28 Verrat
Der leichte, pastellgrüne Stoff gleitet hinter mir über den Boden, als Ailwyn und ich gemeinsam den Thronsaal, oder wohl besser gesagt, den Ballsaal betreten. Der Stoff meines Kleides ist genauso wie der von Ailwyns Gewandt mit silbernen Verzierungen bestickt. Beim Betreten des Saales richtet sich nach und nach ein Augenpaar nach dem anderen auf mich. Sie starren mich an, wie hungernde Wölfe. Wahrscheinlich wittert jeder einzelne von ihnen meine Schwäche, meine Angst, die Wahrheit.
Ailwyn greift nach meiner Hand, die auf seinem Arm liegt, während er mich sicher weiter in den Saal hineinführt. Eine Geste, um mir zu zeigen, dass er mir zur Seite steht. Wie er es die letzten Tage auch immer tat, sieht er mit seinen matten Augen zu mir herunter und schenkt mir ein aufmunterndes Lächeln.
Eine Kleinigkeit an die ich mich bereits gewöhnt habe. Umso dankbarer lächele ich ihm zurück. Auch wenn ich diesen Mann kaum kenne, war es kein anderer, als er, der mir in den letzten Tagen so viel Trost spendete. Die aufdringlichen, neugierigen Blicke schieben sich wie von allein in die letzte Ecke meines Bewusstseins.
Ailwyn führt uns zu der großen, sich um den Thron windenden, Fläche, auf der bereits mehrere Feenpaare vergnügt tanzen. Ihre Anmut, ihre Eleganz in jeder Bewegung, die sie tun, ziehen wohl jede Person in diesem Raum in ihren Bann. „Wollt ihr tanzen?", vernehme ich eine raue Stimme dicht an meinem Ohr. Ailwyn sieht abwartend zu mir herunter. Seine kastanienbraunen Haare hängen ihm heute nicht so verwegen, wie sie es sonst immer tun, in die Stirn, sondern sind ordentlich gekämmt.
„Ich befürchte, ich bin mir euren Tänzen nicht vertraut", gebe ich meine Bedenken offenkundig an ihn weiter.
„Das wird kein Problem sein, Fräulein Evans." Geduldig wartet er meine Entscheidung ab.
Nun habe ich keine Ausrede mehr, mich dem, im Kreis bewegenden, Präsentierteller zu entziehen. Also lege ich, kurz zögernd, meine Hand auf seinen Arm. Kaum endet das Lied, verlassen die Tänzer die Fläche. Noch im selben Moment nehmen Zuschauer aus dem Publikum, so auch wir, ihren Platz ein, um als nächstes um den, hoch über uns schwebenden, Thron zu tanzen. Als die Musik beginnt, geschieht alles rein instinktiv. Weder muss ich mir Sorgen machen, über das lange Kleid zu stolpern, noch darüber nachdenken, welchen Schritt ich wohl als nächstes tuen muss. Und obwohl ich weiß, dass Ailwyn in diesem Moment meinen Körper steuert, empfinde ich ein Gefühl der Geborgenheit. Doch wie soll ich wissen, dass es echt ist? Während wir unsere beschwörerischen Kreise um den Thron der Feenkönige ziehen, wird mir bewusst, dass Ailwyn nur den kleinen Teil meiner Gedanken übernommen hat, welcher mich perfekt den Tanz der Feen ausführen lässt. Denn obwohl er sich Zugriff auf mein Innerstes verschaffte, wie er es schon damals auf der Drachenweide getan hat, ändert sich dieses Mal nichts an meinem Innenleben. So blöd es auch sein mag, danke ich ihm im Stillen, ohne zu wissen, ob er meinen Dank wohl auch in meinen Gedanken vernimmt.
Etwa eine Stunde später verkündet eine Palastwache den Eintritt des Königs und des Prinzen. Als ich die Namen, der beiden vernehme, glaube ich zuerst, ich höre nicht richtig.
„Meine Damen und Herren, seine Majestät, König Cyrus Lucianus und sein Sohn, Prinz Akira Justinus Lucianus!", hallt die Stimme des Feeischen durch den stillen Raum.
Kurz darauf sehe ich durch die Menge zwei Haarschöpfe entlang gleiten. Einer davon, in einem hellen Braun mit blonden Natursträhnchen, kommt mir verdächtig bekannt vor. Schon seit der Verkündung schwant mir Übles. Mein Kopf ist einfach nicht in der Lage dazu, mit dem Geschehenen mitzuhalten. Eine Blockade, die sich die Welt um mich herum viel langsamer drehen lässt, erdrückt meinen Verstand. Meine Füße laufen weiter, tragen mich durch die Masse der Feen, bis in die Vorderste Reihe der Zuschauer.
Zu meinem Leidwesen treffen ausgerechnet seine strahlenden, himmelblauen Augen meine. Ebenso wie die des Königs sind auch seine Kleider nicht mit silbernen, sondern mit goldenen Verzierungen versehen. Ein Detail, welches den königlichen Stand ausdrückt.
In diesem Moment trifft mich der Schock. Meine Augen liefern meinem lahmgelegten Verstand den niederschmetternden Beweis. Einen Beweis für weitere Lügen, tiefer gehende Lügen. In meinem Magen scheint eine Bombe voller Schmetterlinge zu explodieren. Mit jedem Flügelschlag, den sie machen, zieht sich meine Magengrube weiter und weiter unter dem schrecklichen Kribbeln zusammen. Gleichzeitig scheinen sich die geflügelten Insekten bis in meine Brust hochzuarbeiten, wo mir das unangenehme Ziehen beinahe den Atem verschlägt. Noch nie überkam mich ein so schreckliches Gefühl der Einsamkeit, des Alleinseins und vor allem der Hilflosigkeit. Hilflosigkeit, weil ich hier gefangen bin, Hilflosigkeit, weil ich mich nicht schützen kann vor dem grausamen Schmerz in meiner Brust.
Ich habe nicht bemerkt, dass ich mich aus der Masse entfernte, bis ich außerhalb stehe und von Weitem zusehe, wie der König vor aller Augen den Thron besteigt. Dann schieße ich los. Meine Beine fliegen über den Boden, ich höre Schritte hinter mir. Ein Blick nach hinten verrät mir, Ailwyn und ein Dutzend andere Palastwachen sind mir dicht auf den Fersen. Ich muss schneller sein. Tiefer und tiefer renne ich in den Berg hinein, lasse die großen, pompösen Korridore hinter mir, bis ich durch die engen, kalten Steingänge sause. Ich muss hier jetzt heraus. Jetzt oder nie. Mit Tränen in den Augen stürme ich die schwankende Hängebrücke, stolpere und stürze beinahe über das Geländer. Das Adrenalin in meinen Adern lässt mich schneller reagieren, denn je. Als ich mich wieder gefangen habe, hechte auf die Stallungen zu und befreie eines der Tiere. Ohne darüber nachzudenken klettere ich auf seinen Rücken und trabe über die Brücke zurück.
In den Gängen kommen mir einige Wachen entgegen und versperren den Weg.
Ohne zu wissen, was ich da tue, reiße ich meine Hand hoch, sodass sie von einer kräftigen Windböe aus dem engen Gang heraus geweht werden und auf dem moosigen Boden im Palast landen. Der Greif springt durch die spärliche Öffnung, über die Wachen hinweg und begibt sich in die Lüfte. Bei der nächsten großen Fensteröffnung, fliehen wir und lassen Palast Nalani hinter uns. Genauso wie Akira. Wo soll ich nur hin?
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top