Die Spiele beginnen

Annika erwachte am nächsten Morgen tatsächlich mit schmerzenden Muskeln. Sie schloss daraus, dass sie außer Form war. Sie musste unbedingt einen Laufplan aufstellen. Nick hatte nicht Unrecht gehabt, als er am Vortag angedeutet hatte, dass eigenständiges Konditions- oder Krafttraining durchaus nicht schaden konnte.

Sie konnte es immer noch nicht fassen, dass er ihr neuer Trainer war. Er war für sie der Inbegriff von Reichtum: arrogant, zu sehr von sich selber überzeugt und kalt. Handball war wahrlich der richtige Sport für ihn. Arroganz konnte man bei der Sportart nämlich immer gut gebrauchen, privat durfte man die Eigenschaft aber gerne abstellen.

Sie auch zweifelte auch an seinen Fähigkeiten als Trainer. Dass sie Muskelkater hatte, bedeutete noch lange nicht, dass er eine Prämie verdient hätte. Sie musste sich gedulden. In ein paar Monaten konnte sie mehr über ihn als Trainer sagen. Und wahrscheinlich auch über ihn als Person.

Sie schmunzelte kurz. Erleichtert dachte sie daran, dass sie ihn im Zug nicht angeschrien oder eine herabwürdigende Bemerkung geäußert hatte, als er sie, ohne sich danach zu entschuldigen, angestoßen hatte. Wäre das peinlich gewesen! Wahrscheinlich hätte er sich geweigert, sie im Team aufzunehmen. Eine gute Erziehung war hin und wieder also doch von Vorteil.

Mühsam kämpfte Annika sich durch den Schultag. Die letzte Stunde Mathe, in der nur Stoff vom letzten Jahr durchgesprochen wurde, nutzte sie, um sich einen Lauf- und Kraftaufbauplan zusammenzustellen. Ihre Wangen glühten förmlich vor Ehrgeiz. Sie wollte unbedingt einen fast unübertrefflichen physischen Zustand erreichen. Verwundert stellte sie fest, dass sie dabei vor allem daran dachte Nick zu zeigen, wozu sie fähig war, sie wollte sich unbedingt vor ihm beweisen. Er sollte auf keinen Fall einen schlechten Eindruck von ihr kriegen. Sie würde ihm noch zu verstehen geben, dass sie ab jetzt für das Schulteam nicht mehr zu entbehren war.

„Wieso schaust du so grimmig?", fragte Caroline flüsternd. Annika sah ihre Sitznachbarin lächelnd an.

„Ich stelle nur gerade einen Masterplan auf."

„Doch nicht für Mathe, oder?"

„Ne, für ein persönliches Trainingsprogramm."

„Kapier ich nicht. Nora sagte, dass sie jetzt schon ihre Hoffnung auf dich setzt für diese Saison."

„Mag sein, aber verbessern kann man sich immer. Und bei mir ist es mehr als dringend. Ich muss meinem Trainer unbedingt eins auswischen!" Annika konnte sich ein kurzes Kichern nicht verkneifen. Caroline schaute sie mit lachenden Augen verblüfft an.

„Du willst Nick eins auswischen?" Anscheinend kannte Caroline den Handballtrainer. Beide Mädchen hatten Mathe völlig vergessen und achteten gar nicht auf ihre Umgebung.

„Oh ja. Aber da muss ich dir erst einmal die Vorgeschichte erzählen. Als ich im Zug auf dem Weg hier her saß, ist mir da so ein total unfreundlicher Mann aufgefallen. Er hat mich sogar volle Kanne angestoßen, und sich daraufhin nicht einmal bei mir entschuldigt! Ich hatte einen brühend heißen Kaffee in der Hand! Und er hat mich nicht eines Blickes gewürdigt! Und jetzt..."

„Ms. Cullum, Ms. Parker, würden Sie uns bitte die Gunst erweisen und Ihre Aufmerksamkeit der Mathematik zuwenden?" Mr. Meyers schaute sie tadelnd an. Beide murmelten eine Entschuldigung. Als sich der Mathematiklehrer aber wieder der Tafel zuwandte, fuhr Annika mit ihrer Erzählung fort. Diesmal aber noch leiser und unauffälliger.

„Rate mal, wer dieser Mistkerl war?", fragte sie Caroline ohne sie anzuschauen.

„Keine Ahnung... Doch nicht etwa Nick?" Caroline schrieb an ihrem Hefteintrag weiter, tat so, als würde sie sich auf Mathe konzentrieren. Dabei war sie voll und ganz bei Annikas Geschichte. Diese wiederum nickte vielsagend.

„Erraten. Und glaub mir, er hat mich auch erkannt, ich hab's ganz genau in seinen Augen gesehen. Und dann war er auch noch so unverschämt mir gegenüber. Er hat anscheinend an meinen Fähigkeiten gezweifelt, obwohl ich gestern im Training echt gut war. Naja, mein Ego hat sich jetzt auf jeden Fall gemeldet. Nick soll rein gar nichts an mir auszusetzen haben!", flüsterte Annika entschlossen. Caroline kicherte leise.

„Uh, da wird er sich aber freuen. Er liebt so viel ich weiß solche Konkurrenzkämpfe."

„Kennst du ihn gut?"

„Nein, nur ein bisschen. Sein bester Kumpel ist mein Basketballtrainer."

„Und, ist er immer so unsympathisch?"

„Eigentlich nicht. Ja, er wirkt oft kalt und distanziert, ist aber eigentlich sehr freundlich. Und er hat wirklich Humor vom Feinsten. Die eher positiven Eigenschaften zeigt er aber leider nur, wenn er jemanden gut kennt und sich mit dem auch gut versteht. So viel..."

„Ms. Parker! Da Sie anscheinend meinen, der Unterricht sei für Sie nicht von Nutzen, würde ich Sie doch einmal bitten, die folgende Aufgabe zu lösen." Caroline und Annika hatten sich anscheinend nicht leise genug unterhalten.

Mr. Meyers schrieb eine quadratische Gleichung an die Tafel und ließ Caroline nach vorne kommen. Er reichte ihr die Kreide, trat einen Schritt zur Seite und sah sie abwartend an.

„Mr. Meyers, Sie wissen, das hier ist total unnötig!", protestierte Caroline, worauf ein paar der Mädchen in der Klasse leise lachten. An Selbstbewusstsein fehlte es ihr offensichtlich nicht.

„Nicht so frech, junge Dame. Lösen Sie erst einmal die Aufgabe, bevor Sie urteilen." Mr. Meyers musste sich beherrschen, um nicht auch zu lächeln. Er wusste ganz genau, dass Caroline mit der Aufgabe keine Schwierigkeiten haben würde. Er kannte sie vom letzten Schuljahr, wo sie als Klassenbeste das Fach abgeschlossen hatte. Sie machte sich auch sogleich an die Aufgabe heran. Gelangweilt und innerhalb kurzer Zeit hatte sie sie auch schon gelöst.

„Sie müssen sich schon was Schwereres einfallen lassen, um mich auf die Probe zu stellen", meinte Caroline selbstsicher, als sie dem Lehrer seine Kreide zurück gab. Er schüttelte nur den Kopf. Lächelnd setzte sie sich wieder an ihren Platz.

„Wo waren wir stehen geblieben?", fragte sie Annika so laut, dass Mr. Meyers es noch deutlich hören konnte. Er wählte es, die Provokation zu ignorieren. Annika half Caroline lachend auf die Sprünge.

„Genau. Also was ich sagen wollte, Simon, mein Trainer, redet immer nur gut von ihm. So schlimm kann er also gar nicht sein. Vielleicht hast du nur einen schlechten Eindruck von ihm bekommen."

„Oh ja, gleich zwei Mal, würde ich sagen. Ich glaube, mich mag er auch nicht. Aber wie gesagt, er wird seine Meinung über mich noch einmal überdenken müssen."

„Das muss ich unbedingt Simon erzählen! Er wird vor Lachen in Ohnmacht fallen. Er neckt Nick nämlich immer, weil er so ein Perfektionist ist. Außerdem hält er zu große Stücke auf sich selber. Simon wird sich freuen, dass sich endlich jemand traut, sich mit ihm anzulegen." Caroline freute sich schon ganz auf ihre Trainingsstunde am gleichen Tag, Annika jedoch biss sich auf die Lippe.

„Nein, warte! Diesem Simon darfst du ja nichts sagen. Sonst krieg ich vielleicht noch mehr Probleme mit Nick!"

„Lass dich doch nicht von ihm einschüchtern. Wahrscheinlich merkt er dann sowieso, dass er dich nicht unterkriegen kann. Das wird ein Spaß! Danke, du sorgst für ein wenig Abwechslung."

„Jetzt sorge ich einmal für ein wenig Abwechslung, werte Damen." Mr. Meyers sah genervt zu Annika. „Ms. Cullum, brauchen Sie den Mathematikunterricht auch nicht?" Er hielt ihr die Kreide hin, eine Aufgabe war schon an der Tafel aufgeschrieben. Annika stand auf, zwinkerte Caroline zu. Sie ging mit geradem Rücken zur Tafel und löste die Aufgabe schnell und effektiv. Mr. Meyers betrachtete sie hoffnungslos und entrüstet zugleich an. Annika lächelte ihn amüsiert an.

„Mr. Meyers, ich bin enttäuscht. Ich hatte mir sagen lassen, dass Sie immer gut für Herausforderungen wären." Achselzuckend ging Annika zwischen lachenden Mädchen zu ihrem Platz zurück.

„Wie ich sehe, übt Ms. Parker keinen guten Einfluss auf sie aus..."  Mr. Meyers lächelte auch. Er erkannte, dass er jetzt noch eine brillante Schülerin zu unterrichten hatte. Was ihm aber durchaus behagte.

„Genauso musst du auch Nick behandeln", flüsterte Caroline, die immer noch vor sich hin kicherte. Annika schaute sie mit einem ehrgeizigen Ausdruck in den Augen an.

Den Rest der Stunde wurden sie nicht mehr von Mr. Meyers gestört.

***

Annika war auf dem Weg zu ihrem Zimmer. Sie hatte gerade zu Abend gegessen und wollte so schnell wie möglich ins Bett. Ihr Muskelkater war immer noch spürbar und sie war müde von den Eindrücken des Tages.

Sie überquerte den Rasen zwischen dem Neben- und Hauptgebäude, als eine Person auf sie zu gerannt kam. Überrascht blieb sie stehen, als sie sah, dass es Nick war. Er hatte nur ein schwarzes Hemd an, die Ärmel bis zum Ellbogen hochgekrempelt. Es hing locker über seine dunkle Jeans. Die Septemberkühle schien ihm nichts auszumachen.

„Annika, richtig?", meinte er, als er sie erreicht hatte. Sie sah ihn kalt an. Er konnte sich nicht erinnern, wie sie hieß? Unglaublich. Sie ließ es bleiben, ihm zu antworten. Ihr war der Gedanke gekommen, dass Caroline vielleicht schon mit Simon geredet hatte, der es sich bestimmt nicht verkniffen hatte, Nick auf ihren Kampfgeist aufmerksam zu machen. Womöglich hatte er die Einladung angenommen und versuchte sich gleich mit psychischem Terror. Nick ließ sich wohl auch nicht einschüchtern.

„Ich hatte gerade ein sehr interessantes Gespräch mit Mrs. Carmelot", fing er an. Er wartete auf eine Reaktion ihrerseits. Als sie nichts sagte, sondern ihn nur fragend anblickte, fuhr er fort: „Sie hat mit Mr. Carmelot gesprochen und ist zu dem Schluss gekommen, dass sie nicht weiter Zeit und Mittel in unser Handballteam investieren möchte, es sei denn, wir belegen am Ende dieser Saison einen der ersten drei Plätze in der Tabelle und wir kommen bei der Pokalmeisterschaft ins Finale. Sonst müsst ihr euch leider von mir verabschieden." Nick verschränkte selbstsicher seine Arme vor der Brust. Annika war geschockt, und das nicht nur wegen Nicks übertriebener Überzeugung von sich selber. Wie konnte die Direktorin überhaupt nur daran denken, die Handballabteilung zu schließen? Sie wollte sich gerade beschweren, doch dann erinnerte sie sich an ihren Status bei Nick, den sie ja auf ein höheres Niveau heben wollte.

„Dann kann man ja von Glück reden, dass ich hier bin." Sie sah ihn herausfordernd an und erkannte eine Regung in seinen Augen. Überraschung? Vergnügen? Abneigung? Keine Ahnung. Aber es gefiel ihr.

„Das werden wir ja sehen." Er betrachtete sie abschätzig.

„Weiß Nora es schon?" Annika wunderte sich darüber, dass Nick es ihr überhaupt gesagt hatte. Als Kapitän der Mannschaft hätte Nora sicherlich diese Aufgabe übernommen.

„Natürlich. Ich dachte mir nur, es wäre gut, wenn du jetzt schon weißt, woran du diese Saison bist. Es liegt jetzt eine Last auf deinen Schultern. Du kämpfst für eine wichtige Sache, du bist mit verantwortlich, wie wir diese Saison abschneiden." Er blickte Annika eindringlich an, als wolle er einschätzen, ob sie dem Druck standhalten könnte.

„Ich weiß. Und ich habe kein Problem damit. Herausforderungen sind immer gut. Sie fördern sogar oft die Leistung." Annika befolgte Carolines Rat, sie wollte sich nicht einschüchtern lassen und tat ganz ruhig und gelassen. „Sonst noch was? Ich wollte eigentlich früh ins Bett..." Annika ging schon einen Schritt rückwärts.

„Ne, du kannst schlafen gehen. Ich kann mir vorstellen, dass das Training gestern so hart war, dass du dich für das morgige besonders ausruhen musst." Er lächelte sie kalt an und sie musste sich beherrschen, keine dreiste Antwort zu geben. „Bis dann, Cullum." Annika drehte sich um und ging mit schnellen Schritten über die Wiese. Natürlich hatte er nicht vergessen, wie sie hieß.

Die Spiele hatten nur schon begonnen.

***

„Ich versteh es einfach nicht!" Annika stöhnte wütend. Sie war nicht wie geplant gleich ins Bett gegangen, sondern hatte sich noch mit Nora und Caroline zum Tee im Gemeinschaftsraum getroffen. Natürlich war die Drohung die Handballabteilung zu schließen Thema des Abends.

„Wahrscheinlich weil wir die letzten Jahre so schlecht abgeschnitten haben", spekulierte Nora, die langsam an ihrem Tee nippte. Es war schon spät, und dementsprechend waren sie auch alleine im gemütlich eingerichteten Zimmer.

„Ich dachte, wir hätten einen genialen Trainer?", meinte Annika sarkastisch. An Caroline gewandt fuhr sie fort: „Er hat übrigens so getan, als könne er sich nicht an meinen Namen erinnern!" Caroline, die gerade einen Schluck von ihrem Tee nehmen wollte, prustete los.

„Ich glaub's ja nicht! Ich hab Simon von der ganzen Sache erzählt, er war fix und alle vor Vergnügen. Wie es ausschaut, hat Nick die Herausforderung angenommen."

„Aber Caro, die ganze Sache ist ja eigentlich vollkommen bescheuert... Als mein Trainer sollte er doch gerade daran interessiert sein, dass ich konsequent mein Bestes gebe." Annika schaute Caroline unschlüssig an.

„Moment, Moment. Wovon redet ihr eigentlich?" Nora blickte die beiden mit einem verwirrten Gesichtsausdruck an.

„Annika und Nick hatten anscheinend keinen so guten Start in ihre Beziehung, lass es mich mal so formulieren", begann Caroline grinsend. „Nick ist, wie es aussieht, der Meinung, dass Annika keine so gute Spielerin ist, wie sie selber denkt. Und mit ihren Fähigkeiten ist es ja kein Wunder, dass sie ihm genau das Gegenteil beweisen will. Aber Nora, du kennst ja Nick. Wie Simon mir sagte, will er nicht, dass andere Leute zu viel von sich halten. Ignorieren wir mal die Tatsache, dass er es selber tut. Auf jeden Fall will er Annika zeigen, dass sie schlechter ist, als sie denkt. Nur gibt es dazu doch absolut keinen Grund! Du hast es ja selber gesagt, Annika ist eine herausragende Spielerin." Caro hatte sich ganz in die Sache hineingesteigert. Nora nickte verständnisvoll.

„Und natürlich macht er bei diesem Spielchen nur allzu gerne mit. Auch wenn ihr nicht eure direkten Kräfte messt. Hier geht es um eure psychische Stärke. Oh, Annika, da hast du dir aber was vorgenommen." Nora schaute sie kurz fast mitleidig an. „Nick ist Meister in psychologischen Spielchen. Warum denkst du ist er einer der besten Spieler im Herrenteam? Er manipuliert seine Gegner bis aufs Härteste, er schüchtert sie so sehr ein, dass sie an ihren eigenen Fähigkeiten zu zweifeln beginnen und dann nichts mehr auf die Reihe kriegen. Und dann kommt hinzu, dass er auch noch wirklich gut im Spielen ist!" Nora schüttelte gedankenverloren den Kopf.

„Du hörst dich so an, als hätte ich schon von vorne herein verloren."

„Nein, das nicht. Du bist vielleicht eine würdige Gegnerin, was ich zutiefst hoffe. Jemand sollte Nick mal eine Lektion erteilen. Oder besser gesagt, einfach mal zeigen, dass er nicht mit allen umgehen kann, wie er will."

„Aber wieso macht er das bei mir? Viel wichtiger als sein Ego ist doch die momentane Lage unseres Teams!", wandte Annika empört ein, wobei sie wieder beim eigentlichen Thema waren.

„Womöglich hat er gerade deswegen diesen Kampf aufgenommen. Er weiß, dass du von deinem Ehrgeiz angetrieben immer über deine Grenzen hinaus gehen wirst. Und genau so jemanden brauchen wir in unserer Mannschaft. Du kannst uns den nötigen Antrieb geben um wieder zu den Besten zu gehören!"

„Unser Team einfach so im Stich lassen! Falls Mrs. Carmelot wirklich so weit geht und unsere Abteilung schließt, dann spiel ich bei den Herren in der Mannschaft!", zischte Annika bissig. „Oder ich geh auf eine andere Schule!", führte sie ihre Gedanken weiter.

„Bloß nicht!", schrie Caroline vergnügt auf. „Ich mag dich, du  kannst nicht einfach wieder so gehen!"

„Mal nicht gleich den Teufel an die Wand. Sieh es als einen Ansporn jedes Spiel zu gewinnen", motivierte Nora. Sie hatte natürlich Recht. Es war albern sich schon im Voraus so schlimme Gedanken zu machen. Sie hatten noch nicht einmal das erste Spiel der Saison hinter sich. Es war viel zu früh für so negative Prognosen.

„Ich hoffe, dass Nick einige gute Tricks auf Lager hat. Als unser Trainer liegt's an ihm, dass wir uns verbessern."

„Bestimmt." Nora wirkte überzeugt. „Unser letzter Trainer war echt miserabel. Die letzten vier oder fünf Jahre war unsere Damenmannschaft nicht wirklich konkurrenzfähig. Und Mitte letzter Saison haben wir dann Nick als Trainer bekommen. Die Saison war zwar nicht mehr zu retten, aber wir haben die letzten drei Spiele gewonnen. Und wir sind eigentlich alle zuversichtlich, was diese Saison angeht. Wir müssen mal schauen, wie wir das erste Spiel machen."

„Aber nur weil ihr die letzten Jahre nicht so herausragend wart, soll es vorbei sein? Das ist doch kein Grund, man kann doch nicht so leicht aufgeben!" Annika schüttelte wütend den Kopf. Sie hatte sich mittlerweile an den Gedanken gewöhnt, die nächsten Jahre an dieser Schule zu verbringen, aber das Handballspielen war dabei ihr Rettungsanker gewesen.

„Lieber kein Handballteam, als ein schlechtes." Caroline brauchte nichts mehr zu sagen, Annika verstand sofort. Es ging mal wieder um einen einwandfreien Ruf. Es war zum Kotzen.

„Wir werden wahrscheinlich morgen im Training noch darüber sprechen. Ich geh jetzt ins Bett. Gute Nacht, Mädels." Nora erhob sich vom Sofa, stellte ihre Tasse in die Spülmaschine der kleinen Teeküche und verließ den Raum. Caroline und Annika starrten beide vor sich hin, tief in Gedanken versunken.

„Weißt du, worauf ich grad voll Lust habe?", fragte Caroline, ein verschmitztes Lächeln auf den Lippen. Annika schüttelte den Kopf. „Rotwein!"

„Du bist verrückt..." Annika schüttelte diesmal lachend den Kopf und erhob sich. „Du hast wohl Schlafmangel! Auf geht's, das Bett ruft!" Rotwein. Das würde wohl sofortiges Rausschmeißen bedeuten.

„Der Letzte macht das Licht aus!", rief Caroline plötzlich hinter ihr und rannte an ihr vorbei. Bevor Annika wusste, was Sache war, hatte Caroline das Zimmer schon verlassen. Also blieb ihr nichts anderes übrig, als im Zimmer alle Lichter auszumachen.

___  

Am nächsten Tag wurde den Schülern klargemacht, dass das Schuljahr wirklich schon angefangen hatte. Sowohl in Englisch als auch Deutsch bekamen sie Aufsätze und Textanalysen auf und in Mathematik und Physik hatte Meyers es anscheinend auf sie abgesehen, denn auch dort bekamen sie eine gute Portion Aufgaben zu erledigen. Froh, dass der Tag endlich vorüber war, begab sich Annika zum Handballtraining. Sie hoffte, dass sie sich nicht sonderlich anstrengen musste. Doch da wurde sie schwer enttäuscht. Als sie die Halle betrat, kam Nick sofort auf sie zu.

„Auf welcher Position hast du in deinem alten Verein gespielt?", fragte er. Keine Begrüßung, kein Blickkontakt.

„Halb links oder links außen. Unter Umständen sogar Mitte."

„Okay... Mitte kannst du bei uns vergessen, da haben wir schon Nora." Ohne Weiteres zu sagen ging er wieder. Annika schaute ihm resigniert nach. Konnte er nicht einen freundlichen Satz formulieren? Oder wenigstens nette Gefühle zum Ausdruck bringen? Sie holte tief Luft und ging dann mit straffen Schultern zu den anderen Mädchen, die vor Nick und Laurena auf dem Boden saßen.

„Mädels, fangen wir an." Nick schaute suchend durch die Runde. „Nora, du übernimmst das Aufwärmen. Und danach werd... Egal, das erklär ich später. Also, ab mit euch!" Nach viertelstündiger Aufwärmphase versammelten sich die Spieler wieder vor Nick und begannen sich zu dehnen, während sie ihm aufmerksam zuhörten

„Schlechte Nachrichten, Mädels: Wie ihr sicherlich schon wisst, möchte Mrs. Carmelot unser Team streichen, falls wir nicht hervorragende Resultate vorweisen können." Die Mädchen begannen sich laut zu beschweren und einige nicht sehr stubenreine Wörter waren zu hören. Nick ging nicht darauf ein. „Noch schlechtere Nachrichten: Unser erstes Spiel findet bereits dieses Wochenende am Samstag statt. Wurde vorverlegt. Wir haben also nicht viel Vorbereitungszeit, um die erwarteten Resultate aufbringen zu können. Heute werden wir also zwei Mannschaften machen und wie gewohnt Handball auf zwei Toren spielen, nur liegt das Augenmerk auf Cullum. Sie wird auf halb links beziehungsweise links außen spielen, und das heißt, dass der Angriff nur über die Seite stattfindet. Sie wird so oft wie möglich angespielt. Natürlich, sollte eine von euch vor der größten Lücke des Universums stehen, dann geht ihr durch. Das ist hoffentlich klar. Aber wir müssen Cullum einspielen, damit wir auch in einem richtigen Spiel was mit ihr anfangen können. Cullum, du versuchst natürlich Chancen auszuarbeiten und zu nutzen, schau, dass du immer anspielbar bist. Logisch ist dann auch, dass wenn Annikas Mannschaft in der Abwehr steht, vermehrt auf der rechten Seite angegriffen wird, damit wir ihre Abwehrleistung bewerten können. Dann zählt mal ganz schnell in zwei Mannschaften ab und los geht's!" Annika stand langsam auf. Es wurde also nichts aus einem 'entspannten' Training. Sie musste wieder mehr als genug geben, um Nick zu beeindrucken. Sie richtete sich etwas auf, als sie bemerkte, dass er auf sie zukam.

„Fang auf links außen an. Spiel einfach wie du es gewohnt bist. Und denk dran, das kann entscheidend dafür sein, ob du am Wochenende spielst oder nicht." Er gab ihr einen warnenden Blick, das Glänzen in seinen Augen verriet aber, dass er mit Absicht übertrieb. Annika entging das nicht. Sie war sich fast schon sicher, dass ihr Platz in der Mannschaft feststand.

„Damit hab' ich kein Problem, Nick. Und das weißt du glaube ich auch", sagte sie selbstsicher lächelnd und ging auf ihre Position. Überraschender Weise hatte sie tatsächlich keine großen Schwierigkeiten. Sie traf selbst von spitzen Winkeln sicher und bei Tempogegenstößen war sie vor der Abwehr vorne und konnte so frei auf das Tor werfen. Sie hatte aber den Verdacht, dass die anderen Mädels sich nicht wirklich anstrengten. Nachdem sie mit einem Heber ein weiteres Tor erzielt hatte, pfiff Nick das Spiel ab.

„Ihr habt eine halbe Minute Zeit um was zu trinken, dann spielen wir weiter. Cullum, du gehst dann auf halb links." Kurz sah es so aus, als wolle er noch eine Bemerkung fallen lassen, aber er entschied sich dagegen. Loben ist wohl nicht gerade deine Stärke, dachte Annika bitter.

Auch auf halb links bewies Annika ihr Können. Mit Nora in der Mitte als direkte Anspielpartnerin hatte die Abwehr enorme Probleme. Noras Pässe waren einfach zu präzise und Annikas Würfe zu souverän und kräftig. Es war ein reines Vergnügen zu spielen, obwohl es zum Teil auch ein wenig langweilig war, so ganz ohne Gegenwehr. Nick erkannte auch sehr schnell, dass es bei Annika nichts zu meckern gab und beendete das Spiel. Froh, aber entkräftet von der konstanten Anstrengung ließ Annika sich auf den Boden fallen, kurz danach spürte sie Nora neben sich.

„Unglaublich", stöhnte diese. „Ich freu mich richtig auf unser erstes Spiel." Annika nickte nur. „Da fällt mir was ein..." Nora setzte sich auf und rief durch die Halle: „Hey, Nick! Nick!" Der fast zwei Meter große Trainer drehte sich um und schaute ausdruckslos in ihre Richtung. „Gegen wen spielen wir eigentlich am Samstag?"

Fast schon bevor Nora ihre Frage gestellt hatte, antwortete er: „St. Michael's" Nora hob zum Dank die Hand und legte sich wieder hin.

„Sind die gut?", wollte Annika wissen, als Nora nichts weiter sagte.

„Hm? Oh, sorry. Das kannst du natürlich nicht wissen. Und nein, die sind grottenschlecht. Schlechter, als wir es je waren. Die werden wir überrennen. Es sei denn, sie haben gleich drei von dir in ihr Team bekommen."

„Hey, sagt mal, macht ihr Mittagsschläfchen da hinten?" Nora kicherte, als sie Nicks Ausruf wahrnahmen. Sie standen auf und joggten zurück zu den anderen und legten sich einfach neben sie.

„Anscheinend habt ihr Konditionsprobleme. Sollen wir etwa laufen gehen? Das Wetter ist schön...", schlug Nick amüsiert lächelnd vor, während er die anderen Mädchen anschaute, die auch schwer atmend und verschwitzt vor ihm saßen.

„Neeeein!", riefen so gut wie alle entsetzt aus.

„Ich mach doch nur Spaß, Leute...", grinste Nick. „Ihr habt euch genug angestrengt. Ihr habt länger gespielt, als in einem richtigen Spiel. Macht nur noch fünfzehn Liegestützen und Sit-Ups. Eure Muskeln spielen schließlich auch eine wichtige Rolle." Es war zwar einleuchtend, trotzdem seufzten die meisten. Laurena holte währenddessen ein Whiteboard hervor und klatschte vierzehn Magnete drauf. Nick zeichnete mit einem schwarzen Stift ein Handballfeld nach und verteilte die vierzehn Magnete, stellvertretend für die Spieler. Er drehte sich um und wartete auf die Aufmerksamkeit des Teams.

„Theory-Time. Cullum, das hier ist deine Stunde." In der darauf folgenden Zeit wurde Annika die gelernten Spielzüge erklärt, worauf sie im Praxis-Teil des Trainings das Gelernte umsetzen sollte, damit sie für das Spiel vorbereitet war. Sie konnte es kaum erwarten, endlich ihr Debüt zu geben. Sie wollte sich beweisen. Vor allem natürlich vor Nick.

Als das Training offiziell beendet war, öffnete sich die Tür zur Halle von außen. Ein großer dunkelhaariger Mann betrat sie und steuerte auf Nick zu. Annika und Nora gingen auf dem Weg zur Umkleidekabine an ihm vorbei.

„Das ist Gabriel Klein", flüsterte Nora, nachdem sie ihn passiert hatten. „Er spielt zusammen mit Nick in der Herrenmannschaft. Er hat einen Zwillingsbruder, Simon. Gab wirst du noch öfters sehen, er begleitet Nick oft bei unseren Spielen, er ist sozusagen ein inoffizieller Co-Trainer. Und dazu noch Nicks bester Kumpel." Annika drehte sich noch einmal nach Gabriel um, bevor sie durch die Türe schritten.

___  

Annikas Arm schnitt durch das Wasser. Ihre Muskeln arbeiteten. Kurz drehte sie den Kopf und atmete Sauerstoff ein, tauchte dann wieder ein in die hypnotisierende Stille unter der Wasseroberfläche. Sie musste dringend ihren Kopf frei kriegen.

Trotz des anstrengenden Trainings hatte sie beschlossen einige Bahnen zu schwimmen. Schreckliches Heimweh überkam sie. Sie hatte an ihrer neuen Schule zwar nicht wirklich etwas auszusetzen, aber ihr wäre es lieber gewesen, sie würde jetzt in London bei ihrer Großmutter sitzen. Und die ganze Sache mit Nick machte ihr auch zu schaffen. Ihr kleines Spielchen hatte gerade erst begonnen, trotzdem wollte sie sich viel lieber auf das Handballspielen konzentrieren, anstatt darauf, ihrem Trainer eins auszuwischen.

Und dazu kam noch eine ganz andere, dafür aber unangenehme Sache. Sie musste etwas Wichtiges klären. Seit sie ihrer besten Freundin Julie in London erzählt hatte, dass sie auf die Carmelot-Schule gehen würde, herrschte eisige Stille zwischen ihnen. Sie wusste, dass sie sich dringend aussprechen mussten, aber sie hatte Angst davor, wie Julie reagieren würde. Annikas schlechtes Gewissen war Ursache ihrer nun aufsteigenden Übelkeit und jedes Mal, wenn sie an ihre beste Freundin dachte, krümmte sich ihr Magen zusammen. Sie konnte ein Telefonat wohl nicht länger hinauszögern. Sie erinnerte sich noch allzu gut an Julies Gesichtsausdruck, als sie die schockierende Nachricht von Annikas Umzug erhalten hatte.

Sie hatte kein Wort gesagt.

Stumm hatte sie in ihre Hände gestarrt, schließlich war sie vom Bett aufgestanden und im Zimmer umhergewandert.

„Julie?" Annikas Stimme hatte gezittert. Keine Antwort. Mehrere Minuten lang Schweigen. „Julie..." Diesmal etwas sanfter, eindringlicher. Julies Schritte waren schneller, aggressiver geworden. Ihr Gesichtsausdruck zorniger. Aber immer noch hatte sie keinen Ton heraus gebracht.

„Julie, sag doch was!" Annika hatte die drückende Stille nicht länger ausgehalten.

„Was soll ich denn bitte sagen?", hatte Julie sie angefahren. „Was bringt es überhaupt, wenn ich irgendetwas sage? Du gehst doch sowieso! Du lässt mich trotzdem hier alleine! Du lässt mich trotzdem meinen Abschluss ohne dich machen! Du wirst nächstes Jahr nichts desto weniger im Internat wohnen! Und nicht mit mir zusammen in einer Wohnung. Dann kann ich doch genauso gut meine Klappe halten!" Julie hatte sich wutentbrannt weggedreht, wütende Tränen hatten in ihren Augen gebrannt.

„Als ob ich es mir ausgesucht habe, dich zu verlassen.", hatte Annika mit gesenktem Kopf geflüstert und sich eine Träne von der Wange gewischt. Bei diesen Worten hatte Julie sich umgedreht und sie angefunkelt.

„Nein, du hast es dir vielleicht nicht ausgesucht, aber hast du dich gewehrt? Ich glaube kaum, weil du dich nämlich nie wehrst. Du kriechst deiner verdammten Oma immer in den Arsch und machst alles was sie sagt! Und anscheinend bin nicht einmal ich es wert, dass du dich einmal deiner Oma widersetzt. Da hab ich also zu viel von dir verlangt. Oder ich hab mich einfach in dir getäuscht", hatte sie gefaucht. Ihre Stimme hatte unendlich bitter geklungen.

Tief verletzt und traurig war auch Annika vom Bett aufgestanden. Sie hatte wortlos das Zimmer verlassen und war die Woche darauf im Internat angekommen.

Nur der Gedanke an dieses Gespräch bereitete Annika Kopfschmerzen. Sie musste die unangenehme Situation endlich aus der Welt schaffen. Am Ende der Schwimmbahn hievte sie sich am Beckenrand hoch. Sie holte ihr Handtuch, welches sie auf einen Liegestuhl im Vorbeigehen geworfen hatte, und begab sich zu den Duschen. Auf dem Weg dorthin bemerkte sie einige Schüler der Herrenabteilung, die ihr hinter her starrten. Aufgrund ihres Körpers oder ihres grimmigen Gesichtsausdrucks konnte sie nicht beurteilen.

Sie wusch sich schnell und zog sich an. Mit zügigen Schritten und noch nassen Haaren ging sie zu dem Hauptgebäude. Diesmal stellte sie sich zu dem alten Telefon in der Eingangshalle, jedoch zögerte sie jetzt. Ihr Herz raste. Sie hatte keine Ahnung wie Julie reagieren würde. Ob sie überhaupt reagieren würde, oder ob sie einfach gleich auflegen würde. Wenigsten kannte sie diese Nummer nicht und konnte sie nicht gleich von Anfang an ignorieren. Sie nahm den Hörer, hielt ihn unentschlossen in der Hand und schaute ihn unsicher an. Dann wurde ihr Blick grimmig und sie wählte Julies Nummer. Sie würde sich doch nicht so einschüchtern lassen. Mit geschlossenen Augen wartete sie.

„Hallo?" Annika lächelte beim Klang Julies Stimme.

„Hey Julie, ich bin's, Annika." Sie hielt die Luft an.

„Oh... Hi."

„Ich dachte, ich frag mal, wie's so geht."

„Gut." Julies Stimme klang kühl und reserviert. Annika wartete ab. Aber Julie blieb still.

„Und, was machst du so?", versuchte sie munter zu fragen.

„Nichts Besonderes."

„Ah, okay..." Annika wusste nicht, was sie sagen sollte.

„Und wie ist deine neue Schule so?", hörte sie Julie vorsichtig fragen. Es klang aber nicht, als sei sie sonderlich interessiert.

„Passt schon. Ich wär' lieber in London..."

„Ach, wirklich?" Die Härte in Julies Stimme ließ Annika zusammenfahren. Sie schaute erschrocken vor sich her und schluckte. Sie wartete unzählige Sekunden, bis sie antwortete.

„Ja, wirklich." Und dann: „Aber tut mir leid, ich will dich nicht länger aufhalten, Julie." Annika hörte, wie aufgelegt wurde, ohne dass Julie geantwortet hatte. Zutiefst enttäuscht hängte sie den Hörer ein. Sie hatte nicht geglaubt, dass ihre Freundin - falls man sie überhaupt noch ihre Freundin nennen konnte - immer noch in dem Maß sauer war. Sie hätte doch wenigstens nicht so wortkarg sein brauchen! Annika spürte, wie sich ihre Gefühlsregung drastisch veränderte. Tja, sie hatte Julie die Hand gereicht. Wenn sie sie nicht annahm, selber schuld. Sie würde sich jetzt sicherlich nicht mehr bei ihr melden, das konnte sie auf keinen Fall erwarten. Julie konnte sie nicht behandeln, wie sie wollte. Und mit Annika war nicht zu spaßen. Sie spürte, wie die Wut in ihr rumorte. Sie atmete langsam aus und ging hoch ins Zimmer und ließ sich ins Bett fallen.

___   

„Na, wie sehe ich aus?" Caroline stand vor Annika und grinste. Sie hatte ihre Haare hochgesteckt, trug pompöse Ohrringe und ein kurzes schwarzes Kleid. Annika tippte auf Chanel.

„Wow, du schaust atemberaubend aus!" Annika zog vor Erstaunen die Augenbrauen hoch. „Aber ich dachte wir gehen nur in eine ganz normale Kneipe. Wozu das Outfit?"

„Annika, Barclay's ist nicht irgendeine ganz normale Kneipe! Barclays ist so ziemlich der einzige Ort, an dem wir mit Jungs reden können!"

„Ich wusste nicht, dass du so desperat bist, einen Mann zu finden, Caro. Du bist ja schlimmer als meine Oma!" Für diese Aussage wurde Annika mit Gelächter von Rebecca und Verity gelobt, die der Konversation schweigend, aber amüsiert zuhörend gefolgt waren.

„Caro neigt zu Übertreibungen, daran musst du dich gewöhnen", meinte Verity, die sich mit prüfendem Blick vor Annika stellte. „Aber ich muss schon sagen, du siehst auch nicht schlecht aus, Biker-Braut!" Annika schaute lachend auf sich hinunter. Natürlich hatte sie sich für ihren ersten Abend bei Barclay's auch etwas einfallen lassen, wobei sie mit ihren engen Jeans, dem leicht durchsichtigen schwarzen Top und den Bikerboots immer noch klassischer und bodenständiger wirkte wie Caroline. Lediglich ihr knallschwarzer Lidschatten und ihre glitzernden Ohrringe peppten das Ganze ein wenig auf.

„Ich glaube ich rede für alle, wenn ich sage, dass unsere Mütter oder Großmütter schockiert wären!", fügte Rebecca grinsend hinzu.

„Und genau deshalb liebe ich Internate. Unsere Familien haben eigentlich keine Ahnung, was wir hier machen!", schwärmte Caro laut vor sich hin. Nach nicht einmal einer Woche an der Carmelot-Schule hatte Annika schon Carolines rotzfreche Ader kennengelernt und war ganz beeindruckt, dass sie diese auch knallhart durchzog. Sie würde sich das nie trauen. Dafür hatte sie zu viel Respekt vor Diana. Oder ihr fehlte einfach der nötige Mut.

„Na, können wir gehen?" Rebecca hielt die Tür auf und wartete, bis ihre Zimmergenossen hindurchgegangen waren. Es dauerte zu Fuß nur zehn Minuten zum Barklays. Auf den ersten Anschein war es ein ganz normales Pub. Typische Einrichtung, typische Speisekarte. Aber das Flair war ganz besonders, was Annika sofort spürte, als sie die Bar betraten. Der Raum war schon fast ganz gefüllt mit Schülern von allen Altersstufen. Sie beobachtete die vielen neuen Menschen mit großem Interesse. In einer Ecke stand eine Jukebox und spielte vor sich hin, während ein Schüler Münzen hinein warf. Es herrschte eine gelassene, aber fröhliche Stimmung. Caro führte den Weg zu einem Tisch an der Wand. Es war ein sehr kleiner Tisch und die vier Mädchen drängten sich zusammen, damit alle Platz hatten. Kurz darauf stand Caro aber wieder auf um allen etwas zu trinken zu kaufen. Sie lachten über die nicht gerade optimale Reihenfolge, sich erst hinzusetzen, nur um dann wieder aufzustehen und das Bier zu holen. Annika ging mit ihr zur Bar um zu helfen. Caro lehnte sich über die Schranke und drückte dem Barkeeper einen Kuss auf die Wange, der sie überraschend anschaute und dann zum Lachen anfing.

„Chuck, wunderbar dich wieder zu sehen!"

„Gleichfalls, Caro. Schön, dass ihr alle wieder da seid. Du hast keine Ahnung wie langweilig es den Sommer über war!" Chucks Blick fiel auf Annika und er musterte sie eindringlich. „Wie ich sehe ein Neuling." Anscheinend gefiel ihm, was er sah.

„Ja, und du lässt die Finger von ihr, Chuck!", warnte Caro ihn grinsend. Er hob abwehrend die Hände in die Luft. Annika schaute die beiden fragend an.

„Chuck hat eine Vorliebe für neue Schülerinnen. Am besten jünger als er", klärte Caro sie auf. „Aber beachte ihn nicht weiter, er ist ein Volltrottel." Annika kicherte und schaute Chuck an. Er sah echt nicht schlecht aus, aber er wirkte auch wie ein Aufreißer.

„Ladies, was kann ich euch geben?", fragte er dann, sah dabei aber nur Annika an.

„Vier Becks Gold, bitte," antwortete Caroline kühl, die sich sichtlich über Chucks Verhalten aufregte. Als er die Biere vor ihnen auf die Theke stellte, zwinkerte er Annika zu, worauf Caroline irritiert seufzte, die Biere nahm und Annika wegzog.

„Annika, ich warne dich, lass dich nicht mit ihm ein! Er ist ein guter Kumpel, aber sonst hat er echt nur eines im Kopf. Und bitte, ich flehe dich an, bitte tu ihm nicht auch noch den Gefallen und gib ihm, was er will."

„Caro!", rief Annika empört aus. „Was denkst du nur von mir?"

„Dass du schon längst im Bett sein solltest, Fräulein..." ertönte von hinten eine tiefe Stimme. Annika drehte sich um und sah Nick an.

„Und wer bist du? Mein Vater?", fragte sie trocken und schaute ihn herausfordernd an.

„Noch besser, dein Trainer. Der dich sogar freundlich darauf hinweist, dass wir morgen ein Spiel haben." Er ließ seinen Blick über ihren Körper schweifen und sie fragte sich, was er wohl denken mochte. Sie wusste, dass sie aufgepinselt in Jeans und Top wesentlich besser aussah als verschwitzt im Trainingsanzug. Aber anscheinend war Nick anderer Meinung, wie sie gekränkt feststellte. Seine Augen verrieten nämlich rein gar nichts, außer Kälte.

„Ich weiß. Auf diese Weise bereite ich mich immer auf Spiele vor. Mit Kopfschmerzen spiele ich einfach besser", gab Annika sarkastisch zurück und blickte sich um. Sie sah, dass Caroline nicht bemerkt hatte, dass sie aufgehalten worden war. Sie saß schon am Tisch bei den anderen Mädchen. Sie schaute wieder Nick an. „Und du kannst dich jetzt schon auf ein geniales Spiel freuen."

„Etwas anderes wäre auch nicht angebracht", meinte er lässig.

„Schön, dass wir uns einig sind, Nick. Bis dann!" Mit roten Wangen ging sie zu den anderen zurück zum Tisch. Sie konnte ihn wirklich nicht richtig einschätzen. Waren seine Kommentare ernst gemeint oder machte er sich nur über sie lustig?

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So, das war das dritte Kapitel - ich denke ihr habt genug gelesen um euch eine Meinung zu bilden. Ihr dürft sie mir gerne mitteilen :)

Tyskerfie <3 <3

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