26 All In
Lunas enttäuschter Blick zerreißt mir das Herz. Am liebsten würde ich ihr jetzt einfach alles erzählen und wenn ich schon dabei bin, die Karten auf den Tisch zu legen, auch mein Herz ausschütten. Die momentanen Umstände, in denen wir uns befinden, lassen jedoch keines von beidem zu. Dieses Mädchen hat, mit ihrer wunderbaren Einfachheit, schon vor geraumer Zeit die Festungen zu meinem Inneren eingenommen. Denn das, was für jeden normalen High School-Jungen als langweilig empfunden wird, gibt mir die Sicherheit und Herzensgüte, nach der ich mich so sehne. Ein letzter verstohlener Blick über meine Schulter verrät mir, dass sie, auch wenn sie mich noch immer beobachtet, in ihren Gedanken versunken ist. Tief durchatmend schüttele ich die düsteren Gedanken ab und mache Luna letztendlich durch meine Bewegung auf mich aufmerksam, sodass ihr Blick, der vor kurzem noch durch mich hindurch glitt, mich fixiert. Ich lege mich provozierend in ihr Hängebett und merke, wie müde ich bin. „Warum so schüchtern?" Neuerdings zaubern meine Worte ihr einen leichten Zartrosaton auf ihre sonst so blassen Wangen. Darum genieße ich es umso mehr, sie etwas zu reizen.
Sie scheint kurz mit sich zu hadern, bevor sie sich neben mich legt und ihre Schulter dabei sanft die Meine streicht. „Hast du schon einen Plan?", flüstert sie mir zu und sieht zu mir herüber. Ihre leuchtenden, tiefblauen Augen schauen ernst zu mir herüber. Sie sind so dunkel, die Pupillen sind kaum zu erkennen.
Hat sie bereits die Veränderung in ihnen bemerkt? Seit sie mich bei dem Sprint aus dem Wald von den Füßen gefegt und im gleichen Atemzug den nymphischen Teil in ihr aktiviert hat, leuchten auch ihre Augen so hell wie meine. Aber ihre Augen sind keine gewöhnlichen Nymphenaugen. Sie sind nicht wie bei allen anderen auch, zu einem hellen Himmelblau geworden. Ihre Augen strahlen in den dunkelsten Blautönen der tiefen See. In den lächerlichen Wasserspiegeln hier im Schloss, ist das bei ihren dunklen Augen wohl kaum zu erkennen. Wer lässt denn auch bitte eine verzauberte Pfütze Wasser, als Spiegel, in die Wand setzen? Beinahe wäre ich abgedriftet und in ihren dunklen Seen verschwunden. Das passiert mir immer wieder, wenn sie mir so tief in die Seele blickt. „Noch nicht, aber mach dir keine Sorgen, ich werde das schon irgendwie geradebiegen. Immerhin bin ich es, der uns in diesen Schlamassel gebracht." Dass ich keinen Plan habe, stimmt nicht ganz, doch sie soll ihn nicht erfahren, unter keinen Umständen. Sonst ist alles umsonst. Egal wie weit sie das von mir treiben wird.
„Ich hätte nicht mit ihnen gehen sollen", rügt sie sich selbst mit gesenkten Lidern.
Ich erkenne die Scham in ihrem Ausdruck. „Du hättest nichts tun können. Sie haben dich manipuliert", entweichen diese schrecklichen Worte tonlos meiner Kehle.
„Wie meinst du das?" Ihre Augen verraten, dass sie bereits eine Vermutung hat, doch sie will sicher gehen. Sie will es aus meinem Mund hören, bevor sie ihren eigenen, verrückt erscheinenden, Gedanken glaubt.
Diese Welt muss für sie so befremdlich sein - auch, wenn sie praktisch schon halb in ihr gelebt hat. „Feen können dich beeinflussen, indem sie sich Zugriff auf dein Innerstes verschaffen - Gedanken, Gefühle. Nichts von dem ist sicher, wenn du es nicht zu verhindern weißt", ich atme genervt über meine eigene Dummheit aus, „und deswegen hätte ich dich auch nicht alleine lassen sollen. Es ist meine Schuld."
Es huschen zuerst Unglauben und Schrecken über das Gesicht meiner Freundin, gefolgt von Unverständnis und Zorn, doch weicht Letzteres einem offensichtlich schlechtem Gewissen.
„Du konntest nicht wissen, dass die Feen kommen und mich mitnehmen." Ihr blick ist voller Ernst und Verständnis.
Sie ist zu gut für diese Welt, für beide Welten. Leider konnte ich mir sogar ziemlich sicher sein, dass mein Vater Wachen schicken würde, sobald er erfährt, dass Luna die Anderswelt betritt. Ich fühle mich so dermaßen schlecht und dreckig, ihr ins Gesicht zu lügen, in ihr wunderschönes Gesicht. Mein Blick huscht kurz von ihrer zierlichen Nase, über die hohen Wangenknochen, zu ihren symmetrischen, halbvollen, rosa Lippen. „Okay", antworte ich. Bei meiner Lüge zieht sich etwas Tiefsitzendes in meiner Brust zusammen, ein Schmerz über meinen bevorstehenden Verlust. Mein Entschluss steht fest und damit ist auch das Schicksal unserer Freundschaft besiegelt.
Luna schenkt mir still ein aufmunterndes Lächeln. Eine kleine Geste, die für sie so typisch ist - und die ich an ihr so liebe. Sie schließt müde ihre Augen, driftet langsam in's Traumland ab.
Während ich ihrer gleichmäßigen Atmung zuhöre, spuken Cyrus Worte durch meinen Kopf.
„Du wirst hier bleiben und sie auch. In ein paar Tagen wird ein Ball zu deinen Ehren stattfinden. An deinem Geburtstag. Wenn ihr versucht zu verschwinden, versichere ich dir, zögere ich keine Sekunde. Wenn besagte Retterin nicht zu mir steht, wäre es besser, sie steht zu keinem." Seine Stimme war wie immer kalt und frei von jedweden Emotionen.
„Wenn sie merkt, dass ich sie belogen habe, wird sie sich mehr verraten fühlen, denn je. Dann wird sie erst recht versuchen zu fliehen, meinst du nicht? Sie ist nicht dumm, sie wird dir nicht trauen", ein verzweifelter Versuch uns aus dieser misslichen Situation zu befreien.
„Na, dann musst du sie dazu bringen, uns zu vertrauen, rede ihr gut zu."
Eine Gänsehaut überzieht meinen Körper bei diesen Worten. Die Selbstverständlichkeit seiner Macht, seiner Dominanz in jedem seiner Worte bringt mich beinahe dazu, mich zu übergeben. Das diabolische Leuchten in seinen Augen sagte mir alles. Er kann auch anders. Momentan gibt er sich noch als Gentleman, ist höflich und zuvorkommend. Würde sie in vier Tagen die falsche Entscheidung treffen, würde er sie zwingen.
„Sollte sie sich während des Balles noch immer Verweigern, bleibt mir wohl nichts anderes, als nach härteren Maßnahmen zu greifen. Ich schlage dir vor, dich bei meinem kleinen Schauspiel zu beteiligen. Keiner wird es merken."
Cyrus weiß nicht, dass Lunas Vertrauen bereits am bröckeln ist, er weiß nicht, dass sie nicht weiß, wer sie ist. Er denkt, das einzige, was ich verschwiegen hätte, ist mein Dasein, als Prinz und dass Luna, sobald sie von unserer Verwandtschaft erfährt und den Schock verdaut hat, auch ihm zugetan wäre. Zum Glück wird der Schrecken viel tiefer durch Mark und Bein gehen, als er es vermutet. Auch, wenn ich sein Spiel mitspielen muss, spielt er meines, ohne es auch nur zu ahnen. Dieses Mal ist er meine Spielfigur und ich mache die Regeln.
Ich setze alles auf eine Karte - All in.
Die Paranoia des Königs scheint in den letzten Jahren in's Unermessliche gestiegen zu sein. Soll alles glatt über die Bühne gehen, darf Luna nicht einmal den Verdacht auf eine Lüge schöpfen. Sobald jemand in ihren Kopf eindringt und beginnt, mich zu verdächtigen, weiß ich nicht, was Cyrus mit uns machen wird. Sobald alle Augen auf mich gerichtet sind, nutzt sie hoffentlich die Gelegenheit und rennt, so schnell sie ihre Beine tragen können.
Plötzlich bewegt sich das Mädchen neben mir. „Warum starrst du denn so angestrengt an die Decke?", nuschelt sie im Halbschlaf.
„Ach nichts." Das ist dann wohl mein Stichwort. „Luna?"
„Mhm." Sie schließt träge ihre Augen.
„Mein Zimmer ist direkt neben deinem, wenn du aus dem Zimmer gehst. Wenn etwas ist, komm zu mir."
„Alles klar."
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