7 - I'll

- Calyx -

"Calyx, ich hab dich was gefragt."

"Hm?", machte ich und richtete meine Aufmerksamkeit wieder auf meinen Vater.

"Was denkst du, wie das Rudel auf uns reagieren wird?", wiederholte er.

"Bist du etwa nervös?", fragte ich irritiert.

"Einer von uns hat sich mit einem von ihnen angelegt. Du weißt selbst, dass das keine leichte Angelegenheit ist", erwiderte er mit strengem Ton.

Ich unterdrückte den Drang, mit den Augen zu rollen. Warum erinnerte er mich an meinen Angriff? Dieser Zachary hatte ja nicht mal einen Aufstand daraus gemacht. Und jetzt war mein Kopf schon wieder bei dem Thema.

Was. Zum. Teufel. Tat er mit ihren Oberschenkeln?

"Calyx!", rief mein Vater.

"Was!", rief ich gereizt zurück.

"Wir sind gleich da, jetzt reiß dich aber mal zusammen und konzentrier dich!" Der Wagen schlug eine enge Rechtskurve ein und tuckerte eine ganze Weile lang den schmalen Waldweg entlang, bis er endete und wir uns durchs Dickicht schlengelten.

"Ich verstehe sowieso nicht, warum wir zwei Stunden lang hergefahren sind. Sowas kann man doch am Telefon besprechen", murmelte ich genervt.

"Deswegen sagte ich, du sollst dich konzentrieren. Du weißt doch genau, dass die keine Handys haben."

Oh, stimmt ja.

Schließlich sahen wir in einiger Entfernung ein paar Holzhütten und stiegen aus dem Auto aus, um den restlichen Weg zu laufen und die Bewohner nicht zu sehr zu erschrecken, die sich nicht wirklich an Autos gewöhnen konnten.

Fast zeitnah stellten sich ein paar Lykantrophen vor ihren Hütten auf. Ihre Kleidung war dreckig und verschlissen, die Gesichter ungewaschen und unrasiert.

"Alpha Davis und Beta Calyx", kündigte mein Vater uns an. "Wir würden gerne mit Alpha Ernest sprechen."

Schweigend führte man uns zu einer der Hütten. Immer mehr Lykantrophen erschienen und starrten uns misstrauisch an. Langsam konnte ich verstehen, warum mein Vater nervös war.

Man ließ uns ein und dann in einem fast leeren Raum stehen. Wachsam sah ich mich um und hoffte, dass wir nicht in eine Falle getappt waren.

"Hallo", grüßte uns Ernest schließlich, als er in den Raum trat. Er trug vernünftige Kleidung und war halbwegs gewaschen.

"Hallo", erwiderten wir und schüttelten ihm die Hand. "Wie geht es euch?", wollte mein Vater wissen.

"Wie immer eigentlich", antwortete der andere Alpha mit tiefer Stimme. "Allerdings habe ich mich schon ein paar Mal in die Stadt gewagt. Nicht, um zu stehlen, sondern um mich umzusehen und zu lernen."

"Wie finden das die anderen Mitglieder?", forschte mein Vater vorsichtig nach.

"Sie sind misstrauisch. Du weißt, dass sie die Menschen nicht leiden können." Der ältere Mann seufzte und sah aus dem Fenster. "Ich habe euch nicht wegen des Vorfalls gerufen. Es ist schon über ein Jahr her. Wir sind bereit, es zu vergessen."

"Das ist sehr großzügig", sagte mein Vater erleichtert.

"Allerdings gibt es ein Problem. Immer öfter kommen uns Gerüchte zu Ohren, von aufständischen Rudeln."

"Aufständisch?", wiederholte Alpha Davis ungläubig.

Verwirrt warf ich ihm einen Blick zu. Was konnte damit gemeint sein?

Ernest seufzte. "Wir sind ja auch nicht mit der vollständigen Integration in die Menschheit einverstanden. Der Nachwuchs in solchen Rudeln, eingeschlossen eurem wahrscheinlich, geht immer weiter zurück. Traditionen gehen verloren. Seelenverwandtschaften werden immer seltener."

Automatisch schoss mir ein Bild von Ophelia in den Kopf. Wahrscheinlich war es gut, dass diese immer seltener wurden, dachte ich bitter. Aber das war jetzt nicht der richtige Zeitpunkt.

"Aber wir lassen euch ja wenigstens so leben, wie ihr möchtet. Nur gab es diese Gerüchte von wilden Rudeln, die irgendwas dagegen unternehmen wollen", berichtete der andere Alpha mit warnendem Blick.

Das ungute Gefühl in meinem Magen blieb bestehen, selbst als wir das Dorf wieder verließen.

Als wir später im Auto saßen blickte ich meinen Vater an. "Was hältst du davon?", fragte ich, als wir wieder auf die Straße gefunden hatten.

"Ich kann mir schon vorstellen, dass an den Gerüchten etwas dran sein könnte. Aber was soll passieren? Will man uns zwingen, wieder abgeschnitten in den Wäldern zu leben?"

"Wenn man unser Rudel übernehmen würde, bestimmt", überlegte ich.

"Dafür müsste man uns erstmal töten. Und das wird nicht geschehen", erwiderte er und beschleunigte den Wagen. "Wir müssen das andere Rudel der Stadt warnen und uns gemeinsam etwas überlegen. Nur für den Fall. Wenn wir zu Hause sind, rufen wir die anderen zusammen und fahren hin."

Den Rest der Fahrt schwiegen wir. Meine Gedanken rasten. Mein Vater und ich waren viel herumgekommen, bevor wir die Führung unseres derzeitigen Rudels übernommen hatten. Einige Rudel hatten sich tatsächlich vehement von Menschen ferngehalten und diese verachtet.

Als wir wieder in unserem Dorf ankamen, baten wir unseren Delta und einige Vertreter von verschiedenen Familien in unseren Konferenzraum.

"Wo ist Gamma Louis?", fragte ich, als mein Vater und ich an der letzten Tür geklopft hatten.

"Wahrscheinlich wieder in der Stadt", antwortete er mir.

Ein bitterer Schub von Eifersucht überkam mich. Mein Vater sah mich an, als hätte er das gespürt. "Deine Mate ist wenigstens eine Werwölfin und kein Mensch", versuchte er, mich zu besänftigen.

Gerade als ich wütend etwas erwidern wollte, schüttelte er den Kopf. "Wir reden später darüber. Die anderen warten sicher schon."

Also stapfte ich ihm hinterher und setzte mich neben ihn in den Konferenzraum. Ich war so schlecht gelaunt und musste die ganze Zeit an ihre beschissenen Oberschenkel denken, sodass ich kaum zuhörte. Ich verstand nur, dass wir in einer Stunde zum anderen Rudel fahren würden.

Irgendwann war die Besprechung zu Ende. Ich musste mich im Wald abreagieren, bevor wir losfahren würden.

"Cal!", rief dann plötzlich jemand hinter mir. Ich drehte mich um und entdeckte Anna. Ich hatte nicht bemerkt, dass sie auch im Konferenzraum gesessen hatte.

"Hey", meinte ich, obwohl ich überhaupt nicht in Stimmung für ein Gespräch war.

"Wir leben im selben Dorf und trotzdem bekomm ich dich kaum zu Gesicht. Gut, dass dein Vater mir befohlen hat, mich ein bisschen mit dir zu unterhalten." Sie grinste mich an und lief dann die Treppen der Veranda herunter.

"Ernsthaft?", fragte ich konfus.

"Komm schon!", rief sie und rannte in den Wald hinein.

Schmunzelnd seufzte ich, dann folgte ich ihr. Schon bald entdeckte ich, wie sie schlendernd Steine hoch in die Baumkronen warf und dann mühelos wieder auffing. "Hast also deine Mate gefunden, du verschissener Glückspilz", feixte sie dann.

"Das hat eher was mit Pech als Glück zutun", murmelte ich.

"Wie kannst du sowas nur vor mir sagen?", meinte sie dann ein wenig empört. "Du weißt, wie sehr ich dich beneide."

Und ob. Anna war drei Jahre älter als ich und hatte mich oft als ihren kleinen Bruder missbraucht. Mich stundenlang damit vollgebrabbelt, wie gerne sie ihren Seelenverwandten oder ihre Seelenverwandte kennenlernen würde.

"Dafür würdest du mich nicht beneiden. Sie hätte mich am liebsten weit, weit weg von hier", erklärte ich. "Sie ist mit einem anderen zusammen. Wahrscheinlich gerade im Wald, irgendwas mit Oberschenkeln am machen."

Verwirrt starrte Anna mich an. "Erstens, was redest du für ein Zeug? Zweitens, was ist denn los mit dir? So bitter hab ich dich ja noch nie erlebt."

Seufzend setzte ich mich auf einen Baumstamm. "Keine Ahnung."

Ich spürte, wie Anna mich ansah. Dann setzte sie sich langsam neben mich. "Wie fühlt es sich an?", fragte sie schließlich neugierig.

"Schwer zu beschreiben", gab ich zu. "Zuerst hat es sich wundervoll angefühlt. Als ich sie zum ersten Mal richtig gerochen habe, das war wie der reinste Adrenalinschub. Manchmal fühle ich mich wie ein richtiger Drogenjunkie. Sie ist bildhübsch. Ich möchte mit ihr reden und sie berühren und sie zum Lachen bringen und Dinge tun, über die ich lieber nicht laut sprechen sollte."

Ich pausierte, um mir die Haare zu raufen. "Sie ist so interessant und ich habe das Gefühl, dass wir uns so gut verstehen könnten. Aber sie ist auch so dickköpfig und nervt mich einfach nur tierisch. Ständig klebt sein Gestank an ihr und das treibt mich so in den Wahnsinn, dass ich ihm gerne die Nase brechen würde, aber ich kann nicht, weil sie mich dann hassen würde."

"Hmm", machte Anna. "Ihr seid nicht umsonst seelenverwandt. Versuch doch einfach mal, sie zu küssen."

"Sehr schlau, Anna. Dann würde sie mich nicht nur hassen, sondern mir auch noch den Hals umdrehen."

"Ich glaube, du würdest eher ihre ganze Welt auf den Kopf stellen", widersprach sie augenzwinkernd. Dann grinste sie breit. "Außerdem könntest du die Lösung sein, um die aufständischen Wildrudel zu besänftigen. Dein Matebündnis nutzen, um ganz ganz viele Junge für unser Rudel zu zeugen."

Bevor mein Schlag sie am Arm treffen konnte, sprang sie auf. "Also, dir zuliebe werde ich mitfahren. Dich küssen oder so würde ich niemals, aber vielleicht wird sie ja trotzdem ein bisschen eifersüchtig."

Grübelnd starrte ich sie an. Eigentlich wollte ich Ophelia nicht einmal eifersüchtig machen. Das fühlte sich für mich schon schlimm genug an. Ihr wollte ihr das nicht antun.

"Keine Widerrede. Und jetzt spring unter die Dusche, wuschel noch ein bisschen durch deine Haare, setz ein Lächeln auf und du wirst unwiderstehlich!", grinste sie. Bevor ich antworten konnte, hüpfte sie schon lebhaft davon.

Mit ein bisschen weniger Gewicht auf den Schultern sah ich ihr hinterher. Es hatte tatsächlich gut getan, mal mit jemandem darüber zu reden.


"Beruhig deinen Herzschlag, du bist ja peinlich", flüsterte Anna mir zu, als wir aus dem Auto stiegen und den anderen in das Dorf folgten.

Ich versuchte, mich auf die Häuser zu konzentrieren. Hier lebten also nur Lykanthrophen. Dafür war es auch ein relativ kleines Dorf. Ich atmete ein und vernahm nicht nur die frische Waldluft, sondern auch ganz schwach den von Ophelia.

Wir folgten den anderen in das Haus des Alphas. Der Geruch von Ophelia war hier stärker. Es gab nicht genug Plätze am Tisch für uns alle, also blieb mein Vater allein mit dem Alpha und der Beta des anderen Rudels zusammen.

Anna zog mich aus dem Gebäude. "Komm, wir suchen ihr Haus."

"Spinnst du?", zischte ich und hielt sie zurück. "Ich bin doch kein Stalker."

"Nein, nur ein Spaziergänger, der sich die Zeit vertreibt", säuselte sie scheinheilig unschuldig.

Sie entriss sich meinem Griff und lief lachend voraus. Gut, würde ich sie laufen lassen. Sie wusste ja sowieso nicht, wohin sie lief. Amüsiert folgte ich ihr und betrachtete, wie sie in Zickzackbewegungen durch das Dorf lief. Mal blieb sie stehen, mal änderte sie schlagartig die Richtung.

Nach kurzer Weile führte sie uns genau dorthin, wo der Geruch immer stärker wurde. Mit hoch erhobenem Kinn und triumphierendem Gesichtsausdruck sah sie mich an, hob provozierend eine Augenbraue.

Mist. Ich war nicht ihr gefolgt, sondern sie mir. Sie war meinem schneller und langsamer werdendem Herzschlag gefolgt.

Jetzt war es geschehen und wir standen wohl genau vor Ophelias Haus. Ich war erleichtert, dass ich keinen Geruch von Zachary wahrnehmen konnte, sondern nur ihren. Das obere Fenster war geöffnet. Gerade als ich mich fragte, ob es ihres war, erschien sie dort.

Ihre nassen Haare lagen auf einem Handtuch über ihren Schultern. Sie hielt sich heftig die Nase zu und krallte sich mit der anderen Hand am Fensterrahmen fest. "Was zum Fick macht ihr hier?", rief sie wütend. Ihre Stimme klang mit der zugehaltenen Nase so niedlich, dass mir die Worte fehlten.

Als keiner von uns antwortete, donnerte sie das Fenster zu. Wir hörten laute Schritte im Haus, dann war nichts mehr zu hören.

"Wahrscheinlich ist sie durch die Hintertür in den Wald gerannt", vermutete ich. "Toll gemacht, Anna. Jetzt steh ich wie der reinste Idiot da."

"Sie ist wirklich heiß", bemerkte Anna nur nachdenklich.

"Hey!", meinte ich wütend und gab ihr einen Schubs. "Hör sofort auf damit!"

"Womit?"

"Du weißt womit!"

"Was! Ich kann doch nichts dafür, dass ich bisexuell bin!", fauchte sie und schubste mich zurück.

"Du kannst aber was dafür, wenn du meine Mate heiß findest!", knurrte ich sie an. "Ich dachte, du wärst als Unterstützung und nicht als Konkurrenz hier!"

"Bin ich doch auch! Man darf doch mal wohl seine Gedanken aussprechen, du besitzergreifender Hund!"

"Hund?", fragte ich irritiert und zornig zugleich. "An deiner Stelle wäre ich jetzt ganz vorsichtig. Ich bin so wütend, dass ich dir gleich den Kopf abreiße."

"Ach ja?", fauchte sie zurück. "Das würd ich gern sehen."

Wütend trat ich auf sie zu, bis ich ganz dicht vor ihr stand und sie um einiges überragte. Sie war zwar mit mir befreundet, aber trotzdem war ich Beta des Rudels. Daran schien sie sich auch gerade zu erinnern, weil sie ein wenig zurückwich.

"Okay, das reicht jetzt", mischte sich plötzlich eine niedliche Stimme hinter uns ein.

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Danke für eure Votes und Kommentare, die gerade wirklich außerordentlich unterstützend wirken <3

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