzigen, goldenen Statementketten.

„Wow, Akira die Kette ist ja unglaublich. Die ist bestimmt nicht ganz billig gewesen." Madi legt einen Arm um meine Schultern, als sie sich vorbeugt, um den Schmuck, um meinen Hals, genauer zu betrachten.

Dabei entgeht mir nicht, wie sie mir von der Seite ein doppeldeutiges Grinsen zuwirft, das in Akiras Richtung wohl eher unschuldig wirken muss. Während Madi ihren Spaß damit hat, mich zu nerven, versuche ich locker zu bleiben und so beiläufig, wie es geht, auf ihre unterschwelligen Anspielungen zu reagieren. Trotzdem bemerke ich, wie sich meine Wangen leicht rosa färben, doch die Hitze lässt den Pein in meiner rot gefärbten, warmen Haut verschwinden.

„Was soll ich sagen? Meine Geschenke übertrifft niemand." Mit seinem gespielten Ernst schafft er es, mir trotz Madisons verdeckten Hinweisen, ein ehrliches Lächeln auf das Gesicht zu zaubern.

Während die beiden sich gegenseitig auf den Arm nehmen, fällt mir wieder ein, was ich gestern nach der Schule mitbekommen habe. Ich sehe zu Akira hoch, der lachend seinen Kopf zurückwirft und zwei perfekte Reihen schneeweißer Zähne entblößt. Sollte ich es ihm erzählen? Nein, warum denn? Ich mache hier, wie Shakespeare es sagen würde, viel Lärm um nichts.

„Ach ja?" Die Brünette steigt in das Spiel mit ein und setzt ebenfalls eine ernste Miene auf.

„So ist es", verkündet Akira stolz. Er verschränkt die Arme vor der Brust, als der Gong zum Unterrichtsbeginn über den Hof hallt.

„Also dann Leute, man sieht sich", Madison zwinkert, mit ihren silber-blauen Augen, noch einmal in unsere Richtung, geht auf ihre Freunde zu und ist innerhalb weniger Sekunden im Getümmel der Schüler verschwunden.

„Komm, wir gehen auch." Jetzt ist es Akira, der den Arm um meine Schultern legt. Gemeinsam betreten wir die Lowell-High, um uns, auf dem Weg zum Klassenraum, an unseren Mitschülern vorbeizuschieben.

Ich muss zugeben, ich weiß, warum Madison auf eine so merkwürdige Theorie kommt. Für Außenstehende liegt der Gedanke, bei dem Bild, das wir abgeben, sicherlich nicht fern. Etwas Bekanntes huscht unerwartet, am Rande meines Sichtfeldes, an uns vorbei und zieht meine Aufmerksamkeit auf sich. Um den Blondschopd nicht zu verpassen, löse ich schnell meinen Blick von Akira, schlüpfe unter seinem Arm hindurch und mache schnelle Schritte in die Richtung der verwuschelten, hellblonden Haare.

„Hey, wo geht's denn so plötzlich hin?", fragt Akira, als er mich einholt.

Ich schenke ihm kaum Gehör und widme mich vollkommen der Jagd nach dem dämlichen Typen. „Etwas nachsehen", nuschele ich in seine Richtung, ohne Halt zu machen.

„Aha, ich wusste es doch, dass das noch passieren würde. ‚Etwas nachsehen'. Du willst schwänzen." Grinsend reibt er seine Hände aneinander. „Ich bin dabei", flüstert Akira beinahe schon stolz.

„Wir schwänzen nicht." Kurz werfe ich einen leicht angefressenen Blick zu meinem Freund hoch. Ich weiß nicht einmal, warum ich dem Blondschopf folge. Stellen werde ich ihn ganz sicher nicht. Unnötig Stress zu schieben ist nicht meine Art. Selbst wenn, was sollte ich schon sagen? Du hast mich angerempelt! Knie nieder und büße für deine Missetaten? Bestimmt nicht. Dennoch kann ich nicht damit aufhören, ihm durch die Flure zu folgen. Jedenfalls nicht bis ein weiteres Signal durch das Gebäude dröhnt. Mist. Abrupt bleibe ich stehen, denn ich laufe in die komplett falsche Richtung. Das ist alles deine Schuld, Anrempler. Mein verbitterter, zorniger Blick bohrt sich durch den Raum direkt in seinen Hinterkopf.

In diesem Moment dreht, sich der Haarschopf, sodass ich sein Gesicht wenigstens von der Seite zu sehen bekomme. Es ist mir gänzlich unbekannt. Zwar geht er geradewegs um die Ecke, doch im letzten Moment, bevor er verschwindet, bemerke ich, wie sich seine Pupille bis in die hinterste Ecke seines Augenwinkels schiebt. Wie ein Fisch der die Augen an der Seite seines Kopfes hat, schielt er zu mir herüber. An meinem ganzen Körper stellen sich die Häärchen auf. Auch wenn mein Kopf noch nicht ganz versteht, was hier abgeht, warnt mich mein Körper und seine Instinkte. Er beobachtet mich. Da bin ich mir ganz sicher. Kurz versetzt es mich zurück in die Szene vom gestrigen Tag.

„Luna." Akira fuchtelt mit seiner Hand vor meinem Gesicht herum, um mich in die Wirklichkeit zurück zu holen.

„Ich muss noch kurz zum Spind", antworte ich schnell. Mit der Angst im Nacken sitzen, ich könnte zu spät zum Unterricht kommen, eile ich auf meinen Schrank zu. Ich schmeiße Bücher und Hefte in meinen Rucksack und werfe noch einen letzten Blick in den Spiegel, der an meiner Spindtür angebracht ist. Ich sehe meinem Spiegelbild in die Augen. Sie sind dunkel, fast schwarz. Was ist los mit dir?, fragen mich die schwarzen Löcher des Mädchens im Spiegel. Aus dem fast platinblonden Pferdeschwanz fallen vereinzelt gewellte Strähnen heraus, die mein Gesicht umrahmen.

„Kommst du?" Akira lehnt, links von mir, am Nachbarspind.

Ich habe nicht einmal mitbekommen, dass er sich neben mich stellte. Mit einer raschen Bewegung schließe ich die Tür zu meinem Spind und laufe voran. So geht das nicht weiter. Seit dem Zusammenstoß gestern, bin ich vollkommen neben der Spur. Am Wochenende brauche ich eine riesengroße Portion Schlaf. Auf dem Weg zu Mr. Browns einschläferndem Geschichtsunterricht kommen uns Jess und Tobi entgegen.

„Luna!", Jess ruft schon von Weitem aus meinen Namen und reckt ihre Hand, so hoch sie kann, in die Luft, damit ich sie nicht übersehen kann.

Es kommt nur selten vor, dass ich Jess so lebhaft mitbekomme.

„Herzlichen Glückwunsch zu deinem 17ten Geburtstag!", rufen sie mir beide aufgeregt entgegen, obwohl ich mittlerweile direkt vor ihnen stehe.

„Ja Leute, ich stehe direkt vor euch. Ihr braucht nicht so zu schreien. Trotzdem: Dankeschön." Mein wärmstes Lächeln breitet sich auf den Lippen in meinem Gesicht aus.

Überglücklich nehmen mich beide einmal in dem Arm, um mir die Luft aus meinen Lungen zu quetschen. Vor allem Tobi mit seinen breiten, massigen Armen.

Der sollte mal ein bisschen weniger pumpen gehen und mehr für seine Noten tun, denke ich mir und hole einmal ganz tief Luft, als mich der Riese wieder auf dem Boden absetzt. Obgleich die Statue des Witzboldes der eines gut gebauten Riesen gleicht, ist er nicht in der Footballmannschaft gelandet. Keiner weiß, warum. Er lenkt vom Thema ab, wenn es jemand anspricht.

Trotz ihrer herzlichen Umarmungen und den Glückwünschen, trotz der Tatsache, dass dieser Tag auf seine eigene Art und Weise so ist wie jeder andere auch, komme ich nicht drum herum, Tobi und Jess einen schiefen Blick zuzuwerfen.

„Also, welchen Film sehen wir uns heute Abend an?" Tobi knufft mir neckisch mit dem Ellenbogen in die Seite. Weder von ihm, noch von Jess muss ich einen quittierenden Blick ihrerseits oder einen Kommentar einstecken. Entweder bemerkten sie es nicht oder sie sind besser darin Dinge zu verbergen, als ich es vermutete.

„Den Film, der um acht Uhr im Programm steht", weiche ich elegant der Frage aus. Um Acht Uhr laufen viel zu viele Filme, als dass er es herausfinden würde.

„Harter Brocken." Er mustert mich von oben bis unten, als wäre er höchstpersönlich der jüngste Lehrling des berühmten Sherlock Holmes. Das erste Mal sehe ich in seine ehrlichen, braunen Augen und frage mich, wie gut ich meinen Freund kenne.

„Ja, so ist es und jetzt los. Wir kommen noch zu spät." Ich umgehe meine Gruppe, um auf den Klassenraum zuzumarschieren. Die Gänge sind schon wieder fast leer. Das kann doch nicht wahr sein. Jetzt aber dalli!

„Komm mal runter. Mr. Brown macht doch sowieso wieder genau das Gleiche wie letztes Mal", ruft mir Tobi von hinten über meine Schulter zu.

„Ich möchte trotzdem nicht zu spät kommen. Das macht einen schlechten Eindruck." Ungerührt von seinen Worten, nehme ich weiter Fahrt auf und als ich durch die Tür unseres Kursraumes sehen kann, stelle ich erleichtert fest, dass unser Lehrer noch nicht da ist. Wir schaffen es gerade noch so auf unsere Plätze, denn Mr. Brown betritt nur eine Minute nach uns den Raum. Auf dass das endlose Wiederholen der immer gleich bleibenden Geschichte niemals ende, scherze ich innerlich mit mir selbst, denn unser Lehrer schreibt erneut das Thema der letzten drei Wochen an die Tafel. Niemals in meinem ganzen Leben hätte ich mir vorstellen können, Geschichtsunterricht langweile mich, doch Mr. Brown hat die Gabe jedes Thema, das wir im Unterricht durchkauen, endlos in die Länge zu ziehen. Er ist so zu sagen ein Wiederkäuer. Dementsprechend hat jeder Vollidiot die Chance eine gute Note zu ergattern. Es ist quasi Unterricht für Dumme. Nur die, denen es wirklich egal ist, fallen durch. Soll mir recht sein.

„Guten Morgen", brummelt der kleine Mann mittleren Alters, als er sich hinter das Lehrerpult begibt.

Die Klasse antwortet mit einer trägen Begrüßung und alle drehen sich mit dem Gesicht zur Tafel um.

„Ich hoffe ihr habt alle eure Hausaufgaben gemacht." Er meint wohl die, die wir auch die Woche davor und die Woche davor auf hatten. „Wir schreiben heute zu Beginn einen kleinen Überraschungstest." Ebenfalls eine seiner Spezialitäten.

Alle Schüler stöhnen genervt auf. Vor allem diejenigen, die es vorziehen in Mr. Browns Unterricht für gewöhnlich ihr Schönheitsschläfchen zu halten und nicht davon ausgehen, tatsächlich ihren Kopf anstrengen zu müssen.

Selbstbestätigt drehe ich mich zu meinen Freunden in der Reihe hinter mir um. „Zum Glück sind wir pünktlich. Nicht wahr?"

Tobi verdreht nur genervt die Augen. Er hat mir anscheinend nichts mehr entgegen zu bringen. Jess und Akira hingegen müssen sich ein Lachen verkneifen, als sie sehen, wie es dem Jungen mit der großen Klappe die Sprache verschlägt. Geschlagen lässt er sich mit Kopf und Armen, samt seines breiten Oberkörpers auf den Tisch sinken.

„Mr. Clarke in meinem Unterricht wird nicht geschlafen und schon gar nicht, wenn ein Test geschrieben wird." Mr. Brown steht verärgert, mit zu Falten gerunzelter Stirn, neben Tobis Sitzplatz.

Dieser dreht zackig seinen Kopf nach oben, um seinem Lehrer ein entschuldigendes Lächeln zuzuwerfen. „Nein. Natürlich nicht, Mr.Brown."

Mann, heute ist echt nicht sein Tag. Ich muss mir wirklich ein Schmunzeln verkneifen, als Mr. Brown den Test umgedreht vor Tobis Nase legt, ohne ihn dabei aus den Augen zu lassen. Als befürchte er, Tobi reiße das Blatt herum sobald er weg sieht. Kaum drehe ich mich wieder nach vorne, haut es mich beinahe vom Stuhl.

Eine Tischreihe vor mir sitzt ein Junge mit blonden Haaren. Sein Rücken ist breit und die Haare relativ kurz geschnitten. Fehlt nur noch, dass er eine Kappe trägt, um nicht von den Überwachungskameras erkannt zu werden.

Was macht er denn hier? Gerade ist er doch noch in einen komplett anderen Schultrakt abgebogen. Ist er vor mir geflohen? Sollte ich ihn nicht erkennen? Stalker, schleicht sich mir die Vermutung unter. Hätte ich es nicht bemerkt, wenn ich mit ihm seit fast einem Jahr im gleichen Kurs bin?

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