Trübsal und Tränen
Liebeskummer hatte für Annika ganz neue Dimensionen angenommen. Jetzt, wo sie sich sicher war, dass sie für Nick weit mehr als Verliebtheit fühlte, hatten ihre Gefühle sich verfestigt, die Liebe zu Nick hatte sich in ihrem Herzen fest gemeißelt und sich unauslöschlich fest geankert.
Deswegen war sie umso frustrierter, dass sie sich anscheinend keinen Millimeter vorwärts bewegten.
Am Tag nach dem Auswärtsspiel bei der Paddington-Schule hatten sie das Pokalspiel gegen die English Guard's gewonnen, doch Nick und sie hatten kaum zwei Wörter miteinander gewechselt. Seitdem war über eine Woche vergangen und sie hatte ihn nicht mehr gesehen.
Er war bei den Trainingseinheiten im Laufe der Woche nicht anwesend gewesen, da er bei einem Wissenschaftswettbewerb teilnahm, und somit waren sie nur von Laurena trainiert worden. Bei ihrem dritten Pokalspiel gegen die Crown's war Gab für Nick eingesprungen, da er immer noch schulisch beschäftigt war.
Doch heute Abend beim Training müsste er wieder da sein. Und dieser Gedanke bereitete Annika Freude und Nervosität zugleich.
Sie konnte nämlich nicht umhin sich zu fragen, wieso er sich nicht gemeldet hatte. Sie hatten zwar nie so wirklich miteinander geschrieben oder telefoniert, aber wenn er angeblich in sie verliebt war, dann würde er sie doch nicht eineinhalb Wochen ignorieren?
Wollte er aus seinen Gefühlen einfach nichts machen? Er hatte zugegeben, dass er in sie verliebt war, aber reichte ihm das? War sein Posten als Trainer so wichtig, dass er ihn nicht durch ein wenig Geflirte aufs Spiel setzen wollte?
Zweifelte er an ihren Gefühlen?
Ihr war klar, dass sie ihm gegenüber noch nicht so ehrlich gewesen war, wie andersrum. Aber die Gelegenheit hatte es auch nicht wirklich gegeben.
Und jetzt war sie so verunsichert, dass sie sich nicht traute, den ersten Schritt zu machen.
Frustriert legte Annika ihre Tasche auf ihrem Bett ab und begab sich zum Mittagessen, als ihr Handy klingelte.
"Hallo Großmutter", versuchte sie so freundlich wie möglich, zu sagen. Sie hatte ein paar Wochen nicht mehr mit Diana geredet, da die Gespräche meistens eh in einer kleinen Streiterei endeten.
"Annika..." An der brüchigen Stimme ihrer Oma konnte Annika gleich erkennen, dass etwas nicht stimmte. Als sie daraufhin auch laut schluchzte, gefror ihr das Blut in den Adern.
"Oma, was ist los? Was ist passiert? Ist was mit Opa?" Ihr Herz begann laut, heftig und schnell zu klopfen, während sie auf eine Antwort wartete.
"Er... Er..."
Annika hielt den Atem an und blieb mitten im Gang stehen. Sie stützte sich mit einer Hand an der Wand ab, für den Fall, dass schlimme Neuigkeiten auf sie warteten.
Er ist tot.
Sie wartete nur auf diesen einen Satz. Sie schloss die Augen, konzentrierte sich und machte sich bereit.
"Er hatte einen Schlaganfall", brachte Diana dann endlich hervor und Annika wusste nicht, ob sie erleichtert sein durfte, dass er nicht gestorben war.
"Wie schlimm ist es?", fragte sie mit bebender Stimme und versuchte krampfhaft, nicht die Beherrschung zu verlieren.
"Du musst nach Hause kommen", weinte Diana, anstatt ihre Frage zu beantworten. Ein kalter Schauer lief ihren Rücken hinunter und Tränen sammelten sich in ihren Augen. War es so schlimm?
"Ich werde sofort mit Mrs. Miller reden", versicherte sie ihrer Oma.
"William ist im Krankenhaus. Er hat nach dir gefragt", fuhr Diana fort. Annikas Herz zog sich krampfhaft zusammen. Er durfte nicht sterben, bevor sie sich von ihm verabschiedet hatte. Sie musste ihn noch einmal sehen.
"Ich nehme morgen den Zug", sagte sie deswegen energisch und begann weiter zu gehen. Sie musste sofort Mrs. Miller finden und um Erlaubnis fragen, die Weihnachtsferien früher anzutreten. Nächste Woche fing die vierwöchige Semesterpause an und mit etwas Glück, durfte sie sich schon vier Tage vorher entschuldigen lassen.
"Mach das, Annika. Ich brauche dich hier."
"Ich weiß, Oma, ich weiß." Sie erkannte ihre Großmutter kaum wieder. Das Herrische und Kalte in ihrer Stimme war wie weggeblasen. Sie wirkte zerbrechlich und unsicher. "Ich melde mich", sagte sie und legte dann auf.
Wieder blieb sie stehen und fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. Eine einzelne Träne schlich sich aus ihrem Auge. Ihr geliebter Opa...
Der Tag schien auf einmal nicht mehr zu bewältigen. Ihr Herz verkrampfte sich, als sie sich ganz aufrichtete, um einmal tief durchzuatmen. Im Flur des zweiten Stockwerkes war es leer und fast unheimlich still, weshalb ihre zittrige Atmung erstaunlich hörbar war.
'Er lebt. Er lebt', sagte sie sich immer wieder und versuchte sich zu beruhigen. Sie merkte, wie die Angst, ihren besten Freund und treuen Ratgeber zu verlieren, ihren Nacken hoch kroch und sie schier lähmte.
Wie sollte sie sich heute Nachmittag im Unterricht konzentrieren? Oder am Abend im Training einen Ball fangen?
Sie wischte sich die Tränen weg und fuhr sich einmal durch die Haare. Sie musste sich jetzt zusammenreißen. Sie musste Mrs. Miller finden und klären, ob sie am nächsten Tag nach Hause fahren konnte. Und dann würde sie erst nachher zum Rest Stellung beziehen.
Als Annika zum Lehrerzimmer schritt, hatte sie am meisten Lust, so richtig in Tränen auszubrechen und sich auf dem Boden zusammen zu kugeln. Einige Schüler warfen ihr ein paar komische Blicke zu, doch das war ihr egal.
Sie wusste nicht, was sie tun sollte, falls ihr Opa wirklich sterben sollte. Er war der Anker in ihrem Leben. Ihre eigenen Eltern waren nie für sie da gewesen und ihre Großmutter hatte immer mehr Wert auf Erziehung, als Liebe gelegt. William hatte sie am Leben erhalten.
Gleichzeitig merkte sie aber auch, wie sie auf ihre Oma wütend wurde. Sie hätte ihr gerne ein paar Informationen mehr geben können. Wann genau hatte ihr Opa den Schlaganfall gehabt? Wie schlimm war es? Würde er überleben? Hatte er Schäden davon getragen? Würde sie es überhaupt rechtzeitig schaffen, ihn noch zu sehen?
Kaum hatte sie die Gedanken gedacht, zwang sie sich, sich zu beruhigen. Ihre Oma war selber aufgebracht gewesen. William war die letzten vierzig Jahre an ihrer Seite gewesen. Wie musste es nicht ihrer Oma gehen? Sie bezweifelte fast schon, dass sie überleben würde, wenn ihr Opa starb. Sie würde nie im Leben ohne ihn auskommen.
Dann müsste Annika wieder nach London, um sich um sie zu kümmern. Sie müsste die Carmelot-Schule verlassen. Sie müsste Caro, Rebecca, Verity und Nora verlassen.
Sie müsste Nick verlassen.
Der Gedanke trieb ihr wieder die Tränen in die Augen, als sie die Treppen hinunterrannte und durch die Eingangshalle schritt. Ihre Absätze klapperten über den gekachelten Boden. Dieser Klang der Normalität beruhigte sie. Bis sie vor ihrem geistigen Auge ein Bild von William sah, fahl und bleich, eingefallen, schlafend in einem sterilen Krankenhauszimmer. Der Anblick war übelkeitserregend.
Bevor in ihr die Panik ausbrach, straffte sie die Schultern und klopfte ein paar Mal an die Tür des Lehrerzimmers, vor dem sie mittlerweile angekommen war. Keine drei Sekunden später machte Madame Henricy die Tür auf und fiel bei Annikas Blick fast in Ohnmacht.
"Mon chéri, was ist los?", fragte sie aufgebracht und legte ihre Hand vor den Mund. Annika versuchte tapfer zu bleiben.
"Dürfte ich mit Mrs. Miller sprechen, bitte?"
"Oui, oui", sagte die Französisch- und Stil- und Etikettelehrerin und machte auf dem Absatz kehrt. Kurz darauf erschien Mrs. Miller in der Tür.
"Annika, was ist passiert?", fragte sie besorgt und schloss hinter sich die Tür. Sie legte vertrauenserweckend den Arm um ihre Schulter und ging ein paar Schritte mit ihr den Flur entlang.
"Ich wollte fragen, ob ich eventuell morgen nach Hause fahren dürfte. Mein Opa..." Sie musste einmal schwer schlucken. "Mein Opa hatte einen Schlaganfall."
Mrs. Millers Blick wurde bei diesen Worten mitfühlend und sie drückte Annika enger an sich. Sie wusste über Annikas Familiensituation Bescheid und konnte sich daher denken, wie berührt sie war.
"Das tut mir so leid, Annika. Wie schlimm ist es?"
"Ich weiß es nicht genau. Meine Großmutter war am Telefon zu aufgebracht, um mir wirklich etwas zu erzählen."
Mrs. Miller nickte verständnisvoll. "Ich werde sofort bei Mrs. Carmelot Bescheid geben. Es müsste kein Problem sein, wenn du morgen nach Hause fährst. Dafür werde ich sorgen."
"Vielen Dank", sagte Annika und war wieder den Tränen nahe.
"Jetzt geh' ein wenig essen. Solltest du dich heute Nachmittag nicht wohl fühlen, dann bleib auf dem Zimmer. Ich weiß wie schmerzhaft die Angst um eine geliebte Person sein kann." Normalerweise duzte Mrs. Miller ihre Schüler nicht, aber Annika verspürte durch ihre lieben, persönlichen Worte das Bedürfnis, sich in ihre Arme zu schmeißen und sich von ihr trösten zu lassen.
Sie bedankte sich wieder und ging mit zittrigen Beinen Richtung Nebengebäude, in dem schon die gesamte Schule, so schien es, zu Mittag aß. Sie verspürte keinen Appetit, wusste aber, dass zumindest das Zusammensein mit ihren Zimmergenossinnen eine aufmunternde Wirkung auf sie haben würde.
Und diese Aufmunterung konnte sie gut gebrauchen, dachte sie, als sie mit Tränen in den Augen zu Caro, Rebecca und Verity ging.
___
Stunden später stand Annika alleine in der Umkleidekabine und betrachtete sich im Spiegel. Sie hatte vom Weinen rote, verquollene Augen und war wahrlich kein schöner Anblick.
Und dazu noch zu spät dran. Sie haderte mit sich selber, ob sie überhaupt zum Training gehen sollte oder nicht. Eigentlich konnte sie genauso gut auch einfach wieder abhauen. Nick würde sich wahrscheinlich so oder so über ihre Undiszipliniertheit aufregen.
Sie fühlte sich schwach und ausgelaugt, ängstlich und besorgt. Ein unbändiger Knoten in ihrem Bauch ließ sie keine Sekunde vergessen, dass es ihrem Großpapa gar nicht gut ging.
In dieser Verfassung war es wahrscheinlich nicht die beste Idee, den Ansprüchen von Nick gerecht werden zu wollen.
Die Alternative war aber auch nicht besser. Sie musste sich einfach mit irgendetwas beschäftigen, denn nur rumzusitzen und sich Sorgen zu machen, verstärkte ihre innere Unruhe.
Sie nahm ihre Wasserflasche und verließ die Umkleidekabine. Vor der Tür zur Halle blieb sie noch einmal stehen. Durch das Holz hörte sie gedämpft Schritte, das Dribbeln eines Balls, Rufe und das charakteristische Quietschen, wenn Turnschuhe über den Hallenboden streiften.
Sie legte ihre Hand auf den Türgriff und stockte wieder in der Bewegung. Keiner von den Mädchen im Team wusste über ihren Opa Bescheid. Nur Nora kannte überhaupt ihre genaueren Familienverhältnisse. Sie bezweifelte, dass sie die nötige Kraft hatte, um ihnen jetzt allen gegenüber zu treten.
Sie würden ihr sofort ansehen, dass etwas ganz und gar nicht stimmte. Aber Annika wollte nicht, dass sie Fragen stellten oder sie bemitleidend ansahen. Sie sollten sie behandeln wie immer.
Einmal noch atmete sie tief durch, dann betrat sie die Halle, die Tür fiel laut wieder ins Schloss und somit zog sie sämtliche Blicke auf sich.
"Cullum, auch schon da", hörte sie Nick, der einige Meter entfernt am Rand des Spielfeldes stand und zu ihr sah - ganz in der Rolle des arroganten Trainers. Die Mädchen befanden sich alle auf dem Parkett – ein Übungsspiel.
Ohne Nick zu antworten ging sie zur Bank und stellte ihre Flasche ab. Irgendwie hatte sie am meisten Angst davor, dass er sie in diesem Zustand sah.
"Du spielst bei Nora im Team", gab Nick ihr die erste Anweisung, obwohl sie immer noch mit dem Rücken zu ihm stand. Sie gab sich extra viel Zeit, um ihre Knieschoner zurecht zu rücken, als würde sie dadurch nicht nur ihre Knie, sondern auch ihre schmerzende Seele schützen können.
"Hey, hörst du mir überhaupt zu?" Nick war plötzlich ganz nah bei ihr und schien nichts von ihrer Misere zu merken.
"Ja, ja, ich komme ja schon", murmelte Annika nur und mied immer noch seinen Blick. Er sah anscheinend nicht, dass es ihr schlecht ging. Oder es kümmerte ihn nicht. Als sie an ihm vorbei ging, hatte er den Blick schon wieder aufs Spielfeld gerichtet.
Langsam joggte sie auf ihre Spielposition, stellte sich bereit und wischte zum hundertsten Mal an diesem Tag die Tränen von ihren Wangen.
"Alles klar?", hörte sie Nora fragen, die besorgt zu ihr sah. Zu mehr als einem Nicken war Annika nicht imstande.
Sie gab sich beim Spiel wirklich Mühe, ihr gewohntes Niveau zu halten, doch ihr fehlte einfach die Kraft. Sie spielte ohne Motivation, sie spielte ohne Freude. Ihr ging es im Grunde nur darum, abgelenkt zu werden.
Denn dachte sie auch nur eine Sekunde an ihren Opa, quollen die Tränen schon wieder über. Diese Ungewissheit, wie es ihm ging und wie die Überlebenschancen waren, brachte sie fast um.
Sie hatte vor dem Training wieder versucht Diana anzurufen, um ihr Bescheid zu geben, dass sie am nächsten Tag kommen würde. Und um Genaueres über den Zustand ihres Opas zu erfahren.
Aber Diana war nicht rangegangen.
Gerade eben hatte sie einen Tempogegenstoß vermasselt, doch eigentlich war es ihr egal. Sie spürte, wie Nick sie musterte und sich bestimmt fragte, was los war.
Ob er wohl dachte, dass es wegen ihm war?
Selbst darüber konnte Annika sich im Moment keine Gedanken machen. Sie fing den nächsten Ball, dribbelte und sah die Lücke vor sich. Doch anstatt selber durchzugehen, spielte sie den Ball an die Außenspielerin weiter, die daraufhin ein Tor erzielte. Nick pfiff das Übungsspiel ab und beorderte eine zwei minütige Trinkpause.
Bevor Annika die Bank erreichte, fing er sie ab. "Hey, Cullum. Was ist los?", fragte er ein wenig genervt. Sie blieb stehen und sah ihm in die Augen, die in der gleichen Sekunde einen besorgten Ausdruck annahmen. Nick sollte sich keine Sorgen um sie machen, das war nicht nötig.
"Was ist passiert?", fragte er sie leise, als sie ihm statt zu antworten, nur angesehen hatte. Seine Stimme hatte einen so weichen Klang, dass sie wieder nicht die Tränen zurückhalten konnte. Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie das letzte Mal so schwach gewesen war, so viel geweint hatte. Aber Nicks Fürsorge brachte das Fass zum Überlaufen.
In einem kläglichen Versuch, die Tränen vor ihm zu verbergen, wandte sie sich halb von ihm ab. Der Kloß in ihrem Hals hinderte sie daran, ihm eine Antwort zu geben.
"Komm mit", sagte er dann, fasste sie sanft am Arm und zog sie aus der Halle in den Flur. Widerstandslos ließ sie es geschehen. Seine Hand rutschte von ihrem Ellbogen zu ihren Fingern, die er kurz berührte, dann losließ.
"Magst du mir erzählen, was los ist?", fragte er wieder leise und sah sie intensiv an. Er stand nur wenige Zentimeter vor ihr, seine Aura hatte eine beruhigende Wirkung auf sie.
"Mein Opa", fing sie an, musste aber aufhören zu reden, bevor sie völlig zusammenbrach. Sie schluckte schwer und sah überall hin, nur nicht in Nicks Augen. Sie wollte darin nichts lesen können. Er sah es bestimmt als Schwäche, wie sie hier heulend vor ihm stand, unfähig, sich auf das Handballspielen zu konzentrieren.
"Mein Opa hatte gestern einen Schlaganfall." Die Stille, die darauf folgte, untermauerte irgendwie das Schreckliche in dem eben Gesagten.
"Gott, Annika, das tut mir so Leid", flüsterte Nick. "Wie geht es ihm?"
Annika war froh, dass er nicht gleich davon ausging, dass William gestorben war – bewusst oder unbewusst. Sein Optimismus, auch wenn er noch so klein war, munterte sie irgendwie auf.
"Ich weiß es nicht genau, er ist im Krankenhaus und er ist wach. Oder er war wach. Er hat nach mir gefragt..." Bei der letzten Silbe rannten ihr schon wieder Tränen über die Wangen.
"Hey, shhht...", hauchte Nick und legte einen Arm um ihre Taille. Mit der anderen Hand wischte er ihr eine Träne von der Wange, während er sie sanft anlächelte. Die Nähe zu Nick und seine Zärtlichkeit gaben Annika den Rest. Sie fing an, richtig zu weinen, und ehe sie sichs versah, fand sie sich in seinen Armen wieder. Sie weinte an seine starke Brust, ließ sich von ihm wärmen und atmete seinen unverkennbaren Eigengeruch ein, als wäre es ein Wundermittel gegen Angst und Trauer.
"Er schafft das bestimmt", munterte Nick sie auf, obwohl er im Grunde nichts über Williams gesundheitliche Situation wusste. Langsam beruhigte sie sich wieder und als sie sich stark genug fühlte, löste sie sich von ihm und fuhr sich über das Gesicht. Sie wollte gar nicht daran denken, wie sie im Moment wohl aussah.
"Steht ihr euch sehr nahe?", fragte Nick jetzt und Annika wurde bewusst, wie wenig Nick eigentlich über sie wusste. Er hatte keine Ahnung, dass sie bei ihren Großeltern, statt bei ihren Eltern aufgewachsen war.
Sie nickte. "Ja, er... Er ist sowas wie mein bester Freund", murmelte sie und lächelte tapfer.
"Wie geht es deiner Oma?"
Sie zuckte vage mit den Schultern. "Sie scheint ganz durch den Wind zu sein. Ich glaube, sie ist mit der Situation überfordert." Sie zögerte. "Normal hat sie alles im Griff", sagte sie dann und grinste kurz. Nick lächelte jetzt auch.
"Ich würde gerne einmal mehr über die beiden erfahren", sagte er dann und Annikas Herz machte einen Hüpfer. Sagte er das jetzt nur so oder wollte er wirklich mehr über sie erfahren? War das echtes Interesse oder Höflichkeit?
Verlegen sah sie auf ihre Hände, die sie fest knetete. Sie wusste nicht, was sie sagen oder wohin sie sehen sollte. Sie spürte, dass Nick sie ansah, doch auch er sagte nichts.
"Ich glaube, die zwei Minuten Trinkpause ist vorbei", sagte sie dann irgendwann und versuchte zu grinsen. Sie wollte am liebsten länger hier im Flur alleine mit Nick stehen, doch sie wusste auch, dass die anderen Spieler wahrscheinlich sehr bald misstrauisch werden würden.
"Ja, du hast Recht." Er sagte es, als würde es ihn eigentlich nicht kümmern. "Kommst du wieder mit rein?", fragte er dann vorsichtig, als würde er sich nicht trauen, die Antwort zu hören.
Annika nickte langsam.
"Gut." Auch er nickte. "Wir haben für Samstag noch einiges vorzubereiten."
Annika blieb in der Bewegung stehen und sah Nick fassungslos an. "Samstag?", fragte sie mit eisiger Stimme, was Nick aber eher als wundernd auffasste.
"Samstag haben wir das letzte Spiel in der Hinrunde. Gegen Weyhill", meinte er und runzelte die Stirn, als würde er sich wundern, dass sie sich nicht daran erinnern konnte. "Meinst du, du bist dafür bereit?"
Es war nur eine Frage. Aber eindeutig die falsche.
"Ob ich für das Spiel am Samstag bereit bin?", fragte sie ihn fassungslos. "Nick, ich fahre morgen nach Hause! Ich muss zu meinem Opa!", sagte sie, als wäre er bescheuert. Wie konnte er schon wieder nur an sich und das verdammte Team denken? Sie konnte es einfach nicht glauben.
Nick schien erst nicht zu wissen, was er sagen sollte. "Es würde dich ablenken", versuchte er sich dann zu erklären. "Das wäre vielleicht das, was du brauchst."
"Nein, das was ich brauche, ist mein Opa!" Sie konnte es einfach nicht fassen. Sie schüttelte leicht den Kopf und drehte sich zur Tür der Umkleidekabine. Keine hundert Pferde würden sie jetzt zurück ins Training bringen.
"Annika." Nick griff nach ihrer Hand. "Ich hoffe, du weißt..."
"Was ich tue?", unterbrach sie ihn wütend und funkelte ihn an. "Ich sage es gerne noch einmal. Ich brauche meinen Opa. Und nicht irgendeinen verfluchten Schulsport und einen Trainer, der nicht an die Spieler, sondern nur ans Gewinnen denkt!", schleuderte sie ihm zornig entgegen.
Als sie sah, wie eine eisige Kälte Nicks Augen in Beschlag nahm, realisierte sie, was sie soeben gesagt hatte. Wie hart, ihre Worte gewesen waren.
Sie wusste auch, dass sie das nicht wieder gut machen konnte, also versuchte sie sich rauszureden.
"Ich weiß nicht, wie du in so einer Situation reagieren würdest, aber ich gehe anscheinend mit meinen Gefühlen ganz anders um, als du. Ich erwarte, dass du das akzeptierst und respektierst." Sie sah, wie er zornig den Kiefer zusammenpresste. "Ich erwarte, dass du mich respektierst, Nick."
Vielleicht unterstellte sie ihm schlimmere Motive, als sie sollte. Doch sie fühlte wirklich, dass er den Handball und das Team über sie stellte. Und das enttäuschte sie mehr, als es sollte.
Nick trat einen Schritt näher auf sie zu und blieb dicht vor ihr stehen. Sie konnte sehen, dass er wütend war. So wütend, dass er mit sich rang, um nicht die Beherrschung zu verlieren.
"Wie du wünscht", murmelte er dann, sein Atem streifte ihre Wange und bescherte ihr eine Gänsehaut. Er schlang den Arm um ihre Taille und zog sie zu sich, mit der anderen Hand griff er nach der Tür zur Umkleidekabine und machte sie auf, jetzt wo Platz dazu war. Sie stolperte einen Schritt nach hinten, er ließ die Tür los und ging ohne einen weiteren Blick zur Sporthalle zurück.
Die Tür knallte vor Annikas Nase zu und überwältigt blieb sie einfach stehen. Sie bekam fast keine Luft.
Leise begann sie zu weinen und vergrub das Gesicht in ihren Händen. Ob es wegen William oder Nick war, wusste sie in dem Moment nicht. Doch so hätte es gerade bestimmt nicht laufen sollen.
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Okay Leutchens... Wir nähern uns laaangsam, aber sicher, dem Ende :O
(Und wieso werden meine Kapitel momentan so lang?^^)
Tyskerfie <333
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