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„Du hast unsere Geheimnisse einem Teddybären verraten?", knurrte Lucian ungläubig.
„Was dagegen? Er hört mir immerhin zu, im Gegensatz zu euch, und lässt einen nicht sofort den Arm auskugeln."
„Wem hast du sie noch verraten?", stieß Lucian wütend hervor.
„Niemanden."
Ein langes Schwiegen trat ein.
„Wer hat dich bezahlt?"
„Niemand."
„Für wen arbeitest du?"
„Mein Gott ich bin eine Studentin. Ich arbeite somit höchstens für meine Profs, aber die sind alle nicht hinter euren Geheimnis hinterher, zumindest hat mir niemals jemand etwas in der Art gesagt oder aufgetragen."
„Wieso hast du es dann getan?", Lucians Stimme klang mittlerweile nicht mehr nur völlig ungläubig, sondern auch verzweifelt. Wahrscheinlich würden mir die Werwölfe meine Geschichte niemals abkaufen, aber würde ich das selbst in ihrer Lage tun? Wahrscheinlich nicht.
„Keine Ahnung, wieso ich es schlussendlich getan habe. Es liegt einfach nur daran, dass ich seit ich ein kleines Kind war, eine unglaubliche Faszination für euch hege. Ich habe wirklich keine Ahnung warum genau und wieso. Dieses Verlangen mehr über euch herauszufinden, das Hauptquartier der Werwölfe zu kennen, nur um einfach einen kleinen Blick auf euch erhaschen zu können, war überwältigend groß in mir. Ich weiß, dass das nicht mehr normal ist, aber bitte glaubt mir, ich will euch nichts Böses. Ich will nur meine Neugier stillen. Mein Wunsch ist nur, dass dieses Verlangen, dieses Sehnen nach etwas, das ich nicht verstehe, aufhört. Bitte glaubt mir."
Ein vollkommenes Schweigen hatte sich auf den Saal gelegt. Lange Minuten herrschte Stille, dann erhob sich eine Frau mit blonden Haaren und eisblauen Augen. Sie wirkte anders, als die restlichen Werwölfe hier im Saal, doch das war mir in meiner Situation nun egal. „Sag mir wie hat sich diese Faszination genau angefühlt, die du da beschreibst?"
Verwirrte blinzelt ich, doch wenn ich ihnen schon mein Herzeleid ausschüttete, dann konnte ich ihnen auch das mitteilen: „Es ist wie ein Ziehen. Meistens ist es nur sanft, kaum spürbar, doch jedes Mal wenn ich es ignorieren will, wird es stärker. Immer wieder drängt es mich dazu Bücher von euch anzuschauen. Wenn es euch schlecht geht, dann wird das Gefühl stärker. Es wird zu einem Drang, der mich dazu zwingen will einfach durch euren Wald zu rennen, wie unsinniges das auch sein mag."
Viele Werwölfe tauschten bedächtige Blicke aus. Was sagte ihnen diese Information, die für mich selbst vollkommen unsinnig war? „Und hat das Ziehen aufgehört, als du hier warst? Als du endlich einen Blick auf uns geworfen hast?"
„Nein", flüsterte ich wahrheitsgemäß. „Es wurde nur noch stärker."
„Wir sollten ihr die Augen verbinden", schlug die Frau plötzlich vor.
Ein zustimmendes Gemurmel folgte, auch Lucian nickte. Sein Blick lag stumm auf mir. Was bitte sollte das Ganze? Was wurde hier gespielt?
Zu meinem Erstaunen riss David ein Stück seines eigenen T-Shirts auseinander und band es mir dann schon fast vorsichtig um die Augen. Er achtete, währenddessen darauf nicht an meinen verletzten Arm zu kommen. Scheinbar wollte er mir keine weiteren Schmerzen zu fügen. Wieso nur? Zuvor hatte er es doch sogar darauf angelegt.
Er begann mich vorsichtig zu drehen. Es fühlte sich fast so an, also würde man mit mir blinde Kuh spielen, denn ich hörte viele Schritte um mich herum, genauso wie neugieriges Flüstern.
„Folge nun deinem Gefühl, wohin willst du?", hörte ich die Stimme der Frau sagen. Sie musste ganz in meiner Nähe sein.
Scheinbar war das hier tatsächlich wie blinde Kuh. Nur das ich meinem Gefühl nachlaufen sollte. Die Frage warum man mich dazu aufforderte, blieb jedoch völlig ungeklärt. Ich beschloss mich nicht zu weigern, denn zum Schluss würden sie mir nur noch meinen zweiten Arm auskugeln. Seufzend versuchte ich meine Gedanken ruhiger werden zu lassen, doch eine Frage wollte einfach nicht verschwinden: Wie sollte ich überhaupt meinem Gefühl nachlaufen? Ich war vollkommen verwirrt und verängstigt. Wie sollte ich in all diesem Chaos das leichte Ziehen in mir spüren?
Doch zu meinem Erstaunen fand ich es genau in diesem Moment. Es fühlte sich jetzt sogar fast so an, als dränge mich etwas begierig in eine Richtung. Ich lief los. Zuerst langsam und vorsichtig, dann immer sicherer.
Auf einmal prallte ich zurück und fiel hin. Schmerzerfüllt schrie ich auf, denn ich war auf den bereits ausgekugelten Arm gelandet. Unter Tränen in den Augen erhob ich mich wieder. Was sollte diese gesamte Maskerade? Wollte man mich einfach nur weiter quälen?
„Das hat doch keinen Sinn!", flüsterte ich wütend.
Auf einmal hörte ich eine vertraute Stimme: „David! Wenn sie auf einen Tisch zu rennt, dann hilf ihr!"
„Ich darf aber nicht eingreifen, ich könnte sie lenken", erwiderte der Mann der scheinbar direkt neben mir stand. Was für ein Arschloch!
„Tu es! Das ist ein Befehl und wage es ja nicht sie zu beeinflussen."
Jemand hielt mich sanft an meiner unverletzten Schulter fest. Ich vermutete, dass dieser jemand David war. Erneut ertönten Schritte um mich herum.
Nach kurzer Zeit ließ David mich wieder los. Zu meiner Verwirrung führte mich mein Gefühl nun in eine ganz andere Richtung. Wahrscheinlich drehte ich mich bald einfach nur im Kreis. Dieses Mal bewegte ich mich jedoch langsamer. Meine Vorsicht war nicht nötig, denn nun half mir David jedes Mal um die Hindernisse herum.
Ich hatte mittlerweile meine Orientierung vollkommen verloren und hatte nicht den blassesten Schimmer, wieso wir nicht mit diesem Spiel aufhörten. Mal hatte ich das Gefühl gleich am Ziel zu sein, dann entfernte es sich wieder. Es war furchtbar frustrierend.
Ich beschloss einer anderen Taktik zu folgen. Langsam und zögerlich bewegte ich mich voran, nicht direkt auf das Ziel, sondern in leichten Kreisbahnen auf dieses zu.
Endlich war ich sehr nahe. Ich würde es nicht entkommen lassen!
Blitzschnell rannte ich los. Was sicherlich keine unglaublich geniale Idee war. Ich stieß gegen einen Tisch, doch diesmal hatte ich zu viel Schwung. Mein Körper schlitterte über ihn und ich lief Gefahr kopfüber auf den Boden zu stürzen, aber da war dieses Gefühl. Ich streckte die Arme aus und bekam etwas Festes und Warmes zu greifen.
Glückseligkeit durchströmte mich. Ein breites Grinsen schlich sich auf mein Gesicht. Jemand packte mich am Kragen und stellte mich auf meine Füße, doch das war mir im Moment ziemlich gleich. Was immer dieses Warme war, ich hatte es gesucht und würde es nie wieder loslassen. Zufrieden begann ich zu summen. Ich hätte einfach ewig so stehen bleiben können.
„Tja, ich würde sagen, damit hat sich der Fall bestätigt", hörte ich Davids Stimme neben mir, fast schon lachend antworten.
„Das ist wohl war", flüsterte eine samtige Stimme, die zu meinem Pech zu der Person gehörte, die ich scheinbar gerade umarmte. Entsetzt wich ich einen Schritt zurück. Ich war eben einem Werwolf um den Hals gefallen. Ein weiterer Schritt folgte. Es schien mir eine schlechte Idee zu sein in seiner Nähe zu bleiben.
Leider hatte ich den Tisch hinter mir vergessen und traf in meiner Panik gegen ihn. Sofort begann ich mit dem gesunden Arm wie wild durch die Luft zu rudern. Ich traf etwas eindeutig Menschliches. Zwar hatte ich es geschafft nicht mein Gleichgewicht zu verlieren, doch meine Knie fingen an zu zittern. Was würde man nun mit mir tun? Ich hatte eben einen Werwolf geschlagen!
„Es tut mir leid!", fing ich an zu stottern, doch eine fast schon freundliche Stimme unterbrach mich:
„Ich glaube, das habe ich verdient."
Eine große Hand strich mir sanft über meinen Kopf und löste dann den Stofffetzen von meinem Gesicht. Vor mir stand Alpha Lucian und starrte mich neugierig, aber auch glücklich an.
Was ging hier nur vor sich?
Er streckte seine Hand aus und ich wich zurück. Immer noch bebten meine Knie. Vielleicht spielte er nur mit mir. Vielleicht wiegte er mich nur in Sicherheit.
Die Hand meines verletzten Arms stieß gegen den Tisch und erneut traten Tränen in meine Augen. Leise wimmerte ich und begutachtete meinen Arm. Er war zwar mein kleinstes Problem, doch auch das nervigste. Jede winzige Bewegung seiner Muskeln, schickte stechende Blitze durch meine Nervenbahnen. Ich musste unbedingt versuchen ihn still zu halten.
„Es wird nun alles gut", erklärte mir Lucian. Plötzlich schlangen sich seine starken Arme um mich.
Zuerst wehrte ich mich, doch die Schmerzen, die mir davon durch den gesamten Körper zuckten, hinderten mich schon bald daran.
„So ist es gut. Ganz ruhig", flüsterte Lucian beruhigend, so als spräche er zu einem wilden verletzten Tier. Er hob meinen Körper mühelos hoch und setzte mich zu meinem Erstaunen auf den Tisch. Sanft tastete er meine verletzte Schulter ab. Wieso tat er das bloß?
„Alles wird gut.... Ganz..." In diesem Moment packte er mich auf einmal fest. Ich konnte mich keinen Zentimeter bewegen. Er würde mich umbringen! Er hatte mich nur beruhigt, damit ich mich dabei nicht wehren würde! Dieser Mistkerl!
Seine große Hand griff nach meinen verletzten Arm, doch ich schrie wütend auf. Ich begann mich wie wild zu wehren, doch das war eine ganz furchtbare Idee. Schmerz explodierte durch meinen Körper und fraß sich in einer lodernden Bahn zu meinem Gehirn. Es war einfach zu viel. Ich spürte noch einen leichten Ruck, dann wurde mein Sichtfeld schwarz und ich hörte nur noch seine Stimme: „... ruhig. Alles ist jetzt gut."
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