Bedeutungen und Ballanalyse

Mutlos und halbwegs deprimiert lag Annika auf ihrem Bett und ließ sich von den Sonnenstrahlen, die durch ihr Fenster fielen, bescheinen. Es sah ihr zwar nicht ähnlich, aber sie blies gerade Trübsal. Sie verfolgte mit ihrem Blick einige Vögel, die sich von der winterlichen Kälte nicht stören ließen, und dachte über die Ereignisse der letzten Wochen nach. Die Vögel waren so frei, so unbeschwert. Sie dagegen fühlte sich mehr und mehr eingeengt.

Drei Wochen waren seit dem Kuss mit Nick vergangen und jeden verfluchten Tag dachte sie daran. Sie wusste nicht, was sie tun sollte. Sie wusste nicht einmal, ob sie etwas tun wollte. Denn sie wusste nicht und wollte nicht wissen, wie sie zu Nick stand und wie intensiv ihre Gefühle für ihn im Grunde waren.

Doch ihre Ignoranz fraß sie langsam aber sicher von innen auf.

Die Tür zum Zimmer wurde aufgemacht und eine gut gelaunte Caro kam herein. Sie hatte nach ihrem Treffen mit Gab beim See ganz rote Wangen – was sicherlich nicht nur an der Kälte lag.

„Annika, was ist los mit dir?", fragte sie sogleich ihre Freundin, hängte ihre Jacke auf und setzte sich zu ihr aufs Bett. „So kenne ich dich gar nicht, was bedrückt dich?"

Seufzend machte Annika ihr ein wenig Platz und legte ihren Kopf in Caros Schoß ab. „Ich weiß auch nicht... Alles ist nur so kompliziert zur Zeit." Obwohl sie sich bis jetzt dagegen gesträubt hatte, mit jemanden über ihre Situation zu sprechen, merkte sie, wie schwer es ihr fiel, alleine damit klar zu kommen.

„Das ist aber nicht das erste Mal in deinem Leben, dass etwas kompliziert ist. Was ist diesmal anders?" Caro kannte sie mittlerweile besser, als ihre eigene Großmutter Diana es tat.

Kurz überlegte Annika. „Ich bin anders", sagte sie dann und sah auf die verschiedenen einzelnen Wolken am Himmel und versuchte zu sehen, was sie darstellen konnten. 

„Es liegt an Nick, oder?" Bevor Annika widersprechen konnte, redete Caro weiter. „Annika, seit du aus Schottland zurück bist, verhältst du dich anders. Ich bin ja nicht blöd."

Ein Grinsen huschte über Annikas Gesicht. „Najaaa", murmelte sie und fing sich von Caro einen Schlag ein.

„Jetzt lenk nicht vom Thema ab. Es würde dir gut tun, darüber zu reden." Caros sanfte Stimme beruhigte sie. Ihr Blick fiel auf die Kastanie, die Nick ihr vor dem Kuss gegeben hatte, und die seit ihrer Rückkehr in ihrer Fensterbank gelegen hatte. Sie nahm sie und drehte sie in ihren Fingern. Es war ganz still im Zimmer und Caro drängte sie nicht, weiter zu sprechen. Sie wartete geduldig, bis sie bereit war.

„Wir haben uns geküsst", sagte Annika dann und umschloss die Kastanie mit ihrer Hand.

Zwei Sekunden war es still, dann realisierte Caro, was Annika gerade von sich gegeben hatte. „Ihr habt was?" Geschockt sah sie Annika an, die sich jetzt aufrappelte um sich ihr gegenüber hinzusetzen. 

„In Schottland. Nick und ich haben uns geküsst."

„Ich habe dich schon verstanden, aber wieso erfahre ich erst jetzt davon?" Caro war nicht wütend, eher überrascht. Annika zuckte mit den Schultern und sah aus dem Fenster. Ihr Blick war voller Trauer, als sie sich wieder zu ihrem Gegenüber wandte.

„Es spielt keine Rolle. Am Tag drauf hat er sich dafür entschuldigt, beim nächsten Training hat er seine Ex-Freundin präsentiert, die er persönlich wieder ins Team geholt hat, und naja..." Wieder zuckte sie mit den Schultern. Caro blieb einige Zeit stumm und musterte sie eingehend.

„Oh mein Gott, Annika. Du bist in ihn verliebt." Caro formulierte es als eine Feststellung, die Annika die Tränen in die Augen trieb. „Aber du willst es dir selber nicht eingestehen."

„Wie kann ich? Falls ich es mir selber eingestehe, muss ich etwas dafür tun. Dafür bin ich nicht bereit. Nick verwirrt mich, ich weiß nicht, was er will und was er denkt. Manchmal ist es, als würde er mich in einen Bann ziehen, der nur für uns beide gedacht und konstruiert ist. Weil er es auch will. Aber dann..." Sie schüttelte aufgebend den Kopf. „Du hättest ihn gestern im Training sehen sollen. Er hat durch mich hindurch gesehen, als wäre ich Luft, ohne Bedeutung." Sie wischte sich eine einzelne Träne von der Wange. „Er provoziert mich nicht einmal mehr, er behandelt mich einfach wie alle anderen." Sie senkte wieder den Blick auf die Kastanie in ihrer Hand.

Diese kleine braune Kugel war bis jetzt irgendwie ein Rettungsanker für sie gewesen. Er hatte ihr die Kastanie geschenkt, kurz bevor er sie geküsst hatte. Für sie war es keine normale Kastanie, sie hatte für sie eine tiefere Bedeutung. 

„Weißt du, er hat mir nicht einmal erklären können, warum er mich geküsst hat, geschweige denn warum er den Kuss seitdem ignoriert hat", sprach Annika bitter weiter. „Ist das einfach eines seiner Spielchen? Ich weiß es nicht. Und ich weiß einfach nicht, was ich denken soll."

Caro sah sie mitfühlend an und legte den Kopf leicht schief. „Hat er gar nicht versucht, mit dir darüber zu reden?"

„Doch, Samstag nach unserem Auswärtsspiel. Aber das war nicht wirklich ein aufklärendes Gespräch. Es gibt so viele unausgesprochene Dinge zwischen uns, aber das einzige, was er mir zu sagen hatte, war dass ich mich vor Victoria hüten soll, mich aber nicht von ihr einschüchtern lassen darf."

„Was hat Victoria damit zu tun?"

„Alles." Annika seufze. Es war wohl wirklich an der Zeit, Klartext zu reden. Und so erzählte sie ihrer Freundin von der Woche in Schottland, wo Nick plötzlich aufgetaucht war, wo sie plötzlich normal und gesittet miteinander umgehen konnten. So sehr, dass sie nachts händchenhaltend durch den Wald gelaufen waren. Sie erzählte von der durchsichtigen Verbindung zwischen ihnen, von dem magischen Kuss, der komischen Stille im Auto auf dem Nachhauseweg, von der Enttäuschung über Nicks Verhalten. Und sie erzählte von Victoria und welch verheerende Worte aus ihr gesprudelt waren, als sie von ihr unter Druck gesetzt wurde. Sie erzählte, dass Nick sie gehört hatte, doch für ihn eh nichts weiter als seine beste Spielerin war. 

„Ich fühle mich gefühlsmäßig ausgenutzt und ausgelaugt", schloss sie ihre kleine Erzählung und legte die Kastanie zurück auf die Fensterbank.

„Also erst einmal würde ich gerne diese Victoria gehörig in die Zange nehmen", murmelte Caro grimmig und schien es vollkommen ernst zu meinen. „Und Nick." Sie wartete. „Und auch dich, meine Liebe." Überrascht erwiderte Annika Caros Blick.

„Was habe ich schon wieder gemacht?"

„Ich verstehe, wie kompliziert und verwirrend das ganze ist und ich verstehe, dass du verletzt bist. Aber das größte Problem ist, dass ihr beide einfach so unglaublich stur seid. Im Ernst, ich kenne keinen, der das sonst auf die Reihe bringt."

„Was empfiehlst du mir? Dass ich über meinen eigenen Schatten springe? Nur um voll von Nick abgewiesen zu werden? Du kennst mich Caro, ich hasse Niederlagen. Und das wäre die größte Niederlage überhaupt!" Annika merkte jetzt schon, wie allein der Gedanke daran, ihr Angst machte.

„Nick geht es doch genauso!", argumentierte Caro. „Seit ich ihn kenne, hat er nie seine Gefühle öffentlich zur Schau gestellt. Das kann er nicht einfach abstellen."

„In Schottland konnte er!", rief Annika fast schon verzweifelt aus.

"In Schottland konnte er er selbst sein!"

„Wieso kann er das nicht hier?"

„Weil wir hier in einer anderen Welt leben, in einer Welt, wo es nur darum geht dem Familiennamen Ehre zu erweisen und sich korrekt zu verhalten. Hier sind keine Fehler erlaubt, genauso wenig wie ehrliche Gefühle. Du kennst die Briten und wir sind sogar reiche Briten! Wir dürfen keine Gefühle überhaupt zeigen. Nick ist in so einer Umgebung aufgewachsen, das kann er nicht einfach ändern."

Stöhnend vergrub Annika das Gesicht in ihren Händen. Caro hatte Recht, aber es störte sie trotzdem. Und ihrer Meinung nach versteifte Nick sich mehr, als alle anderen. Seine arrogante und kalte Fassade war so gut einstudiert, dass er kaum etwas anderes zeigen konnte.

„Aber wer sagt überhaupt, dass ich eine Chance habe? Dass er seine Gefühle für mich nicht zeigt, könnte sehr wohl auch daran liegen, dass er keine für mich hat", zweifelte Annika weiter.

„Er hat dich geküsst", sprach Caro das Offensichtliche aus.

„Ja und sich dann dafür entschuldigt! Was kann ich damit anfangen?"

„Er hat dich geküsst!", wiederholte Caro energisch. „Nicholas Brighton küsst nicht einfach wahllos irgendwelche Mädchen. Nicholas Brighton geht normal nicht auf Machtkämpfe mit einem Mädchen ein! Und Nicholas Brighton ist seit Schottland auch ganz neben der Spur!" Caro ging die Sache wirklich zu Herzen und verdutzt starrte Annika sie an.

„Was hast du gerade gesagt?"

„Nick ist seit Schottland auch anders. Das hat Gab mir vorhin erzählt. Aber wie du hat auch Nick kein Wort darüber verloren, was passiert ist, deswegen haben weder Gab noch Simon die leiseste Ahnung davon, was los ist."

„Das sind doch alles nur Spekulationen." 

Caro schüttelte grinsend den Kopf. „Schön, du bist also noch nicht bereit dafür. Dann lass uns über etwas anderes reden: Den Ball am Samstag!" Caro wedelte begeistert mit den Händen.

„Oh Gott, ich bin so froh, wenn das alles vorbei ist", lachte sie.

„Ach komm, gib's zu, seit du Joe getroffen hast, freust du dich drauf!"

„Okay, okay, schon ein bisschen", sagte Annika kleinlaut. „Wir treffen uns Freitag im Barklay's auf ein Bier. Ihr anderen könnt gerne mitkommen, wenn ihr wollt."

„Uh, klingt gut! Du weißt, dass ich zu Bier im Barklay's nie nein sage." Frech zwinkerte sie und lächelte Annika an. 

"Wie läuft der Ball eigentlich ab?"

"Okay, hör zu. In der Herrenschule gibt es einen Ballsaal, dort findet das ganze statt. Wir Mädels werden also in Autos zum Haupteingang gebracht und dort erwarten unsere Partner uns dann. Die Reihenfolge ist genau abgestimmt, was du eigentlich wissen müsstest, wenn du die Unterlagen gelesen hättest." Caro bedachte Annika mit einem vielsagenden Blick und sprach dann weiter. "Dein Partner, also Joe, wird dich dann in den Ballsaal führen, wo erst ein Aperitif serviert wird, bevor wir zu Tisch gebeten werden."

"Also genau wie bei allen anderen Bällen auch?"

"Ja eigentlich schon. Nach dem Essen aber müssen alle auf die Tanzfläche und mit ihrem Partner den ersten Tanz absolvieren. Danach ist der Tanz frei."

Annika wollte schon erleichtert aufseufzen, als Caro noch weiter redete.

"Du, meine Liebe, hast aber nicht frei. Alle Mädchen kriegen eine Tanzkarte, die am Ende des Abends ausgefüllt sein muss."

"Da könnte man ja einfach schummeln und irgendwelche Kerle drauf schreiben, ohne mit ihnen zu tanzen", kommentierte sie trocken.

"Könnte man, macht man aber nicht. Das ist erstens einfach respektlos und zweitens werden nachher Stichprobenartig überprüft, ob die angegebenen Tänze auch durchgeführt wurden."

Völlig entgeistert starrte Annika Caro an. "Im Ernst? Das ist ja wie im Gefängnis?" Das Image eines Erziehungsinternates stach wieder deutlich hervor.

"Naja, der Ball ist eine alte Tradition, die hier sehr ernst genommen wird." Auch Caro nahm sie sehr ernst, das war deutlich zu erkennen.

"Müssen wir selber unsere Tanzpartner aussuchen oder sollen die Kerle zu uns kommen? Wie es sich ja eigentlich gehört?" Annika konnte einen leicht sarkastischen Unterton nicht verbergen.

"Sehr witzig, Annika." Caro blieb unbeeindruckt. "Beides geht", sagte sie dann und blickte ganz verträumt. "Nur leider müssen es verschiedene Tanzpartner sein."

Annika lachte. "Ist doch gut, sonst würde bei dir nur 'Gabriel Klein' draufstehen." 

"Also dagegen hätte ich ja nichts." Sie grinste schelmisch und es war deutlich, wie glücklich verliebt Caro war. Sie war eh schon hübsch, aber die Hormone in ihrem Körper ließen sie förmlich strahlen. Ein wenig beneidete Annika sie, weil ihr Auserkorener ganz offensichtlich ihre Gefühle erwiderte.

„Und hey, wegen der anderen Sache..." Caro musterte sie. "Stress dich nicht, lass es auf dich zukommen und wenn du dafür bereit bist, dann beginne zu kämpfen."

Langsam nickte Annika und ließ wieder ihren Blick durch den Park schweifen. Das Gras war gelblich und die Bäume schwarz und kahl. Sie würde Caros Rat befolgen.

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Hin- und Herdiskutieren mit der besten Freundin - wer braucht das nicht ab und zu? ;)

Habt ihr schon Ideen, was auf dem Ball passiert? :D

Tyskerfie <3

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