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Ächzend stand ich ein weiteres Mal von der blauen Turnmatte auf, dabei ließ ich jedoch die Jugendliche nicht aus den Augen. Es war eine dumme Idee gewesen, sie von all den Leuten in dieser gewaltigen Turnhalle herauszufordern. Ich hätte den ungläubigen Blicken der anderen Jugendlichen trauen sollen. Wieso war ich nur so verdammt stur gewesen?
Meine Gegnerin war zwar noch jung, doch bereits jetzt größer als ich und wusste eindeutig ihren Körper gut einzusetzen. Ihre Schläge kamen so schnell wie Blitze und donnerten gnadenlos auf mich ein, sodass ich immer und immer wieder von ihr niedergeschlagen wurde.
Mit wackligen Beinen aus Pudding versuchte ich in meine ursprüngliche Kampfposition zu kommen.
„Noch einmal", schnaufte ich und ging erneut auf das Mädchen los.
Nachdem sie mich mehr als ein dutzend Mal zu Boden geworfen hatte, hatte ich keinerlei scheu mehr sie anzugreifen. Auch wenn ich älter war, war die etwa vierzehnjährige Brünette mir bei weitem überlegen.
Der drahtige Körper des jungen Mädchens wich wie automatisiert meinem Schlag aus. Ihre Antwort ließ auch nicht lange auf sich warten, als sei es für sie ein Kinderspiel, holte sie aus und schlug gegen meinen Bauch. Ich taumelte rückwärts. Es fühlte sich an als habe mich ein Vorschlagshammer getroffen. Verzweifelt schnappte ich nach Luft, doch meine Gegnerin war unerbittlich. Sie trat mir mit eisernen Blick gegen mein Knie und ich fiel zu Boden.
Mittlerweile war ich den Schmerz fast gewöhnt. Argwöhnisch lies ich das junge Mädchen nicht aus den Augen, während ich versuchte mich langsam wieder aufzurappeln.
Plötzlich ertönte ein wütendes Knurren und eine Stimme so hart wie Granit befahl: „Das reicht!"
Sofort sprang die Jugendliche mindestens zwei Meter von mir weg. Mit ängstlichen Augen musterte sie das Raubtier, das eben eingetroffen war. Betroffene Stille kehrte in dem Übungsraum ein. Niemand wagte etwas zu sagen. Zwei Jugendliche, die neben uns trainiert hatten, musterten die Szene neugierig.
„Ich finde es gut, wenn du lernen möchtest dich zu verteidigen. Aber du solltest dich nicht freiwillig verprügeln lassen!", schimpfte mich Lucian. Seine blitzenden Augen gaben mir zu verstehen, dass er nicht nur böse, sondern nahe des Ausrastens war. Sein Wolf saß ihm dicht unter der Haut.
„Und du!", nun war Lucians volle Aufmerksamkeit dem Mädchen zugewandt. „Wirst Sie nicht ein einziges Mal mehr anrühren. Vielleicht lernen Werwölfe so zu kämpfen, doch Sie ist ein Mensch. Wenn du weiter machst, wirst du Sie an die Grenzen des Todes bringen und das würdest du bitterlich bereuen."
Das Mädchen nickte. Panisch schluckte sie und versuchte den Schweißausbruch auf ihrer Stirn mit dem Ärmel wegzuwischen. Niemand anderes als der Alpha persönlich hätte ihr wohl eine derartige Angst einjagen können.
Doch ich war auch mehr als ein kleinwenig verärgert und möglicherweise in meinem Stolz gekränkt. Wütend zischte ich Lucian an: „Vielleicht bin ich nur ein Mensch, doch ich weiß ganz sicher selbst, was ich aushalte und was nicht. Vielen Dank für deine Bemutterung."
Lucian packte mich um die Hüfte und warf mich wie einen Kartoffelsack über seine Schulter. „Nun höre gut zu Arya. Zum ersten scheint es nicht so, als würdest du deine Grenzen kennen. Zum zweiten scheinst du deinen Verstand verloren zu haben. Einen Werwolf Teenager zu bitten einem das Kämpfen beizubringen, ist wie eine Feuerzeug in einen Raum voll Dynamit zu werfen."
„Ach ja? Und wieso bitte?"
Er begann wütend loszulaufen. Ich trat mit meinen Beinen gegen seinen Rücken, doch er ignorierte es. „Wir Werwölfe haben uns als Teenager nicht wirklich unter Kontrolle. Unsere Kräfte wachsen jeden Tag, mal verdoppeln sie sich, mal nehmen sie nur minimal zu. Ab und an erfolgt diese Verstärkung innerhalb von Sekunden, dann wieder dauert es Stunden. Was würde passieren, wenn sich Jannys Kräfte innerhalb von ein paar Sekunden verdoppelt hätten? Was ein kleiner Tritt hätte sein sollen, würde dir jegliche Knochen brechen. Wir sind keine Menschen Arya!"
Ich schaute Lucian geschockt an. Das Werwölfe keine Menschen waren, hatte ich natürlich gewusst, doch nie zuvor hatte ich daran gedacht, dass das Leben mit Werwölfen eine extreme Gefahr für mich darstellen konnte. Ich war heute taftsächlich verdammt leichtsinnig gewesen. Natürlich würde ich mich nicht erneut ohne nachzudenken einer derartigen Gefahr aussetzen, doch was passierte wenn einer dieser Teenager einen Wutanfall bekam. Sie waren wie tickende Zeitbomben.
"Du Lucian... Sind diese Teenager wie normale Menschenteenager? Du weißt schon oft zickig und ab und an hochexplosiv?"
Lucian nahm mich von seiner Schulter, nur um mich kurz darauf in eine feste Umarmung zu stecken. Erst nach einem Moment ließ er mich wieder los. Seine eleganten Finger strichen durch meine Haare, als er erklärte: „Die Menschen sind nicht alleine normal, auch wenn sie sich ab und an gerne als die einzigen solchen betrachten. Wir sind genauso normal und ja auch unsere Teenager müssen durch eine schwere Phase wie alle anderen. Nur ist es bei ihnen fast noch schlimmer. Ihr Körper wird nicht nur erwachsen, sondern sie werden zu Kriegern. Das ist für viele eine harte Probe. Einige von ihnen sind teilweise sogar Suizid gefährdet, andere wiederum können unglaublich aggressiv werden."
Eine Gänsehaut schlich sich auf meinen Rücken. Angespannt nickte ich und wartete auf Lucians nächste Worte: „Ich werde dir eine Lehrerin bereitstellen. Es ist mir zwar nicht recht, dass du das Kämpfen lernen musst, doch du wirst es scheinbar brauchen. Dich nicht auf diesen möglichen Krieg vorzubereiten, könnte für dich tödlich enden."
Ich schaute ihn ängstlich an. Eigentlich hatte ich mir Unterricht in der Kampfkunst gewünscht, doch das war heute früh gewesen. Aus irgendeinem Grund machte es die Sache nicht besser, dass Lucian mir freiwillig einen Trainingspartner bereitstellte. Es machte mir erneut bewusst, wie haarscharf Werwölfe und Menschen vor einem Krieg standen.
„Keine Sorge", Lucian strich mir sanft durch die Haare. „Ich werde dich auf jeden Fall beschützen. Ich werde alles in meiner Macht tun, damit niemanden aus meinem Rudel verletzt wird. Arya, du gehörst zu diesen Rudel und niemand wird es wagen dir auch nur ein Haar zu krümmen, denn sonst wird er es mit mir zu tun bekommen."
Seine starken Arme strichen über meinen Rücken und gaben mir Halt.
„Versprich mir, dass du es nicht übertreiben wirst. Ich kann deine Angst verstehen und somit deinen Wunsch die Kampfkunst zu erlernen, doch nimm es nicht auf die leichte Schulter. Höre auf, wenn dein Körper sich beschwert. Versprichst du mir das?"
Ich schaute in seine grünen Augen und sah dort die Verzweiflung. Als Alpha lastete das gesamte Gewicht des Rudels auf ihm. Wenn einem etwas geschah, lag es in seiner Verantwortung. Falls etwas passierte, musste er es wieder richten. Er war es der sein Rudel beschützte. Natürlich half man ihm, doch er gab die Befehle und entschied somit über Leben und Tod. „Ich verspreche es", flüsterte ich langsam, während meine Finger sanft über die Konturen seines Gesichtes fuhren.
„Gut. Ich werde nun wieder zu meinen Generälen gehen. Es gibt leider noch so viel zu besprechen." Er setzte einen winzigen Kuss sanft auf meine Stirn. Seine Lippen waren heiß und drückten ein sinnliches Verlangen aus, doch nichts daran hinderte ihn kurz darauf aus dem Raum zu eilen. Die Pflicht rief ihn. Sein Rudel brauchte ihn.
Seufzend ging ich alleine den Gang entlang. Er kam mir so trist und einsam vor. Wenigstens hatte Lucian mich in den richtigen Korridor gebracht.
Langsam öffnete ich die Tür zu seinem Zimmer. Ich fühlte mich dabei schlecht, doch nicht weil ich möglicherweise Lucians Privatsphäre durchbrach, ich wusste es war so nicht, sondern weil er nicht hier war.
„Was soll ich nur tun?", fragte ich leise und blickte meinen großen Teddy Bär zweifelnd an. Auf etwas Derartiges war ich nicht vorbereitet. Auch wenn ich immer wieder mit dem Thema Krieg konfrontiert worden war, hätte ich nie gedacht, dass so etwas zu meiner Zeit einmal passieren könnte. Nie hätte ich gedacht, dass ich vielleicht sogar direkt an den Fronten mich befinden würde. Ein Angstschauer ließ mich erzittern.
„Ich bin für so etwas nicht geschaffen, Teddy." Tränen der Verzweiflung sammelten sich in meinen Augen.
„Es... Es war doch sonst nur ein Spiel. Ein kleines Geheimnis, dass ich entdecken wollte. Ich wollte doch nur erfahren, wieso ich immer so fasziniert von den Werwölfen war. Nein, nicht einmal das wollte ich. Eigentlich wollte ich doch nur ein bisschen meine Neugier befriedigen. Niemals hätte ich zwischen den Fronten eines Krieges geraten sollen. Ach Teddy..." Ich nahm mein treues Kuscheltier in den Arm und vergrub meine Nase in seinem weichen Fell.
Wie ich mir jetzt nur wünschte, dass das Tier tatsächlich mit mir sprechen könnte. Mir wenigstens einen Hinweis geben würde, doch das passierte nicht. Mein geliebter Bär war nur ein Stofftier und so war ich mit meiner Verzweiflung, meiner Hilflosigkeit und den furchtbaren Gedanken an einen kurz bevorstehenden Krieg vollkommen allein.
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