6.4 - Verantwortung einer Mentorin
präsentiert von: the_toasted_toast
(das liebe Toast zeigt uns heute, was ein Lehrer der Akademie teilweise auf sich nimmt.)
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Scarlet seufzte, als sie sich auf den Boden ihres Quartiers setzte, auf den die Aufsätze ihres Kurses ausgebreitet waren. Sie schuf eine Lichtkugel neben ihrem Ohr- die Beleuchtung in der Akademie mit den Fackeln und Kerzen schlug meist sehr auf ihr Gemüt- und griff nach ihrer Schreibfeder, einem Glas mit roter Tinte und einem kleinen Döschen Löschsand. Das Team Ethimei bestand vor allem aus älteren Schülern von siebzehn bis zweiundzwanzig- nur die kleine Eona war erst dreizehn- weshalb Scarlet von den Aufsätzen von ihrem Teammitgliedern schon etwas erwarten konnte. Gerade las sie sich den Aufsatz von Shane Cloud, welcher wie immer vorzüglich war, durch, als es an der Tür klopfte. Schnell erschuf sie die Illusion eines ordentlichen Zimmers nebst mängelfrei gekleideter Bewohnerin, bevor sie die Tür öffnete. Auf ihrer Augenhöhe befand sich in etwa der Bauch ihres Gegenübers. Scarlet ärgerte sich insgeheim über ihre Größe, während sie den Kopf in den Nacken legte, um in das Gesicht von Justus Carter zu blicken. Der Engel mit der Luftmagie räusperte sich als Scarlet ihn durchdringend anstarrte, die Hände vor der Brust verschränkt.
"Ich wollte Sie fragen, bis wann wir den Aufsatz über Parallelen in den Sozialstrukturen der verschiedenen Rassen abgeben sollten, Professor Mason", erklärte Justus mit einem kleinen Stoß Pergament in der Hand.
"Gestern, Justus!", antwortete Scarlet scharf. "Aber ich bin noch nicht mit dem Korrigieren fertig, wenn du ihn mir jetzt gibst, nehme ich ihn vielleicht noch an. Aber erwarte nicht, dass ich mit der Bewertung ebenso nachsichtig sein werde! Guten Abend noch, Justus. Ich habe noch Aufsätze zu korrigieren!", mit diesen Worten riss sie Justus den Pergamentstapel aus der Hand, schloss die Tür und legte den Aufsatz auf den "noch zu korrigieren"-Stapel. Währenddessen zerfiel die Illusion und gab die Sicht auf den Boden wieder frei.
Wieder bewaffnete sie sich mit ihren Schreibutensilien und widmete sich tapfer dem Kampf gegen die Aufsätze. Sie hatte noch nicht einmal den nächsten Stoß Pergament in die Hand genommen, als es wieder am der Tür klopfte. Wieder wuchtete sie sich nach oben, ließ euch und ihr Zimmer wieder ordentlich erscheinen und öffnete zum zweiten Mal an diesem Abend die Tür.
Diesmal war die Gestalt, die vor ihr stand nicht so hünenhaft wie Justus. Eher im Gegenteil, der kleine Engel namens Eona war sogar noch kleiner als sie selbst.
"Guten Abend, Professorin Mason!", begrüßte sie Scarlet freundlich. Scarlet konnte nicht verhindern, dass ihre Mundwinkel sich zu einem Lächeln hoben. "Was ist dein Anliegen, Eona?"
Eona blickte sie beschämt an. "Ich soll mich zum Nachsitzen melden, Professorin Mason."
"Weshalb, Eona?"
"Ich habe im Unterricht gezeichnet!"
"In welchem Unterricht?"
"Im Unterricht für die Geschichte Falindes, wir nahmen gerade den Krieg zwischen den Dämonen und den Engeln durch, der vor Urzeiten stattgefunden hat", erklärte Eona schüchtern.
"Und was hast du gezeichnet, dass es dir Nachsitzen eingebracht hat?" Nun war die Neugier in Scarlet geweckt und sie musste sich dazu zwingen, streng zu klingen.
"Zwei Heere, die sich gegenüber stehen. Engel und Dämonen. Aber Professor Eakai meinte, ich solle mich lieber am Unterricht beteiligen und aus den Fehlern der Vergangenheit lernen, als träumerisch vor mich hin zukritzeln, dann hat er gesagt ich soll mich nach dem Unterricht melden, aber ich habe das irgendwie ein bisschen vergessen... ja...", gestand Eona. Scarlet dachte einen Moment nach, bevor sie Eona eine angemessene Strafe auferlegte.
"Dann wirst du wohl eine Woche lang die zwei Flure vor dem Geschichtsklassenzimmer schrubben! Ich hoffe, dass du nicht wieder im Unterricht anderweitig beschäftigt sein wirst! Gute Nacht, Eona!"
"Jawohl. Noch einen guten Abend, Professorin Mason!", verabschiedete sich Eona mit gesenktem Kopf. Scarlet schloss die Tür und die Illusion war noch nicht ganz aufgelöst, als es zum dritten Mal an der Tür klopfte. Als sie dieses Mal die Tür öffnete, stand kein Schüler vor ihr, sondern Raphael Aarin, der Leiter von Team Jael. Sein stechender, orange-roter Blick musterte ihre zerzauste Frisur und die unordentliche Kleidung.
"Ich habe Feierabend, okay?", verteidigte sich Scarlet gegen das amüsierte Funkeln in seinen Augen.
"Rufe Team Ethimei zusammen und komme in den Sitzungssaal. Ihr habt eine Mission." Dann verschwand Raphael wieder. Scarlet schloss die Tür und stürzte in ihr Badezimmer. Sie sah wirklich nicht gut aus. Dunkle Schluchten unter ihren schwarzen Augen, ihre dunklen, langen Haare waren behelfsmäßig hochgesteckt, ihre Kleidung war zerknittert und ein paar Tintenflecke zierten ihre Ärmel. Ihre durchsichtigen Flügel ragten hinter ihr auf, schimmernd und reflektierend, als wären sie aus Glasscherben zusammen gesetzt worden. Sie spritzte sich Wasser ins Gesicht und glättete ihre Kleidung. Sie zog die Stifte, die ihre Hochsteckfrisur zusammen gehalten hatten, aus ihren Haaren und schüttelte ihre dunklen Haare aus. Sie legte eine leichte Rüstung an, steckte ihre Dolche in deren Lederscheiden und bändigte ihre Haare in einem Dutt. Sie machte sich Sorgen wegen ihrer Flügel, sie wollte sie nicht unter ihre Rüstung quetschen, weil sie sie vielleicht im Kampf brauchen könnte, aber außerhalb der Rüstung wären sie ungeschützt. Sie entschied sich dazu, sie außerhalb der Rüstung zu lassen. Sie beschloss, nun für eine Mission gerüstet zu sein und machte sich auf dem Weg zum Sitzungssaal der Akademie.
Team Ethimei war vollzählig am Zielort, einem Dorf nahe Schloss Daley, angekommen, wo sie einen Troll ausfindig machen sollten, welcher vollkommen durchgedreht war und nun durch die Gegend marodierte. Scarlet hoffte inständig, dass das Dorf im Westen von Schloss Daley lag und nicht im Osten, jedoch wurde ihre Hoffnung im Keim erstickt, als Zoey nach dem Schloss fragte und Justus Richtung Westen zeigte. Sie marschierten ein wenig durch die Wälder, welche das Dorf umringten, bevor Scarlet ein Rascheln aus der Luft über ihr vernahm. Sie bedeutete ihrem Team sich ruhig zu verhalten, ihre Flügel setzten sich in Bewegung und hoben sie in die Luft. Schnell erspähte sie zwei Flügelspitzen, die zwar in ihrer Farbe und Struktur perfekt dem Blattwerk anpasste, aber Scarlet hatte viele Jahre damit verbracht, diese Flügel zu erkennen.
Sie gehörten Raoul, ihrem Freund aus Kindertagen, der immer davon geträumt hatte, Feenkrieger zu werden. Scarlets Alptraum war wahr geworden: Sie hatte ihr altes Heimatdorf erreicht, von dem sie sich geschworen hatte, nie wieder zurückzukehren.
"Komm raus, Raoul! Ich bin's Scarlet! Falls du dich noch an mich erinnerst!", rief sie in seine Richtung. Scarlet versuchte so gut es ging, ihre Angst zu verbergen. Raoul löste seine Magie auf und die Baumkronen gaben den Blick auf ihn frei. Er war gewachsen, natürlich, sie war sechzehn gewesen, als sie weggelaufen war, außerdem trug er die Abzeichen eines Kriegers an seinem Bogen. Ebenjenen hielt er gespannt und auf sie gerichtet, als er sie jedoch erblickte, ließ er ihn sinken.
"Scarlet! Wie schön dich zu sehen! Wie lange ist es jetzt her, seit du desertiert bist? Zehn Jahre?", begrüßte er sie freudig.
"Zwölf!", gab Scarlet kalt zurück. Sie würde nicht darauf hereinfallen, nicht noch einmal.
"Professor? Wer ist das?", fragte Archim misstrauisch, seine Karten wirbelten um ihn herum, wie ein Schwarm Vögel.
"Das ist Raoul Banewort, ein alter... Bekannter. Ich glaube nicht, dass er sonderlich gefährlich ist, nicht gegen uns", schätzte Scarlet die Lage ein.
"Hey, ich bin Offizier der Feen über dem Daleysee! Gerade du Scarlet solltest mehr Respekt vor diesem Rang haben!"
"Ich gehöre aber nicht mehr zu den Feen über dem Daleysee! Seit zwölf Jahren nicht mehr und das weißt du genau, Raoul!", fuhr sie ihren ehemaligen besten Freund scharf an.
"Du hast uns verraten! Hast unsere Traditionen verletzt und bist aus dem Dorf geflüchtet! Ich sollte erschießen-"
"-und doch tust du es nicht. Aus Respekt vor den alten Zeiten, nicht wahr! Lass mich und mein Team ziehen, wir wollen den Menschen hier helfen!", rief Scarlet zurück.
"Den Menschen? Ich wusste nicht, dass du jetzt schon mit diesen unbarmherzigen Geschöpfen hilfst! Sie haben deine Tante getötet und deinen Onkel!"
"Weil sie Menschen angegriffen haben, die sich in unser Gebiet verirrt haben. Harmlose Wanderer, die erst zum Schwert griffen, als ihr Leben in Gefahr schwebte! Lass mich doch einfach ziehen Raoul, wir müssen einen Troll erledigen!" Ihre Worte schienen Raoul nachdenklich gestimmt zu haben.
"Trotz alledem, Scar, schön dich wiedergesehen zu haben! Ach ja, der Troll hält sich übrigens in der Nähe von Iris' Sitz auf." Damit verschwand Raoul. Scarlet schwebte zurück auf den Boden und seufzte.
"Der Sitz von Iris ist ein Stück weit von hier entfernt und ich bin mir sicher, dass ihr nicht in das Territorium der Feen über dem Daleysee kommen wollt. Ihr habt ja gehört, wie die meinen mit Fremden umgehen."
"Professor? Ich will ihnen ja nicht zu nahe treten, aber sind Sie wirklich desertiert?", fragte Zoey während des Laufens vorsichtig.
Scarlet seufzte.
"Ja, vor zwölf Jahren. Meine Großmutter war die spirituelle Führerin des Stammes, von mir wurde erwartet in ihrer Fußstapfen zu treten. Ich wollte nicht, generell war ich gegen die Lebensart meines Stammes, also floh ich. Raoul war mein bester Freund in Kindertagen, deshalb diese freundliche Begrüßung-"
"Freundlich?", unterbrach Archim sie. "Er hätte uns fast erschossen und hat Sie provoziert!"
"Ja, freundlich. Sonst hätte er uns sofort erschossen. Also, wo war ich? Ach ja! ich wollte euch etwas über den Sitz der Iris erzählen. Iris ist ein örtlicher Wassergeist, recht mächtig. Wird von den Feen verehrt, ihr Sitz ist eine Quelle, aus der ein kleiner Bach entspringt. Es heißt, das Wasser sei magisch. Aber das ist Humbug, Ich war da früher öfter, einer meiner alten Lieblingsplätze. Iris zeigt sich nicht oft, aber die meisten bösen Geister halten sich von diesem Ort trotzdem fern. Wenn sich der Troll da aufhält, hmm..."
"Was 'Hmm...'?", hakte Lucia nach.
"Dann ist Iris im Moment irgendwie verhindert oder der Troll ist verdammt stark", erklärte Scarlet beiläufig, während sie sich umschaute.
"Wie stark?", fragte Justus.
"Ach, ich wette der kann einfach so ohne Probleme einen Ochsen erlegen...", meinte Scarlet und spielte mit einer Lichtkugel herum.
"Wie können Sie so ruhig bleiben, Professor?" Eona klang erstaunt.
"Weil Trolle größtenteils nachtaktiv sind und Licht verabscheuen, deshalb!" Sie grinste halb.
Scarlet roch den Troll schon lange bevor sie ihn sah oder hörte. Es roch fürchterlich nach einer Mischung aus abgestandenem Cervicia, einem Getränk, das in dieser Gegend aus Getreide und Wasser verbunden durch lange Gärzeit hergestellt wurde, und Moder.
Scarlet zückte ihre Dolche und ihr Verstand war hellwach, um jederzeit eine Illusion schaffen zu können. Auch ihre Schüler machten sich kampfbereit.
Der Troll hatte Ähnlichkeit mit einem Golem. Er war gute zwei Meter hoch und hatte die Farbe von Flussschlamm. Riesige, gelbliche Hauer ragten aus seinem Maul hervor, seine Augen sahen aus wie Flusskiesel und überall, aber vermehrt auf seinem Kopf, wucchsen lange Flechten. Seine riesige, massige Gestalt schüchterte Scarlet zwar nicht direkt ein, aber sie hatte Respekt vor seiner Größe und erkannte die Gefahr in seinen grobschlächtigen Zügen und der außergewöhnlich gerade Körperhaltung. Er schleifte einen großen Ast, den er sich aus einem der umstehenden Bäumen ausgerissen hatte, wie eine Keule hinter sich her. Scarlet erhob sich in die Luft und schuf unzählige Versionen von sich selbst, sie schuf, um Magie zu sparen, viele Spiegel, die alles reflektierten, das Team stand dort verhundertfacht, sie sorgte dafür, dass der Troll sich selbst nicht sehen konnte, um ihn zu verwirren. Archim beschwor Karten, die in einem heftigen Tremolo auf Nacken, Hals und Gesicht einstachen. Justus und Shane stürzten sich mit fliegenden Fäusten auf den Troll und setzten ihm mit Luftmagie und dämonischen Klauen zu. Zoey beschwor einige Nebelgestalten, die Scarlet jedoch nicht näher identifizieren konnte und murmelte mehrere Zaubersprüche. Lucia saß auf einem höheren Ast und schoss mit ihrem Bogen einen Pfeil nach dem anderen ab. Selbst die kleine Eona flog um den Troll herum und hieb auf ihn mit ihrem kleinen Dolch auf den Troll ein. Scarlet flog nun auf den Kopf des Trolls zu, ihre Dolche gezückt und die Magie aufrecht erhaltend, aber sie hielt sich in ihrem Kampf zurück, schließlich sollten ihre Schüler hier Kampferfahrungen sammeln und ihre Fähigkeiten in der Realität testen. Außerdem befand Scarlet den Kampf für nicht so gefährlich als, dass sechs Schüler nicht gegen eine Gegner, auch wenn er größer war als sie alle, bestehen konnten, schließlich war ihr Team nicht ohne Grund eines der Eliteteams.
Als der Troll besiegt war, das Team wieder heil in der Akademie angekommen war und Scarlet sich den Schweiß, den Schlamm und ein wenig Trollblut, welches ein bläuliche Färbung besaß, von der Rüstung und vom Körper geschrubbt hatte, wollte die Fee eigentlich nur noch eines: ins Bett. Sie tapste aus ihrem Bad in ihr Zimmer, ohne Licht zu machen und stolperte prompt über ihr rotes Tintenfässchen. Wie hatte sie bloß die Aufsätze vergessen können? Ach, egal, die konnten, ihretwegen noch bis morgen warten.
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