Verliebt
"Erst einmal die Standardspielzüge durchspielen", kam dann von Nick die Anweisung. "Nora, du sagst an!"
Die ersten Übungen liefen noch ganz gut, aber je mehr Konzentration gefragt war, je schwieriger wurde es für Annika sich zu konzentrieren. Sie wusste, dass Nick sie beobachtete. Sie wusste, dass er wusste, welche Wirkung er auf sie hatte. Jedes Mal, wenn sie seine Stimme hörte und jedes Mal, wenn sie seinen Blick auffing, war sie der Ohnmacht nahe.
Hatte sie den Fehler ihres Lebens begangen, als sie ihn in der Nacht des Balles abgewiesen hatte?
Oder hatte sie die richtige Entscheidung getroffen? Hatte ihr Unterbewusstsein sie davor beschützt, sich einem Mann hinzugeben, der eh nur mit ihr spielte?
"Cullum, du musst aggressiver auf die Abwehr zugehen!", rief er ihr in dem Moment zu. Aggressiver... Das würde sie mit Leichtigkeit schaffen, dachte sie bitter und legte noch einen Zahn zu.
Immer und immer wieder kamen von Nick gute Ratschläge, Verbesserungsvorschläge, vor allem aber Kritik. Alle Mädchen fühlten sich mehr oder weniger zur Schau gestellt - außer Victoria. Nick lobte sie ab und an und kommentierte sonst keinen ihrer Fehler. Und wieder einmal fragte Annika sich, ob Raphael mit seiner Vermutung Recht gehabt hatte. Denn sie sah die eifersüchtigen und verbissenen Blicke der anderen Spieler, wenn Victoria von ihrem Trainer gelobt wurde.
Sie übten gerade den neuen Spielzug, als Nick wieder etwas an Annika auszusetzen hatte. Fast eine ganze Stunde hatten sie ununterbrochen gespielt, nicht nur sie war am Ende ihrer Kräfte.
"Cullum, du musst mehr einknicken und den Arm gestreckt lassen, wenn du abschließt." Plötzlich stand er dich hinter ihr. Als sie einen Blick über die Schulter warf, sahen sie sich zum ersten Mal so richtig an. Schwer schluckte sie, während sie darauf wartete, dass Nick weitersprach. Einen kurzen Augenblick verhakten sich ihre Blicke, dann fiel ein Schleier der Gleichgültigkeit über seine hellblaue Iris.
"Wenn du zum Wurf ansetzt, musst du dich mehr nach links biegen. Hier", meinte er und fasst sie an der Hüfte an. "Hier musst du einknicken." Er entfernte seine Hand viel zu schnell. "Bisschen, wie wenn du von rechts außen werfen müsstest", erklärte er noch und endlich konnte sie reagieren. Langsam nickte sie und senkte dann den Blick. Nicks Augen gaben ihr keine Antwort auf ihre unausgesprochene Frage. Also wollte sie sich nicht länger als nötig darin fallen lassen.
"Gleich noch einmal!" Er entfernte sich und schien all Energie aus ihr mit sich zu ziehen. Die Mädchen sammelten all ihre Kräfte zusammen und wiederholten die Vorgänge, doch das Tempo ließ nach, sie machten Fehler und verloren langsam die Nerven. Annika war eh schon am Ende ihrer Kräfte.
"Fantastischer Pass!", rief Nick Victoria zu, die soeben hinter ihrem Rücken den Ball weiter gespielt hatte. Annika verdrängte wütend die aufsteigende Eifersucht und nahm Noras Pass entgegen.
Fast.
Denn in der Bewegung rutschte ihr der Ball aus den Händen und somit war der Spielzug ruiniert.
"Cullum, verdammt!", rief Nick verärgert. Die anderen Mädchen holten tief Luft und versuchten ihren Puls zu beruhigen. Eine Pause war bitter nötig.
Annika ärgerte sich über ihren Fehler und sammelte den Ball auf, als jemand sie am Handgelenk packte.
"Was ist los?", fragte Nick sie. Die Berührung brannte auf ihrer Haut und er ließ nicht los. "Wieso kannst du dich nicht konzentrieren?"
Wütend biss die heftig die Zähne zusammen. Wieso sie sich nicht konzentrieren konnte? Sie hatte gleich mehrere Gründe, die sie ihm ins Gesicht schleudern konnte, doch Victoria kam ihr zuvor.
"Scheint fast so, als wärst du verliebt", murmelte sie, aber so laut das sämtliche Mädchen im Team jede einzelne Silbe verstanden. Megan kicherte, einige verdrehten die Augen, weil sie Victorias Kommentar als sinnlos abstempelten, wiederum andere spitzten neugierig die Ohren. Langsam, wie in Zeitlupe, sah Annika zu Victoria, die selbstgefällig grinsend da stand und mit ihrem Blick eine deutliche Botschaft sprach: sie hatte sie durchschaut.
Nick sah sie immer noch abwartend an, diesmal aber mit einem nachdenklichen Blick. Victorias Worte waren auch bei ihm angekommen.
"Ich brauche Wasser", murmelte sie dann, sandte Nick einen giftigen Blick, pfefferte den Ball noch ins Tor, schnappte sich ihre Flasche und verließ die Halle.
"Okay, zwei Minuten Pause, Mädels", hörte sie Nick sagen, bevor die Tür hinter ihr ins Schloss fiel. Aufgebracht marschierte sie den Flur entlang in die Umkleide, um am Wasserhahn ihre Flasche aufzufüllen. Fast hätte sie sie vor Schreck fallen gelassen, als die Tür mit Karacho aufflog und an die Wand knallte.
Nick stand groß und furchteinflößend im Türrahmen und kam dann mit schnellen Schritten auf sie zu.
"Cullum, ich habe deine dramatischen Abgänge bald mehr als satt!", fing er mit eiskalter, aber ruhiger Stimme an. "Wir strengen uns da drinnen alle an, noch die letzten Kräfte zu mobilisieren. Ich sehe nicht, was dein Problem ist."
Selten hatte Annika Nick so aufgebracht erlebt und ein wenig eingeschüchtert war sie schon. Die plötzliche Nähe zu ihm, und dass sie ganz alleine waren, wirkte auf einmal auch sehr überwältigend. Aber sie wusste auch, dass sie genug Widerstandskraft gegen ihn aufbringen könnte.
"Was mein Problem ist? Dein Scheiß 'Plan' ist mein Problem!", rief sie ihm dann giftig entgegen. Ihr war egal, ob die anderen Mädchen in der Halle hören konnten, dass sie diskutierten. Sie wollte Nick ihre Meinung geigen und endlich mal ein paar Antworten erhalten. "Wieso ich mich nicht konzentrieren kann? Ganz einfach, weil mich dein Blödsinn zu sehr ablenkt! Alle deine Spieler eifersüchtig machen, damit sie motivierter sind und mehr geben – was ist das bitte für ein Blödsinn?" Wütend wedelte sie mit ihrer Wasserflasche.
"Wovon redest du?", fragte Nick mit gekräuselter Stirn.
"Davon, dass du unbedingt deine verdammte Ex-Freundin ins Team holen musstest!", fast schon schrie Annika ihn an. Erschrocken über ihren Gefühlsausbruch starrte sie Nick an, der sie ebenso fassungslos ansah und keinen Ton von sich gab.
"Victoria? Was hat sie jetzt damit zu tun?", fragte er dann doch nach einigen Sekunden Stille. Seine Unschuldsmiene ließ Annika wieder auf hundertachzig fahren.
"Du hattest also keinen Plan, als du sie ins Team geholt hast?", schleuderte sie ihm verächtlich entgegen und sah ihn mit verschränkten Armen abwartend an. Nick kam einen Schritt näher auf sie zu.
"Plan? Natürlich hatte ich einen Plan, sonst hätte ich das ja wohl kaum gemacht?" Dass Nick wieder so ruhig war, beunruhigte wiederum Annika.
"Und wie lautete der Plan? Deine restlichen Spielerinnen, die deiner Meinung nach alle in dich verliebt sind, durch Eifersucht zu motivieren?" Als die Frage laut ausgesprochen war, fiel Annika deutlich auf, wie verquer es sich anhörte. Doch die Worte waren ausgesprochen und nicht wieder rückgängig zu machen. Außerdem wollte sie wissen, was Sache war.
"Wie bitte?"
"Tu nicht so, als hättest du keine Ahnung, wovon ich rede", provozierte sie ihn und reckte das Kinn.
"Ich habe wirklich keine Ahnung." Nick rang deutlich mit sich, die Fassung zu bewahren. "Ich habe Victoria ins Team geholt, weil wir auf halbrechts Verstärkung gebraucht haben. Der Plan war, dass sie dort einen positiven Einfluss ausüben sollte. Und falls das so schlimm und verkehrt ist, dann habe ich an meiner Jobbeschreibung als Trainer eindeutig irgendetwas falsch verstanden!" Er bedachte sie noch mit einem strengen Blick, dann wandte er sich kopfschüttelnd ab und ging Richtung Tür.
"Es hat also nichts mit uns zu tun?", fragte Annika leise und hoffte im ersten Moment, dass Nick sie nicht gehört hatte. Doch er blieb stehen und sah sich über die Schulter.
"Mit uns?"
Annika schluckte. Sie wusste, dass sie jetzt so ehrlich wie möglich sein sollte. Sie wusste, dass sie ihm womöglich ihre Gefühle offenbaren würde. Sie wusste, dass sie sich jetzt verletzbar machte. Aber sie musste dieses Gespräch zu Ende bringen.
"Schottland", war aber dann das einzige, was sie herausbrachte.
"Schottland?" Nick drehte sich jetzt ganz um und kam wieder einige Schritte auf sie zu.
Es kostete Annika alle Überwindung der Welt, den nächsten Satz zu sagen. "Du küsst mich, dann entschuldigst du dich..." Sie spie das Wort förmlich aus, ohne aber verbergen zu können, wie verletzt sie war. "Und dann soll ich mit deiner Ex-Freundin zusammen spielen? Sag mir, wie ich das verstehen soll."
Nick schloss die Augen, seufzte und fuhr sich mit der Hand durch die Haare. Dann sah er sie an. "Victoria hat mit uns nichts zu tun, Cullum. Das weißt du doch..."
"Ach, weiß ich das?", unterbrach sie ihn aufgebracht. "Nick, du hast mich einfach so geküsst! Und danach tat es dir Leid und dann hast du mir indirekt verboten, irgendwem davon zu erzählen. Was soll ich denn dann denken? Für mich konnte das nur eins bedeuten. Ich habe schließlich von dir keine Erklärung bekommen. Für nichts! Und arrogant, wie du bist, wiederholst du das Geschehen einfach am Samstag, als könntest du dir alles erlauben!" Obwohl sie den letzten Kuss eigentlich nicht erwähnen wollte, waren die Worte einfach aus ihr herausgerutscht. Aber wie könnte sie den Kuss auch einfach ignorieren? Dass er sie das erste Mal geküsst hatte, konnte sie ihm noch als Fehler seinerseits durchgehen lassen. Aber ein zweites Mal? Wie lautete da seine Begründung? Außer, dass er mit ihr spielte?
"Willst du dich dafür nicht auch entschuldigen?", fragte sie ihn sarkastisch, als er nicht reagierte. Wütend funkelte er sie jetzt an.
"Ich entschuldige mich für gar nichts", brachte er gepresst hervor und kam noch einen Schritt näher, sein Kiefer war sichtlich angespannt. "Du willst eine Erklärung? Die wollte ich dir am Samstag geben. Hättest du mir noch fünf Sekunden zugehört, anstatt dich für so wichtig zu halten, würdest du jetzt wissen, dass ich mich verdammt nochmal in dich verliebt habe! Aber stur wie du bist, hast du mich schon längst abgestempelt und verurteilt. Ich hatte nie eine Chance, deinem Urteil zu entkommen. Und dann sagst du mir, dass ICH arrogant bin?"
Bei seinen Worten setzte Annikas Herzschlag aus. Überfordert, wie sie reagieren sollte, sagte sie das erste, was ihr einfiel.
"Ich wollte dir doch eine verdammte Chance geben, aber dein sich stetig änderndes Verhalten verwirrt mich, Nick!"
"Ich habe dir gerade gesagt, dass ich in dich verliebt bin, Annika. Ich fühle für dich, wie ich nie zuvor für jemanden gefühlt habe. Und das erste, was dir dazu einfällt, ist dich selber zu verteidigen und mich wieder anzugreifen? Wer hat hier denn Probleme jemanden an sich ranzulassen, hm?" Mittlerweile stand Nick so dicht vor ihr, dass sie den Kopf leicht in den Nacken legen musste. Ihr Kopf war wie leer gefegt, völlig benommen tauchte sie in seine hellen Augen ein, die zum ersten Mal, seit sie Nick kannte, wie ein offenes Buch für sie waren.
Sie sah in seinen Augen Schmerz, Wut, Zärtlichkeit und Verlangen. Er musterte sie, heftig atmend, immer noch aufgebracht, innerlich entzwei gerissen. Sein Blick flatterte zu ihrem Mund, wieder zu ihren Augen und dann zu ihren Lippen zurück.
'Küss mich!', dachte sie. 'Küss mich, verdammt nochmal!', wollte sie ihm sagen oder ihren Wunsch selber in die Hand nehmen. Ihn zu sich ziehen und nie wieder loslassen. Sie wollte sich fallen lassen und von ihm aufgefangen werden.
Doch die Illusion brach und verschwand. Nick trat einen Schritt nach hinten und schien nach den Worten zu ringen. Dann drehte er sich halb weg.
"Kommst du gleich? Wir haben noch einiges zu tun." Seine Stimme klang leise, sie klang verletzt und brach Annika das Herz. Mit Tränen in den Augen sah sie ihm nach, wie er ruhig die Umkleidekabine verließ und sie mit ihren aufgewühlten Gefühlen alleine ließ.
Er war in sie verliebt.
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Tyskerfie <3
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