Carmelot Künstler

Die Carmelot-Schule gewann das Spiel zwanzig zu vierzehn mit Victoria als Topschützin. Fünf Tore hatte sie erzielt und sie war sichtlich zufrieden mit ihrer Leistung.

In der Pause hatte Nick die wegen Annikas Verletzung unruhigen Mädels beruhigen können und sie hatten das Spiel nachher gut im Griff gehabt, obwohl Annika nicht mehr aufs Parkett gekommen war.

Ihr Schwindelgefühl war nach und nach verschwunden, aber sie fühlte sich ein wenig gerädert. Nora half ihr nach dem Spiel nach oben, wo Caro und Gabriel im Eingangsbereich schon besorgt auf sie warteten.

"Annika, was machst du nur für Sachen?", rief Caro empört und ängstlich zugleich, als sie ihre Zimmergenossin und Freundin in die Arme schloss. 

"Tore verhindern", grinste Annika schief und erntete von Gab und Nora ein Lachen, von Caro aber nur einen strengen Blick. 

"Bleibst du noch oder willst du lieber ins Bett?", fragte sie dann auch schon ganz fürsorglich.

"Ich denke, ich bleibe noch. Ich kann ja immer gehen, sollte mir schlecht werden. Aber ich habe keine Kopfschmerzen und mir ist nicht übel, also hatte ich vielleicht Glück und bin ohne einer Gehirnerschütterung davon gekommen." 

Caro schien nicht ganz überzeugt. 

"Ich haue jetzt ab", kam es von Nora. "Ich habe für Montag noch ein Referat auf." Sie zog eine Schnute, gab Annika eine Umarmung und verließ die Sporthalle.

In dem Moment tauchte Nick neben ihnen auf. "Gab, kommst du? Coach wartet schon auf uns."

"Ihr nennt euren Trainer 'Coach'?", fragte Annika amüsiert an Nick gewandt. Er zuckte nur mit den Schultern und grinste schief. 

"Viel Glück", hörte sie dann Caro ganz zaghaft zu Gabriel sagen. 

"Gegen wen spielt ihr eigentlich?", fragte Annika ihn, da er so schüchtern war, dass er kaum einen Ton zu Caro rausbringen konnte.

"Gegen die Caroline... Äh, Columbine Schule", stammelte er und wurde rot wie eine Tomate. Caro senkte verlegen und mit glühenden Wangen den Kopf.

"Alles klar." Annika und auch Nick mussten sich bemühen, die beiden Turteltäubchen vor ihnen nicht offen auszulachen. "Na dann viel Glück!"

"Äh, danke", murmelte Gab peinlich berührt und flüchtete die Treppe hinunter zu der Umkleidekabine.

"Ich gehe schon einmal rein, ja?", flüsterte Caro und verschwand schnellen Schrittes auf die Tribüne. Annika wagte einen Blick zu Nick, der sie schon längst amüsiert ansah und sie fingen beide an zu lachen.

"Meine Güte, das darf bitte nicht endlos so weitergehen mit den beiden", lachte sie und Nick stimmte ihr zu. Dann wurde sein Blick sanfter und er legte den Kopf leicht schief.

"Geht's dir besser?"

"Ja, ich bin wieder fit wie ein Turnschuh!" Fast, zumindest.

"Heißt das, du bleibst und siehst dir unser Spiel an?"

"Hmmmm...", Annika tat so, als müsste sie ganz schwer überlegen. "Jap, ich bleibe", grinste sie dann doch.

"Wegen mir oder weil du sehen willst, wie die anderen haushoch verlieren?" Nick hatte wieder dieses selbstgefällige Grinsen aufgesetzt. 

"Sei nicht so eingebildet, Nick. Es wäre echt peinlich, wenn ihr jetzt verliert." Sie bedachte ihm mit einem vielsagenden Blick.

"Tun wir aber nicht."

Annika lächelte nur, plötzlich befangen von seiner Nähe. Um sie herum standen andere Schüler, trotzdem war es, als wären sie von ihrem Umfeld abgeschottet.

Wie aus dem Nichts kam Nick noch einen Schritt auf sie zu und legte vorsichtig seine Hand auf ihre Stirn. 

"Du scheinst kein Fieber zu haben. Vielleicht hattest du dort unten Glück. Du solltest aber besser trotzdem in die Krankenstation und dich untersuchen lassen." Sie mochte womöglich kein Fieber habe, nichts desto trotz wurde ihr mit einem Schlag extrem warm. Nick nahm seine Hand zu sich und musterte sie kurz. 

"Pass auf dich auf, ja?" Seine Stimme war so ruhig. So vertrauensvoll. So gut.

"Ein bisschen zu spät, meinst du nicht?" Ihr schoss die Hitze in die Wangen, als sie in seine Augen sah, die so direkt auf sie gerichtet waren. Sein Blick flatterte über ihr Gesicht und plötzlich tauchte ein kleines Lächeln auf seinen Lippen auf.

"Du hast ganz rote Wangen. Sicher, dass du doch keine Fieber hast?" Er grinste schief, er grinste böse und Annika fühlte sich durchschaut.

"Vergiss nicht, 'Coach' wartet auf euch", sagte sie betont gelassen und sah ihn abwartend an. Mit langsamen Schritten ging er rückwärts ohne seinen Blick von ihr zu wenden. Dann drehte er sich wortlos um und verschwand zu den Umkleidekabinen.

Müde und verwirrt schulterte Annika ihre Sporttasche und ging auf die Tribüne. Sie suchte unter den zahlreichen Zuschauern nach Caroline, fand sie und setzte sich neben sie. Sie hatte in der Mitte zwei Plätze ergattert, von wo aus die Aussicht auf die Halle gut war.

"Sag nichts!", rief sie sofort Annika zu, die abwehrend die Hände in die Luft hob.

"Was sollte ich denn sagen, Columbine? Äh, ich meine Caroline", neckte sie ihre Freundin lachend.

"Hör auf, das ist nicht lustig!", beschwerte sich Caro und zog die Augenbrauen zusammen.

"Gabriel könnte nicht verliebter in dich sein! Siehst du das nicht?" Überrascht starrte Annika sie an. Sie zuckte nur mit den Schultern. Liebe machte also tatsächlich blind.

"Die Aktion mit der aggressiven Gegenspielerin vorher sah von hier oben ganz schön krass aus", meinte Caro dann und wechselte gekonnt das Thema. Annika kicherte wegen ihrer Wortwahl.

"Ja, hat sich auch heftig angefühlt."

"Aber sag mal, wieso warst du mit Nick so lange verschwunden?", fragte sie und wackelte verschwörerisch mit den Augenbrauen.

"Weil", begann sie gedehnt, "ich das ganze Blut im meinem Mund loswerden musste und nicht alleine gehen konnte?" Sie wich Caros Blick aus und sah auf das Spielfeld, wo sich in dem Moment beide Mannschaften einfanden und mit dem Aufwärmen anfingen.

"Natürlich", grinste Caro, die ihren Blick starr auf einen ganz bestimmten Spieler vor ihnen auf dem Feld gerichtet hatte. Gabriel und Nick warfen sich gegenseitig ein und Annika war mehr als nur gespannt ihren Trainer live und in Aktion zu sehen. Ihm stand das dunkelgraue Trikot mehr als gut und seine breiten Schultern und seine Brustpartie kamen darin besonders gut zur Geltung. 

Wieso war er auf einmal wieder so nett zu ihr? Konnte er sich nicht entscheiden, ob er sie fürsorglich oder verächtlich behandeln wollte?

Konnte sie sich nicht entscheiden, ob sie ihn mochte oder verabscheute?

Genervt über ihre eigenen Gedanken ließ sie den Blick durch die Zuschauerreihen schweifen, neugierig, wer den Samstag in einer Sporthalle mit dem Jubeln verbrachte. Nicht weit von ihr entfernt saß Victoria mit einer Freundin und lachte. Sie hatte auch ihren Blick auf das Spielfeld gerichtet und Annika brauchte gar nicht ihrem Blick zu folgen, um zu wissen, wen sie ansah.

Dass Victoria augenscheinlich immer noch an Nick interessiert war - damit konnte sie leben. Aber wenn Nick diese Gefühle erwiderte... Sie wusste nicht einmal, wieso es ihr plötzlich so zuwider war. Vielleicht hatte sie dadurch erkannt, dass ein winziger Teil ihres Herzens für Nick schlug. Und dieser kleine Herzensteil wollte Nick für sich alleine. Wollte Nicks Aufmerksamkeit. Wollte irgendeine Reaktion von ihm, nachdem er sie einfach wie aus dem Nichts geküsst hatte.

"Eure neue Spielerin hatte ja einen Traumstart", vernahm sie dann plötzlich Caros Stimme.

"Ja", brummte Annika leise. Dann schüttelte sie ihren Missmut von sich und versuchte etwas netter zu klingen. "Das ist super, wenn wir noch eine gute Schützin dazu bekommen. Sandra ist bei Einzelaktionen klasse, aber uns hat jemand starkes im Rückraum gefehlt. Da wäre Victoria bestimmt genau richtig."

"Meinst du wirklich das, was du gerade gesagt hast?", ärgerte Caro sie. Annika gefiel nicht, auf was sie anspielte.

"Hier, wink doch einmal deinem Schönling zu, er schaut die ganze Zeit zu dir", versuchte sie sie deshalb abzulenken und tatsächlich gelang es ihr auf Anhieb. Sie konnte sich ein vergnügtes kleines Lachen nicht verkneifen, als Gabriel ganz geschmeichelt zurück zu Caro winkte. Nick stand daneben und schüttelte grinsend den Kopf. Es gab keinen Zweifel daran, dass sein Freund nicht ganz er selbst war, seit sein Herz Caro gehörte.

'Coach' rief seine Mannschaft zu sich und Annika musste feststellen, dass sein Spitzname wirklich ausgezeichnet passte. Er ähnelte keinem athletischen und trainierten Handballtrainer, sondern glich eher einem Football Coach. Klein, breit und keine Haare auf dem Kopf.

Männerhandball war ganz anders als Frauenhandball. Natürlich, die Regeln, die Spielzüge, das große Bild war gleich. Doch Herrenhandball war schneller, kraftvoller und in gewisser Weise auch schöner, fand Annika. 

Eine halbe Stunde später wurde das Spiel angepfiffen und nervös rutschte sie auf ihrem Stuhl zurecht. Die Carmelot-Schule hatte Anwurf und wie gebannt starrte Annika auf die Spieler vor ihr. Die Zuschauer jubelten jetzt schon und feuerten ihre Mannschaft an. 

Nick spielte wie sie selber auf halblinks, Gabriel war Spielmacher. Das Tempo war von Anfang an hoch und vom ersten Pass an war es deutlich, dass die Herren des Carmelot-Teams eingespielte, fleißige, talentierte Spieler waren. Sie wussten, was sie taten, sie hatten einen Plan und sie würden mit ihrem Leben als Einsatz dafür kämpfen.

Das Spiel war spannend, die Columbine-Spieler schenkten ihnen nichts, sondern leisteten erwähnenswerte Gegenwehr. 

Nick strahlte pure Selbstsicherheit aus. Zwanzig Minuten hatten sie jetzt gespielt und er hatte schon fünf Tore erzielt. Vier davon aus dem Rückraum. Kräftig und perfekt platziert. Annika sah fast mit offenem Mund zu, was Nick und seine Mannschaft erschufen. Es war Kunst. Es war einzigartig. 

Er war einzigartig.

Sie hatte keine Ahnung gehabt, dass die Herrenmannschaft auf so hohem Niveau spielte. Kein Wunder, dass sie die letzten Jahre die Frauenmannschaft ausgelacht und geneckt hatten.

Das Carmelot-Team ging mit einem zwei Tore Vorsprung in die Pause. Wie die anderen Zuschauer klatschte auch Annika und rief aufmunternde Worte zu den Spielern. Ohne, es bewusst zu tun, verfolgte sie Nick mit ihrem Blick. Wie er mit einem blonden Teammitglied lachte, einige nachdenkliche Worte mit dem Trainer tauschte, in rasender Geschwindigkeit seine Wasserflasche leerte, sich durch die Haare fuhr, damit sie ihm nicht in die Augen fielen. 

Wie sein Blick suchend über die Tribüne schweifte und bei ihr stehen blieb.

Wie er ihr zuzwinkerte.

Und dann in die Kabine verschwand.

"Hat Nick dir gerade zugezwinkert?", flüsterte Caro sie in dem Moment überrascht. 

"Ähm, also..." Aus dem Augenwinkel nahm Annika eine abrupte Bewegung wahr. Sie drehte den Kopf und sah, wie Victoria sie musternd anstarrte. Fragend, entsetzt, giftig, grübelnd. Misstrauisch.

"Das war bestimmt nur... Also... Eine Provokation, wie immer." Annika konnte sich nicht einmal selber mit diesen Worten überzeugen.

"Entschuldigung, kann ich mal bitte durch? Sorry, ja... Ups... Ja, danke... Entschuldigung, Annika?"

Überrascht sah sie zu der Person auf, die sich durch die Reihen geschlängelt hatte und sich jetzt neben sie setzte.

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Tyskerfie <3

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