Verhaltenes Verhalten

Ich liebe ihn nicht. Und ich werde ihn nie lieben.

Die Worte gingen in Endlosschleife durch ihren Kopf. Genauso wie das Bild von Nick, wie er sie undefinierbar ansah, nachdem er diese verheerenden Worte von ihr gehört hatte.

Es stimmte, Annika liebte ihn nicht. Wie könnte sie auch, wenn er sie so unfreundlich behandelte? Wenn er so ein verwirrendes Benehmen ihr gegenüber an den Tag legte?

Trotzdem hatte er es nicht hören dürfen. Denn... Vielleicht hätte sie ihn irgendwann lieben können. Wenn er es zugelassen hätte.

Aber das würde er jetzt sowieso nie tun. Ihre Aussage war klar und deutlich gewesen. Und er hatte sie gehört, keine Frage.

Mittwoch im Training hatte er sie einfach wie alle anderen behandelt. Er hatte ihr keinerlei extra Aufmerksamkeit geschenkt und er hatte ihr auch nicht weniger Aufmerksamkeit geschenkt. Und das war für Annika eigentlich das schlimmste. Sie war wie alle anderen gewesen, eine von vielen, nichts besonderes.

Aber verdammt, er hatte doch sie geküsst! Er hatte diese ganze Lawine aus verwirrten Gefühlen, Unannehmlichkeiten und Lügen in Gang gesetzt. Er hatte sie durch den Kuss zu etwas gemacht, mit dem keine der anderen sich messen konnte, selbst nicht Victoria. Sie konnte gar nicht wie alle anderen sein, sie wollte nicht wie alle anderen sein!

Frustriert pfefferte sie eine Wasserflasche in ihre Sporttasche. Es machte sie fertig, dass es so viele unausgesprochene Dinge zwischen ihnen gab. Sie sehnte sich nach der Zeit in Schottland zurück, wo sie noch unbefangen miteinander umgegangen waren. Sie hatten Spaß gehabt zusammen. Selbst das konnten sie nicht einmal mehr.

Wütend trat Annika vor den bodenlangen Spiegel und band ihre langen Haare zu einem Zopf. Verbissen kam ihr ihr eigenes Spiegelbild entgegen. Bitter und grimmig sah sie aus.

Sie atmete tief durch und straffte die Schultern. Sie bräuchte beim heutigen Auswärtsspiel ihre innere Ruhe mehr denn je. Sie musste sich vor Nick beweisen, wie immer, und sie musste versuchen, Victoria nicht die Augen auszukratzen.

Sie war ihr gegenüber so abgeneigt, dass es fast schon an Hass grenzte. Sie wusste nicht genau, ob Victoria ihr umgekehrtes Liebesgeständnis mit Absicht genau zu der Zeit hervor provoziert hatte oder nicht, aber allein ihre herablassende Art ging ihr gewaltig gegen den Strich.

Glaubst du wirklich, Nick würde sich mit jemanden wie dir abgeben?

Nick hatte sich schon mit ihr abgegeben. Aber das würde sie nie laut sagen. Denn was hatte es ihr gebracht? Nichts.

Victoria hatte also vielleicht doch Recht. Was konnte sie Nick schon anbieten? Wieso sollte er an ihr interessiert sein?

Auf der anderen Seite, wieso sollte er ihr Trainer-Spieler-Verhältnis absichtlich in so eine missliche Lage bringen? Wohl kaum aus Spaß. Oder weil ihm in Schottland langweilig war. Zwischen Ihnen herrschte eine nicht zu verachtende Anziehung, das konnte auch er wohl nicht leugnen. Aber hatte er ihr nur zum Vergnügen nachgegeben?

Grübelnd zog sie ihre Trainingsjacke an und sah sich noch einmal im Zimmer um. Caro, Rebecca und Verity waren noch beim Frühstück. An Tagen wie heute, wenn sie nicht in der Stimmung war, konnte sie alle anderen um ihr freies Wochenende beneiden. Dass sie länger schlafen und in Ruhe frühstücken konnten. Dass sie nicht hundert Prozent konzentriert sein mussten. Dass sie sich nicht vor irgendwem beweisen mussten.

Doch all diese Gedanken brachten nichts, redete Annika sich selber streng zu. Sie schlüpfte in ihren Mantel, schulterte ihre Sporttasche und verließ das Zimmer.

Ihr Inneres Gefühlschaos durfte ihr beim heutigen Spiel nicht zum Hindernis werden. Sie wollte heute allen zeigen, dass Victoria für sie keine Konkurrenz war. Sie war sich ihrem Können bewusst, egal was sich privat gerade bei ihr abspielte.

Als sie die Treppe hinunter lief, war sie heilfroh, dass sie immer noch ihren Ehrgeiz hatte. In den Augen vieler Menschen war Ehrgeiz etwas schlechtes, weil man dadurch oft kalt und arrogant, fast überheblich wurde. Aber für Annika war ihr Ehrgeiz ein Ansporn, eine Möglichkeit ihre Würde zu wahren. Und in Situationen wie diesen war Ehrgeiz Gold wert. Es lenkte sie von ihren eigentlichen Problemen ab und half ihr den Fokus nicht zu verlieren.

Als sie die Eingangshalle erreicht hatte, keimte wieder eine bekannte Wut in ihr auf. Wut auf Nick. Denn die letzten Wochen hatte sie nur mit Hilfe ihres Ehrgeizes überstanden. Und das zeigte nur zu deutlich, wie sehr ihr die ganze Sache im Magen lag. Wo war ihre Lebensfreude, ihre Unbeschwertheit hin? Ihre Gelassenheit? Dass nur noch ihr Ehrgeiz ihr Rettungsanker war, verhieß nichts Gutes.

Schwungvoll öffnete sie die Tür und trat in die kalte Luft. Sie atmete tief ein, als sie ihren Blick über das Waldstück vor ihr warf. Das Wetter war heute klar, blauer Himmel und Sonnenschein – aber bitterkalt.

Wie schon einige Wochen zuvor hielten zahlreiche Porsche Cayennes bereit, um die Mädels zur Duncan's Schule zu befördern. So gut wie alle Mädchen, genau so wie Nick und Laurena, waren schon davor versammelt. Annika stellte sich lächelnd neben Nora und ließ ihren Blick schweifen. Bei Victorias Anblick konnte sie sich ein Augenrollen nicht verkneifen.

Sie stand lachend bei Nick und Laurena und unterhielt sich mit ihnen. Laurena war augenscheinlich mehr als amüsiert, während Nick nicht weiter begeistert schien. Auch er sah mehr oder weniger desinteressiert durch die Gegend, bis sein Blick auf den ihren traf.

Eine halbe Sekunde gönnte Annika es sich, den Blickkontakt zu erwidern. In seine Augen zu schauen, die heute fast die gleiche Farbe wie der wolkenlose Himmel hatten. Doch nicht länger.

Sie drehte sich ganz weg, um nicht wieder in Versuchung zu kommen, ihn anzustarren. Gleichzeitig schloss sie kurz die Augen und schluckte. Wieso konnte sein Anblick und seine Anwesenheit sie nicht einfach kalt lassen?

„Ausgeschlafen?", fragte Nora sie und rieb sich aufgeregt die Hände. Sie war immer bestens auf alle Spiele eingestellt.

„Eigentlich schon. Ich will's jetzt aber hinter mich bringen", lächelte Annika. Und das stimmte. Sie hasste die Wartezeit vor einem Spiel. Sie wollte einfach anfangen! Zeigen, was sie als Team konnten und einen hundertprozentigen Einsatz liefern. Jetzt. Sofort.

"So, wie es aussieht, sind wir vollzählig!", rief Nick kurz darauf und bei dem Klang seiner Stimme beschleunigte Annikas Herzschlag sich. "Also, teilt euch auf und los geht's!"

Sie erinnerte sich an das letzte Auswärtsspiel, als Laurena krank gewesen und sie mit Nick gefahren war. Das würde sich hoffentlich nie wieder wiederholen.

Sie ging mit Nora und Jessika zu einem Wagen und hoffte, dass Victoria sich ein anderes Auto suchen würde. Was sie auch tat.

Zusammen mit Megan hüpfte sie in Nicks Wagen.

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Nick hatte gerade das Auto, in dem er mit Laurena saß, angeschmissen, als die Hintertüren aufgingen.

"Wir dürfen doch hier mitfahren, oder?", ertönte Victorias Stimme, als sie hinter ihn rutschte. Im Rückspiegel erkannte er auch Megan, die sich in das Auto verfrachtete.

"Natürlich!", erwiderte Laurena erfreut und drehte sich im Beifahrersitz zu ihnen um. Nick sagte nichts. Er hatte eigentlich mit seiner Co-Trainerin das Spiel besprechen wollen, ohne von seiner Ex-Freundin gestört zu werden. Selbst wenn Laurena nicht dabei gewesen wäre, hätte er nicht unbedingt Victoria als Fahrpartner gewählt. Zum Glück dauerte die Fahrt nur eine knappe halbe Stunde.

Ein wenig genervt lenkte er das Auto durch den Waldweg auf die Hauptstraße und versuchte die Mädchen hinter sich auszublenden. Er begann daran zu zweifeln, ob es eine gute Idee gewesen war, Victoria zu fragen, ob sie wieder dem Team beitreten wollte. Es war mehr als ein halbes Jahr her, dass er Schluss gemacht hatte. Er hatte mit ihr abgeschlossen und sie hatte ihm versichert, dass es ihr genauso ging. Er hatte ihr nämlich klipp und klar verdeutlicht, dass es erstens nie wieder etwas zwischen ihnen geben würde und zweitens war er jetzt ihr Trainer, der die Distanz wahren musste.

Die gleiche Distanz, die er bei Annika einfach vergessen, außer Acht gelassen hatte.

Wenn er an den Kuss in Schottland zurück dachte, wurde ihm immer noch ganz heiß. Er bereute den Kuss an sich nicht, bei Gott, er bereute ihn nicht. Aber was hatte er sich dabei gedacht?

Er hatte noch nie seinen Gefühlen aus einem spontanen Impuls heraus nachgegeben. Er war der Typ, der alle seine Handlungen vorher genau analysierte, die Vor- und Nachteile abwägte, bevor er sich zu etwas hinreißen ließ. Aber seine ganze Vernunft hatte in dem Moment ausgesetzt. Eigentlich schon, als er Annika bei seiner Schwester Camille gesehen hatte.

Die ganze Woche in Schottland war auf eine ganz eigene Art und Weise magisch gewesen. Als wären sie in einer anderen Welt gewesen.

Ein Blick in den Rückspiegel ließ ihn wissen, dass Nora und Annika direkt hinter ihm fuhren. Ihrem Blick vorhin nach zu urteilen, war sie nicht besonders begeistert, wenn sie an ihn dachte. Aber das konnte er ihr auch nicht verübeln.

Er wusste, dass er sich seit dem Kuss mehr als daneben benommen hatte. Sie erwartete wahrscheinlich immer noch eine Erklärung deswegen, aber er konnte es sich nicht einmal selber erklären.

Ich liebe ihn nicht. Und ich werde ihn nie lieben.

Immer, wenn diese Worte in seinem Kopf auftauchten, zog sich alles in ihm zusammen. Annikas Meinung war deutlich gewesen. Oder Victoria hatte sie als 'deutlich' dargestellt.

Er wusste nicht, was vor der Frage, ob Annika ihn liebte, besprochen worden war. Aber dass seine Ex-Freundin überhaupt ein Gespräch in dieser Richtung mit Annika hatte, ließ ihn Böses ahnen.

Er hatte Victoria ins Team geholt, weil sie auf Halbrechts Verstärkung gebraucht hatten. Doch ihr Benehmen bis jetzt bekümmerte ihn. Sie konnte ein hinterhältiges Biest sein, und er befürchtete stark, dass sie dieses Benehmen Annika gegenüber auspacken würde.

Und dass sie seine Nähe wieder so suchte, fand er einfach nur unmöglich. Sie war lächerlich und er wunderte sich nicht zum ersten Mal darüber, dass er das nicht schon viel früher in ihrer Beziehung erkannt hatte.

"Wieso bist du so still?", fragte Victoria ihn in dem Moment auch schon und legte von hinten eine Hand auf seine Schulter. Er schüttelte sie unverhohlen ab und hielt den Blick auf die Straße gerichtet.

"Ich bereite mich auf das Spiel vor", erwiderte er knapp. "Apropros!" Er wandte sich an Laurena und begann die heutige Taktik zu besprechen. So konnte er die Gedanken an Annika verscheuchen und gleichzeitig vermeiden, wieder von Victoria angesprochen zu werden.

Die Ablenkung hielt aber nicht lange an. Sie hatten sich schon gründlich auf das Spiel vorbereitet, es gab nichts mehr zu sagen.

"Fange ich heute auf dem Parkett an?" Victoria beugte sich ein wenig über die Mittelkonsole, um ihn besser ansehen zu können.

"Das entscheide ich noch im letzten Moment." Eigentlich hatte er schon entschieden, dass Victoria anfangen sollte, doch es war ihm zuwider, ihr das jetzt zu sagen. Sie würde sich darauf nur etwas einbilden.

Er versuchte sich Victoria gegenüber neutral zu verhalten, dem Team zuliebe. Wenn sie sich nicht oberflächlich verhielt, sondern natürlich in ihrem Reden und ihrem Verhalten war, mochte er sie sogar noch. Nur trat das Natürliche mehr und mehr in den Hintergrund und ihre versnobbte und arrogante Art kam ans Tageslicht.

Annika gegenüber wusste er einfach nicht, wie er sich verhalten sollte. Ihre harten Worte hatten seinen Stolz gekränkt, hatten ihn verletzt, hatten ihn wütend gemacht. Die Enttäuschung über sein eigenes Verhalten, machte es ihm auch schwer, sich ihr gegenüber korrekt zu verhalten. Es ärgerte ihn, dass er bei ihr immer wieder an seine Grenzen kam. Es provozierte ihn.

"Wann sind wir da?", fragte Victoria in dem Moment sogar noch und Nick schloss kurz die Augen. Wenn sie heute nicht ein erstklassiges Spiel lieferte, würde er sich etwas einfallen lassen müssen. Das hier war ja kaum noch auszuhalten.

"In einer Viertel Stunde", antwortete er und hing wieder seinen Gedanken nach. Es war gut, dass sie heute ein Spiel hatten, morgen musste er selber ran. Dann konnte er sich darauf konzentrieren, anstatt so viel zu grübeln.

Als sie nach ziemlich genau einer Viertel Stunde bei der Duncan's Schule ankamen, merkte Nick wie erleichtert er war, als er endlich aussteigen konnte. Nora parkte direkt neben ihm und somit stieg Annika zur gleichen Seite wie er aus. Er hielt ihr die Tür auf, da nicht viel Platz war und war sich sofort Victorias stechenden Blick bewusst. Sollte sie doch misstrauisch werden, ihm war das egal.

Annika stieg aus und kurz sahen sie sich an, versuchten gegenseitig die Augen des anderen zu lesen, doch dann wandte sie sich ab und ließ Nick stehen wie bestellt und nicht abgeholt.

Er musste mit ihr reden. Was genau er sagen wollte, wusste er nicht. Aber er musste mit ihr reden.

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Immer noch krank und am Ende meiner Kräfte (im Ernst, wie lange kann man bitte Halsschmerzen haben und sich die Seele aus dem Leib husten? -.-), aber hier ein Kapiiiteeeeeel :D

Bisschen Action-los, aber dafür gabs einen kleinen Einblick in die Gedanken unserer beiden Hauptdarsteller ;) Hoffe, es hat euch gefallen :b

Tyskerfie <3

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