13 Erwischt

Eingeschlafen. Ich bin eingeschlafen! Das ist der absolute Anfängerfehler und außerdem auch einer der schwerwiegendsten. Die meisten schlafen sich hier zu Tode, ohne es zu wissen. Ich weiß, was passiert, würden wir hier einschlafen und bin trotzdem auf meine eigenen Gedanken reingefallen. Nur fünf Minuten hat es gedauert, da bin ich diesem Ort schon verfallen. Fünf Minuten! Wie um alles in der Welt konnte mir das passieren? Bin ich ein Jüngling in der Ausbildung? Es ist reines Glück, dass ich wach geworden bin, nicht mehr und auch nicht weniger. Das sollte ich mir selbst eine Lehre sein lassen. Wenn ich Luna jetzt nicht mehr aufwecken kann, dann ist das mehr, als nur fatal. „Luna, wach auf. Wir sind eingeschlafen!", rufe ich laut. Ich würde gerne noch viel lauter schreien, ich muss irgendwie zu ihr durch dringen. Die Friedlichkeit dieses Ortes ist reines Gift. Mein Körper ist ruhig. Kein Adrenalin, kein Herzpochen, doch meine Gedanken rasen durch meinen Kopf. Wären wir jetzt nicht in dieser Illusion, liefe mir die Angst eiskalt den Rücken herunter. Was ist, wenn ich sie verloren habe?

Endlich kommt Regung in den schlaffen Körper meiner Freundin. Ihre Augenlider bewegen sich träge und ihr Kopf purzelt nach vorne.

„Verdammt, wach auf!" Ich werde sie hier auf keinen Fall zurücklassen, aber ich weiß auch nicht, was passiert, wenn ich sie schlafend hier herausbringe. Magie hat immer irgendwo das Kleingedruckte stehen, das sich niemand durchgelesen hat. Im schlimmsten Fall bleibt ihr Geist hierin gefangen. Dann habe ich einen seelenlosen Körper, aber bestimmt nicht meine Freundin hier herausgebracht.

„Akira, was ist denn los?", nuschelt Lunas Stimee. „Es ist doch Alles gut", versucht sie, es mir weis zu machen. Nicht Luna. Dieser Ort versucht es mir weis zu machen.

So eingesackt, wie sie dort an dem Baumstamm lehnt, sieht sie noch viel kleiner aus. Damit ihr Kopf nicht weiter träge herunterbaumelt, lege ich ihn wieder zurück, packe sie bei den Schultern und fange an, zu rütteln. Es ist dieser Ort, der aus ihr spricht. Wenn wir nicht bald hier heraus kommen, werden wir noch ein Teil von Hikarus Gedanken. Wir würden spurlos verschwinden. „Luna, Luna, wach auf. Wir sind noch in der Illusion. Erinnerst du dich?", versuche ich es wieder. Ich darf jetzt nicht aufgeben.

Langsam klärt sich ihr trüber Blick, bis sie mir endlich, zwar immer noch etwas benebelt, jedoch schon viel klarer, als noch vor ein paar Sekunden, in die Augen schaut. Trotz der glücklichen Betäubtheit, kehrt ihr Geist wieder in ihren Körper zurück. „Ich erinnere mich."

Zum Glück. Mehr will ich doch gar nicht hören. Jetzt bin ich es, der erleichtert den Kopf hängen lässt und einmal tief durchatmet. Die schwere Last auf meiner Brust verschwindet für einen Moment, doch sie kehrt nur wenige Sekunden später wieder zurück. „Steh auf, wir gehen", befehle ich, auf die Gefahr hin, mich zu schroff auszudrücken. Ich weiß, dass ich nicht sonderlich sensibel und meistens zu direkt bin.

Schwerfällig zieht sie sich an dem Baumstamm hoch. Ihre Glieder sind noch immer schlapp von dem tiefen Schlaf, also greife ich ihr unter die Arme.

Wir bewegen uns langsam, Schritt für Schritt auf die vergoldete Vogeltränke zu. Mit jedem Schritt merke ich, wie Luna mehr Kraft gewinnt und an Geschwindigkeit zulegt. Sie möchte auch so schnell wie nur möglich diesen Ort verlassen. Auch wenn es uns gerade nicht möglich ist, es so deutlich zu zeigen, wie wir es fühlen, weiß ich, dass es so ist. Ich kenne sie in- und auswendig. Wir kennen uns schon so lange. Schließlich kommen wir langsam vor der Vogeltränke zum Stehen. Noch beim aktivieren des Spiegels, hoffe ich innständig, unsere Verfolger, haben ihre Jagd aufgegeben. Wie sollte ich Luna denn beschützen? Gar nicht. Nicht einmal einen kleinen Dolch habe ich.
„Das sollte lange genug gewesen sein", spreche ich, mehr zu mir selbst, als zu meiner Freundin, damit ich mich beruhigen kann, damit ich hoffen kann. Darauf umfasse ich Lunas Mitte, bevor ich meine Hand gen Spiegel strecke.
Noch bei der Berührung schleicht sich mir ein komisches Gefühl unter.

Kurz spüre ich den Boden unter meinen Füßen, bevor ich zur Seite gerissen werde und eine Klinge haarscharf an meinem Gesicht vorbeifliegt. Ehe ich mich versehe, packt Akira meine Hand und wir rennen durch die schmalen Gänge des Labyrinthes.

Messer landen neben uns in den Regalen und schneiden uns den Weg ab. Wieder und wieder bremsen wir scharf ab, um Haken zu schlagen. Wir huschen in eine Nische und verschwinden zwischen langen, bunten Tüchern und großen, aufgehängten Wandteppichen, schieben uns leise, bis nach ganz hinten in den Schrank hinein und betrachten schwer atmend den Platz vor uns.
Der Schrank ist um die zwei Meter tief, schätze ich, und unzählige Tücher verdecken, so gut, es geht, die Sicht auf uns. Die braune Holzmaserung der Regale, passt zu ihrer bunten Umgebung. Zusammen ergibt sich eine freundliche Atmosphäre aus Stoffen und Holz, wäre da nur nicht unser Verfolger.

Er betritt die Fläche so langsam und bestimmt wie die Ruhe selbst. Mit den bedrohlich wirkenden, grazilen Bewegungen, gleitet er weiter in die, von drei Wänden eingeschlossene, Nische hinein.

Durch kleine Lücken zwischen den Tüchern erkenne ich Bruchstücke seines Aussehens. Ein langer, dunkelgrüner Ledermantel, darunter ein weißes Leinenhemd und die Füße sind bedeckt mit schwarzen Stiefeln. Seine Haare, kurz und blond. Mein Herz setzt einen Schlag aus. Beinahe wären mir die Beine weggeknickt. Er ist es. Das Adrenalin rauscht durch meine Adern. Ich habe das Gefühl, mein Herz würde mir jeden Augenblick in der Brust zerreißen. Als Akira sein Kinn auf meiner Schulter ablegt und mit seinem Daumen beruhigend über meine Seite streicht, durchfährt mich zuerst ein panischen Zucken.

Die schwarzen Lederstiefel des Mannes quietschen, als er sich weiter Richtung Schrank bewegt. Gebannt starre ich auf seine Schuhe, sehe, wie diese näher und näher kommen. Zittrig schließe ich unter der quälenden Anspannung meine Lider und versuche meinen Atem wieder unter Kontrolle zu bringen.

Okay, komm schon Luna. Du schaffst das. Das ist kinderleicht. Wie verstecken spielen. Ganz leicht. Zähl einfach still von zehn an herunter. Zehn, neun, acht, sieben...

Ich höre, wie das quietschende Geräusch seiner Schuhe immer näher kommt und versuche es auszublenden.

Sechs, fünf, vier, drei, zwei...

die Geräusche verstummen.

Eins.

Ich öffne die Augen.

Er ist weg.

Akira nimmt seinen Kopf wieder hoch, schiebt ihn neben mein Gesicht und betrachtet die leere Fläche vor uns.

Ich schlucke schwer und tue es meinem Freund gleich. Suchend lasse ich meinen Blick über den Boden, die Tücher und durch die Luft hindurch gleiten. Absolut nichts. Es ist totenstill, als hätte noch nie ein Lebewesen diese Welt betreten. Ich drehe mein Gesicht zu Akira hin und sehe ich fragend an. Er erwidert meinen Blick nur mit ernster Miene und wendet sich schnell wieder ab.

Wir schleichen langsam, mit der Holzwand im Rücken, durch den Schrank, nehmen jeden kleinen Winkel unter Beobachtung, scannen jede kleine Faser nach einer Spur unseres Verfolgers ab. Wir wissen beide, dass er hier ist.

Ich weiß, er ist in unserer Nähe. Ich kann seinen Blick auf mir fühlen, wie er mich beobachtet. Er ist ganz nah. Ich spüre es deutlich und noch mehr spüre ich es, als ein heißer Atem meinen Nacken streicht.

"Erwischt!", höre ich eine bedrohliche, dunkle Stimme, aus deren Richtung eine Hand blitzschnell durch die Tücher fährt, mich am Kragen packt und mit einem Ruck aus Akiras festem Griff reißt.

Ich werde aus dem Schrank hinausgeschleudert und lande mehrere Meter weit von ihm entfernt. Mein Kopf knallt erbarmungslos auf den Steinboden und die Luft entweicht meiner Lunge, als mein Körper mit einem lauten Knacken seitlich aufprallt. Röchelnd und hustend schnappe ich nach Luft. Ich drehe mich kraftlos auf den Rücken und mein Bewusstsein ist bereits dabei, sich zu verabschieden, als ich merke, wie sich jemand auf meinem Bauch niederkniet. Benommen blinzele ich das, über mir schwebende, Gesicht an, das eine Sekunde später zur Seite gerissen wird. Irgendwo im Hintergrund erklingen Rufe. Ich meine, Akiras Stimme zu hören.

Der verzweifelte Versuch, mich aufzurichten, wird von gellendem Schmerz übermannt und ich falle zurück auf den Boden. Starke Arme schieben sich unter meinen Rücken und meine Beine und tragen mich davon.

Ich versuche, dem Verfolger zu entkommen, doch das ist gar nicht so leicht ohne Waffen und mit einer bewusstlosen Frau in den Armen. Er ist zu schnell und so werde ich ihn niemals abschütteln. Mit zitterndem Herzen aber großer Entschlossenheit, lege ich Luna, nach der nächsten Ecke, vorsichtig auf dem Boden ab, um im nächsten Moment auf den Angreifer zuzustürmen. Ich darf diesen Kampf nicht verlieren, das steht nicht zur Debatte.

Er zieht ein Schwert aus seiner Halterung am Gürtel, das mir merkwürdig bekannt vorkommt. Im Gegensatz zu mir, lässt er sich jedoch nicht durch Kleinigkeiten beirren. Mit einem fiesen Grinsen, welches sich schließlich in eine ernste Miene wandelt, kommt er auf mich zu, holt aus und verfehlt mich nur knapp mit seinem Hieb.

Beim Ausweichen schmerzt die offene Wunde an meiner Schulter, sodass ich ein wenig ins Taumeln gerate. Meine Beinarbeit ist eher bescheiden, als zufriedenstellend. Ich habe schon lange gegen niemanden mehr kämpfen müssen, und ohne Trainer bei Hofe, der mir hinterherrennt, ist es in den letzten Jahren viel zu kurz gekommen. Während mein Gegner erneut ausholt, versuche ich mich konzentriert an die Stunden mit meinem Mentor zu erinnern. Wie ich es gehasst habe, wenn er mich stundenlang hin und her renne lassen hat, Liegestützen und Kniebeugen den ganzen Tag lang. Nach einer Weile, beginne zwar nicht ich selbst aber immerhin mein Körper sich zu erinnern. Der Rest geschieht instinktiv. Gekonnt weiche ich aus, schone dabei meine verletzte Seite. Als er noch einmal ausholt, nutze ich die Gelegenheit und ducke mich unter seinem Schlag hindurch weg, baue mich hinter ihm auf und verpasse ihm, noch in dem Moment, wo er sich umdreht, einen kräftigen Schlag. Seine Nase knackt, er stolpert benommen zurück und hebe ich mein Bein, um ihn anschließend mit meinem Fuß einen kräftigen Tritt in die Rippen zu geben.

Der Verfolger prallt mit seinem Kopf gegen eines der Regale hinter sich, und sinkt bewusstlos zu Boden. Das Schwert fiel ihm schon beim Schlag aus der Hand. Unser Angreifer scheint zwar ein Mensch zu sein, doch seine Waffe entstammt definitiv nicht seiner Welt.

In Gedanken versunken, gehe ich in die Hocke, um das Messer aufzuheben. So eine fein gearbeitete Klinge würden die Menschen in tausend Jahren nicht erschaffen. Das Schwert stammt ohne Zweifel aus der Anderswelt. Da stellt sich mir doch die Frage, wie ein einfacher Mensch an so etwas herankommt. Selbst auf den zahlreichen Schwarzmärkten würde niemand an ihn verkaufen. Ein gequältes Stöhnen lässt mich aufschauen.

Der Mann bewegt schlapp seinen Kopf. Dabei fällt mir seine Kleidung das erste Mal richtig auf.

Der Grüne Mantel, die Lederstiefel. Ein Leinenhemd. In der Menschenwelt trägt zu dieser Zeit bestimmt niemand mehr ein Leinenhemd. Es ist nicht zu übersehen. Alles an ihm schreit nach Anderswelt. Die Frage ist nur, wie er da hinein gekommen ist. Der Zutritt ist Menschen strickt untersagt. Selbst wenn sie ein Portal finden und hineingehen würden, würden sie nicht hindurch kommen. Mit ihrem unersättlichen Hunger zerstören sie bereits ihre eigene Welt. Kaum zu denken, was geschehen würde, hätten sie auch noch Zutritt zu unserer. Zusätzliche Ressourcen, von denen sie nicht gewagt hätten zu träumen. Maschinen aus Metall und Fabriken, die ihre Welt zu Grunde richten. Nichts davon möchte ich in der Nähe meines Geburtsortes, auch wenn er nicht mehr meine Heimat ist. Er könnte ein Halbblut sein, überlege ich. Doch die halten sich gewöhnlich fern.

Als von dem Mann ein weiterer Laut kommt, packe ich mir Luna und hechte weiter. Bald darauf darf ich feststellen, dass der Mann mit dem grünen Mantel seine Freunde mitgebracht hat. Bevor sie uns entdecken können, ziehe ich mich in eine dunkle Ecke zurück. Mir fällt erst jetzt auf, wie verletzt meine Freundin ist.

Sie hat überall blaue Flecke und aus ihrem Kopf fließt ununterbrochen Blut. Einer ihrer Arme hängt übel verdreht herunter und ihr Atem kommt viel zu flach.

Der einzige Grund für ihr Überleben ist das Amulett um ihren Hals. Ich erinnere mich an den Schwarzmarkt, auf dem ich es in der letzten Woche gekauft habe. Da gab es zwar auch Waffen aus der Anderswelt, doch die waren längst nicht so gut verarbeitet wie dieses Schwert.

Plötzlich rennt eine Meute Männer an uns vorbei, die uns zu unserem Vorteil glatt übersieht. Sehr aufmerksam sind sie nicht, denke ich mir. Sofort laufe ich weiter, nachdem die Männer sich weit genug entfernt haben, und finde nur ein paar Ecken weiter ein Portal. In einem zugestellten Regal ist eine rote Tür eingesetzt, die mit metallenen Verzierungen geschmückt ist. Sie passt sich perfekt an ihre bunte Umgebung an. Was für den Menschen wie eine einfache Tür aussieht, ist für Eingeweihte ein Portal zu einer neuen Welt. Beim Nähern dieser Tür, verschieben sich die silbernen Ranken, der Türknauf wird freigegeben und das Schloss geöffnet. Ich husche durch die Tür, drehe mich um und sie ist weg. Zum Glück. Das Portal hat sich geschlossen.

Anhand unserer Umgebung kann ich schnell unseren Standpunkt ausmachen, welcher glücklicherweise ganz in der Nähe des Nymphendorfes liegt. Um keine Zeit zu verlieren, mache ich mich umgehend auf den Weg, denn wenn ich an Lunas Zustand denke, schwant mir Übles.

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