Paddington-Bären

"Wir schaffen das! Kommt, schon Mädels!", schrie Nora und versuchte die Spieler der Carmelot-Schule anzufeuern. Die Truppe stand in der Sporthalle der Paddington-Schule und war für einen heftigen Kampf gegen den Erzfeind bereit.

Annika ließ ihre Arme kreisen und hüpfte vom einen Bein aufs andere. Sie war gespannt wie selten zuvor. Die ganzen Geschichten über die Paddington-Spieler hatten ihre Sinne geschärft, ihren Willen gefestigt und ihre Konzentration gefördert. Doch ob in ausreichendem Ausmaß, würde erst nach den nächsten eineinhalb Stunden feststehen.

Beeindruckt sah sie erst zur gegnerischen Mannschaft, die gerade ihren Schlachtruf rief, dann zu der Zuschauertribüne, die komplett voll war. Noch nie zuvor hatte sie so viele Zuschauer bei einem einfachen Schulspiel gesehen. Doch anscheinend stand die ganze Schule hinter ihrem Handballteam und war darauf eingestellt, sie bestmöglich anzufeuern.

Natürlich machte es auch immer mehr Spaß, das eigene Team anzufeuern, wenn sie gut waren.

Sie spürte eine sachte Bewegung, eher ein Windhauch, an ihrem Rücken und drehte sich um. Nick ging an ihr vorbei und wieder einmal spürte sie seine Präsenz mehr als deutlich. 

Seit dem Training am Mittwoch hatten sie nicht mehr miteinander gesprochen, nur unendlich viele Blicke getauscht. Während des Trainings, nach dem Training, heute, als sie sich vor der Schule getroffen hatten, um zur Paddington-Schule aufzubrechen. Als sie sich über all den Autos hinweg noch einen Blick zuwarfen, bevor sie in ihre Autos stiegen. Als sie sofort wieder den Blickkontakt gesucht hatten, als sie bei ihrem Gegenspieler angekommen waren und aus den Fahrzeugen stiegen. Es war eine einfache Form der nonverbalen Kommunikation, doch wirklich weiter brachte sie das ganze nicht. Es war überwältigend, wie viele Gefühle man nur durch einen Blick zum Ausdruck bringen konnte. Doch diese Blicke wirkten nicht klärend. Und immer wieder fragte Annika sich, ob sie in Nicks Blicken nicht einfach zu viel hinein interpretierte. Weil sie es wollte. 

Dieser Zustand glich fast schon einer Krankheit und Annika fühlte sich so, als würde sie neben ihrem eigenen Körper stehen und alles in Zeitlupe und verzögert mitbekommen - wenn es um Nick ging. Denn jetzt gerade war sie sowohl physisch als auch psychisch bereit, den Paddington-Spielern mal ein paar Manieren beizubringen.

Die beiden Mannschaften stellten sich bereit und warteten nur darauf, dass die Formalitäten geklärt wurden und das Spiel anfangen konnte. Annika versuchte so gut es ging, die gegnerischen Spieler zu analysieren und alleine durch ihre Körperhaltung einzuordnen. Sie wirkten alle selbstsicher und gelassen, als würde ihnen ein Kinderspiel erwarten.

Ihr Blick flog weiter zu ihrem Trainer, ein junger Kerl, der hochkonzentriert die letzten Anweisungen aufs Spielfeld rief. Ein paar Schritte entfernt stand ein weiterer Typ, der auf die Spieler auf der Bank einredete. Wahrscheinlich ein eingespieltes Trainerteam im Doppelpack.

Ihr Blick wanderte weiter zu ihrem eigenen Trainer, Nick, der mit gekräuselter Stirn und verschränkten Armen am Rande des Spielfelds stand und abwartend zum Schiedsrichter sah. Sie wusste, dass er gerade eben nur an eines dachte: sein geliebtes Team zum Sieg zu führen.

Noch einmal rückten die Mädchen ihre Knieschoner zurecht, dann wurde das Spiel angepfiffen und die Paddington-Schule hatte Anwurf. 

Vom Ablauf des ersten Angriffs her ließ sich nur selten der weitere Verlauf des Spieles voraussagen. Beide Mannschaften waren meist noch ein wenig nervös und mussten sich erst ins Spiel einfinden.

Die Paddington-Spieler jedoch gaben schon von der ersten Sekunde an den Eindruck, dass sie dieses Spiel gewinnen wollten - komme was wolle. In der Tabelle waren sie einen Punkt vor der Carmelot-Schule, da sie alle ihre bisherigen Spiele gewonnen hatten. Das hier war also ein Topspiel und deswegen umso wichtiger zu gewinnen. Nur zu gerne wollten die Mädels der Carmelot-Schule die Tabellenführung übernehmen. Doch soweit ließen die gegnerischen Spieler sie kaum träumen, denn nach nur einer knappen Minute hatten sie den ersten Treffer versenkt.

Kein bisschen eingeschüchtert, dafür aber jetzt umso gespannter, leitete Nora den ersten Angriff der Carmelot-Schule ein. Die Abwehr des Gegners war stabil, schnell und konsequent. Annikas direkter Gegenüber war ein großes, dunkelhaariges Mädchen mit einem arroganten Blick, die definitiv nicht von der netten Sorte war. 

Als die Carmelot Spieler nach einer halben Minute immer noch keine Lücke gefunden hatten und einen Freiwurf bekamen, ging die Dunkelhaarige zum verbalen Angriff über.

"Anscheinend helfen nicht einmal neue Spieler, um euer miserables Niveau auch nur ansatzweise zu heben." Während die anderen Spieler spöttisch lachten, warf Nora den Ball zu Victoria, die auf die Abwehr zulief, hochsprang, den Ball aber zu Annika warf, die ohne große Mühe an der unkonzentrierten, hämischen Brünetten vorbeirauschte und den Ball ins Tor setzte.

"Anscheinend nicht, nein", kommentierte Annika sarkastisch, als sie beim Zurücklaufen ihrer Gegenspielerin, die zufälligerweise auch die Rückennummer 24 trug, an der Schulter anrempelte. Jetzt hatte das Spiel so richtig begonnen.

Die Paddington-Spieler gingen jetzt wesentlich aggressiver vor. Anscheinend hatten sie gedacht, dass von der Carmelot-Schule her keine wirkliche Herausforderung kommen würde, so wie sie es die letzten Jahre gewohnt waren. 

Die Nummer 24 wollte höchstpersönlich für sportliche Rache sorgen, indem sie aufs Tor ging und warf. Doch Annikas Abwehraktion resultierte darin, dass Nina im Tor den Ball mit beiden Händen einfach fing - was eine ziemliche Blamage für eine Spielerin im Rückraum war.

"Süß", flüsterte Annika ihr provokativ zu und stellte sich wieder in ihre Abwehrposition zurecht, da der Schiedsrichter zum Freiwurf gepfiffen hatte und die gegnerische Mannschaft im Ballbesitz blieb. Sie ignorierte die giftigen Blicke, die ihr zugeschickt wurden und hoffte einfach, dass die Paddington-Spieler vor lauter gekränktem Stolz und Wut Fehler machen würden.

Dies war jedoch nicht der Fall, denn nur kurz darauf erzielte die Kreisspielerin ein Tor. Die Zuschauer jubelten, als hätte ihre Mannschaft die Meisterschaft gewonnen.

Das Spiel war noch lange nicht vorbei und Nora und ihr Team bewahrten die Ruhe. Sie bauten wieder ihren Angriff auf, spielten geduldig und nutzten die erste Chance aus. Jessika erzielte den Treffer zum zwei zu zwei.

Beim Rücklauf in die Abwehr blieb Annikas Blick kurz bei Nick hängen, der nicht sonderlich zufrieden aussah. Mit aller Kraft wandte sie ihre Augen von ihm weg. Wenn sie nicht sehr aufpasste, würde sich ihre Konzentration auf Nick verpflanzen. Und das konnte sie nicht wirklich gebrauchen. 

Rechts neben Nick stand Gab, der heute mitgefahren war, da er ja am Mittwoch im Training dabei gewesen war. Sie fing seinen Blick auf, der musternd und nachdenklich auf sie gerichtet war. Annika wusste nicht, ob Nick oder Caro mit Gab gesprochen hatten. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass er irgendetwas über sie und Nick wusste, war relativ groß.

Doch auch darüber nachzudenken war jetzt nicht gerade die Zeit.

Den Paddington-Spielern behagte es überhaupt nicht, dass sie nicht schon eine beachtliche Führung ausgebaut hatten. Das zeigte sich deutlich, als sie in ihrem nächsten Angriff einfach hemmungslos sämtliche Abwehrspieler des Carmelot-Teams umrannten und den Ball ins Tor donnerten.

Nicks Mannschaft jedoch blieb zuversichtlich und schafften im nächsten Angriff den Ausgleich. So ging es die nächsten zehn Minuten weiter; keine der beiden Mannschaften gelang es, sich abzusetzen. 

Dann jedoch wurden die Ereignisse ins Rollen gebracht. Die dunkelhaarige Nummer 24 hatte sich im Laufe des Spiels mehr und mehr darauf versteift, Annikas Spiel zu schikanieren. Als diese den Ball erhielt und durch eine kleine, aber existierende Lücke gehen wollte, stellte sie ihr nicht nur das Bein, sondern riss auch ihren Wurfarm nach hinten.

Annika entfuhr ein halb unterdrückter Schrei, als sie auf dem Boden aufkam und es sich so anfühlte, als wäre ihr der Arm rausgerissen worden. Der Schiedsrichter erteilte sofort eine Zwei-Minuten-Zeitstrafe, was die Gegenspielerin jedoch nicht zu rühren schien. Anscheinend war es das wert gewesen, um Annika einzuschüchtern. Diese jedoch stand würdevoll auf und schnaubte nur verächtlich, ließ einmal ihren Arm kreisen und schien weiter spielen zu können. Von so einem unerzogenen Gör ließ sie sich gewiss keine Angst machen. 

Und das zeigte sie auch. Annika war es, die den nächsten Treffer für das Carmelot-Team erzielte und im darauffolgenden Angriff der Paddington-Schule den Ball abfing und zu Megan weiterleitete, die den Ball versenkte. 

Als Nina danach durch eine himmlische Parade, die bei ihr eher selten vorkam, den Ball noch daran hinderte, ins Tor zu kullern, sah es für Nicks Team gut aus. Sie nutzten die Unterzahl der Paddington-Schule gekonnt aus und plötzlich führten sie mit zwei Toren. Und das alles innerhalb der Zeitstrafe von der Nummer 24. 

Die Trainer der Gegenmannschaft flippten auf der Bank förmlich aus und schissen ihre Spielerinnen zusammen, die verbissen versuchten, ihre Fehler wieder gut zu machen. Doch anscheinend hatte die kleine Führung ihnen Angst gemacht und so hatte die Carmelot-Schule mit einem Stemmwurf von Nora ihre Führung auf drei Zähler ausgebaut. 

Nach dem Treffer konnte Annika sich einen bissigen Kommentar an die Nummer 24 nicht verkneifen. "Kluger Schachzug mit den zwei Minuten. Überlege ich mir auch", grinste sie zynisch und sah förmlich, wie ihre Gegenspielerin vor Wut zu kochen begann. Sie spürte, wie Nick sie ansah und wandte deswegen ihren Blick zu ihm.

Er grinste zwar, bedeutete ihr aber auch mit einer dezenten Handbewegung ein wenig diplomatischer mit dem Gegner umzugehen. Kaum merklich nickte sie. Er hatte wahrscheinlich Recht; es könnte auch gewaltig nach hinten losgehen, die Gegenspieler so zu reizen.

Trotz eines hartnäckigen Einsatzes gelang es der Paddington-Schule nicht, den Vorsprung der Carmelot-Spieler einzuholen und somit ging Annikas Team mit fünfzehn zu zwölf in die Pause.

"Klasse, Mädels, ihr habt sie im Griff!", lobte Nick seine Spieler, als alle in der Umkleidekabine versammelt waren. "Verliert jetzt nicht die Konzentration. Ihr könnt euch sicher sein, dass sie von ihren Trainern gerade in diesem Moment zur Sau gemacht werden und wahrscheinlich mit gesteigertem Willen in die zweite Halbzeit starten."

Die Mädchen nickten schwer atmend und schwitzend. 

"Behaltet im Angriff den Überblick", fuhr Nick fort. "Lasst euch Zeit, spielt präzise, dann tun sich die Lücken auf. Hat prima geklappt bis jetzt", lobte er und versuchte so, das Selbstvertrauen seiner Spieler zu pushen. Sie durften jetzt nicht einknicken!

"In der Abwehr dürft ihr locker ein wenig aggressiver rangehen", meinte Nick noch zum Schluss seiner kleinen Ansprache. "Die Paddington-Bären haben sich bis jetzt meiner Meinung nach zu viel erlauben dürfen." Seine Beschreibung der Spieler sorgte für Lachen und aufgeheiterte Stimmung in der Kabine. "Falls sie mit vollem Karacho in euch reinrennen – lasst euch fallen und der Schiri pfeift für einen Angriffsfehler. So einfach geht das. Alles klar?"

Die Mädchen bejahten, tranken den Rest aus ihren Flaschen und folgten den Trainern aus der Kabine. 

"Ich komme gleich, muss nur schnell meine Flasche auffüllen", rief Nora Annika zu, die schon die Tür erreicht hatte.

"Alles klar", rief sie ihr über die Schulter hinweg hinzu, drehte sich wieder nach vorne und lief direkt in Nick rein, der die Tür aufhielt.

"Oh, tut mir Leid", murmelte sie, als sie zu ihm aufsah und die Welt für sie einen Augenblick lang einfach nur noch still stand. 

"Keine Ursache", sagte er leise, während ihre Blicke sich komplett verhakten. Nach einigen Sekunden des Starrens drehte Annika sich von ihm weg und ging mit klopfendem Herzen zurück Richtung Halle, in die die anderen Mädchen schon verschwunden waren. Nick schlenderte neben ihr her und warf ihr ab und an von der Seite aus Blicke zu, sagte aber nichts. 

Annika fragte sich, was ihm wohl gerade durch den Kopf ging. Was er ihr gerne sagen würde - ob er ihr gerne etwas sagen wollte. 

Vorsichtig lugte sie zu ihm, nur um seinen Blick aufzufangen, mit dem er sie unverfroren ansah. Wie gerne würde sie gerade die Hand nach ihm ausstrecken und sich in seine Arme fallen lassen. 

Das Bedürfnis, ihn zu berühren, war so groß, dass es sich so anfühlte, als würden physikalische Mächte sie dazu drängen wollen. Obwohl es noch gefühlt Millionen unausgesprochene Dinge zwischen ihnen gab, fand Annika, dass sie sich mit jedem Treffen und jedem Wiedersehen näherten. Zur Einigkeit kamen. 

"Auf geht's, Cullum", sagte er und machte die Tür zur Halle auf. Dieser Satz war angebracht distanziert, aber er sagte ihn mit so viel Gefühl, dass Annika daraus so viel mehr lesen konnte. 

Sie nickte, straffte die Schultern und schloss sich den anderen Mädchen in der Halle an, die noch einmal abklatschten, bevor sie sich auf dem Spielfeld ein wenig einliefen. Nora kam kurz darauf zu ihnen und alle warfen noch einmal aufs Tor, bevor die Paddington-Spieler auch soweit waren.

Nick wiederholte noch einmal die letzten Anweisungen: "Aggressive Abwehr, geduldiges Angriffsspiel!" Dann konnte die zweite Halbzeit starten.

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Ui ui ui, wer wohl gewinnt? :D

Tyskerfie <3

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