Hornbrille und Handball
Überrascht sah sie zu der Person auf, die sich durch die Reihen geschlängelt hatte und sich jetzt neben sie setzte.
"Ja?" Perplex starrte sie einen schlanken Kerl mit aschblonden, wirren Locken an. Seine grünen Augen waren hinter einer neumodernen runden Hornbrille versteckt. Er kam ihr bekannt vor, aber sie war sich sicher, dass sie ihn noch nie getroffen hatte. "Wer bist du?", fragte sie ihn dann, bevor er etwas sagen konnte.
"Darf ich vorstellen? Joseph Smith. Stets zu Diensten", lächelte er charmant und machte eine kleine Verbeugung.
"Joseph Smith?" Caro hatte sich vorgebeugt, um ihn besser sehen zu können. "Annika, das ist dein Ballpartner!", meinte sie dann ganz aufgeregt und rüttelte sie am Arm. Wieso Caro das früher einfiel, als ihr selber, war Annika in dem Moment unklar.
"Ähm, hi", meinte sie dann etwas zögernd. "Wie, woher... Also was...?" Was machte er hier, wieso sprach er sie an, woher wusste er wer sie war? Kurzum, sie war verwirrt.
"Ich wollte mich nur einmal vorstellen und vielleicht ein wenig mit dir reden", klärte er dann auf. "Am Ball werde ich mich nämlich höchstwahrscheinlich so sehr betrinken, dass ich kaum höfliche Konversation betreiben kann", grinste er schief, woraufhin weder Annika noch Caro etwas erwiderten, sondern ihn nur überrascht ansahen.
"Oder vielleicht auch nicht. Aber es macht wesentlich mehr Spaß den Abend mit jemanden zu verbringen, den man schon bisschen kennt. Ich hasse diese Abtast-Phase, wo man erst alle Fakten über den anderen erfahren muss. Und da dachte ich mir, dass wir das einfach schon vorher klären und am Ball dann unseren Spaß haben." Er grinste breit und charmant und die Mädels vor ihm fingen an zu lachen.
"Du bist komisch", kicherte Annika gutgemeint und betrachtete ihn genauer. Er war in Echt wirklich gutaussehend und wirkte keinesfalls so versnobbt, wie sie anfangs über ihn gedacht hatte. Er wirkte eher wie eine chaotische Leseratte. Ein Genie. Ein charmantes Genie.
"Und wie hast du mich gefunden? Das hier ist schon ein wenig gruselig", grinste sie.
"Das war ganz einfach. In den Unterlagen, die ich über dich bekommen habe, stand, dass du im Handball-Team bist. Also musste ich hier nur aufkreuzen und die Spieler mit dem Foto von dir vergleichen. Du siehst in Echt übrigens wesentlich besser aus, als auf dem Foto."
"Okay, danke?" Annika wandte schnell den Kopf und sah Caro amüsiert und verwirrt an. Dann drehte sie sich wieder zu Joseph.
"Ganz schön harte Aktion, die du da unten abbekommen hast, übrigens. Ich hätte wahrscheinlich geflennt. Aber da sieht man mal wieder, diese Handballweiber sind oft männlicher als richtige Kerle", plapperte er weiter.
"Redest du immer so viel?", fragte Annika ihn vergnügt.
"Ja, gewöhne dich besser dran." Er zwinkerte ihr zu. Joseph war ihr sympathisch. Sehr sogar.
"Also gut, dann erzähl doch mal was über dich, damit wir am Ball diesen langweiligen Teil überspringen können", forderte sie ihn auf.
"Also über mich zu erzählen ist keineswegs langweilig", grinste er. "Ich bin wahrscheinlich der interessanteste Ballpartner, den du hättest bekommen können. Ich meinte es eher so generell. Man hat schließlich immer mehr Spaß mit Leuten, die man vorher schon kennt." Wieder dieses Grinsen. "Aber wir können ja so anfangen: Was weißt du schon über mich?"
Die Frage überrumpelte Annika ein wenig. "Ähm, also... Du heißt Joseph Smith? Sorry, aber ich habe die Ballunterlagen nicht wirklich durchstudiert", gab sie dann zu.
"War das alles? Im Ernst? Haben sie mich so uninteressant dargestellt, dass ich nicht einmal einen zweiten Blick wert war?" Er schien sichtlich entrüstet und zeigte dann auf sich, als wäre er Gottes Geschenk an die Frauen.
"Nein, das ist nicht deine Schuld", mischte Caro sich lachend ein. "Annika wollte eigentlich gar nicht zum Ball, ich habe sie angemeldet. Deswegen hat sie sich bis jetzt nicht wirklich dafür interessiert."
"Glaub mir, du wirst es nicht bereuen! Du kannst von Glück reden, dass ich dein Partner bin. Es wird definitiv kein langweiliger Abend!" Amüsiert schüttelte Annika den Kopf. Nach diesem ersten Eindruck von ihm war sie sich sicher, dass es kein langweiliger Abend werden würde.
In dem Moment liefen die Spieler des Carmelot-Teams wieder auf das Feld und bereiteten sich für die zweite Halbzeit vor.
"Interessiert du dich für Sport?", fragte Annika ihn, behielt ihren Blick aber auf die Spieler vor ihr gerichtet.
"Also, lass es mich so sagen... Nein." Er lachte leicht. "Sport hat mich nie wirklich interessiert. Ich bin nicht der typische Junge, der mit zwei schon Fußball gespielt und sich jedes verdammte Spiel im Fernsehen reingezogen hat. Also ab und zu finde ich Sport schon ganz unterhaltsam. Wie hier, wenn man live dabei ist. Das macht eh mehr Spaß. Aber gut, bei Barclay's mit einem Bier oder zwei ein Spiel zu sehen, ist auch nicht ganz schlecht. Seid ihr auch am Wochenende im Barclay's?" Er redete und redete, während Annika und Caro abwesend zuhörten und gespannt auf das Spielfeld sahen, wo die gegnerische Mannschaft sich jetzt für den Anpfiff bereit stellten.
"Schon klar, da unten befinden sich grade bestimmt eure Schönlinge, also habt ihr für einen gewöhnlichen Knaben wir mir keine Zeit. Ich sehe schon."
Annika drehte sich lachend zu Joseph, während Caro nicht einmal gehört hatte, was er gesagt hatte.
"Nein, ich habe dort unten keinen Schönling, aber ich liebe Handball."
"Schon klar, ich werde noch herausfinden ob das stimmt, keine Sorge." Er grinste sie schelmisch an und irgendwie bekam Annika das Gefühl, dass Joseph nicht nur ihr Ballpartner, sondern vielleicht sogar auch ein guter Kumpel werden würde.
"Du darfst mich übrigens Joe nennen, das ist nicht so formell, passt besser zu mir. Und mein Vater mag es nicht, wenn ich so genannt werde. Noch ein Grund andere darum zu bitten", quasselte er weiter und Annika betrachtete ihn vergnügt. Sie wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, als das Publikum euphorisch zu jubeln begann. Sie sah auf das Spielfeld und erkannte Nick, der dezent jubelte, als wäre es unter seiner Würde etwas zu feiern, was nichts außergewöhnliches war. Er hatte ein erneutes Tor erzielt.
"Der liebe Herr Brighton mal wieder", murmelte Joe und ganz plötzlich hatte er einen beträchtlich größeren Anteil von Annikas Aufmerksamkeit.
"Du kennst Nick?", fragte sie ihn offen.
"Wer kennt ihn nicht? Er ist... Oh, ich verstehe, das ist also dein Schönling?"
"Was? Oh Gott, nein!" Zum wie vielten Mal musste sie das gerade abstreiten? "Er ist mein Trainer und ich bin neu an der Schule, deswegen frage ich."
"Ach du bist neu dieses Jahr? Kein Wunder, dass ich dich nie gesehen habe." Er rieb sich das Kinn, während er sie nachdenklich musterte. "Das ist perfekt", redete er dann weiter. "Du bist noch nicht ruiniert, noch nicht so voreingenommen. Ich kann dich noch formen. Annika, ich melde mich hiermit freiwillig als dein Mentor der Carmelot-Schule!" Ganz feierlich legte er sich die Hand auf die Brust.
"Ich habe einen Mentor nötig?", fragte sie ihn skeptisch.
"Ja, aber nicht irgendeinen. Du hast mich nötig. Du weißt es nur noch nicht."
Wieder wurde sein Reden durch heftiges Jubeln des Publikums unterbrochen. Vor allem Caro schrie sich die Seele aus dem Leid, denn ihr Schatz Gabriel hatte ein Tor gemacht und sogar noch eine zwei Minuten Zeitstrafe der Gegner provoziert.
"Kennst du auch Gabriel?", fragte Annika Joe und genoss die Atmosphäre um sie herum. Sie liebte es einfach, wenn das Publikum begeistert mitgerissen war. Würde sie nicht ihren Kopf schonen müssen, wäre sie schon längst aufgesprungen und hätte auf der Bank gestanden und gejubelt.
"Ja, die Gebrüder Klein sind mit nicht fremd." Joe redete schon ein wenig merkwürdig, fand Annika. Caro schaute neugierig an ihr vorbei um zu hören, was er noch über ihren Geliebten und seinen Bruder Simon loswurde. Aber anscheinend hatte er nicht vor, mehr hinzuzufügen.
"Welche Farbe hat dein Kleid am Ball?", wechselte er stattdessen abrupt das Thema. Überrumpelt versuchte Annika ihre Gedanken zu sammeln.
"Ähm... Grau und silbern. Wieso?"
"Meine Fliege muss schließlich dazu passen", sagte er, als wäre es selbstverständlich, dass ein Kerl sich darüber Gedanken machte. 'Komischer Kauz' dachte Annika und sah ihn fast schon bewundernd an. Sie hatte noch nie jemanden wie Joe getroffen.
Grinsend wandte sie sich wieder dem Spiel zu, wo Nick sofort ihren Blick fing. Er war hoch konzentriert, seine ganze Aufmerksamkeit galt dem Handballspielen und er zeigte ihr dabei nur zu deutlich, dass Handball seine große Leidenschaft war. Ihr wurde mehr und mehr bewusst, dass er wahrscheinlich einer der qualifiziertesten Trainer war, den sie je gehabt hatte. Er gab selber ein Beispiel. All seine Anweisungen und Tipps waren keine leeren Worte. Er hatte alles selber probiert, geprüft und bewertet.
Die relativ kleine Pausenführung wurde schnell ausgebaut und als der Schiedsrichter das Spiel abpfiff, hatte auch die Herrenmannschaft einen überzeugenden Sieg zu feiern. Das Publikum jubelte ihnen noch zu, doch nach und nach leerte sich die Zuschauertribüne. Der Lärm während des Spiels war erschreckend gewesen, doch die Stille, die jetzt folgte, war fast genauso ohrenbetäubend.
Joe hatte während des ganzen Spiels ununterbrochen geredet und erzählt und Annika hatte ihn sofort ins Herz geschlossen. Der Ball in zwei Wochen würde schon nicht so schlimm werden.
Auch sie und Caro erhoben sich und Joe folgte ihnen in den Eingangsbereich. Caro wollte natürlich noch auf Gab warten und so blieb auch Annika da. Die Kopfschmerzen hatten ein wenig zugenommen und sie fühlte sich schwach. Sie hoffte, dass die Herrenmannschaft fürs Umziehen nicht ewig bräuchte.
"Warum bist du eigentlich auf die Carmelot-Schule gekommen?", fragte Joe, der neben ihr stand und wie sie selber an der Wand lehnte. Er schien es nicht eilig zu haben, zurück zu seiner Schule zu kommen.
"Meine Oma hat mich hier angemeldet", zuckte Annika mit den Schultern. "Ihr größtes Ziel ist es, mich zu einer schicklichen, anständigen Dame zu erziehen und da kam ihr die Schule gerade recht."
Joe verdrehte die Augen. "Solche Großmütter kenne ich nur zu gut. Ich glaube sogar, dass alle hier solche Großmütter haben." Er hielt kurz inne, dann lächelte er verschmitzt. "Wenn sie wüssten, was wir alles hier anstellen..." Er fuhr sich breit grinsend durch seine Locken und richtete seine Brille. Er sah damit irgendwie so süß aus.
"Und du? Wieso bist du hier?"
"Mein Vater...", war das einzige was er sagte, aber die Art und Weise wie er es sagte, kalt, gefühllos, gleichgültig, verdeutlichte, wie viel dahinter steckte. Erzählte den Rest der Geschichte.
"Aber, Mylady", gab er dann in der nächsten Sekunde wieder einen auf Shakespeare. "Da Ihre Gesellschaft äußert erfrischend war, würde ich gerne um Erlaubnis bitten, Ihre Handynummer zu erhalten." Er machte einen demütigen Knicks und Annika prustete los.
"Mach dich nicht über mich lustig, Cullum", grinste er. "Ich bin dein Mentor, zeig ein wenig Respekt! Nur mit meiner Hilfe wirst du die Jahre in dieser Irrenanstalt überleben!"
Bisher hatte nur Nick sie 'Cullum' genannt, fiel ihr in dem Moment ein, wo sie Joe anlächelte. Aber sie sollte eh aufhören, so viel an ihn zu denken.
"Nun gut, Mylord", säuselte sie also gespielt und holte ihr iPhone hervor. Sie entsperrte es, öffnete ihr Telefonbuch und reichte es Joe, damit er seine Nummer eintippen konnte. Im gleichen Moment hüpfte Caro aufgeregt hin und her und ging dann mit zögernden, schüchternen Schritte zu Gab, der zusammen mit Nick und einigen anderen Spielern die Treppe hinaufkam.
Auch Annika sah in ihre Richtung. Nick sah so zufrieden und gelöst aus, erleichtert. Er freute sich über ihren Sieg, ganz sicher.
"Hier", hörte sie dann Joe sagen, der ihr das Handy zurückgab, und sie drehte ihren Kopf zu ihm. "Ich habe mir schon selber eine Nachricht geschrieben, jetzt entkommst du mir also nicht mehr." Er lächelte breit und ehrlich, sodass Annika nicht anders konnte, als das Lächeln mit ganzem Herzen zu erwidern. Joe war nicht anmaßend, er flirtete nicht mit ihr. Er meinte es einfach nur gut. Und das schätzte sie.
"Alles klar, Maestro!" Sie packte ihr Handy in ihre Jackentasche und sah wieder zu Nick, der neben Gab stand und sich noch mit einem Teamkollegen unterhielt. Sollte sie zu ihm gehen und ihm gratulieren? Oder sollte sie das einfach im Training am Montag tun?
Als hätte er gespürt, dass sie ihn ansah, drehte er leicht den Kopf und fing ihren Blick auf. Kurz huschte er weiter zu Joe, dann wandte er sich wieder seinem Kumpel zu. Die Wärme in seinen Augen war weg.
"Naja, ich will dann langsam nach Hause, meinen schmerzenden Körper pflegen", sagte sie zu Joe, der ganz in seinen eigenen Gedanken zu sein schien.
"Oh ja, selbstverständlich. Annika, es war mir eine Ehre!" Er legte einen Arm um ihre Schultern und tätschelte sie, als sie ein paar Schritte gingen.
"Ebenfalls." Sie sah zu ihm auf und fühlte sich um einen Freund bereichert.
"Du hörst von mir!" Er machte einen kleinen Salut, rief noch Caro eine Verabschiedung zu und verschwand fröhlich pfeifend aus dem Gebäude.
"Caro, ich gehe schon mal vor, okay?" Annika hatte sich unbemerkt zu ihrer Freundin gestellt, die in ein Gespräch mit Gab vertieft war. Sie nickte abwesend und wandte sich wieder dem dunkelhaarigen Jungen zu, der vor ihr stand und mindestens genauso viele Herzen in den Augen hatten, wie sie.
Grinsend entfernte Annika sich. Sie hatte noch nie zwei so verliebte Menschen erlebt! Es war ihr ein Rätsel, wieso sie nicht schon längst zusammen waren.
Auf dem Weg zum Ausgang kam sie an Nick und seinem Teamkollegen vorbei, doch ihr Trainer schenkte ihr keine Beachtung. Bis sie die Tür erreicht hatte.
Als sie ihre Hand um den Türgriff festigte, legte sich plötzlich eine andere Hand über ihre. Erstaunt sah sie zu Nick auf, dessen Duft ihr sofort in die Nase stieg und somit den charakteristischen Hallengeruch nach Laminat übertönte. Er hatte vom Duschen noch leicht nasse Haare, die ihm weich in die Stirn fielen. Von seiner Hand, die auf ihrer lag, breitete sich ein Feuer über ihren ganzen Körper aus. Ein kaltes Feuer, denn sie sah in seinen eisklaren Augen nicht die Zuneigung, nach der sie sich sehnte.
"Ruh dich aus, ja?", sagte er dann leise zu ihr. "Ich will, dass du für das Spiel am nächsten Wochenende fit bist."
Abrupt zog sie ihre Hand zu sich. "Mal sehen", war ihre Antwort, als sie darauf wartete, dass er ihr die Tür aufmachte. Sie sah noch einmal auffordernd in seine ausdruckslosen Augen, bevor sie an ihm vorbei in die Kälte ging und Victoria und ihre Freundin warten sah.
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Na, was sagt ihr? Doch kein Bitchfight :b
Tyskerfie <333
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