Feuer und Fackel
Und da wanderte ihr Blick wie von selber zu dem Mann, der in ihr so viele Gefühle auf einmal herauf beschwörte, den sie so oft nicht ausstehen konnte, und der trotzdem so verdammt faszinierend war. Und er hatte seinen kühlen Blick auf sie gerichtet.
Er reagierte nicht außergewöhnlich, eigentlich reagierte er kaum. Irgendetwas blitzte in seinen Augen auf, aber ob es Missvergnügen oder Überraschung war, konnte Annika von der Entfernung aus nicht deuten. Gleichgültig wandte er wieder den Blick ab, als würde er sie nicht kennen.
Ihr Bruder.
Seine Schwester.
Annikas Hirn arbeitete auf Hochtouren, als Camille Nick zu den Hendersons führte, um sie zu begrüßen. Hätte sie es wissen müssen? Hatte es Anzeichen gegeben? Sie schaute die beiden intensiver an und versuchte Ähnlichkeiten zu finden. Am auffälligsten waren die rabenschwarzen Haare. Aber das alleine hätte sie nie ahnen lassen, dass Camille und Nick Geschwister waren. Matthew und Daphne erhoben sich beide, als Nick zu ihnen kam.
"Nicholas, alter Freund, wie schön Sie zu sehen!", meinte Matthew herzlich und schüttelte Nicks Hand mehr als energisch.
"Matthew, lange her!"
"Ach Nicholas, was für eine Überraschung!", kam es da von Daphne, die Nick umarmte.
"Sie schauen bezaubernd aus", gab Nick sich charmant und Annika beobachtete ihn schweigend mit einer Augenbraue angehoben. Dass Daphne und Matthew Nick kannten, überraschte Annika mindestens genauso viel, wie die Tatsache, dass Nick und Camille Geschwister waren.
Sie gingen weiter zum Tischende, wo Mike schon bereit stand.
"Schwager!", sagten die Herren gleichzeitig, umarmten sich kurz und klopften sich auf den Rücken. Peter und Rupert neben Annika begannen ihre Stühle zurück zu schieben und aufzustehen um Nick auch begrüßen zu können, obwohl eigentlich Annika an der Reihe war. Langsam tat sie es ihnen gleich. Sie wusste nicht, was sie jetzt tun sollte.
"Nick!" Rupert gab ihm die Hand und lächelte ihm freundlich zu. Auch Peter schien Nick zu kennen, denn die beiden begrüßten sich mit einer knappen Umarmung.
Und dann war es so weit.
"Und das hier", begann Camille und machte eine Handbewegung Richtung Annika, „ist..."
"Annika Cullum", vollendete Nick ihren Satz. Bevor sie realisierte, was geschah, ging Nick auf sie zu, legte seine Hand an ihre Taille, gab ihr einen Wangenkuss und lächelte sie mehr oder weniger an. Ein unsicheres Grinsen huschte über ihr Gesicht, sie schaute schnell weg und merkte, wie sie kaum Luft bekam.
Absolut lächerlich.
"Woher kennt ihr euch denn?", fragte Camille vorsichtig und verwundert, und da bemerkte Annika, dass alle am Tisch sie ansahen.
"Ich habe das Vergnügen Sie an der Carmelot-Schule zu trainieren", antwortete Nick und schaute Annika unentwegt an.
"Ich glaub's ja nicht!", kam es von Camille und Daphne gleichzeitig, die freudig in die Hände klatschten und sich anstrahlten. Irgendwie fühlte Annika, dass es an der Zeit war, etwas zu sagen.
"Schön, dich zu sehen", sagte sie ruhig und stützte sich mit den Händen an der Rücklehne ihres Stuhles ab.
"Ich lasse für dich neben Annika aufdecken!", sagte Camille dann und winkte dem Butler zu, der sofort in die Küche verschwand.
"Ihr kennt euch?", fragte Peter neben Annika und dankbar darüber, dass sie jetzt ihn anschauen konnte, wandte sie sich zu ihm.
"Ja, wir gehen beide auf die Carmelot-Schule."
"Wieso habe ich nicht früher daran gedacht?", kam es von der anderen Seite des Tisches von Daphne. Annika versuchte Nick auszublenden, der sich gerade mit Mike unterhielt, während der Butler den Tisch deckte, Wein in Nicks Glas füllte und die Vorspeise anrichtete.
"Alles klar bei dir?", fragte Peter sie leise, woraufhin sie nur stumm nickte. Sie fuhr sich mit der Hand über ihr Kleid. Eines der Kleider, das sie an dem Abend in ihr Zimmer geschleppt hatte, wo Nick ihr geholfen hatte.
Kleid.
Abendkleid.
Nick hatte für seine Schwester in London ein Abendkleid geholt.
Für den Ball am Samstag?
"So, setzt euch bitte", ertönte in dem Moment Camille's melodische Stimme und die Gäste nahmen wieder Platz. Nick wartete, bis Annika vor ihrem Stuhl stand, und rückte ihn ihr dann zurecht, als sie sich hinsetzte. Sie ließ es zu.
Als er neben ihr Platz genommen hatte, nahm sie seinen Geruch wahr. Nicht der Geruch nach Parfüm oder Aftershave, sonder seinen Geruch. Ihre Hand zitterte leicht, als sie nach ihrem Weißweinglas griff.
"Ganz ruhig, Cullum", flüsterte er plötzlich sehr nah an ihrem Ohr und Annika drehte ihren Kopf zu ihm, die Wangen leicht gerötet. Er grinste neckend und sie konnte das Lachen in seinen Augen erkennen. Seine Augen strahlten heute in einem hellen Grauton, was wohl an seinem grauen Wollpulli lag. Kurz flatterte ihr Blick zu ihrem Kleid. Auch grau.
Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie je so sprachlos gewesen war. Sie war so überrascht Nick hier zu sehen, dass sie gar nicht wusste, wie sie reagieren, wie sie agieren sollte.
"Wie kommt es, dass ich dich hier treffe?", fragte er sie plötzlich und nahm dann eine Gabel voll Salat.
"Daphne ist meine Großtante", antwortete Annika nüchtern und nahm auch etwas von ihrem Salat. Plötzlich verspürte sie nicht mehr den größten Appetit.
"Peter ist somit dein Großcousin", schlussfolgerte er richtig.
"Was du nicht sagst, Sherlock", meinte Annika trocken und aß eine Garnele. Als die verschiedenen Gewürze ihren Geschmack auf ihrer Zunge ausbreiteten, kam ihr Appetit sofort wieder zurück. Sie hatte selten etwas so leckeres probiert.
"Wie lange bleibst du?", fragte Nick interessiert und warf Annika einen freundlichen Blick zu. So kannte sie ihn kaum.
"Bis Sonntag", kam es knapp von ihr. Sie merkte, wie Peter sie von der Seite ein wenig verwundert ansah, wahrscheinlich verstand er ihre Unhöflichkeit nicht, aber Annika war noch zu überrascht über die ganze Situation, sodass sie kaum wusste, wie sie es nur schaffen sollte zu atmen. "Und du?", fügte sie hinzu, nur um sich von ihrer netten Seite zu zeigen. Zwanghaft.
"Auch."
Annika nickte knapp, aß weiter und wünschte sich, im Erdboden versinken zu können.
Nick begann sich mit Mike zu unterhalten, während Annika von Camille angeredet wurde und in das Gespräch mit den Hendersons einstieg. Sie war sich jede Sekunde Nicks Anwesenheit bewusst. Und seiner Blicke. Als der Butler kam und den ersten Gang wegtrug und genau zwischen Annika und Nick griff, bekamen sie Blickkontakt. Bis der Butler wieder verschwunden war. Die Gänsehaut, die Annika überfallen hatte, als Nick erschienen war, wich nicht von ihrem Körper. Selbst nicht als der Hauptgang serviert worden war.
"Nick, ich muss zugeben, ich bin neugierig", hörte sie plötzlich Matthew reden, der sein Besteck zur Seite legte und Nick unverwandt ansah. "Wie schlägt sich meine Großnichte im Handball?"
Nicht das noch. Annika kniff kurz die Augen zusammen, drehte dann ihren Kopf um Nick anzuschauen, der die ganze Aufmerksamkeit des Tisches hatte. Ein kleines Lächeln hatte sich auf seine Lippen geschlichen.
"Willst du was Gutes hören oder die Wahrheit?", grinste er jetzt und sein Blick huschte zu Annika, die ihn perplex anstarrte. Die anderen am Tisch lachten und Peter stieß sie neckend in die Seite.
"Ich hoffe doch, dass die Wahrheit nur mit Gutem übereinstimmt", lachte Matthew und zwinkerte Annika zu. Sie war wirklich gespannt, was Nick jetzt sagen würde.
"Sagen wir mal so...", fing er an und wandte seinen Blick wieder Annika zu, die wie gebannt auf ihn starrte. Was kam jetzt? Eine neckende Bemerkung? Die schreckliche Wahrheit? Eine Entblößung? Das Glitzern in Nicks Augen ließ sie aufatmen, bevor er überhaupt angefangen hatte zu reden.
"Annika hat so viel Talent, wie ich selten gesehen habe", gab er dann ruhig zu und Stille senkte sich über den Tisch. "Sie hat so viel Potenzial, so viel Willen... Und eine ganz schön große Portion Sturheit", fügte er schmunzelnd hinzu, was vor allem Annikas Familie zustimmend zum Lachen brachte. Annika konnte ihren Blick nicht von ihrem Trainer wenden. Hatte er gerade ihre Arbeit als Handballerin anerkannt?
"Sie hat noch einiges zu lernen", fuhr er dann fort, "aber das hält sich eher im kleinen Bereich. Und ich bin mir sicher, dass Annika mit ihrem Hang zum Perfektionismus und mit eisernem Fleiß an den kleinen Details arbeiten wird, bis sie auch diese beherrscht. Vorher wird sie keine Ruhe geben." Wieder lachten die Gäste. Annika konnte nicht umhin zu bemerken, wie gut Nick sie einschätzen konnte. "Ich bin dankbar, dass ich sie in meinem Team haben darf."
"Sieh an", murmelte Peter neben Annika. "Ich hätte nicht gedacht, dass du so gut bist", neckte er.
"Du hast mich auch nie spielen sehen", argumentierte sie und nahm einen Schluck von ihrem Rotwein. Ihr Großcousin lehnte sich hinter ihr zu Nick rüber.
"Hand auf's Herz. War das echt die Wahrheit?" Nick lachte kurz auf und räusperte sich.
"Naja, solange Annika zuhört, kann ich kaum eine ehrliche Antwort geben, oder?" Peter lachte und Annika wusste wieder nicht, was sie sagen sollte. Normal hatte sie doch immer eine Antwort parat!
"Wann wolltest du wieder nach Hause?", fragte sie dann aber und war froh, als Peter wieder auflachte und Nick kurz unsicher schmunzelte.
"Wenn du magst, kann ich dich mitnehmen", bot er plötzlich an und wieder wusste Annika nicht, was sie sagen sollte. Sie versuchte etwas in seinem Gesicht zu lesen. Meinte er das Ernst? Nick schien ihre Überraschung zu merken.
"Naja, die Fahrt mit dem Zug ist unendlich lang, mit dem Auto wäre es sicherlich bequemer", versuchte er sie zu überreden. Sie dachte an die Fahrt mit ihm beim Auswärtsspiel gegen Rosewood zurück und wusste nicht so recht, was sie empfand.
"Ich mag es, mit dem Zug zu fahren", kam es dann aus ihr heraus. Sie konnte selber hören, wie dämlich das klang. Ein Grinsen huschte über Nicks Gesicht, als er sie amüsiert ansah.
"Wie du willst, aber du kannst es dir ja überlegen." Er machte also keinen Rückzieher.
"Das werde ich", ergab Annika sich und wandte sich sofort ihrem Rotwein zu. Was war nur los mit ihr?
Eine halbe Stunde später, saßen die Gäste satt und zufrieden und unterhielten sich kreuz und quer über den Tisch, als Mike auf seine Idee vom Vortag zu sprechen kam. "Wer hat Lust auf einen kleinen Spaziergang bevor wir uns am Kuchen vollfressen?" Peter stöhnte leise auf, setzte dann ein ziemlich gefälschtes Lächeln auf und ergriff auch für seine Großcousine das Wort.
"Wir sind natürlich dabei!" Er zwinkerte Annika zu und leerte dann sein Rotweinglas. Auch alle anderen Gäste fanden die Idee gut, weshalb die Truppe sich erhob und in die Eingangshalle ging. Matthew holte für Daphne und Annika Gummistiefel, die im Auto verstaut waren, damit sie um die nur in Strumpfhosen eingepackten Beine nicht ganz so schrecklich frieren mussten, während die anderen Gäste ihre Mäntel und Schals anzogen. Annika atmete tief die frische Luft ein und hoffte, dass der Sauerstoff ihr gut tun würde. Sie fühlte sich komplett neben der Spur und konnte sich einfach nicht erklären, woher das kam.
Dick eingepackt warteten die kleine Gruppe vor dem Eingang auf Mike, der kurz darauf mit einigen Fackeln auftauchte.
"Damit wir auch sehen, wo wir hingehen", grinste er und machte die erste an und reichte sie seiner Frau, die ihn glücklich anstrahlte.
"Du brauchst mich nicht suchen, wenn ich plötzlich verschwunden bin", murmelte Peter neben Annika und schaute sie vielsagend an. Sie kicherte und schlug ihm auf den Arm.
"Jetzt reiß dich doch einmal zusammen, so schlimm ist es doch wirklich nicht. Du kennst doch Nick, wieso unterhältst du dich nicht mit ihm?", versuchte sie Peter's negative Stimmung ein klein wenig zu beheben.
"Ne, das überlasse ich mal schön dir." Er grinste schelmisch und ging dann einfach davon. Sie schaute ihm hinterher und verstand einmal wieder die Welt nicht. Dann nahm sie eine sachte Berührung an ihrem Arm wahr.
"Hier, Cullum", sagte Nick leise und hielt ihr eine Fackel hin. Das Schimmern der Flammen legte eine goldene Maske auf sein Gesicht, und Annika konnte ihren Blick nicht von ihm abwenden.
"Äh, danke." Sie nahm die Fackel entgegen und tat einen ersten Schritt, als sie Nicks Arm sah, den er leicht in ihre Richtung gestreckt hatte. Sie schielte zu ihm rüber um sicher zu sein, dass sie das gerade richtig verstand. Nick schaute sie ruhig an.
Sie gab sich einen Ruck, hakte sich bei Nick ein und gemeinsam schlenderten sie ein kleines Stück hinter den anderen in die dunkle Nacht.
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Ich lebe noch! ;D
Zur Zeit gilt meine Aufmerksamkeit aber eher "Damn Badbabe", welches ich mit HeyGuys77 schreibe... Ich hoffe, dass ihr ein wenig nachsichtig seid ;)
Jetzt wurde es aber Zeit für ein Update!! Hat es euch gefallen?
Und danke für eure Geduld <3
Tyskerfie
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