22 Die Heimkehr Des Prinzen

Ich muss zugeben, der Weg nach oben ist mit einem Greif merklich unbeschwerter, doch leider gehöre ich nicht mehr zu den Menschen, die in Cyrus Gunst stehen. Cyrus. Nach zwei Jahren ist es noch immer ungewohnt, ihn so zu nennen. Der schmale Trampelpfad, der sich immer und immer wieder um diesen Giganten aus massiven Stein windet, kommt mir bei jedem Schritt noch viel endloser vor, als beim vorherigen. Aus Erfahrung weiß ich aber, dass ich schon bald die Spitze erreichen müsste. Keine zehn Minuten später trete ich aus dem dichten Nebel heraus, der mich bis auf die Knochen durchnässt hat, und lasse die dicke Wolkendecke, die ich soeben bei meinem zügigen Marsch durchstoßen habe, hinter mir. Kurzerhand lehne ich mich gegen die kalte Steinmauer, um eine Verschnaufpause einzulegen.

Das Gesöff meiner zusammengematschten Emotionen, lässt mir beinahe die Galle hochkommen. Mit einer kurzen verzweifelten Geste reibe ich mir über mein Gesicht und fahre mit meinen Händen durch die feuchten Haare, damit ich mir die nervigen Haarsträhnen auf meiner Stirn zurückschieben kann. Noch im gleichen Atemzug ziehe ich Lunas Amulett hervor. Das zierliche Kettchen kitzelt die Innenseite meiner Handfläche und erinnert mich an den Morgen vor der Schule, als ich es ihr umlegte.

Der blaue Himmel ist bedeckt von schwarzen Wolken und der Donner scheint in weiter Ferne bereits zu grummeln, doch auch das heranziehende Gewitter schafft es nicht, die blasse Abendröte der Sonne zu verdecken, die mir sanft den Weg erhellt. Vor mir tut sich nun bereits die lange, breite Treppe auf, die zu dem Eingang des Feenpalastes führt. Als ich sie hochsteige, werfe ich mir, so wie ich es den restlichen Tag bereits getan habe, meine Unbedachtheit vor, Luna alleine gelassen zu haben. Wie hätte ich denn wissen können, dass ausgerechnet in den zehn Minuten, in denen ich nicht da gewesen bin, die Wachen des Palastes auftauchen und sie mit sich nehmen. Der Moment, als ich realisierte, dass meine teure Freundin fort ist, verfolgt mich immer noch. Ich hätte einfach dort sein müssen. Es war doch absehbar, dass diese listigen Vertreter von ihrem Volk mit Lunas Gedanken spielen.

Endlich, als die letzten tiefgoldenen Sonnenstrahlen das Moos des Hofes vor dem Palast küssen, erklimme ich die letzte Treppenstufe.

Sogleich treten die Wachen heran, verweigern es mir, in meine Vergangenheit einzutreten. Früher ist dieser riesige, weiße Palast meine Heimat gewesen, mein Zuhause. Jetzt ist es nur noch ein riesiges Gebäude voll von Erinnerungen. Schlechte sowie gute. Letztendlich sind es die schlechten gewesen, die mich hier heraus jagten. Meine Traumata, die mich bis vor die Tore dieses Schlosses geleitet und mich ausgesperrt haben. Keiner der Wachen scheint mich zu erkennen. Es ist zu lange her. Keiner, bis auf dieser eine Mann, den ich früher meinen besten Freund zu neben gepflegt habe.

Sein Blick trifft meinen - nicht überrascht, nicht schockiert. Der Ausdruck in seinen Augen ist kalt, scheint eigentlich gar kein Ausdruck zu sein. Wie ich musste auch Ailwyn lernen, sich an diesem Hofe eine perfekte Maske zu formen, dynamische Mauern, die er nach Belieben hochziehen und niederreißen kann. „Tretet zur Seite", befehlt er den Wachen, welche augenblicklich gehorchen.

Innerhalb eines Wimpernschlages, ziehe auch ich meine Mauern hoch, lege die regungslose Maske über mein Gesicht, verschließe die Tore in meiner Festung. Keiner würde erkennen, wie groß die Sorge um Luna ist, wie viel Übelkeit in mir aufkommt, wenn ich an ein Wiedersehen mit meinem Vater denke und wie sehr mich mich die grausamen Erinnerungen noch immer plagen. Bei all den Gedanken, beginnt die Narbe an meinem Schulterblatt von neuem zu brennen, doch niemand wird es erfahren. Keiner wird es schaffen, bis in meinen Kopf vorzudringen. Ich trete auf Ailwyn zu, der bereits darauf wartet, dass ich ihm folge.

„Hier entlang, mein Prinz", deutet er mit einer Armbewegung die Richtung.

Als würde ich diese Hölle nicht in- und auswendig kennen.

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