25 Geheimniskrämerei
Nach ungefähr einer halben Stunde ist Akira immer noch nicht gekommen oder hat nach mir rufen lassen. Vielleicht kommt er etwas später, um nicht beobachtet zu werden, spinne ich mir meine Verschwörungstheorie zusammen. Man weiß nie, wer einen hier beobachten oder belauschen könnte. Bei dem Gedanken an Akira legt sich ein schweres Gewicht auf meine Brust. Ich möchte es mir verbieten, mich auf seine Ankunft zu freuen, meine Hoffnungen in seine Hände zu legen, aber ich schaffe es nicht.
Des öfteren ertappe ich mich selbst dabei, wie ich darüber nachdenke, wie wir hier herauskommen. Wie er mir helfen könnte. Seit frühester Kindheit ist er mein Anker, mein Fels in der Brandung, an dem ich mich festhalten kann, mein Retter in der Not. Jetzt stelle ich jede einzelne Begegnung, die wir hatten, jede Erfahrung, die wir gemacht haben in Frage und möchte sie auf ihre Echtheit prüfen. Doch es ist zu leicht, in alte Muster zurückzufallen, in alte Gefühle. Bei Akira habe ich mich immer sicher gefühlt, er ist mein bester Freund, oder war es. Und das tue ich noch immer, auch wenn es falsch ist und mein Bauchgefühl mir etwas anderes rät.
Kurzerhand entschließe ich mich dazu, die Qualität der ‚Badewanne' zu testen, oder sollte ich eher sagen ‚Whirlpool'? Denn als ich mich auf der Steinbank darin niederlasse, fängt das Wasser an zu blubbern. Das milchige Blau, der Dampf und die Blasen reichen mir bis zu den Achseln und lassen keine Blicke durch, sodass ich mich direkt wohler fühle. Aus irgendeinem Grund hat dieser Raum nämlich keine Tür. Ich lehne mich langsam zurück, lasse meinen Kopf gegen die Wand hinter mir sinken und versuche etwas zu entspannen. Leider falle ich in einen von Alpträumen geplagten Halbschlaf, aus dem ich schon nach kurzer Zeit wieder erwache.
Während meine Hände durch das Wasser gleiten und die Blasen meine angespannten Muskeln massieren, denke ich darüber nach, wie ich dieser Fliegenfalle entkommen kann. Der König hat mich mit seinem Geschick und seiner List an diesen Palast gebunden. Seine Worte hallen in meinem Kopf wider. Ich habe vier Tage bis zu diesem Feenball, dann muss ich eine Lösung gefunden haben. Plötzlich klopft es an den Türrahmen. Ich schrecke aus meinen Gedanken hoch und sehe direkt in Akiras Gesicht.
„Guten Abend, ich hoffe ich störe nicht." Sein fettes Grinsen ist beinahe so groß wie sein Hang zur Ironie. Lässig lehnt er im Türrahmen.
Mir klappt die Kinnlade herunter. Das kann nicht sein Ernst sein. Ich habe nicht einmal mitbekommen, dass er gekommen ist. „Akira, verschwinde!", rufe ich mit hochrotem Kopf. Zum Glück folgt er meinem Befehl, sodass ich schnell aus dem Wasserbecken steigen und mir meine Klamotten überstreifen kann. Im anderen Raum entdecke ich ihn dann auf dem riesigen Balkon. Leise Schritte tragen mich zu ihm hinüber auf seine rechte Seite. Es donnert zwar, doch noch immer sind über uns keine Blitze oder Regen zu sehen, der auf uns herabfällt.
„Ich weiß nicht, was ich sagen oder wie ich meine Lügen wieder gutmachen soll, ob ich das überhaupt jemals wieder gutmachen kann. Es tut mir leid, auch wenn eine einfache Entschuldigung das Geschehene weder Rückgängig, noch besser machen wird. Ich will nur, dass du das weißt", äußert Akira sich schweren Herzens.
Ich höre Reue und Trübsal in seiner Stimme. Am deutlichsten zu erkennen ist aber die Aufrichtigkeit. Es fällt mir zu leicht, Mitleid zu zeigen. Schon nach diesen wenigen Worten bin ich dabei ihm zu verzeihen, doch vergessen werde ich das niemals können.
Er stützt sich mit seinen Unterarmen auf das massive Steingeländer des Balkons und schaut in die Ferne.
„In Ordnung", flüstere ich, sehe ihn genauso wenig an wie er mich. Wir sehen gemeinsam in die Ferne, als ein Blitz, nicht weit von uns, den Himmel durchzuckt. Ich schrecke zurück.
Akira bleibt ruhig stehen. Er zuckt nicht einmal mit der Wimper. „Du brauchst keine Angst zu haben. Der Palast ist von einem Schutzzauber umgeben. Ein kleiner Blitz wird wohl kaum durchbrechen", erklärt Akira mir ruhiger Stimme, während immer öfter gezackte Lichtwürmer den Himmel durchziehen. Der Wolkenboden unter uns scheint von dem hellen Licht zu pulsieren, während aus der dichten, dunklen Decke über uns immer wieder Blitze geschossen kommen und in der unteren Wolkenschicht verloren gehen. Ein wunderschönes Spektakel, die Lichterscheinungen befinden sich direkt auf Augenhöhe. „Was wollte der König von dir?", fragt Akira nach einem Augenblick der Stille.
„Er möchte, dass ich für ihn kämpfe, auch wenn ich keine Ahnung habe, ob ich so etwas überhaupt kann. Im Gegenzug bietet er mir seinen Schutz", erzähle ich meinem Freund und achte dieses Mal genau auf seine Mimik. Nichts, er hat seine Maske aufgesetzt. Als der nächste Blitz den Himmel durchzuckt, wird sein helles Licht von etwas in meinem Augenwinkel reflektiert.
Akira zieht die Kette hervor, die er mir erst vor ein paar Tagen zum Geburtstag schenkte und stellt sich hinter mich, um sie mir umzulegen. „Lass dich nicht von ihm einwickeln. Du kannst ihm nicht trauen. Er spielt ein Spiel, das er schon seit geraumer Zeit versucht zu gewinnen. Jeder Herrscher dieser Welt tut das. Keinen von ihnen interessiert dein Wohlbefinden. Glaub mir, wenn ich dir sage, dass diese Welt von Egoisten und Machtgierigen geführt wird. Und sie alle steuern direkt auf ihren Untergang zu."
„Warum möchte er, dass ich für ihn kämpfe?", frage ich in der Hoffnung, dass mir wenigstens das beantwortet wird.
Akira aber starrt nur in die Ferne, ehe er mir einen kurzen Seitenblick zuwirft.
„Akira, du hast es mir versprochen. Du sagtest, du würdest mir alle meine Fragen beantworten", dränge ich ihn. Er kann mich jetzt nicht schon wieder hängen lassen, schon wieder diese weltverändernden Informationen für sich behalten und mich einfach außen vor lassen.
„Wir sollten uns darauf konzentrieren, hier heraus zu kommen. Wie Hikaru es schon sagte, wir sollten Egbert finden", weicht er geschickt meiner Frage aus.
Ich sehe enttäuscht und auch etwas überrascht zu meinem Freund herüber. Warum es mich noch überrascht, dass er mir nicht antwortet, kann ich nicht sagen. Wahrscheinlich haben zehn Jahre engste Freundschaft einfach eine gewisse Erwartungshaltung in mir aufgebaut. Egbert. Dieser Mann, oder was auch immer er ist, scheint mein einziger Weg zu sein, mich in dieser Welt zurechtzufinden. Wie ein großer, leuchtender Pfeil zeigen alle Hinweise auf den Unbekannten, der mir anscheinend so viel weiterzuhelfen vermag. In diesem Moment erfasst mich die Erkenntnis, eine innere Gewissheit, dass dieser Palast nicht der letzte Stopp auf meiner Reise zu mir selbst ist.
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