21 Verborgene Spielchen
„J-ja", stottere, obwohl ich mir so viel Mühe gebe, selbstbewusster herüber zu kommen.
Die omnipräsente Erscheinung des Königs spiegelt sich auch in seiner Stimme wieder, denn obwohl er ganz leise redet, hallt jedes Wort, das er spricht wie ein lautes Brüllen in meinem Kopf wieder. Die Macht, die er ausstrahlt, würde jeden seiner Widersacher in die Knie zwingen. Dessen ist er sich auch bewusst, scheint es, denn er nimmt sich für jeden Blick, für jeden Atemzug, jedes Wort so viel Zeit, wie es ihm beliebt. Quälende Stille zerreißt den Raum, nagt an meinen Nerven, während er mich gemächlich mustert und sich sein Bild von mir in seinem Gehirn zusammenbastelt. „Wenn ich mich vorstellen darf, falls das überhaupt noch von Nöten ist, ich bin der sechste Feenkönig. Mein Name ist Cyrus. Ihr habt doch nichts dagegen, mich mit meinem Namen anzusprechen, Kriegerin?", eröffnet der König das Spiel.
Ich bin mir ziemlich sicher, dass es für ihn nicht üblich ist, mit seinem Vornamen angesprochen zu werden. Auch wenn er höflich ist, traue ich ihm nicht. Er will etwas und ich habe keine Ahnung, was das sein könnte. Schon zum zweiten Mal höre ich dieses Wort in Verbindung mit meinem Namen, Kriegerin. Zu meinem eigenen Vorteil sollte ich das Spiel mitspielen. Aus einem unerklärlichen Grund sprechen mich die Bewohner, darunter anscheinend auch Könige und mächtige Nymphen, mit Achtung und Respekt an. Diese Chance werde ich besser nicht vertun. Vor allem nicht, wenn dieses Geheimnis um mich mein einziger Schutzschuld ist. Ich bin mir noch nicht sicher, was das hier für ein Spiel ist, das gespielt wird, doch es findet auf alle Fälle im Schatten dieser Welt statt, wo es verborgen ist vor dem allgemeinen Volk. Verborgen vor aller Augen und trotzdem so offensichtlich, dass sich nur die Mächtigsten aller Bewohner dieser Welt trauen mitzuspielen - Könige. Wenn mich diese Welt eines Lehren wird, dann ist es Wachsamkeit. „Natürlich nicht." Dieses Mal ist meine Stimme fest.
Das bemerkt auch der König. Er versucht mich förmlich in Grund und Boden zu starren, mich mit seinem Blick in die Knie zu zwingen.
Ich halte dagegen, so gut ich kann, starre ihm genauso selbstsicher entgegen, wie er es tut. Das typische wer-sieht-zuerst-weg-Duell. Ein Kampf der Alphatiere. Ich darf nicht verlieren. Das hier muss ich gewinnen, für mich. Ich weiß, dass ich eine Chance habe. Er bittet mich, ihn bei seinem Namen zu nennen. Seine Sprache ist höflich verpackt, doch ich sehe den Blick in seinen Augen. Er kann es nicht ausstehen, dass ich hier bin. Dennoch lädt er mich ein. Nicht nur das. Die vielen Wachen, sein Auftreten, es ist beinahe schon eine Drohung, diesen Ort nicht zu verlassen. Er braucht mich.
„Gut. Euer Weg muss lang und beschwerlich gewesen sein. Es wäre mir und meinem Volk eine Ehre, euch hier, im Palast Nalani, als Gast willkommen zu heißen. Ich habe bereits ein paar Räumlichkeiten für euch vorbereiten lassen. Bitte...", dieses Wort scheint ihm nicht oft über die Lippen zu kommen, „bleibt doch", bietet mir König Cyrus an.
Ich habe wohl kaum eine Wahl. „Sehr gerne. Ich danke euch", entgegne ich mit einem zuckersüßen Lächeln und versuche meinen Ausdruck an seinen gehobenen anzupassen.
„Ailwyn", befehlt der König, hält seinen Blick dabei weiterhin auf mich gerichtet.
Die Fee neben ihm bückt sich in eine tiefe Verbeugung, bevor er mir seinen Arm hinhält, um mich aus dem riesigen Saal zu führen. Erneut marschiere ich mit Ailwyn an meiner Seite durch die breiten Gänge des Palastes, bis wir schließlich am Ende eines langgezogenen Korridors stehen bleiben. „Euer Zimmer, Fräulein Evans. Lasst es mich wissen, solltet ihr irgendetwas brauchen", erklärt er mir ruhig und höflich.
„Danke", erwidere ich ehrlich.
Er nickt mir noch einmal respektvoll zu, ehe er mich alleine in dem bereitgestellten Zimmer des Königs zurücklässt.
Da ich nichts Besseres zu tun habe und Fluchtpläne schmieden hier ohnehin nichts bringen würde, beschließe ich, zuerst einmal die Räumlichkeiten unter die Lupe zu nehmen. Der Boden ist genauso mit Gras und Moos überzogen wie der im Rest des Schlossen. Doch sprießen hier keine Hagebutten, sondern kleine Gänseblümchen, die noch einen leichten Zartrosaton haben. Gegenüber von der Tür ist einer dieser Torbögen eingelassen, der zu einem großen Balkonanbau führt. Kurz vor der Öffnung in der Wand, steht ein dicker Baum, aus dem eine Hängematte herauswächst. Hier scheint man wohl nicht viel von Betten zu halten, doch zu meinem Glück ist die Matte mit vielen Kissen und Decken ausgelegt. Das Highlight ist aber das kleine Tischchen in der Mitte des Raumes, gedeckt mit einer Fülle an vielen kleinen Leckereien, Gebäck und Saft. Ich mustere das Essen auf dem Tisch zuerst etwas misstrauisch, aber ich habe leider keine andere Wahl, als mich mit dem Essen, das ich hier angeboten komme, zufrieden zu geben. Außer ich will verhungern, und das will ich nicht, also setze ich mich auf einen der Hocker, die natürlich auch aus dem Boden wachsen und schlage zu. Immerhin weiß ich nicht, wann ich hier herauskomme. Meine Gedanken wandern zu Akira. Ein schlechtes Gewissen belastet mein Gemüt. Ich habe ihn zurückgelassen. Jetzt sind wir beide ganz alleine in dieser großen, gefährlichen Welt.
Nachdem ich die Hälfte verschlungen habe, merke ich, dass in der rechten Seitenwand des Raumes ein weiterer kleiner Bogen eingelassen ist, aus dem ein blaues dringt. Ich betrete den Nebenraum, der mich stark an eine Grotte erinnert, um die Quelle des blauen Lichtes ausfindig zu machen. In der einen Ecke sitzt eine große, heiße Quelle, die in mehrere kleine außen herum verläuft. Wie in einem Bach plätschert das Wasser über die Ränder der runden Wannen hinweg. Über dem leuchtenden Blau liegt ein leichter Dampf, der den Raum aufwärmt und in der Wand über der Quelle ist ein Regal in das Gestein gemeißelt und mit jeglichem Zubehör ausgestattet, das man zum Baden wohl braucht. Es gibt sogar wieder eine Art Toilette und Waschbecken mit Spiegel.
***
Nach einer gefühlten Ewigkeit in der Hängematte, höre ich plötzlich, wie sich die Ranken meines Zimmerbogens bewegen. Ich blicke auf, als ich sehe, wie Ailwyn hereintritt.
„Der König wünscht, euch zu sehen."
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