3 - to
- Ophelia -
Unsere Blicke trafen sich sofort. Mir schoss das Blut durch all meine Adern, meine Atmung wurde zittrig. Mein Herzschlag war so laut, dass ihn jeder Anwesende im Raum hören konnte.
Grüne Augen fixierten die meinen. Der junge Mann von etwa zwanzig Jahren umgriff mit einer Hand den Türrahmen, wie um sich zurück zu halten. Er starrte mich an und für einen Moment befand ich mich wie in einem anderen Universum.
"Ich habe ihn angegriffen", gestand er, doch ich nahm seine Worte kaum wahr. Seine dunkle Stimme verursachte Gänsehaut auf meinen nackten Armen. Er war der gutaussehendste Mann, den ich je in meinem Leben gesehen hatte. Die braunen, halblangen Haare waren so verwuschelt, als wäre er um sein Leben gerannt. Seine grünen Augen funkelten mir entgegen. Sein muskulöser Arm spannte sich noch weiter an und drohte das grüne Holzfällerhemd zu zerreißen, das bis zu den Ellbogen hochgerollt war. Die große Hand krallte sich um das Holz des Türrahmens, sodass das Weiß seiner Knöchel hervortrat und ich das Holz knacksen hörte. Seine ebenfalls zittrige Atmung verriet mir, wie aufgewühlt er sich fühlte. Sein Blick wich keine Sekunde von meinem.
"Ich habe nur die Gegend erkundet. Ich hatte noch genug Zeit bis zur Verwandlung und wollte mich an der neuen Schule umsehen. Dann habe ich sie gerochen", erklärte er schwer atmend. "Der Druck war zu stark, ich musste mich verwandeln. Ich bin dem Geruch immer weiter gefolgt. Dann habe ich ihn entdeckt."
Ich wollte meinen Blick von diesem Mann abwenden und Zacharys Reaktion sehen, doch ich konnte nicht. Und auch die grünen Augen fixierten mich weiterhin ohne Unterbrechung.
"Ich habe nicht sie getroffen, sondern ihn. Ihr Geruch klebte an ihm", spuckte er nun wütend hervor und krallte sich noch weiter fest.
Alarmiert trat Davis einen Schritt nach vorne und hob beruhigend die Hände. "Wessen Geruch?", fragte er.
"Ihren." Mit einer Kopfbewegung deutete er auf mich. "Den meiner Mate."
Mate?
Da war es, als würde ich endlich aus meiner Erstarrung aufwachen. Ich stand auf und taumelte zurück, brachte noch mehr Abstand zwischen mich und den fremden Mann. Mit flachem Atem schloss ich die Augen und schüttelte den Kopf, immer und immer wieder. Das durfte nicht sein. Das konnte nicht sein.
"Phee", sagte Zac plötzlich. Ich öffnete die Augen und sah, wie er ebenso aufstand. Verwirrt blickte er mich an. Der Ausdruck in seinen Augen gab mir eine so heftige Ohrfeige, dass ich nur noch heulen wollte. Er kam mir näher, doch ich wich zurück.
Augenblicklich vernahm ich ein Knurren, welches einen kalten Schauder über meinen Rücken sendete. "Fass sie nicht an", drohte der junge Mann dann mit seiner tiefen Stimme vom anderen Ende des Raumes. Ich erkannte, wie der Alpha ihn nun festhielt.
Ich musste hier raus. Alles in mir drin drohte, zu platzen. Die Wände kamen immer näher. Die Luft wurde stickig und ich konnte kaum noch atmen. Und der Ausgang wurde von dem Mann versperrt, von dem ich mich fernhalten musste.
Die Sicherungen meines Gehirns schienen durchzubrennen, als ich ohne weitere Worte das Fenster hinter mir aufriss und nach draußen sprang.
"Ophelia!", schrie meine Mutter mir hinterher, doch ich drehte mich nicht um. Ich rannte einfach weiter, an den Dorfbewohnern vorbei, welche mir verwirrt hinterherstarrten und sprintete dann in den Wald hinein.
Ich kannte mich nicht aus, aber ich lief immer weiter und weiter. Meine Gedanken rasten. Ich rannte so schnell, dass ich keine Kraft mehr zum Denken hatte. Achtete nur noch auf den Waldboden und die Baumstämme, auf Hindernisse und den Wind, welcher mir die Haare aus dem Gesicht wehte.
In mir drohte sich der Drang an, mich zu einem Wolf zu verwandeln. Aber ich fürchtete, dass ich dann umkehren und den fremden Mann suchen würde.
Also unterdrückte ich das alles und lief weiter, bis mir die Kraft ausging. Langsam ging ich noch ein paar Schritte, dann sank ich zu Boden und starrte auf die Erde. Ich drückte meine Hände hinein und erhoffte mir ein wenig mehr Kraft. Doch ich fühlte nichts als Entsetzen und Schock und Angst.
Ich dachte daran, wie Zac und ich vor drei Jahren zusammen gekommen waren. An unseren ersten Kuss und ersten gemeinsamen Erfahrungen. An all die schönen Momente und meine unendliche Liebe zu ihm. Wir hatten beide nicht geglaubt, dass einer von uns irgendwann unseren Seelenverwandten treffen würden.
Durch unsere Integration in die Menschheit kam das immer seltener vor. Außerdem blieben wir immer am selben Ort und fast nie waren andere Rudel vorbeigezogen. Die Wahrscheinlichkeit war einfach so gering gewesen, dass wir nie darüber nachgedacht hatten.
Ich hatte die Sache der Seelenverwandtschaft immer abschätzig betrachtet und tat es immer noch. Wahre Liebe entsteht mit der Zeit und mit gemeinsamen Momenten und Erfahrungen.
Es gibt keine Liebe auf den ersten Blick. Keine mysteriöse Verbundenheit. Beziehungen zwischen einander musste man sich erarbeiten. Diese gemeinsame Verbindung war viel, viel mehr Wert als diese körperliche, seltsame Anziehung, die Seelenverwandte füreinander hatten.
Meine Brust schmerzte, als ich an Zacharys Gesichtsausdruck dachte. Ich liebte ihn, von ganzem Herzen. Niemals würde ich zulassen, ihn zu verlieren.
Ich konnte selbst entscheiden, wen ich liebte. Niemand schrieb mir das vor, erst recht nicht eine seltsame Bestimmung, die von unserem Wolfsdasein stammte. Also entschloss ich mich, diese oberflächliche Anziehung zu bekämpfen. Wegen meiner Liebe zu Zachary und zu mir selbst.
Mein Entschluss gab mir neue Kraft. Ermutigt stand ich auf und stapfte den ganzen Weg wieder zurück. Mit jedem schweren Schritt gewann ich neue Energie für mein Vorhaben.
Bald hatte ich das Dorf wieder erreicht. Ich ging auf das Haus des Alphas zu und konzentrierte mich ganz stark auf den Geruch der fremden Lykanthropen. Ich sah Davis und den fremden Mann auf der Veranda des Hauses stehen. Spürte seinen Blick auf mir. Entschlossen zwang ich meine Augen auf meine Mutter, welche wartend vor dem Haus stand.
"Gehen wir", sagte sie nur. Ich nickte und folgte ihr, schleppte meinen zitternden Körper mühsam vorwärts, ohne mich ein einziges Mal umzublicken.
Wir gingen den Weg zu unserem Auto zurück und ich setzte mich auf einen der Rücksitze. Meine Mutter fuhr los.
"Sie müssen wieder verschwinden", sagte ich dann, als wir das Dorf verlassen hatten.
"Das habe ich auch vorgeschlagen, mein Schatz. Aber Alpha Davis und der Rest seines Rudels möchte nicht", erklärte sie.
"Dann soll er verschwinden", fauchte ich wütend und hämmerte meine Faust auf den Sitz neben mir.
"Er ist Beta des Rudels. Und Davis' Sohn. Calyx."
Schockiert starrte ich auf den Hinterkopf meiner Mutter.
Calyx. Mein Herz klopfte schneller.
"Wie geht es Zac?", fragte ich vorsichtig.
"Nicht so gut. Hör zu, die Situation eben war für alle ein wenig überfordernd. Calyx wäre fast nochmal auf ihn losgegangen. Aber schließlich waren wir uns alle einig, dass diese Sache nicht den Frieden zwischen unseren beiden Rudeln kosten darf." Eindringlich sah sie mich über den Rückspiegel an.
Verächtlich schnaufte ich. "Frieden? Zac wurde doch schon bereits von ihm angegriffen! Erwartet diesen Calyx eigentlich überhaupt eine Strafe?", wollte ich aufbrausend wissen.
"Nein, Ophelia. Hab ein wenig Verständnis."
"Verständnis? Sowas können wir ihm nicht durchgehen lassen. Das alles ist keine Rechtfertigung dafür, jemanden anzugreifen", argumentierte ich und zerrte an dem Sicherheitsgurt, welcher mich plötzlich unglaublich einzuengen schien.
"Natürlich nicht. Bitte beruhige dich ein wenig, deine Augen leuchten ja schon. Wir werden uns in Ruhe eine Lösung überlegen." Sie sprach mit einem Ton, der mir mitteilte, dass die Diskussion vorerst beendet war.
Frustriert fuhr ich das Fenster herunter und atmete die frische Luft ein. Ich hatte Angst davor, Zac zu begegnen. Andererseits musste ich ihn so schnell wie möglich treffen. Ich würde alles dafür geben, dass wir zusammen bleiben konnten.
Als wir zu Hause ankamen, stürmte ich aus dem Auto und wollte schon losrennen.
"Warte!", rief meine Mutter. "Lass ihm noch ein kleines bisschen Zeit", schlug sie vor. "Und dir besser auch."
Unsicher wägte ich ab, was ich tun sollte. Doch dann ging ich ins Haus zurück und versteckte mich erst einmal in meinem Zimmer. Die ganze Zeit überlegte ich, was ich sagen könnte. Plante, wie unser Gespräch ablaufen könnte. Wie ich Zac beruhigen und überzeugen könnte. Schließlich ging ich kalt duschen, zog mich an und lief hinüber zum Wald.
Ich legte mich auf den Boden und starrte durch die Baumkronen in den Himmel. Analysierte meinen Körper. Es war selten, dass der Wald keine beruhigende Wirkung auf mich hatte. Ich fühlte mich einerseits elend, andererseits ganz belebt. Ungewollt fragte ich mich, was Calyx gerade machte, aber noch mehr sorgte ich mich um Zachary.
"Phee?", hörte ich diesen plötzlich fragen und fuhr aufgeschreckt herum. Ich hatte ihn gar nicht bemerkt. Schnell rappelte ich mich auf, behielt aber noch Abstand zu ihm.
Seine sonst warmen, freundlichen braunen Augen wirkten verunsichert. Die Augenbrauen waren zusammengezogen, die Stirn in Falten gelegt.
"Ich liebe dich", rutschte es dümmlich aus mir heraus. Aber es war die Wahrheit. Dann herrschte einige Sekunden lang Stille zwischen uns.
Traurig blickte er mich an. "Wie fühlt es sich an?"
Ich wusste genau, was er meinte. "Nicht mehr so stark, wenn ich hier bin. Weit weg bin. Es war nur... Ich war so überrascht. Und schockiert. Es ist nur wie eine körperliche Anziehung. Wie wenn man jemanden attraktiv findet, schätze ich." Sehr, sehr attraktiv.
"Zac, bitte hör mir zu. Ich will dich nicht verlieren. Uns nicht verlieren. Ich liebe dich wirklich. Wir schaffen das irgendwie", bettelte ich schon fast.
"Würdest du mit mir wegziehen?", fragte er plötzlich.
Überrascht betrachtete ich seinen ernsten Gesichtsausdruck. Dann dachte ich sorgfältig über seinen Vorschlag nach und malte mir aus, wie das ablaufen könnte.
"Später, auf jeden Fall. Doch erst einmal sind unsere Familien hier. Unser ganzes Leben. Unsere Schule. Dein mögliches Stipendium. Die Grundlagen unseres späteren Lebens", gab ich zu Bedenken. "Außerdem sind wir hier sicher. Als Wölfe."
"Ich hasse es", unterbrach er mich plötzlich. "Warum können wir nicht einfach normale Menschen sein? Phee, du weißt nicht, wie sehr ich es hasse."
Nein, das tat ich nicht. Ich hatte es als einen Teil meines Selbst akzeptiert. Das Einzige, was ich nicht akzeptieren konnte, war etwas, was meine engste Beziehung auseinanderzureißen drohte.
"Ich habe einfach nie damit gerechnet. Das war so naiv von uns. Wir hätten bis zu deinem achtzehnten Geburtstag warten sollen. Mindestens", meinte Zac dann und fuhr sich mit den Händen über das Gesicht.
"Aber was würde es uns Lykanthropen bringen, niemals eine Beziehung einzugehen, nur weil irgendwann mal ein Seelenverwandter oder eine Seelenverwandte auftauchen könnte? Niemals wirklich wahrhaftig zu lieben, nur deswegen? Wir müssen uns irgendwie wehren gegen diese Bestimmung der Natur", wandte ich verzweifelt ein.
Zweifelnd blickte Zac mich an. "Ich muss das erstmal sacken lassen, Phee. Das ist nicht so einfach."
Wütend biss ich mir auf die Unterlippe. Dachte er, für mich wäre es leichter als für ihn? Warum kämpfte er nicht ein bisschen mehr für uns?
"Wir sprechen morgen nochmal."
Und mit diesen Worten drehte er sich um und verschwand einfach wieder im Dorf.
Ungläubig sah ich ihm hinterher und ließ mich wieder frustriert auf den Boden sinken. Dann würde ich mir eben überlegen, wie ich alleine unsere Beziehung retten konnte.
Und mehr noch, wie ich mich selbst retten konnte. Um nicht von dieser auf bloßen Instinkten beruhenden Sehnsucht verfallen zu sein. Um frei und selbstständig entscheiden zu können, wen ich liebte.
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