23 Ein Verhängnisvolles Angebot
Ailwyn führt mich durch die Gänge, vorbei an einer großen Treppe, zu einer anderen grünen Tür, die mit den selben Ranken und Blumen verziert ist wie auch der Thronsaal. Die Farben scheinen ein Zeichen für die Anwesenheit seiner Majestät zu sein. Zweimal klopft Ailwyn mit seiner Faust fest gegen die hölzerne Tür.
„Tretet ein", ertönt die dumpfe Stimme des Königs aus dem Zimmer.
Ailwyn öffnet die Flügeltür, um mich einzulassen, schließt sie aber direkt nachdem ich eingetreten bin, und lässt mich somit alleine zurück.
Für einen kurzen Moment stehe ich unbeholfen dem König gegenüber. Ich mustere den Raum und stelle dabei Fest, dass wir uns in seinem Arbeitszimmer aufhalten. Ein viel zu großer Schreibtisch, haufenweise Unterlagen und verstreute Zettel darauf, sowie vollgestellte Bücherregale zieren das Zimmer. „Ihr habt nach mir rufen lassen", beginne ich das Gespräch. Mit Bedacht formuliere ich meine Worte wie eine Feststellung, und nicht wie die dümmliche Frage eines jungen Mädchens.
Dennoch scheint mein selbstbewusstes Auftreten den König nicht zu überzeugen oder gar zu beeindrucken. In seine matten Augen stiehlt sich ein diabolisches Funkeln, welches deutlich ausstrahlt, wie gut dieses Spiel ihn doch unterhält. „Ich wollte euch sprechen. Setzt euch", erklärt er und deutet auf einen, aus dem Boden gewachsenen, Stuhl mit hoher Lehne in der rechten hinteren Ecke des Zimmers. Ein weiterer Stuhl und ein kleines Tischchen schaffen eine gemütliche Atmosphäre.
Ich nicke ihm, so erhaben es nur geht, zu und trete auf einen der Stühle zu, um mich dort niederzulassen, als König Cyrus es mir gleichtut, und mich mit einer Hand auf meinem Rücken in die Nische führt. In der Sitzecke hat man einen perfekten Ausblick auf den Horizont, der von tiefschwarzen Wolken bedeckt ist. Trotz der Dunkelheit, die die dicken Gewitterwolken in den Palast einkehren lassen, erhellt eine sanfte Abendröte das Zimmer und gibt mir Hoffnung.
„Eine atemberaubende Aussicht, nicht wahr?", reißt der König mich aus meinen Gedanken. Seine Mimik ist neutral, seine Maske undurchdringbar. Der kleine Smalltalk ist für ihn nichts Weiteres, als ein Mittel zum Zweck, die Vorspeise, das Aufwärmen vor dem Wettkampf.
„Das ist sie." Ich lehne mich in meinem Stuhl zurück, bette die Hände auf meinem Schoß. „Warum wolltet ihr mich sprechen?", falle ich mit meiner Frage direkt zur Vordertür herein. Ich halte nichts von seinen zweideutigen Höflichkeiten, die immer den bitteren Geschmack einer Drohung mit sich bringen.
Ein leichtes Kräuseln umspielt seine Lippen, soll mir zeigen, wie belustigt er von meinem Überfall ist. Aus seinen Augen muss ich, wie ein plumper Bauer erscheinen, doch dann soll es so sein. Er ließ mich an seinen Hof führen, egal wie plump ich erscheinen würde, und hat sich offenbar bereits auf einen längeren Aufenthalt meinerseits in seinem Palast eingestellt. „Wie es aussieht, haltet ihr nicht sehr viel von Gepflogenheiten."
„Ich gehe nicht davon aus, ihr ließt mich rufen, um zu plaudern", bringe ich mehr oder weniger scherzhaft ein.
„Nein, das tat ich gewiss nicht. Ich möchte euch ein Angebot machen." Nun lehnt sich auch der König in seinem Stuhl zurück.
„Und dieses wäre?", gehe ich direkt und ohne Umschweife auf seinen Kommentar ein. Mein Herz klopft mir bis zum Hals. Die schwarzen Silhouetten unserer Abbilder fallen groß und Ehrfurcht erregend auf das, in der Abendröte getränkte, Moos.
„Kämpft für mein Volk. Steht an meiner Seite, dann werde ich euch Schutz vor den restlichen Schatten dieser Welt gewähren." Seine matten, braunen Augen durchbohren mich, setzen mich unter Druck, seiner Bitte nachzugehen. „Seid die Retterin meines Volkes. Gemeinsam schlagen wir die Bedrohung feindlicher Reiche in die Flucht. Helft mir, und ihr lebt das Leben einer Königin."
Seine Worte werden immer und immer wieder von meiner Schädeldecke zurückgeworfen, spuken durch meinen Kopf. Mein Mund will sich nicht bewegen, meine Stimmbänder scheinen versteinert zu sein. Ich schlucke schwer, versuche unauffällig tief durch die Nase ein- und auszuatmen. Ich soll für ihn kämpfen. Im Krieg? Ich kann doch gar nicht kämpfen. Alle haben eine Erwartungshaltung an mich, als wäre ich irgendeine verdammte Kriegsheldin oder Herrscherin. Dabei habe ich doch noch nicht einmal meinen Schulabschluss in der Tasche. Mist.
Was soll ich darauf jetzt antworten? Das Deck in meiner Hand hält keine guten Karten für mich bereit, die ich legen könnte, doch zum Glück habe ich noch ein Ass im Ärmel. „Solch eine Entscheidung trifft man wohl kaum über Nacht", antworte ich und versuche mich an einem genauso verschlossenem Gesichtsausdruck. Eine andere Wahl, als überzeugend zu wirken, habe ich nicht. Wer weiß, was die mit mir anstellen, wenn sie herausfinden, dass ich keinen blassen Schimmer habe, wer ich bin. Oder noch viel schlimmer: Wenn ich gar nicht die bin, für die sie mich halten. Ich bin eine Nymphe, doch bin ich wirklich noch mehr, als nur das? Meine Synapsen wollen es einfach nicht zu Stande bringen, mir eine Antwort auf meine Fragen zu geben.
Plötzlich klopft es an der Tür und Ailwyn tritt ein. „Es tut mir leid, euch stören zu müssen, mein König. Es ist von höchster Dringlichkeit."
Der König wirft ihm einen genervten Blick zu. „Sprecht."
Ailwyn scheint zu zögern, als er mir einen raschen Blick zuwirft.
„Ich sagte, sprecht", fordert der König mit mehr Nachdruck.
Die Wache kommt auf ihren König zu und flüstert ihm etwas, für mich unverständliches, in sein Ohr.
Der sonst so gefasste Mann umschließt mit Daumen und Mittelfinger seine Nasenwurzel, bevor er einen leisen Befehl zurückgibt und Ailwyn sich aus dem Zimmer entfernt.
Die Stille im Raum zerreißt meine Nerven. Ob der König mich wohl auf die Folter spannen will, oder überlegt er sich eine Lösung?
„Dann lasst mich euch ein weiteres Angebot machen", schlägt er nach einer, für meinen Geschmack viel zu langen, Atempause vor. „In vier Tagen wird zu dem Geburtstag meines Sohnes ein Ball stattfinden. Bleibt und teilt mir eure Entscheidung während den Festlichkeiten mit."
Vier Tage. In dieser Zeit werde ich eine Lösung finden müssen. Ich spüre, wie sich die Schlinge um meinen Hals legt, als ich zustimme und den Raum verlasse. Anders, als die letzten Male, wartet keine Wache auf mich, die mich zu meinen Gemächern zurückführen würde, also muss ich den Weg alleine finden. Kaum laufe ich um die nächste Ecke, krache ich mit einer Frau zusammen. „Entschuldigung", murmele ich und halte mir die, von der Kopfnuss pochende, Stirn.
„Kann passieren", spricht die sanfte Stimme meines Gegenübers. Ihre hellbraunen, lockigen Haare, reichen ihr bis zum Gesäß und sind am Ansatz mit filigranem Schmuck verziert. Entlang ihres Scheitels zieht sich eine Reihe blassbunter Edelsteine, die zu beiden Seiten in ihren Haaren verläuft. Auch ihre Augen sind matt, nur dass sie grün sind. Fast so grasgrün wie Ailwyns Augen.
Feen scheinen alle Augen in braunen und grünen Tönen zu besitzen. Auch bei keinem der Wächter viel mir ein Blau- oder Grauton auf. Außerdem sind ihre Augen, im Gegensatz zu denen der Nymphen fast schon emotionslos. Ihre Augen sind matt und die der Nymphen strahlen so hell, als wären sie ihr eigenes Licht. Bevor die Brünette mich genauer mustern kann, kommt Ailwyn auf uns zu.
„Fräulein Evans, sie sollten nicht alleine in den Gängen des Schlosses herumirren. Bitte folgt mir", seine Worte dulden keine Widerrede. „Fräulein Addfwyn", er nickt der Dame noch respektvoll zu, welche es mit der gleichen Geste quittiert.
Ich werfe ihr schnell noch ein entschuldigendes Lächeln zu, bevor ich zu Ailwyn herüberlaufe. Kurz bevor wir meine Zimmer erreichen, beginnt die Wache zu sprechen. „Fräulein Evans, ihr Freund, Akira, bat mich, euch auszurichten, dass er ebenfalls im Palast eingetroffen ist. Er möchte euch heute Abend treffen."
Bei diesen Worten macht mein Herz einen Freudensprung. Ich spüre, wie mich eine Welle neuer Hoffnung überkommt, doch bringt sie auch den Schmerz der Lügen und des Verrates mit sich. „Ich danke euch", erwidere ich und sehe ihm dabei direkt in seine grünen Augen.
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