2 Happy Birthday

„Guten Morgen, Sonnenschein", trällert Kathrins fröhliche, helle Stimme über mir. „Alles Gute zum Geburtstag." Mit Schwung öffnet sie die beiden Vorhänge gegenüber von unseren Betten.

Wie ein Vampir ziehe ich die Decke über mein Gesicht und gebe einen gequälten Laut von mir.

„Steht auf und macht euch fertig, ich mache Frühstück", versucht sie uns noch aus den Betten zu scheuchen. Dann ist unsere Betreuerin auf und davon.

Vorsichtig strecke ich den Kopf unter der Decke hervor, um einen Blick auf die Uhr und meine Zimmergenossin zu werfen.

Madison hat nicht einmal mitbekommen, dass jemand in unser Zimmer gekommen ist. Sie schläft wie ein Stein und auch meine Versuche sie aus dem Schlaf zu rütteln schlagen fehl. Ihr Abwehrsystem gegen jegliche Störfaktoren, die ihren Schlaf unterbrechen könnten, schaltet sich ein und ich bekomme einen Tritt gegen meinen Oberschenkel. Schönen Dank auch.

Ich gebe auf und lasse das Biest lieber weiterschlafen. Wie schon vermutet, hat sie uns beide gestern bis mitten in die Nacht wachgehalten und jetzt dürfen wir den Preis dafür Zahlen: Viel zu müde die Lehrer unserer High School zu ertragen. Doch selbst nachdem Madi schon längst am Schnarchen war und mir die Augen schon zu fielen, konnte ich nicht einschlafen. Mein Gehirn wollte sich einfach nicht ausschalten. Das Gespräch zwischen Jess und Tobi ließ mich einfach nicht los. Zu meinen Talenten gehört unter Anderem, sich andauernd und viel zu schnell über alles den Kopf zu zerbrechen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit kann ich daher behaupten, dass es nichts ernstes ist und mich bestimmt auch nichts angeht. Eine Stimme in meinem Kopf flüstert jedoch, es steckt mehr dahinter. Und diese Stimme war es auch, die mich, die halbe Nacht lang, wach hielt.

***

Der Esstisch ist hübsch gedeckt und mit den leckersten Sachen zugestellt, als ich die Küche betrete. Schon auf dem Flur kroch mir der Duft aus der Küche in die Nase. Für den Großteil der Allgemeinheit ist dieser Geruch nicht mehr, schätze ich - der Duft von köstlichem Essen. Mir hingegen geht jedes Mal das Herz auf. Der gedeckte Tisch, nur für uns - so riecht Familie, so riecht Zuhause, ein echtes Zuhause.

Kathrin steht noch am Herd und lädt Pancakes auf einem Teller ab. Sie bemerkt mich erst, als sie sich umdreht, um den Teller ebenfalls auf den Tisch zu stellen. „Da bist du ja. Herzlichen Glückwunsch zu deinem Geburtstag, süße Maus", quietscht sie und zieht mich in ihre Arme.

„Danke, Kathrin." Ich drücke sie mindestens genauso fest wie sie mich. Mit einem Lächeln löse ich mich wieder von ihr, um mich dem gedeckten Frühstückstisch zu widmen.

„Hier, komm. Setz dich", fordert sie mich auf und schiebt einen Stuhl zurück. Erst nachdem sie mir noch zwei Stück von den unglaublich gut duftenden Pancakes auf den Teller legte, lässt sie sich auf dem Platz mir gegenüber nieder.

„Danke", sage ich höflich. „Das sieht alles unglaublich gut aus." Dies ist ein Geschenk, das ich jedes Jahr von Allen am liebsten annehme. Es geht doch nichts über ein leckeres Frühstück, finde ich. Es heißt doch nicht umsonst, das Frühstück ist die wichtigste Mahlzeit am Tag.

„Ach, das habe ich doch gerne gemacht. Jetzt iss, bevor du dich auf den Weg machst." Glücklich über das Kompliment, strahlt sie mich mit einem schneeweißen Lächeln, das bis über beide Ohren hinwegreicht, an. Eine Weile herrscht eine angenehme Stille und wir essen gemeinsam unser Frühstück, das Kathrin so gekonnt vorbereitet hat.

Beinahe hätte ich mich wieder, bei dem Versuch, das Rätsel um Jess und Tobis Gespräch zu knacken, in meinem Labyrinth verlaufen. Dabei ist es nicht nur die geheimnisvolle Unterhaltung, die mich lockt. Im Gegenteil. Die ganze Zeit über frage ich mich, was der gestrige Tagtraum wohl zu bedeuten hat. Andauernd flackert vor meinen Augen das Abbild des riesigen Baumes. Kenne ich diesen Ort?

„Hast du heute nach der Schule etwas Besonderes geplant?" Gespannt streicht Kathrin sich eine ihrer kurzen, braunen, fast schwarzen Strähnen hinter das Ohr.

„Akira, Jess, Tobi und ich sehen uns heute Abend einen Film im Kino an", berichte ich ihr. „Vielleicht gehen wir danach noch etwas essen", werfe ich hinterher, um mir ein Alibi für heute Abend zu verschaffen. Sie soll sich nicht wundern, wenn es später wird, sonst endet das noch in einem Schlamassel. Ich habe Kathrin gern aber sie muss nicht wissen, was wir nach dem Kinobesuch vorhaben, denn Alkohol ist in unserem schönen Land leider erst ab dem reifen Alter von 21 Jahren erlaubt. Immerhin ist Kathrin mein Vormund und nicht meine beste Freundin, auch wenn wir uns gelegentlich so benehmen.

Ihre blauen Augen schweifen suchend über den Tisch, bis sie sich den Orangensaft schnappt und uns beiden ein Glas eingießt. „Das hört sich doch gut an", meint Kathrin mehr oder weniger ermutigend. Sie weiß, dass ich nicht auf Geburtstagspartys stehe. „Kommst du nach dem Unterricht noch kurz nach Hause?"

„Ja, der Film fängt erst gegen 20 Uhr an." Ich will schließlich nicht in den gammligen Klamotten, die ich mir gerade eben übergeworfen habe und meiner fabelhaften Sturmfrisur im Kino erscheinen. Es reicht mir, wenn ich mich später etwas aufhübsche. In der Schule gibt es niemanden, den ich beeindrucken will. Warum sollte ich mich auftakeln?

„Gut, dann gebe ich dir nachher dein Geschenk, okay? Jetzt haben wir kaum noch Zeit, ihr beiden seit heute wirklich spät aufgestanden. Ich hoffe, du kannst dich noch ein wenig gedulden", zwinkert sie mir zu. Natürlich versucht Kathrin mich in Stimmung zu bringen. Sonst wäre es nicht Kathrin. Mittlerweile ist sie wie eine echte Mutter - liebevoll, ein bisschen nervig und in den richtigen Situationen streng genug. Außerdem ist sie meine Freundin und ein guter Mensch - viel zu gut, für diese Welt.

Es sind immer diese kleinen Momente, in denen ich feststelle, wie sehr mir diese Frau an mein verkorkstes Herz gewachsen ist.

Plötzlich guckt sie erschrocken auf ihre Armbanduhr. „Apropos, wo ist denn Madison schon wieder?"

„Wo soll sie schon sein? Im Bett natürlich", und ich würde nicht noch einmal versuchen sie zu wecken.

„MADISON!!!", schreit Kathrin den Gang hinauf.

„KOMME!!!", ruft das Biest unserer Betreuerin zu. Im nächsten Augenblick poltert jemand fluchend den Flur entlang. Madison kommt aus unserem Zimmer gestürmt und plumpst auf den Stuhl neben mir. „Morgen", grüßt sie uns schnell, während sie sich bereits das Essen auf den Teller und von dort aus direkt in den Mund schaufelt.

Ich werfe einen Blick auf ihren randvollen Teller. Kein Wettesschampion dieser Welt könnte Madi darin schlagen in kürzester Zeit Berge zu verschlingen. Kaum zu fassen, bei ihrer Traumfigur.

„Beeil dich, Madison und geht nicht zu spät los, ihr zwei", mahnt Kathrin uns. „Ich muss jetzt noch ein paar Dinge erledigen, wir sehen uns nachher. Ich wünsche euch einen schönen Tag, passt auf euch auf!" Sie verschwindet mit einem vollgepackten Teller in ihrem Büro und lässt uns am Frühstückstisch zurück.

Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass wir uns gleich wirklich auf den Weg machen sollten. Ich stopfe mir schnell noch die restlichen Pancakestücke in den Mund, während ich gleichzeitig damit anfange den Tisch abzuräumen.

Als Madison und ich gerade den letzten Teller in den Geschirrspüler stellen, grinst sie mir mit ihren klaren Augen frech entgegen. „Also, um noch einmal da anzufangen, wo wir gestern Abend aufhörten", sie zieht den Satz absichtlich in die Länge.

„Madi, Akira und ich sind nur Freunde. Verstehst du? Nur Freunde", den letzten Teil wiederhole ich so deutlich, als spräche ich mit einer Schwerhörigen. Ich kenne Akira schon seit wir gemeinsam eine Grundschulklasse besucht haben. Es stellte sich heraus, dass er so etwas wie mein persönlicher Beschützer ist.

„Ja, ja", lächelnd schließt Madison den Geschirrspüler.

„Madison!"

Beim Lachen wirft sie ihren Kopf in den Nacken und ihre langen, dunklen Locken fallen über ihre Schultern nach hinten. Keine kleinen, krausen, wuseligen Locken, nein, es sind wunderschöne, prachtvolle, glänzende Wellen-Locken. Von jedem zu beneiden. Sie sieht mich noch einen Augenblick an, bevor sie ihre Tasche packt, in den Flur geht und sich ihre Schuhe überstreift. "Worauf wartest du? Wir müssen los."

Die Haustür fällt hinter uns in das Schloss und wir starten unseren zügigen Marsch zur Bushaltestelle. Wir kommen genau im richtigen Moment. Während Madison auf dem Weg hierher natürlich die Ruhe weg hatte, habe ich fast einen Herzinfarkt bekommen und jede halbe Minute auf mein Handy geschaut, betend, wir würden den Bus nicht verpassen. Erleichtert lasse ich mich neben meiner Freundin auf den Sitz fallen.

„Luna, das ist für dich", Madison hält mir ein kleines buntes Päckchen mit einer Schleife darauf entgegen. „Herzlichen Glückwunsch!"

Ich nehme die Schachtel neugierig entgegen und umarme Madison, „Danke". Bei meinen Komplexen bin ich mir ziemlich sicher, die Umarmung wirkte geradezu zwanghaft und das Danke kam auch viel zu quietschig, doch jeder, der mich gut kennt, weiß, ich mag keine Geschenke.

„Mach es auf", sie wartet gespannt, als ich vorsichtig die Schleife der Verpackung aufziehe.

„Danke, Madison. Das ist wirklich ein tolles Geschenk." In einem kleinen Kästchen ist sorgfältig ein Paar mindfarbener Stecker und ein Gutschein für meine Lieblingsbücherei hineingelegt worden. Der Gutschein, weil ich ohne Bücher nicht leben kann und das Geld immer gebrauchen kann. Die Ohrringe offensichtlich, weil Madison etwas Hübsches verschenken will. Genau jetzt erreiche ich den Punkt, an dem mein schlechtes Gewissen einsetzt. Habe ich ihr letztes Jahr genug geschenkt? Ich möchte auf keinen Fall undankbar erscheinen. Nächstes Mal bekommt sie das beste Geschenk, das ich ihr je gemacht habe.

„Es gefällt dir wirklich?"

„Ja, sehr", sie würde sich nicht mit einer einfachen Antwort abfinden, also nehme ich die Ohrringe aus der Büchse heraus und stecke sie mir an. „Und?"

„Sehr schön, ich wusste, sie stehen dir", lobt sie sich selbst, betrachtet mich mit einem zufriedenen Nicken. „Als ich sie im Laden hängen sehen habe, da musste ich direkt an dich denken. Ich bin so froh, dass sie dir gefallen." Zufrieden grinst meine Freundin, während ich schon dabei bin, mir zu überlegen, welches Buch ich mir mit dem Gutschein kaufen würde.

Dieses Mal etwas über schlechte Omen und das Schicksal? Vielleicht würde mich ein Buch über schicksalhafte Zufälle beruhigen, mich darin bestätigen, dass das alles nur Quatsch und frei erfunden ist... Wahrscheinlich verliere ich gerade den Verstand.

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