Machtworte

Zwanzig Minuten später fanden sich die Spieler des Carmelot-Teams umgezogen in der Halle ein. Annika hüpfte vom einen Bein aufs andere und ließ ihre Arme kreisen. Sie war mehr als bereit.

Die Spieler liefen sich erst warm und warfen sich ein. Auf der anderen Seite der Halle waren auch die Gegenspieler dabei sich warm zu machen und das übliche Abchecken begann. Annika ließ ihren Blick über ihre Gegnerinnen schweifen, um potenzielle Gefahren zu bemerken. Nur vom Aufwärmen war das aber schwer zu beurteilen.

Nick beorderte seine Truppe zusammen, besprach kurz die Taktik, wer anfing und dann gingen sie noch einmal einige Spielzüge durch. Victoria wurde erst einmal auf die Bank gesetzt und dem Blick nach zu urteilen, den sie Nick sandte, hatte sie etwas anderes erwartet.

Annika wartete gerade darauf, dass sie in der Übung an der Reihe war, als sie etwas an der Ferse spürte. Sie drehte sich um und sammelte den Ball auf, der zu ihr gerollt war.

„Sorry, meiner", hörte sie eine fremde Stimme und sah auf. Ein blondes Mädchen aus dem Duncan's-Team kam auf sie zugelaufen und streckte die Hand nach dem Ball aus.

„Kein Ding", antwortete sie und gab ihr den Ball. Sie musterten sich gegenseitig eingehend und versprachen mit ihren Augen mit ganzer Seele zu kämpfen. Annika erkannte sofort, dass sie sich vor dieser Spielerin in Acht nehmen musste.

„Viel Glück", grinste sie und lief wieder zu ihrer Mannschaft zurück. Nummer 5.

Annika sah ihr noch hinterher, dann widmete sie sich wieder den Übungen. Immer wieder aber warf sie den Duncan's-Spielern Blicke zu. Die Nummer 5 hatte bei allem Dingen ihre Finger mit ihm Spiel. Ein Multitalent. Sie war bestimmt Spielmacher, konnte aber auch als Rück- oder Außenspieler agieren, da war sie sich sicher. Deswegen ging sie zu Nick, der in dem Moment ebenfalls die gegnerische Mannschaft beäugte. Sie hatte zwar keine große Lust mit ihm zu reden, aber der Handball kam vor ihrem Stolz.

„Die Nummer 5 hat's in sich", sagte sie zu ihm und folgte seinem Blick.

„Ja, ich hab es gesehen", kam es nachdenklich von ihm. „Was meinst du wo sie spielt? Mitte?" Er drehte sich zu ihr. Der plötzliche Blickkontakt ließ ihr Herz für einen Moment schneller schlagen.

„Dachte ich auch. Aber sie kann bestimmt mehr als nur das."

Er nickte wortlos. Es gab nichts mehr zu sagen, trotzdem verharrte Annika noch einige Augenblicke bei ihm. Sah ihm in die Augen. Schöpfte Energie aus der Nähe zu ihm.

Als es so schien, als wolle er noch etwas sagen, wandte sie sich ab und machte mit ihren Übungen weiter.

Nach einer weiteren Viertel Stunde versammelten sich beide Mannschaften bei ihren Trainern, um die letzten Anweisungen zu erhalten.

„Also, ich erwarte von euch höchste Konzentration! Wir können uns keine einfachen Ballverluste erlauben. Seid geduldig im Angriff, dann werden sich die Lücken schon auftun. Glaubt an euch, aber stellt euch auf ein hartes Spiel ein. Das ist unser härtester Gegner bis jetzt, unterschätzt sie nicht. Ich will heute einen eisernen Einsatz sehen. Verstanden?"

Alle Mädchen bejahten mit einem aggressiven Aufruf und pushten sich so gegenseitig für das Spiel. Nora traf sich mit dem Kapitän der anderen Mannschaft, der Nummer 5, beim Schiedsrichter um auszumachen, wer anfing. Zufrieden kam sie zu den Carmelot-Spielern zurück.

„Wir haben Anwurf", meinte sie und klatschte mit Annika und Megan ab. Megan stand am Punkt mit dem Ball und wartete auf den Pfiff der Schiedsrichterin, die emotionslos ihr Sporthemd zurecht zupfte und die Pfeife in den Mund steckte. Sie wirkte überheblich und trocken und verdammt arrogant auf der typischen Schiedsrichtermanier.

Der Pfiff ertönte, Megan warf den Ball zu Nora und lief auf ihre Außenposition, während die Spielmacherin des Carmelot-Teams ruhig den Ball an die Halbrechtsspielerin Sandra weiterleitete. Wie üblich hatten alle Spielerinnen erst den Ball in der Hand, bevor ein Spielzug eingeleitet wurde.

Auf den verschiedenen Positionen wurde Druck ausgeübt und Nora zeigte an, dass Tanja auf Halbrechts einlaufen sollte. Die Abwehr verschob sich, Jessika am Kreis setzte eine Sperre und Sandra ging mit voller Wucht durch die Lücke – und traf den Pfosten.

Der Ball prallte ab und direkt in die Hände der Nummer 5, die sich umdrehte und den Ball ihrer Außenspielerin zuwarf, die schon Richtung Carmelot-Tor gesprintet war. Obwohl alle Spielerinnen in die Abwehr zurück liefen, war sie nicht mehr einzuholen und erzielte treffsicher das erste Tor des Spiels.

Annikas Ärger hielt sich in Grenzen. Es war pures Pech gewesen, dass sie nicht die Führung übernommen hatten. Der Spielzug hatte funktioniert und Sandras Wurf war nicht schlecht gewesen, nur fehlte es im entscheidenen Moment an Präzision.

Jessika startete diesmal den Anwurf, was gleichzeitig einen ganz bestimmten Spielzug einleitete. Nora bekam den Ball und spielte ihn direkt an Megan weiter, die auf die Abwehr zulief. Ihre Lücke wurde dicht gemacht, doch sie spielte vorher den Ball zu Annika, die durch den Anlauf durch ihre Lücke brausen konnte. Ohne den Hauch eines Zögerns platzierte sie den Ball in die obere linke Ecke des Tores. Jubelnd liefen die Carmelot-Spieler in die Abwehr zurück.

Eins zu eins.

Die Nummer 5 der Duncan's Schule spielte tatsächlich auf der Mittelposition. Sie war nicht besonders groß oder kräftig, aber flink und schlau. Fünf Pässe, dann war die Abwehr in der Mitte außeinander gerissen und die Nummer 5 hatte freie Bahn.

Zwei zu eins.

Die Carmelot-Spieler versuchten im Angriff geduldig zu sein, wie Nick es ihnen geraten hatte, doch durch einen Fehlpass von Sandra bauten die Gegner durch einen Kontrastoß ihre Führung aus.

Drei zu eins.

Nick machte von der Bank aus ein Zeichen, dass sie es ruhig angehen sollten. In der Hektik würden sie nur wieder den Ball verlieren.

Sandra und Nora kreuzten ihre Laufbahn, Annika lief von hinten an, bekam den Ball und setzte zum Sprungwurf an. Jessika lief sich am Kreis frei und Annika spielte ihr den Ball zu, statt selber zu werfen. Die einmalige Chance konnte Jessika jedoch nicht nutzen, der Torwart hielt den Ball.

Als die Carmelot-Spieler schon wieder einen Kontragegenstoß nicht verhindern konnten, merkte Annika wie die Frustration in ihr wuchs. Vier zu eins nach knapp vier Minuten. Das war einfach nicht gut genug. Sie musste ihre Mannschaft in Schwung bringen.

Nachdem sie nach dem Anpfiff von Nora den Ball erhalten hatte, tat sie so, als würde sie den Ball wieder zurück spielen. Die Abwehrspieler rückten automatisch mehr in die Mitte und das nutzte sie aus. Sie hatte den Pass nur angetäuscht und lief selber auf das Tor zu. Sie dribbelte einmal, machte eine Finte, kam an der Abwehr vorbei und wuchtete den Ball zwischen die Beine des Torwarts ins Netz.

Schnell lief sie in die Abwehr zurück, doch die Nummer 5 nutzte eiskalt aus, dass die Carmelot-Spieler sich noch über das erzielte Tor freuten.

Fünf zu zwei.

„Mädels, konzentriert euch!", kam es von Nick der grimmig das Geschehen betrachtete. Dass er schon mit der Time-Out-Karte in der Hand stand, war absolut kein gutes Zeichen.

Nora erzielte den nächsten Treffer, doch wieder war die Abwehr zu unstabil. Die Duncan's-Spieler hatten keine große Mühe, Tore zu machen.

Ein drei Tore Rückstand war kein Weltuntergang, aber wenn die Carmelot-Spieler um jeden verdammten Punkt kämpfen mussten, die Gegenspieler aber einfache Tore schossen, würden sie auf Dauer nicht mithalten können.

Durch gute Spielzüge und klasse Einzelaktionen von Megan und Annika, war die Carmelot-Schule nach einer Viertel Stunde nur mit einem Tor hinten. Doch Sandra fing im nächsten Angriff den Ball nicht und wieder liefen die Gegner ein Kontra.

Zehn zu acht.

Und da wechselte Nick Sandra aus und Victoria ein. Annika war mit diesem Zug zufrieden, vielleicht schaffte Victoria es auf Halbrechts besser als Sandra.

Nicks Ex-Freundin war mehr als nur bereit, den Gegnern den Ball um die Ohren zu hauen und machte in den nächsten drei Minuten gleich zwei Tore. Trotzdem waren Sie immernoch einen Punkt hinten.

Durch Victorias Einsatz fühlten die anderen im Team sich motiviert einen Zahn zu zu legen. Die Duncan's-Spieler waren ihnen nicht deutlich überlegen, das mussten sie im Hinterkopf behalten.

Annika begann sich gerade darüber zu freuen, Victoria im Team zu haben, als sie plötzlich etwas erlebte, was ihr nie vorher widerfahren war und was sie jetzt definitiv nicht erwartet hatte.

Nora fing in der Abwehr den Ball der gegnerischen Mannschaft ab und Annika und Victoria sprinteten nach vorne. Victoria bekam den Ball und lief aufs Tor zu, ihr Weg wurde jedoch von einer zurück gelaufenen Duncan's-Spielerin versperrt. Annika stand ganz frei und wartete auf den Wurf, doch Victoria ignorierte sie und ihre Rufe. In ihrem egoistischen Versuch selber ein Tor zu werfen, fiel ihr der Ball aus den Händen und die Duncan's-Schule war wieder im Ballbesitz.

„Victoria, ich war frei!", konnte Annika es sich nicht verkneifen ihr zu zu rufen, doch sie antwortete nicht einmal. Kopfschüttelnd lief sie in die Abwehr zurück. Sie hatten auf ein Tor Rückstand reduzieren können.

Annika versuchte die Episode zu vergessen, vielleicht hatte Victoria sie ja wirklich weder gesehen noch gehört. Doch gleich im nächsten Angriff entstand eine ähnliche Situation, wo es deutlich war, dass Victoria bewusst versuchte, Annika aus dem Spiel zu verbannen. Und wieder hätte Annika eine hundertprozentige Chance gehabt. Hätte.

Sie warf Nick schnell einen Blick zu, der die Stirn gekräuselt hatte und nachdenklich auf das Spielfeld sah. Ihm konnte das nicht entgangen sein.

Es blieb eng vor der Pause. Nur noch zwei Minuten waren übrig und die Carmelot-Schule hatte sich zu einem Gleichstand hochgekämpft. Dreizehn zu dreizehn.

Die Duncan's-Spieler schienen verunsichert und machten vermehrt Fehler in ihrem Angriffsspiel. Kurz vor Schluss ergatterte Jessika den Ball von der Nummer 5 und warf ihn zu Victoria weiter, die nach vorne sprintete. Annika war mit gelaufen und wieder völlig frei, doch wieder bekam sie von Victoria den Ball nicht zu gespielt. Sie versuchte selber an zwei zurückgelaufene Abwehrspieler vorbei zu kommen. Vergeblich.

Wütend biss Annika sich in die Lippe und sah auf die Anzeigetafel. Sie hatte drei gigantische Chancen gehabt und sie wusste, dass sie diese auch ausgenutzt hätte. Wenn Victoria nicht so stur gewesen wäre, hätten sie jetzt mit drei Toren geführt, statt mit einem Gleichstand in die Pause zu gehen.

Der Gong ertönte und beendete die erste Halbzeit, dessen chaotische letzte Phase die Spieler ermüdet hatte. Auf dem Weg zur Bank sah Annika wie Nick zu Victoria sah, die Arme in einer fragenden und aufgebrachten Geste in die Luft gehoben. Wenigstens war ihm Victorias bewusste Ignoranz nicht entgangen und tatsächlich verfärbten sich ihre Wangen ein wenig rot.

Wortkarg ging die Mannschaft in die Umkleidekabine, um von Nick in Laurena neue Anweisungen zu erhalten. Nick war nicht direkt unzufrieden, aber er bemängelte die vielen Fehler.

„Natürlich wollen wir von euch einen einhundertprozentigen Einsatz sehen, aber falls ihr erkennt, dass eure Mitspielerin eine bessere Position hat, dann spielt den Ball weiter!", wies er zum Schluss noch einmal an und sah dabei vor allem Victoria an.

Die Spielerinnen standen auf und begaben sich wieder in die Halle, doch Annika ging ins angrenzende Bad um ihre Wasserflasche aufzufüllen. Sie fasste es einfach nicht, wie dreist Victoria war. Sie verloren womöglich dieses Spiel, nur weil sie etwas gegen Annika hatte. Sie war nicht nur dreist, sie war auch dumm.

Annika fuhr sich mit der Hand über ihre Stirn und wischte sich den Schweiß ab. Sie würde Victoria schon zeigen, mit wem sie sich angelegt hatte.

Sie wollte gerade die Umkleidekabine verlassen, als sie durch die Tür Nicks erhobene Stimme hörte.

„Ich verstehe nicht, was dein Problem ist, Victoria. Ich will so etwas nicht wieder sehen. Spiel den Ball an Cullum weiter, wenn sie frei ist, verstanden?" Nick war deutlich aufgebracht.

„Du willst wissen, was mein Problem ist?", ertönte jetzt Victorias gehässige Stimme und obwohl Annika eigentlich nicht lauschen wollte, blieb sie hinter der Tür stehen und wartete ab. „Du beschützt Annika und du bevorzugst sie. Nur weil du in sie verliebt bist! Das sieht hier jeder!"

Geschockt riss Annika die Augen auf und hielt die Luft an. Was würde Nick dazu sagen? Victoria warf ihm vor, seine Neutralität und Objektivität verloren zu haben, weil Gefühle mit ihm Spiel waren. Das war ein ernster Vorwurf.

Doch viel mehr wollte Annika wissen, ob Nick ihr Recht gab oder nicht.

„Ich bevorzuge Annika aus dem einen Grund, dass sie meine beste Spielerin ist."

Autsch.

„Das würde jeder Trainer tun. Und solange du nicht auf ihrem Niveau spielst, will ich unter meiner Führung nie wieder sehen, dass du ihr bewusst den Ball nicht zuspielt, ist das klar? Sonst nehme ich dich raus. Und zwar nicht nur aus dem Spiel, sondern aus dem Team."

Nach Nicks Machtworten blieb es still, dann hörte sie Schritte, die sich entfernten.

Aus dem einen Grund.

Langsam atmete Annika tief durch. Das war definitiv nicht das, was sie eigentlich hätte hören wollen. Sie freute sich darüber, dass Nick Victoria in die Schranken gewiesen und sie selber verteidigt hatte, aber...

Energisch straffte sie die Schultern , schüttelte ihre Gefühle und Gedanken ab und verließ die Umkleidekabine, bereit für die zweite Halbzeit. Der Gang war leer.

Genauso wie ihr Herz.

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Das Gespräch zwischen Nick und Annika lässt noch auf sich warten... Stattdessen hat Nick einmal Klartext geredet - in mehr als nur einer Hinsicht... Was sagt ihr??

Tyskerfie <3

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