Abgehetzt kam Annika zu ihrer Schule zurück und begab sich in den Unterricht.

"Na, lief's gut?", flüsterte Caro ihr zu, als Annika sich nach einer entschuldigenden Erklärung für ihr Zuspätkommen hingesetzt hatte.

"Jap, Simon hat mir geholfen, nachdem Nick sich einfach aus dem Staub gemacht hat!" Sie konnte nicht ganz verhindern, dass ein etwas bitterer Unterton in ihrer Stimme mitschwang. Caro neben ihr prustete los.

"Erzähl, erzähl!", forderte sie auf und wartete grinsend.

"Ich stehe in der Eingangshalle, bin total verwirrt, keine Ahnung wo ich bin und wo ich hin muss, und dann sehe ich Nick - der mich beobachtet. Er sieht wie verloren ich bin, er sieht die Papiere in meiner Hand, ich gehe sogar auf ihn zu, und dann haut er einfach ab. Geht. Er geht einfach!" Jetzt hatte Annika sich fast in Rage gesprochen, denn sie musste einmal tief durchatmen, um ein wenig zur Ruhe zu fallen. "Wie kann man nur so unfreundlich sein? Selbst wenn er nicht gepeilt hat, dass ich vielleicht ein wenig Hilfe gebrauchen könnte, dann hätte er mich doch trotzdem begrüßen können, oder? Er ist mein Trainer! Wir sehen uns verdammt mindestens drei Mal die Woche! Und dann tut er so, als würde er mich nicht kennen!" Annika konnte jetzt nicht mehr verbergen, wie sauer sie war.

"Sssht, ganz ruhig, Cullum", kicherte Caro und zeigte auf die Lehrerin, die ihnen strenge Blicke zuwarf. Einige Minuten lang konzentrierten sie sich auf den Unterricht, dann wagte Caro sich ein wenig zu Annika zu beugen.

"Du kannst ihn ja heute im Training darauf ansprechen", schlug sie vor.

Training. Heute.

Das hatte sie glatt vergessen.

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Mit leicht klopfendem Herzen machte Nick am Abend die Tür zur Sporthalle auf und betrat sie. Schnell hatte er die Lage gemustert, alle Mädels waren da. Auch Annika. Sie stand mit Nora zusammen und unterhielt sich lachend.

Ihr würde das Lachen noch vergehen, dachte er amüsiert und ging auf die anderen zu. Er war ein wenig spät dran heute, ein Lehrer hatte ihn bezüglich eines Wissenschaftsprojekts lange aufgehalten. Nick würde am kommenden Schulwettbewerb seine Klasse zum dritten Mal vertreten, worauf er stolz war. Und gespannt, denn Physik, Chemie und Biologie waren seine Leidenschaft.

"Hi Nick, wir sind vollzählig!", begrüßte Laurena, seine treue Co-Trainerin, ihn.

"Perfekt, danke!", sagte er und strahlte sie an, als er ihre Mappe mit den Teamunterlagen entgegennahm. Er schmiss seine Tasche auf die Bank und blätterte schnell die Papiere durch. Laurena war echt Gold Wert. Immer loyal, immer fleißig, genau das, was er brauchte.

Die anderen Mädchen hatten seine Anwesenheit bemerkt und er schaute einmal in die Runde. Sein Blick blieb kurz bei Annika haften. Sie hatte einen trotzigen Ausdruck um den Mund und ihre Augen sprühten Funken. Oh, Annika war für was auch immer sie heute erwartete mehr als bereit. Er grinste innerlich bei dem Gedanken an heute Mittag, wo es mehr als deutlich gewesen war wie verloren Annika in der Herrenschule war. Und es war auch deutlich gewesen, dass sie darauf gehofft hatte, von ihm geholfen zu werden. Nun ja, er spielte sein Spiel. Und es war nur eine Frage der Zeit, bevor Annika es ihm heimzahlen würde, darüber war er sich durchaus bewusst.

"Seid gegrüßt, Leute", sagte er dann und richtete sich noch die letzten Zentimeter zu seiner vollen Größe auf. Er wusste, dass die Mädchen ihn respektierten, einige hatten wahrscheinlich sogar ein klein wenig Angst vor ihm, aber alle wollten sie ihn auf keinen Fall enttäuschen. Und das war ein Bonus, den sich nicht alle Trainer leisten konnten.

"Wir werden heute einige neue Spielzüge und Angriffsformationen einstudieren und üben, und ich kann jetzt schon sagen, dass es hart wird. Abschließen werden wir mit ein wenig Muskeltraining." Bei den letzten Worten grinste Nick böse und einige seiner Spieler stöhnten jetzt schon. "Also fangen wir an! Lauft zum Einwärmen 5 Runden in der Halle." Sofort rappelten sich die Mädchen auf. "Cullum, du läufst 6 Runden. In der gleichen Zeit", fügte er hinzu und sah auf seine Unterlagen. Aus dem Augenwinkel nahm er wahr, wie Annika in der Bewegung abrupt stehen geblieben war und ihn ansah. Er hob den Blick und traf den ihren, der voller Intensität war. Er wusste, dass sie jetzt eine messerscharfe Bemerkung loswerden wollte, und obwohl er neugierig darauf war, schnitt er ihr das Wort ab.

"Je länger du wartest, desto schneller musst du laufen", sagte er schlicht und starrte sie einfach an. Sie rang mit sich und ballte die Hände zu Fäusten. Nick fand ihre Wut äußerst amüsant. Als sie kopfschüttelnd los lief, schaute er ihr ein wenig stolz hinterher. Ihm war klar, dass er bei Annika anscheinend alle seine Manieren vergaß, aber das musste in diesem Fall einfach als Mittel zum Zweck dienen.

Denn Annika war mit Abstand seine beste Spielerin. Er spielte selber seit seinem neunten Lebensjahr Handball und wusste, ob das Können an Talent oder Fleiß lag.

Bei Annika war es eine Mischung aus beidem. Sie hatte wirklich Talent. Sie verspielte es aber auch nicht, denn sie war ehrgeizig und fleißig und so gottverdammt stur. Sie hatte Ziele oder ihr wurden Ziele gesteckt, und diese wollte sie erreichen. Koste was es wolle. Und wenn Nick ihr dabei helfen konnte, dann tat er dies nur zu gern. Denn das Carmelot-Team hatte ihre Hilfe und Unterstützung, ihr Talent, bitter nötig.

Natürlich provozierte er sie bewusst mit seinen Kommentaren, aber er wusste, dass sie sich dadurch nur noch mehr anstrengte. Und auf ihn wirkte sie für seinen Geschmack einen Tick zu arrogant und von sich selber überzeugt. Da schadeten kleine stichelnde Bemerkungen ja nicht wirklich.

Nach gut 10 Minuten hatte die Mannschaft das Aufwärmen beendet und auch Annika hatte die extra Runde absolviert. Sie sah nicht besonders fertig aus, dafür aber umso wütender. Er hatte sie genau dort, wo er sie haben wollte.

Die ganze nächste Stunde über brachte Nick der Mannschaft zwei neue Spielzüge bei, die sie wiederholten, bis sie perfekt ausgeführt wurden. Sie waren um einiges komplizierter als die bisher gelernten, würden in einem Spiel aber für Verwirrung und große Lücken in der Abwehr sorgen. Er wollte gerade die Trinkpause beenden, als natürlich Annika sich zu Wort meldete.

"Nick? Kann ich auch in die zweite Lücke gehen, statt in die dritte?" Sie schaute ihn fragend, aber auch sehr selbstbewusst an, und Nick ging im Kopf noch einmal den Spielzug durch um zu versuchen, ihren Gedanken nachzuvollziehen.

"Ich sehe nicht wirklich einen Sinn dahinter", meinte er dann. "Wie stellst du dir das vor? Dann müsstest du auf jeden Fall deinen Anlauf ein wenig ändern und Megan müsste eine Sperre setzen, nachdem sie dir den Ball zugepasst hätte."

"Das wäre ja auch durchaus machbar."

"Dann lass es uns probieren", schlug Nick vor und ging gefolgt von Annika auf das Spielfeld. Er nahm einen Ball und legte ihn ungefähr in der Mitte des Kreises hin.

"Mittelspieler und Sperre", erklärte er. Dann nahm er noch einen Ball und legte ihn links außen hin. "Links außen und also auch eine Sperre." Dann stellte er sich selber dazwischen als Abwehrspieler und schaute Annika abwartend an.

"Wenn der Spielzug so aufgebaut wird, dann habe ich jetzt zwei Möglichkeiten", sagte Annika und er wartete erneut. "Entweder ich gehe rechts an dir vorbei, was wir gerade geübt haben und auch sehr logisch wäre, wenn man meinen Anlauf in Betracht zieht. Oder ich gehe links an dir vorbei."

"Um deinen Winkel zu verkleinern?", fragte Nick sie und hob die eine Augenbraue. Er verstand ihren Gedankengang schon, es war immer gut auch eine zweite Möglichkeit zu haben, aber bewusst darauf hinzuarbeiten eine schlechtere Ausgangsposition zu haben, war in seinen Augen Zeitvertreib.

"Viel kleiner wird er ja nicht", behauptete Annika. "Und hier wäre der Vorteil die Überraschung. Jeder erwartet, dass ich rechts an dir vorbei gehe."

"Okay, dann überrasch mich mal", forderte Nick sie auf und stellte sich bereit. Annika schnappte sich einen Ball und und schaute ihn grimmig an. Dann nahm sie Anlauf und Nick bereitete sich auf eine Finte vor, wo Annika erst andeuten würde nach rechts zu gehen, nur um dann links an ihm vorbei zu springen. So würde sie es bestimmt in einem Spiel machen, um eine Überraschung hervor zu zwingen. Halbherzig machte er also seine Abwehr. Annika ging aber nicht wie vorausgesagt links an ihm vorbei, sondern rechts und ließ Nick blöd stehen, als sie ein Tor warf. Sie hatte genau das getan, was sie die ganze Zeit geübt hatten.

"Was war daran jetzt neu?", fragte er sie ein wenig kälter als beabsichtigt.

"Dass ich dich überrascht habe. Ich habe das Gegenteil von dem getan, was du erwartet hast. Ist ja klar, dass ich nicht nach links gehe, wenn du das schon im Vornherein weißt. Tolle Abwehrleistung übrigens", fügte sie neckend hinzu und klatschte provokativ in die Hände. Innerlich lachte Nick, doch nach außen gab er sich gleichgültig.

"Okay, dann noch einmal. Du entscheidest selber, was du machst." Während Annika sich noch einen Ball holte, stellte Nick sich bereit. Diesmal würde sie nicht an ihm vorbei kommen, egal was sie machte. Man lachte ihn nur ein Mal aus.

Annika kam angelaufen, rückte nach rechts und machte, wie Nick schon zu Anfang vermutet hatte, eine Finte. Sie versuchte also links an ihm vorbei zu kommen, doch er deckte die Lücke und packte sie an der Schulter und der Hüfte.

"Das muss schon schneller gehen", kommentierte er, als er sie sachte nach hinten schob und sie aufforderte, es noch einmal zu versuchen. Er sah, wie sie ihn verbissen anguckte, bevor sie wieder Anlauf nahm. Wieder las er ihr Vorhaben und wieder kam sie nicht an ihm vorbei. Durch seine Abwehraktion stolperte sie leicht nach hinten und er schlang seinen Arm um ihre Taille, damit sie nicht nach hinten fiel. Sie war so nah an ihm, dass er ihren Duft einatmen konnte. Ihre Haare versprühten leicht einen Geruch nach Kokos und ihre Haut nach Hibiskus. Als er ihr in die kraftvollen grünen Augen blickte und ihm bewusst wurde, wie nah sie sich standen, ließ er sie los. Irgendwie waren sie doch schon einmal in so einer Lage gewesen.

"Das kannst du besser."

Wieder versuchte sie es und wieder kam sie nicht an Nick vorbei, der mit der Situation ganz zufrieden war. Er konnte sie lesen, aber er wusste auch, dass viele ihrer Gegnerinnen sie erstens nicht lesen würden können, und zweitens nicht so schnell und stark waren wie er. Ihre Idee war also im Grunde nicht ganz so schlecht.

"Traust du dich es noch ein letztes Mal zu probieren?", fragte er sie, als sie wieder einige Schritte nach hinten gegangen war. Statt zu antworten lief sie los, setzte ihren linken Fuß rechts neben ihn, machte dann eine Drehung, wo sie mit dem rechten Fuß links neben ihm aufkam und dann absprang. Nick griff beim Werfen in ihren Wurfarm, sodass sie es nicht schaffte, ein Tor zu erzielen. Wütend schaute sie ihn an.

"Zwei Minuten, du Volltrottel! Und nicht mehr viel, dann hättest du mir die Schulter ausgerenkt!", fauchte sie ihn an.

"Aber du hast kein Tor geschossen", grinste er selbstsicher.

"Du hast sie wohl nicht mehr alle!" Vor lauter Wut trat Annika nach dem Ball, der mit einem lauten Scheppern den rechten Pfosten des Tores traf.

"Naja, Hauptsache dein Arm ist gleich für die 40 Liegestützen bereit."

Ihr Kopf schnellte zu ihm, dann verengte sie leicht die Augen. "Lass mich raten, die anderen müssen nur 30 machen?"

"25 um genau zu sein", antwortete er und zwinkerte ihr zu. "Ich hatte dir ein hartes Training versprochen und ich halte mein Wort."

"Pff!", erwiderte sie genervt.

"Deine Idee ist übrigens angenommen. Falls es im Spiel Sinn ergibt, dann gehst du links am Abwehrspieler vorbei. Mir ist es im Grunde egal, Hauptsache du erzielst ein Tor", versuchte Nick es wieder ein klein wenig gut zu machen. Er hatte schon längst begriffen, dass Annika ein kluges Köpfchen war und wollte deswegen ihren Vorschlag und ihre Denkweise belohnen. Annika nickte nur und wandte sich von ihm ab.

"Holst du mir noch meinen Ball?", fragte er sie und zeigte auf den Ball, den sie getreten hatte. Der war seiner und er rollte gerade in das andere Ende der Halle. Sie schaute dem Ball hinterher, dann Nick an.

"Wieso sollte ich? Wir helfen einander nicht, schon vergessen?" Nick war klar, dass sie auf die Situation vom Mittag anspielte und wollte gerade erwidern, dass er ihr am Vortag die Koffer hoch getragen hatte, doch sie kam ihm zuvor. "Außerdem würde dir ein klein wenig Bewegung guttun, fauler Sack." Dann ging sie zu Nora.

Als Nick grinsend zu seinem Ball sprintete, wusste er nicht so recht was er mit dem Mädel anstellen sollte.   

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Wer hätte gedacht, dass so schnell ein neues Update kommt - und dann sogar aus Nick's Sicht! Ich hoffe es hat euch gefallen? :D

Tyskerfie <3 <3 <3