8 - return

- Calyx -

Ophelia stand sich die Nase zuhaltend vor uns und beobachtete uns. Ihre Augenbrauen waren stark gerunzelt. Sie funkelte uns mit zu Schlitzen gezogenen Augen an. Langsam rollten Wassertropfen aus ihren Haarspitzen in das Handtuch hinein, welches um ihre Schultern lag. Mit Herzrasen begriff ich, dass sie nur ein T-Shirt und eine kurze Shorts trug.

Wir fühlten uns wohl beide ertappt und starrten Ophelia an. Natürlich hatte sie jedes unserer Worte verstanden. Ich warf Anna einen kurzen Blick zu, welche langsam rot anlief.

"Wir dachten, du wärst in den Wald gelaufen", erklärte ich schließlich.

"Das wollte ich auch. Dann habt ihr wie verrückt rumgeschrien und ich musste zurückkommen. Ihr macht der armen Frau Ammett ja Angst", warf sie uns streng vor und deutete auf die alte Frau mit gebeugtem Rücken, die ein paar Meter entfernt stand und das Geschehen ängstlich beobachtete.

Mit der zugehaltenen Nase wirkte ihre Stimme überhaupt nicht streng. Ich sah Ophelia wieder an und kämpfte verzweifelt darum, ein aufkommendes lautes Gelächter zu unterdrücken.

"Entschuldigen Sie", rief ich der alten Frau dann zu, als ich mich beruhigt hatte, und hob zum Schutz sogar die Hände. Langsam wandte sich die alte Frau von uns ab und ging in die entgegengesetzte Richtung.

"Also, was wollt ihr hier?", wollte Ophelia nochmals wissen.

"Unsere Alphas hatten etwas miteinander zu besprechen", meldete sich Anna nun zu Wort. "Und dann sind wir nur ein bisschen durchs Dorf spaziert."

Alarmiert horchte meine Mate auf und machte große Augen. "Warum? Was ist denn?"

Mein Blick fuhr ihren Körper entlang und blieb schließlich erst an ihren nackten Beinen, dann an ihren Oberschenkeln hängen.

"Es soll ein paar aufständische Rudel geben, die gegen die Integration bei den Menschen sind. Was die weiteren Pläne sind, wissen wir noch nicht", erklärte Anna weiter.

"Und die Alphas besprechen... Calyx, hör auf, mich so anzustarren!", befahl Ophelia mir.

Mein Herz klopfte noch stärker, als ich statt ihren Schenkeln ihre Lippen betrachtete. Zum ersten Mal hörte ich meinen Namen aus ihrem Mund, das Wort geformt durch diese wunderschönen Lippen. Selbst die nasale Stimme machte diese Wirkung nicht weniger erregend.

Ich könnte vorspringen und wäre in einem Satz bei ihr. In weniger als einer Sekunde könnte ich sie endlich zum ersten Mal anfassen und ihre Haut spüren. Wie intensiv ihr Körper wohl aus solch einer Nähe roch? Meine Zähne kribbelten schmerzhaft, als ich ihren Hals betrachtete und an ihren Nacken dachte.

Mein Atem wurde immer schneller und flacher. Schnell hielt ich mir ebenfalls die Nase zu, bevor alles zu spät war. Mit einem Knie rutschte ich auf den Boden, als würde ich Ophelia gleich einen Heiratsantrag machen, dabei fehlte mir einfach nur die Kraft, auf beiden Beinen zu stehen.

"Okay, wir müssen jetzt gehen", stellte Anna mit alarmiertem Tonfall fest.

Ich sah hoch und bemerkte, dass Ophelia nicht vorsichtshalber einen Schritt zurückgetreten war. Im Gegenteil, sie sah mich direkt an, vielleicht sogar ein bisschen neugierig.

Mit aller Kraft, die Anna aufbringen konnte, zog sie mich nun hoch und ein wenig beiseite. "Wir gehen jetzt", bedeutete sie mir eindringlich.

Mein Mundraum tat so weh, dass ich nur nicken konnte. Krampfhaft hielt ich mir die Nase zu und wurde von Anna zu den Autos zurückbegleitet. Wir setzten uns schnell hinein und schlugen die Türen zu, sodass ich wieder normal atmen konnte.

"Hast du das gesehen?", fragte ich schließlich, noch immer etwas aufgeregt, selbst als ich mich ein kleines bisschen beruhigt hatte.

"Was? Den Kontrollverlust, den du beinahe hattest?", fragte Anna mitleidig lächelnd.

"Nein. Wie gut sie mich fand. Wie neugierig sie geschaut hat."

"Ich sag's ja", grinste Anna und lehnte sich mit hinter dem Kopf verschränkten Armen zurück. "Ein Kuss und ihre Welt steht auf dem Kopf, Baby."

Ich hatte mich dazu entschieden, Montagnachmittag zum Basketballtraining zu gehen. Buh jubelte und die anderen freuten sich ebenso, als ich die Turnhalle betrat.

Nur eine verschränkte die Arme vor der Brust und sah mich finster an. "Was machst du denn hier?"

"Meine neuen Teamkameraden nicht noch einmal enttäuschen", entgegnete ich fast schon überheblich. Buh gab mir einen Handschlag und drückte mir den Ball, sowie ein rotes Band zum Umhängen in die Hand.

"Aber ich dachte, du könntest nicht", entgegnete Ophelia mitleidig und zog einen Schmollmund. "Ist es nicht gegen die ärztliche Empfehlung, so kurz nach einem Leistenbruch wieder Sport zu betreiben?"

Grinsend fing ich an, den Ball zu dribbeln. Im Gegenteil, meine Liebe, meine Leiste funktionierte ganz wunderbar.

"Oh fuck, dann solltest du wirklich nicht spielen", riet mir ein anderer Spieler, während wir uns aufstellten und die Stoppuhr gestellt wurde.

"Ach, das war kein schwerer. Hat ganz schnell wieder geheilt", spielte ich weiter mit, einerseits das Basketballspiel, andererseits bei Ophelias Lügengeschichte. "Apropos, sollte der Verband an deiner Nase nicht schon längst wieder abkommen?"

Der Blick meiner Mate wurde noch finsterer. Plötzlich stürmte sie hervor und nahm mir mit Leichtigkeit den Ball ab. "Ich bin bei solchen Sachen sehr vorsichtig und warte lieber noch was. Alles andere wäre leichtsinnig."

Ophelia passte einem Mitspieler ihres blauen Teams. Buh trabte locker auf sie zu und klopfte ihr brüderlich auf den Rücken. "Was ist denn mit dir? Sei ein bisschen netter, wir sind alle eine Mannschaft", versuchte er Frieden zwischen uns zu stiften.

"Ich bin nett", entgegnete sie todernst.

"Hör mal, du brauchst ja auch keine Angst zu haben. Du bist immer noch die beste Spielerin von uns", wollte er sie nun grinsend besänftigen.

"Konzentrier dich lieber aufs Spiel. Da kommt gleich ein Ball auf dich zu."

Das Spiel war toll und machte wahnsinnig viel Spaß. Die einzige Sache war, dass sich Ophelia vehement von mir fernhielt. Selbst wenn sie mir mal den Ball abnahm, achtete sie ganz genau darauf, mich nicht zu berühren. Vielleicht war das in Anbetracht der anderen Anwesenden auch besser so.

Viel zu schnell war die Trainingszeit vorbei und alle eilten zu ihren Taschen, um etwas zu trinken. Während das kalte Wasser meine Kehle herunterfloss, schielte ich zu Ophelia herüber. Sie schnappte sich ihre Tasche und verschwand dann bei den Umkleiden.

"Du stehst auf sie", bemerkte Buh dann plötzlich hinter mir.

"Möglich", gab ich schulterzuckend zu. "Wie lang ist sie schon mit diesem Zachary zusammen?"

"Laaange, Mann. Bestimmt zwei oder drei Jahre", antwortete er.

Das sollte lange sein? Seelenverwandte Lykantrophen blieben ein Leben lang bis zu ihrem Tod zusammen.

"Aber", begann Buh dann im Flüsterton, "normalerweise ignoriert sie alle Typen, die Interesse an ihr haben. Klar sind das hier einige. Dennoch, wie sie mit dir geredet hat, ist ungewöhnlich."

"Danke, Mann", sagte ich grinsend, weil er mir die beste Laune des Tages bereitete.

"Hast du Lust, gleich noch was mit essen zu gehen?", fragte Owen mich, der sich nun zu uns gesellte.

"Klar", bestätigte ich. Ob Ophelia mitkam?

Die Frage erledigte sich, als ich einen verhassten Geruch vernahm. Ich drehte mich um und entdeckte Zachary am Eingang der Turnhalle lehnend. Fast zeitgleich kam meine Mate aus den Umkleiden. Ich drehte mich wieder weg, damit ich mir ihre Begrüßung nicht ansehen musste.

Schließlich verließen wir ebenso die Turnhalle und ich folgte den Wagen der Jungs, bis wir auf einem Parkplatz eines kleinen Bistros einparkten.

Es war toll darin. Gefließte Böden, rote, gepolsterte Sitzbänke und die Musikbox kennzeichneten den Stil der 90er. Hier saßen Stadtbewohner aller Altersklassen, Familien mit Kindern, Rentner und Jugendliche.

Ich bestellte einen Schokomilkshake und ein Schinkensandwich. Während wir warteten redeten wir über die Schule, Mitschülerinnen, die Lehrer und natürlich über Basketball.

"Psst, Leute", zischte Owen plötzlich und beugte sich etwas zu uns vor. "Die Gruppe Mädels schaut uns an."

"Das ist wegen Calyx", vermutete Buh und lehnte sich im Sitz zurück.

Ich sah mich um und entdeckte in der rechten Ecke des Lokals tatsächlich vier junge Frauen, die uns offensichtlich beobachteten.

"Oh Gott, der Große guckt rüber. Der Gutaussehende", flüsterte die eine der anderen so leise ins Ohr, dass ich mich richtig konzentrieren musste. "Sind das grüne Augen?"

"Ich glaube, sie schauen eher Owen an", vermutete ich todernst.

"Was, ehrlich?" Owens Körperhaltung wurde mit einem Mal viel stolzer. "Ich wusste es", murmelte er grinsend.

Miles rollte mit den Augen. "Jetzt sei doch nicht so auffällig."

"Also Cal", wechselte Buh das Thema. "Wieviele Freundinnen hattest du schon?"

"Keine", gab ich verwirrt zu. Was sollte dieses wie viele?

"Keine?", wiederholte Owen schockiert. Er machte eine kurze Pause, bevor er fragte: "Bist du Jungfrau?"

Ich hob eine Augenbraue und musste schmunzeln. "Jop."

"Krass."

Leicht zuckte ich mit den Schultern. Ich hatte halt immer damit gerechnet, irgendwann meine Mate zu finden, und es für wahrscheinlich gehalten, dass sie sauer wäre, wenn ich bereits mit jemand anderem geschlafen hätte. Dieses Theater wollte ich mir einfach ersparen. Außerdem hatte ich in meinem Leben sowieso nie viel Zeit für Mädchen gehabt.

Ich war ein bisschen erschöpft, als ich schließlich endlich zu Hause war. In die Schule gehen, Basketball spielen und dann Menschengespräche führen, das war alles so ... menschlich. Und daran hatte ich mich noch nicht wirklich gewöhnt.

Außerdem hatte ich mich seit einer gefühlten Ewigkeit nicht mehr verwandelt. Deswegen sehnte ich mich unglaublich danach, andererseits wollte ich es auch so lange es ging vermeiden.

Mein Vater saß auf dem Sofa, als ich die Tür aufschloss. Er hielt sich ein Kühlakku auf den Oberschenkel und hatte die Augen geschlossen. An seiner Atmung erkannte ich aber, dass er wach war.

"Was ist passiert?", wollte ich wissen.

"Sehne gezerrt oder so", stöhnte er.

Mir rutschte ein kleines Lachen heraus. "Wirst du jetzt etwa alt?"

Ich fing die Kaltkompresse mit Leichtigkeit auf, obwohl er sie mit voller Wucht in meine Richtung schleuderte. "Hey", rief ich und warf sie zurück. "Das musst du weiter kühlen."

"Und du musst deine Hausaufgaben machen gehen", entgegnete er.

"Weiß ich doch", grinste ich. "Gibt es was Neues von Ophelias Rudel?"

"Nein", seufzte er. "Sie vertrauen uns einfach noch nicht und wollen kein festes Bündnis eingehen. Aber ich hab das Gefühl, dass sich da was zum Guten wendet."

"Und von den Aufständischen?"

"Nichts Neues. Wahrscheinlich werden wir versuchen müssen, weitere Informationen zu beschaffen", berichtete er.

"Hmm", machte ich nur. Es fiel mir schwer, die ganze Situation einzuschätzen. Mit sowas hatte ich es noch nie zutun gehabt, weil ich die meiste Zeit meines Lebens fern von Menschen gelebt hatte.

Seit ich ein Kind gewesen war, waren mein Vater und ich umhergezogen. Ständig war er rastlos gewesen und wir waren nie besonders lange an einem Ort geblieben. Bis zu dem Tag, an dem wir eher ungeplant die Führung eines Rudels übernommen hatten und dann dafür sorgen mussten, dass die Mitglieder in Sicherheit leben konnten.

Dafür hatte die Integration in das Stadtleben dienen sollen. In menschlichen Verhältnissen zu leben hatte viele Vorteile. Hoffentlich würde uns diese Entscheidung nicht zum Verhängnis werden.

Nachdenklich sah ich hinaus zum Fenster. Außerdem waren unsere Informationen über diese Rudel so spärlich und schleierhaft. Wie bereitete man sich auf etwas vor, was bisher nur Gerüchte waren?

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Danke für eure Unterstützung, egal welcher Form. Nach und nach gibt es jetzt Widmungen. Bitte nicht enttäuscht sein wenn ihr noch nicht dran wart, ich vergesse niemanden und schreibe mir immer jeden auf eine Liste auf <3

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