Lieblose Liebe
Den ganzen Sonntag blieb Annika im Bett und schonte ihren Kopf und ihren Körper. Ihr ging es gut, aber sie wollte keine Risiken eingehen.
Die Mädels sorgten gut für sie, holten ihr Essen, redeten mit ihr, unterhielten sie. Auch Joe sorgte dafür, dass ihr nicht langweilig wurde. Er schrieb zahlreiche, lange Nachrichten, in der er es sogar schaffte, irgendein nutzloses Detail über die Französische Revolution loszuwerden.
Als Annika am Montag den Schultag ohne irgendwelche kritischen Anzeichen überstanden hatte, war sie sich sicher, dass sie beim Spiel gegen St. Alberts keine Gehirnerschütterung bekommen hatte.
Und somit war sie bereit für das Training.
Wie üblich betrat sie mit Nora die Halle, heute als eine der ersten. Nick und Laurena waren auch schon da und besprachen gerade das heutige Training. Als Nick auf Annika aufmerksam wurde, ging er zu ihr und sie seilten sich ein wenig von den anderen ab.
"Alles klar bei dir?", fragte er sie, während er sie eingehend musterte.
"Ja, alles gut. Ich fühle mich gut", antwortete Annika wahrheitsgemäß.
"Falls du heute im Training runterschalten willst, dann tust du das, okay?"
"Dass du das jemals zu mir sagst", neckte sie ihn und lächelte. Auch auf Nicks Lippen zeichnete sich ein leichtes Grinsen ab, doch noch stärker lachten seine Augen, dessen helles Blau auf einmal strahlten.
"Du weißt, dass das hier eine Ausnahme ist?"
"Natürlich", erwiderte Annika gespielt ernst. Nick sagte darauf nichts, sah sie nur an. Sie sahen sich beide nur an, wortlos.
"Glückwunsch, übrigens. Wegen dem Sieg am Samstag."
"Danke", nickte er knapp und betrachtete sie weiterhin eingehend.
Sollte sie ihm sagen, dass er gut gespielt hatte?
Die Hallentür wurde auf einmal mit einem Krach aufgemacht und sie schreckten ein wenig auseinander, als Megan und Victoria lachend die Halle betraten. Sie winkten Nick zu, ignorierten aber Annika.
"Also dann", murmelte sie und ging an ihrem Trainer vorbei und zu Nora. Sie wunderte sich ein wenig darüber, dass Megan sich gleich so gut mit Victoria befreundet hatte. Vielleicht waren sie ja auch schon viel zusammen gewesen, bevor Victoria die Mannschaft verlassen hatte. Trotzdem missfiel es ihr.
Nach wenigen Minuten waren die restlichen Spieler auch eingetroffen und Nick begann das Training mit einer kurzen Analyse des Spiels am Samstag. Er lobte ihren Einsatz und ihre Einstellung, auch nachdem Annika verletzungsbedingt ausgewechselt worden war.
Am kommenden Wochenende hatten sie schon wieder ein Auswärtsspiel, auf das sie sich diese Woche vorbereiten würden.
Annika spürte heute wieder Nicks Macht über sie, die Kraft, die seine Augen ausstrahlten, das unsichtbare Band, das sie zu ihm zog. Sie hatte für eine kurze Zeit gedacht, dass es weg wäre.
Desto härter war es für sie, als Nick sich während des Trainings mehr und mehr verschloss. Nur ihr gegenüber. Er unterhielt sich unbeschwert mit allen anderen und ging auf ihr Geplänkel ein, doch zu ihr sagte er kein Wort. Er sandte ihr keinen Blick.
Wieso er auf ein Mal wieder so kalt war, verstand sie nicht. Aber es machte sie wütend und es verletzte sie. Sie sollte einfach ganz mit ihm abschließen.
Das heutige Training war bei weitem nicht so anstrengend wie die Woche zuvor. Nick war nach drei Siegen und einem Unentschieden in dieser Saison offensichtlich zufrieden. Abgeschlossen wurde mit Siebenmeterwerfen.
Annika liebte solche Strafwürfe. Man konnte ungehindert den Ball beliebig platzieren. Man hatte genug Zeit, es sich zu überlegen, man übernahm selber die Führung. Gleichzeitig konnte man aber auch sofort beim Pfiff werfen und den Torwart so überraschen. Man konnte in eine Ecke sehen, aber in eine andere werfen, so den Torwart austricksen. Und man hatte schier unendliche Möglichkeiten. Deswegen war Annika im Siebenmeterwerfen auch so treffsicher.
Viele ihrer Teamkollegen aber nicht.
"Mädels, konzentriert euch! Gleich nochmal alle", wies Nick sie an und wieder wurde auf Nina geworfen. Und wieder waren einige dabei, die das Tor entweder ganz verfehlten oder dessen Würfe von Nina pariert wurden.
"Alle noch einmal!", rief Nick und stellte sich mit den Händen in den Hosentaschen ein paar Meter neben die Schützen. Laurena pfiff ab. "Ihr dürft erst gehen, wenn ihr alle getroffen habt."
Innerlich stöhnte Annika. Sie wusste, dass das in dem heutigen Zustand ihrer Teamkollegen lange dauern könnte.
Und ganz recht, Megans Wurf wurde durch eine erstklassige Aktion von Nina gestoppt. Sie durfte zwar auch erst gehen, wenn alle getroffen hatten, trotzdem gab sie in dieser Übung alles.
Die Truppe fing von vorne an, Perdita und wieder Megan verfehlten. Obwohl die Chance schon vertan war, mussten alle Spielerinnen werfen, bevor eine neue Runde gestartet wurde. Das war Teil des Trainings.
Ein drittes Mal. Und wieder scheiterte das ganze an Megan und daraufhin auch Victoria und Nora.
"Was ist los mit euch?", rief Nick ein wenig verärgert. "Sieht fast so als bräuchtet ihr im Siebenmeterwerfen Einzelstunden."
"Mir würde das nichts ausmachen", kommentierte Victoria und grinste selbstsicher, während Megan und einige andere Mädchen anfingen zu kichern. Fassungslos wegen dieser Aussage drehte Annika sich ein wenig weg, nur um Noras ebenso schockierten Blick aufzufangen.
"Alle nochmal!", beorderte Nick, ohne auf Victorias Bemerkung einzugehen, aber Annika sah zu deutlich, wie angespannt sein Kiefer war.
Tja, selber Schuld, wenn er seine Ex-Freundin ins Team holte. Er hätte sich doch denken können, dass da das ein oder andere Drama entstehen würde.
Als auch in der vierten Runde alles schief lief, übernahm Nick das Pfeifen. Er stellte sich rechts neben den Schützen und sah die Spielerinnen verbissen an.
"Noch einmal. Ihr geht erst, wenn ihr alle trefft. Von mir aus bleiben wir bis Mitternacht. Das ist eure Entscheidung." Er war sichtlich unzufrieden. Verständlich.
Die ersten neun Mädchen trafen. Dann war Annika an der Reihe. Sie stellte sich bereit und blickte zu Nick. Sie sah ihm fest in die Augen und wartete darauf, dass er pfiff. Die Sekunden verstrichen, oder so fühlte es sich zumindest an. Endlose Sekunden, wo sie sich in seinen Augen verlor, die nachdenklich auf sie blickten.
Dann pfiff er. Sie warf sofort in die linke obere Ecke, ohne auch nur das Tor angeschaut zu haben. Und traf.
Nina warf ihr ihren Ball zurück und sie stellte sich auf die Seite. Versuchte Nicks Blick abzuschütteln.
Als sie wieder aufsah, traf se auf Victorias Augen, die zu Schlitzen verengt und auf sie gerichtet waren. Sie war ganz offensichtlich paranoid. Und misstrauisch. Und Annika hatte sie jetzt schon satt. Sie war vielleicht eine ausgezeichnete Handballspielerin, aber sie bekam mehr und mehr den Verdacht, dass sie nur wegen Nick wieder dem Team beigetreten war.
"Letzter Wurf, dann habt ihr Feierabend", hörte sie ihren Trainer rufen und sie sah zu Nora, die als letzte beim Siebenmeterpunkt stand. Nick pfiff und sie traf.
Erleichtert atmete sie aus, nahm ihre Sachen uns verließ schnell die Halle. Ihr wurde das alles hier irgendwie zu bunt. Sie schmiss ihre Klamotten in ihre Sporttasche und zog sich ihre Jacke über ihr Trainingsoutfit an, winkte Nora zu, die in dem Moment die Umkleidekabine betrat, und verließ den Raum. Bloß weg von hier.
Sie war gerade oben angekommen, als Victoria hinter ihr ihren Namen rief. Annika blieb stehen, ohne sich umzudrehen, und blickte erst hoch, als Victoria sich vor ihr gestellt hatte. Was sollte das hier werden?
"Hm?", fragte sie kurz angebunden.
"Annika... Läuft da was zwischen dir und Nick?"
Ein amüsiertes Schnauben entwich Annikas Kehle. Erst wollte sie es verneinen, doch die Frau vor ihr nervte sie so dermaßen, dass sie einen anderen Weg einschlug.
"Ich wüsste nicht, was dich das angeht."
Victoria weitete leicht ihre Augen und sah sie entsetzt an. Annika war sich durchaus bewusst, was sie mit ihren Worten andeutete. Aber sollte sie doch denken, was sie wollte. Ihr war das gerade egal.
"Ich möchte eine klare Antwort", sagte Victoria verbissen und stemmte die Hände in die Hüften.
"Und wenn ich dir keine klare Antwort geben möchte?" Normalerweise verhielt Annika sich nicht so. Aber Victorias Attitüde war eine direkte Einladung, ihr unverschämt und provozierend gegenüber zu treten.
"Weißt du überhaupt, mit wem du es hier zu tun hast?" Victorias Stimme hatte einen schrillen Unterton angenommen. "Glaubst du wirklich, Nick würde sich mit jemanden wie dir abgeben? Schau dich doch mal an. Wie naiv bist du?" Es war mehr als deutlich, dass Victoria in Annika eine Konkurrentin sah, dass sie sich unsicher fühlte.
Der Gedanke heiterte Annika ein wenig auf, trotzdem hatte sie keine Lust, sich von ihr blöd anmachen zu lassen, sich freiwillig von ihr kränken und beleidigen zu lassen. Sie hob noch eine Augenbraue, dann wollte sie an ihr vorbeigehen, doch Victoria hielt sie am Arm fest.
"Liebst du Nick?", fragte sie direkt. Ihr viel zu süßes Parfüm stieg ihr in die Nase und Annika riss sich los. Das war zu viel des Guten.
"Nein, ich liebe ihn nicht", sagte sie verächtlich. "Und ich werde ihn nie lieben, keine Sorge."
Sobald die Worte ihren Mund verlassen hatte, trat ein selbstgefälliger, zufriedener Ausdruck auf Victorias Gesicht und Annika spürte in dem Moment die Anwesenheit einer weiteren Person. Sie warf einen Blick über ihre Schulter und sah Nick, der am Ende der Treppe regungslos da stand und sie unverhohlen ansah.
Er hatte unweigerlich die letzten Worte gehört.
Wie in Trance wandte Annika sich wieder weg, rempelte dabei Victoria an der Schulter an und verließ das Gebäude.
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Ich melde mich auch mal wieder - aber immer noch halbkrank und am Sterben ;) Wieso wird man immer in den Ferien krank? Unfair. -.-
Naja, ich hoffe euch gefällt das Kapitel trotzdem ;) Und Victoria hat ihr wahres Ich gezeigt. Blöde Kuh.
Und danke für alle eure lieben Kommis - die motivieren mich voll! :) :)
Tyskerfie <3
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