Soul Eater - ändere dein Schicksal
Der Hunger war das, was uns alle leiden ließ. Die Kinder weinten auf den Straßen und bettelten nach Korn und die Mütter zogen von Tür zu Tür, um nach ein Stückchen Brot zu fragen. Es tat niemandem gut, nein, nicht einmal ansatzweise. Es lag an der Dürre. Natürlich, was auch sonst. Das Weizen wollte nicht wachsen und die Erde war trocken und tot. Das Wasser aus den Brunnen war viel zu kostbar, als dass wir es literweise tagtäglich für unser Land verschwenden würden. Sonst wäre der Durst das, was uns als nächstes einholen würde. Wie ein Schlag ins Gesicht.
"Oh, E'las, so erhöre uns. Wir erleiden Qualen, mein Herr. Wir hungern, die Kinder haben nicht mehr die Kraft, draußen auf den Straßen zu spielen. Unsere Männer verhungern auf dem Land und die Frauen ersticken leise in ihren Häusern. Bitte, oh Herr, rette uns. Lass Dich deine Opfergabe zufriedenstellen, wir versprechen, dieses Jahr wird sie gut. Nimm ihre Seelen, nimm sie und lass unser Land wieder erblühen. E'las, Herr, wir bitten um Deine Güte."
Ich nickte leicht, die Hände waren zusammengefaltet. Mutter vor mir erhob sich, sie strich sich den Dreck vom Kleid und half mir auf die Beine. Ich konnte sie kaum spüren, aber ich fühlte mich gut. Das Gebet war lang, Gott hatte uns sicher erhört.
E'las war unser Herr. Eine Macht, wie es kein anderer war. E'las war der Gott des Lichtes. Der Gott des Erblühens, der Freude, der Güte. Er war unser Gott. Ein Herr, so intelligent und liebevoll wie es kein anderer war. So stand es in unserem Buch, der Verka. Unserer Bibel, unserer heiligen Schrift. Die Worte E'las' waren dort niedergeschrieben. Wie er der Welt ihre Farben geschenkt hatte und die Sonne fest in den Arm nahm, damit sie wie ein Herzschlag gut und stark für uns schien.
E'las war wir, wir waren E'las. Aber zurzeit lief es nicht gut und deshalb mussten wir beten, damit unser Gott auf uns herab schaute und unseren Worten lauschte.
Mutter verabschiedete sich von mir, sie verließ das Haus und kehrte den gesamten Tag nicht mehr zurück. Ich hingegen blieb Zuhause, saß auf dem Boden, die Finger ineinander verschränkt. Vor mir lag die Verka, aufgeschlagen und regungslos. Meine Augen hafteten auf einer Seite, eine gewisse Ferse, die nicht meinen Kopf verlassen wollte: "𝘋𝘦𝘳 𝘏𝘦𝘳𝘳 𝘩𝘢𝘵 𝘌𝘳𝘣𝘢𝘳𝘮𝘦𝘯. 𝘚𝘦𝘪𝘯𝘦 𝘍𝘰𝘭𝘨𝘦𝘳 𝘴𝘵𝘦𝘩𝘦𝘯 𝘶𝘯𝘵𝘦𝘳 𝘴𝘦𝘪𝘯𝘦𝘮 𝘚𝘤𝘩𝘶𝘵𝘻, 𝘥𝘪𝘦 𝘏ä𝘯𝘥𝘦 ü𝘣𝘦𝘳 𝘪𝘩𝘯𝘦𝘯 𝘴𝘤𝘩ü𝘵𝘻𝘵 𝘴𝘪𝘦 𝘷𝘰𝘳 𝘥𝘦𝘮 𝘙𝘦𝘨𝘦𝘯 𝘶𝘯𝘥 𝘥𝘦𝘮 𝘏𝘢𝘴𝘴 𝘥𝘦𝘳 𝘚ü𝘯𝘥𝘦𝘳. 𝘋𝘦𝘪𝘯 𝘡𝘪𝘦𝘭 𝘴𝘰𝘭𝘭𝘦 𝘦𝘴 𝘯𝘪𝘤𝘩𝘵 𝘴𝘦𝘪𝘯 𝘪𝘯 𝘥𝘦𝘯 𝘏𝘪𝘮𝘮𝘦𝘭 𝘻𝘶 𝘬𝘰𝘮𝘮𝘦𝘯, 𝘴𝘰𝘯𝘥𝘦𝘳𝘯 𝘻𝘶 𝘌'𝘭𝘢𝘴 𝘩𝘪𝘯𝘢𝘶𝘧 𝘻𝘶 𝘴𝘤𝘩𝘢𝘶𝘦𝘯 𝘶𝘯𝘥 𝘴𝘦𝘪𝘯𝘦𝘯 𝘸𝘢𝘳𝘮𝘦𝘯 𝘉𝘭𝘪𝘤𝘬 𝘢𝘶𝘧 𝘴𝘪𝘤𝘩 𝘻𝘶 𝘴𝘱ü𝘳𝘦𝘯. 𝘚𝘰𝘯𝘯𝘦𝘯𝘴𝘵𝘳𝘢𝘩𝘭𝘦𝘯 𝘪𝘮 𝘸𝘢𝘳𝘮𝘦𝘯 𝘞𝘪𝘯𝘥, 𝘴𝘰 𝘧ü𝘩𝘭𝘵 𝘴𝘪𝘤𝘩 𝘴𝘦𝘪𝘯 𝘓𝘢𝘤𝘩𝘦𝘯 𝘢𝘯. 𝘋𝘰𝘤𝘩, 𝘨𝘪𝘣 𝘢𝘤𝘩𝘵, 𝘌'𝘭𝘢𝘴 𝘏𝘦𝘳𝘻 𝘸𝘶𝘳𝘥𝘦 𝘷𝘰𝘯 𝘦𝘪𝘯𝘦𝘮 𝘚ü𝘯𝘥𝘦𝘳 𝘻𝘦𝘳𝘴𝘤𝘩𝘮𝘦𝘵𝘵𝘦𝘳𝘵. 𝘚𝘦𝘦𝘭𝘦𝘯 𝘩𝘢𝘣𝘦𝘯 𝘴𝘪𝘦 𝘢𝘶𝘧𝘨𝘦𝘧𝘢𝘯𝘨𝘦𝘯 𝘶𝘯𝘥 𝘵𝘳𝘢𝘨𝘦𝘯 𝘴𝘪𝘦 𝘮𝘪𝘵 𝘴𝘪𝘤𝘩. 𝘍𝘳𝘦𝘮𝘥𝘦 𝘚𝘦𝘦𝘭𝘦𝘯. 𝘚𝘪𝘦 𝘸𝘦𝘳𝘥𝘦𝘯 𝘪𝘮𝘮𝘦𝘳 𝘪𝘩𝘳𝘦𝘯 𝘞𝘦𝘨 𝘻𝘶𝘮 𝘏𝘦𝘳𝘳𝘦𝘯 𝘻𝘶𝘳ü𝘤𝘬𝘧𝘪𝘯𝘥𝘦𝘯. 𝘌𝘳 𝘸𝘪𝘳𝘥 𝘴𝘪𝘤𝘩 𝘯𝘦𝘩𝘮𝘦𝘯, 𝘸𝘢𝘴 𝘪𝘩𝘮 𝘨𝘦𝘯𝘰𝘮𝘮𝘦𝘯 𝘸𝘶𝘳𝘥𝘦. (...)"
Eine Warnung. Hatte man sie übersehen? Die Verka sprach von den Herzsplittern Gottes, was hatte es damit auf sich? Ich wurde einfach nicht schlau draus. Niedergeschlagen stieß ich einen Seufzer aus, schlug das dicke Buch zu und legte meine Hand an den ledrigen Einband. Ich flüsterte ein kleines Gebet, die Worte verließen sauber meine Lippen: "𝘚𝘶𝘯𝘢𝘥𝘢𝘭 𝘴𝘦 𝘫𝘦𝘯 𝘌'𝘭𝘢𝘴, 𝘚𝘶𝘯𝘢𝘥𝘢𝘭 𝘴𝘦 𝘥𝘢 𝘩𝘦𝘳𝘢. 𝘉𝘦 𝘯𝘢 𝘴𝘶, 𝘣𝘦 𝘯𝘢 𝘭𝘶𝘵𝘢𝘮𝘦." Verehre E'las, verehre den Gott. Er ist der Schlüssel, er ist die Reinheit.
Das war die Sprache der E'lasiten, unseres alten Volkes. Doch irgendwann ist diese Sprache in Vergessenheit geraten und es blieben uns nur noch einige Sätze, die wir durch die alten Schriften übersetzen konnten.
"Jungkook, mein Junge, steh doch auf. Du sitzt schon so lange hier." Vater half mir auf die Beine, er strich über meinen Kopf und blickte hinab auf die Verka. Seine Finger berührten die Stirn, er wiederholte mein stilles Gebet.
"Morgen ist die Opfergabe, vergiss das nicht. Du bist volljährig, nun bist du bereit, ebenfalls die Chance zu bekommen, ausgelost zu werden."
𝘚𝘦'𝘭𝘢 𝘯𝘦 𝘥𝘪, 𝘴𝘦'𝘭𝘢 𝘩𝘰𝘳 𝘌'𝘭𝘢𝘴. Deine Seele gehört nicht dir, sie gehört E'las. Wird er sie mir rauben, wenn es an der Zeit ist, dass ich ihm geopfert werde?
"Junge Seelen mag er nicht."
Es wird durch Zufall ausgelost, wer geopfert wird. Und es stehen über zehntausend Menschen zur Verfügung, da war es so ziemlich unwahrscheinlich, dass es mich treffen würde. Junge Seelen waren unreif und ungezügelt. Es waren doch die alten, an die E'las Interesse zeigte. Die, mit einer Geschichte. Mit einer Vergangenheit, die sie geformt und wachsen gelassen hatte. Meine Seele war jung und unerfahren. Ich hatte nicht einmal ansatzweise das erlebt, was meine Vorgänger getan haben. Aber vielleicht, eines Tages, würde mich das (un)Glück treffen und ich konnte zu 𝘏𝘦𝘳𝘢 kommen. Hinauf zum 𝘚𝘦𝘳𝘯𝘢, dem Himmel der Götter.
Der nächste Morgen traf schnell an und das Dorf lag in unbändiger Hetze. Die Frauen hingen die Lichter draußen auf, an die Bäume und Dächer der Häuser und die Männer öffneten den versperrten Eingang der Höhle. Der 𝘉𝘳𝘢𝘯𝘥𝘢, die Opferhöhle. Dort wird die ausgewählte Person hineingebracht und eingesperrt, damit E'las sie zu sich holen konnte. Laut der Verka war die 𝘉𝘳𝘢𝘯𝘥𝘢 das Tor zur Götterwelt. Niemand hat sich jemals getraut, dort hineinzugehen. Die Dunkelheit verschluckte das Licht der Sonne und der Flammen, wenn man versuchte, hinein zu leuchten.
Mutter zog sich ihr langes Schichtenkleid an, es war dick und schwer und glänzte im Sonnenlicht engelsgleich. So stechend weiß, dass es schon von der Ferne erkennbar war. "Komm, Jungkook. Komm." Vater packte mich harsch am Oberarm und zog mich auf die Straßen. Wir liefen über die heißen Steine und sie stachen wie kleine Nadeln in meine nackten Füße, denn die Schuhe, die ich hatte, trug meine Mutter. Wir wechselten uns immer ab, es war das einzige Paar, was wir hatten. Derjenige, der an dem Tag die meiste Arbeit verrichten musste, durfte die Schuhe tragen. Und diesmal war es Mutter, denn an diesem Tag standen die Frauen im Vordergrund.
Sie schmückten alles, hielten die Straßen sauber und sangen und tanzten während des Loses. Genauso wie jetzt. Alle Einwohner befanden sich im Mittelpunkt des Dorfes, auf dem Großen Platz, der 𝘚𝘢𝘯. Mittelpunkt.
Ich war aufgeregt. Wir versammelten uns im Kreis, ließen die Mitte frei und knieten uns nieder. Der Boden war hart unter meinen Knien, aber der Schmerz war noch schwer erträglich. Der Gedanke an E'las' Erbarmen und einer guten, folgenden Ernte, machte das Leiden zu einer gutwilligen Pflicht.
"Wir haben uns hier beim 𝘚𝘢𝘯 versammelt um die diesjährige Opfergabe zu zelebrieren. Der Wind wird uns zeigen, wer der Auserwählte sein wird. Aber bevor dies geschieht: lasst uns beten, Brüder und Schwestern. Lasst uns zu 𝘏𝘦𝘳𝘢 beten, dass sich sein Zorn durch unsere Opfergabe ermüden wird und er zur Ruhe kommt. Dass er das zurückbekomme, was ihm einst genommen wurde."
E'las war ein Seelenfresser. Ja, er war unser 𝘏𝘦𝘳𝘢, aber langsam bekam ich das Gefühl, dass E'las kein gutmütiger Seelenfresser war. Ein 𝘋𝘢𝘳𝘯𝘥𝘢, ein Unheiliger. Ich zuckte zusammen, presste meine Stirn auf den Boden und schloss die Augen. Ich konnte die Macht von E'las in der Luft spüren. Tief, tief in mir, da spürte ich seine bebenden Schritte und die laute Atmung, die von ihm kam. Nein, ich durfte nicht so von ihm denken. Er gab uns eine gute Ernte, er ließ die Sonne für uns scheinen. Ich wollte nicht zum Teufel kommen, wenn ich einst verstarb. Das wäre eine schwere Schande für mich. Meine unheiligen, bösen Gedanken, die sich gegen E'las richteten, mussten vernichtet werden.
Unser ältester Bürger stand in der Mitte des riesigen Kreises, die Beine dürr und das Gesicht eingefallen, während er die Verka in seinen Händen hielt und mit lauter Stimme daraus las. Er machte immer wieder Pausen, damit wir die Zeilen nachsprachen.
Wir sprachen direkt zu E'las. Diese Seite in der Verka war dafür da, damit 𝘏𝘦𝘳𝘢 auf uns aufmerksam wurde. Als Erinnerung, dass es wieder soweit war. Anders konnten wir nicht auf direktem Wege mit ihm kommunizieren. Denn mit der Zeit wurde sein Groll so ungezügelt, dass er unsere einfachen Gebete nicht mehr erhören konnte. 𝙃𝙚𝙧𝙯𝙨𝙥𝙡𝙞𝙩𝙩𝙚𝙧.
Das Gebet war beendet. Wir erhoben uns vom Boden, nahmen uns an die Hände und sahen in den Himmel. 𝘌𝘪𝘯𝘴, 𝘻𝘸𝘦𝘪, 𝘥𝘳𝘦𝘪, 𝘷𝘪𝘦𝘳, unsere Augen schlossen sich. 𝘍ü𝘯𝘧, 𝘴𝘦𝘤𝘩𝘴, 𝘴𝘪𝘦𝘣𝘦𝘯, 𝘢𝘤𝘩𝘵, 𝘯𝘦𝘶𝘯, wir fingen an in Stille zu warten. Leise, unsere Atmungen waren synchron. Der Wind wehte mir durch die Haare und Kleidung, ich erzitterte wegen der Frische und hatte es schwer, meine Augen geschlossen zu halten. Die Luftstöße tanzten an uns vorbei, ich hörte den Sand am Boden knistern und die Blätter knacken.
Der Wind würde einen von uns auswählen. Denn die Luft war eine reine Zufallssache, gegen was es stößt und mit seiner Kälte umschließt. Wir vertrauten dem Zufall, dass es die richtige Person für dieses Jahr auswählen würde. Vorsichtig öffnete ich ein Auge und linste in die Mitte des großen Kreises, wo der alte Mann noch immer stand. In seinen Händen hielt er weiße Rosenblätter, er ließ sie vorsichtig los und überließ sie im Wind. Die Luftzüge nahmen sie mit und ließen sie umher tanzen.
Schnell presste ich meine Augen zusammen, spannte mich an und spürte plötzlich ein leichtes Kitzeln an Wange und Hals. Die Leute um mich herum atmeten schnappend ein, Vater und Mutter ließen meine Hände los. Verwundert öffnete ich wieder meine Augen und sah mich um, alle Blicke lagen starr auf mir. Ich verstand nicht, zog erschrocken meine Schultern zusammen, als plötzlich zwei weiße Blütenblätter an meinem Gesicht vorbei flogen und mich mit sanften Windstößen umkreisten. Ich erstarrte vollkommen, meine Muskeln verhärteten sich.
Mutters Mund war vor Schock geweitet, Vater machte einen erneuten Schritt zurück und konnte scheinbar kein Wort sagen. Das Dorf lag in todesstille. Erneut kroch der Wind unter meine Kleidung und ich spürte das Kitzeln an meiner Haut. Der alte Mann in der Mitte des Kreises begann zu grinsen und auf einmal begann das gesamte Dorf zu applaudieren. Das Geräusch war so laut, dass ich zusammenzuckte. "Eine junge Seele! Der Herr wird eine junge Seele bekommen!"
Die Glückwünsche drangen nur dumpf zu mir hindurch. Ich spürte Hände an meinen Schultern, hörte das Volk jubeln und sah, wie sie ihre Hüte in die Luft warfen. Wurde ich etwa.. außerwählt?
"Wir sind so stolz auf dich, Jungkook." Mutter umarmte mich fest. Meine Augen waren geweitet, sie füllten sich langsam mit Tränen und ganz versteift krallte ich mich an das Gewandt von ihr. "Aber das.. kann doch nicht sein. Ich bin doch erst erwachsen geworden, Mutter. Ich bin doch.. wertlos." Aber niemand hörte mich. Sie versammelten sich um mich, nahmen meine Hände und streiften mit mir zur 𝘉𝘳𝘢𝘯𝘥𝘢. Mich durchfuhr nackte Angst, als ich die Höhle vor mir sah und die große Steinplatte, die mich gleich von meiner Welt abschotten würde. Weg von Mutter und Vater, weg von dieser Erde. Die Haare an meinem Nacken stellten sich auf, mir wurde heiß und kalt.
Vater zwang mich auf die Knie, ich tunkte zitternd meine Arme in das Wasser einer Schüssel und wusch meine Hände und Gesicht. Es war erfrischend und kalt, gierig leckte ich die Tropfen von meinen Lippen. Mutter reichte mir ein Tuch und ich trocknete mich hastig ab, stellte mich wieder aufrecht hin und wurde von dem Alten zum Eingang der Höhle geführt. Ich konnte meine Beine nicht mehr spüren. Meine kalten Hände zitterten, als der Mann sie mit seinen umhüllte und mich nickend aufforderte, in die Höhle zu gehen. Aber ich konnte mich nicht bewegen. Leicht verzog ich mein Gesicht, ich umklammerte die Hände des Mannes.
"Nein."
Doch er nickte nur etwas. "Du musst gehen. Bereite deiner Familie keine Schande."
Mit Tränen in den Augen sah ich zu Vater, sein kalter Blick durchstach mich regelrecht. Aber jetzt gerade war dieses Gefühl nichts im Gegensatz zu der Panik, die ich gegenüber der Höhle empfand. Nein, da konnte doch was nicht stimmen. Ich konnte nicht.
"E'las wird meine Seele fressen.", flüsterte ich und senkte meinen Kopf, aber es schien niemanden zu interessieren. Was war ich denn auch? Eine Seele im Umtausch einer guten Ernte für alle? Es war doch zu gut, um wahr zu sein.
"Bitte, ich will nicht!" Meine Stimme war laut und zitterte. Aber niemand handelte, niemand entriss mich dem Mann und verschonte mich vor meinem Schicksal.
Die kalten und harten Sandkörner und die trockene Erde kroch zwischen meine Zähen, die Dunkelheit begann mich zu verschlucken. Meine ängstlichen und geweiteten Augen sahen hinaus, direkt in das Gesicht meiner Mutter, die mir noch ein letztes Mal zu wank. Noch ein letztes Mal roch ich die warme Luft und spürte einen sanften Windstoß in meinem Gesicht.
Und dann war es dunkel. Ich.. konnte nichts mehr hören. Alles war so still. Hier war alles kalt. Meine Orientierung verließ mich und fast schon panisch tastete ich mich an die riesige Steinplatte, mit der die Einwohner den Eingang der Höhle verschlossen hatten, und hämmerte wie wild an dieser herum. Meine Hände begannen zu schmerzen und die ersten Tränen rannten über meine Wangen. "Oh Gott, bitte! Bitte lasst mich hier raus!" Das atmen fiel mir schwer.
Ich war mir sicher, dass mich niemand hören konnte. Keiner kam, um mich aus dieser Höhle zu befreien. Es war beängstigend.
𝘋𝘶 𝘩𝘢𝘴𝘵 𝘦𝘪𝘯𝘦 𝘈𝘶𝘧𝘨𝘢𝘣𝘦, dachte ich mir. 𝘋𝘶 𝘥𝘢𝘳𝘧𝘴𝘵 𝘥𝘦𝘪𝘯𝘦 𝘍𝘢𝘮𝘪𝘭𝘪𝘦 𝘯𝘪𝘤𝘩𝘵 𝘦𝘯𝘵𝘵ä𝘶𝘴𝘤𝘩𝘦𝘯. 𝘡𝘶 𝘦𝘵𝘸𝘢𝘴 𝘨𝘶𝘵 𝘸𝘢𝘳𝘴𝘵 𝘥𝘶 𝘫𝘢 𝘯𝘰𝘤𝘩 𝘯𝘪𝘦. Meine Gedanken fraßen mich auf. Langsam, von innen. Schluchzend rieb ich mir mit meinen Armen über das Gesicht und tastete mich an den kalten und rauen Wänden voran. Ich hatte nicht die Chance umzukehren, also musste ich weiter gehen. Geh, mehr musst du nicht tun. Mehr 𝘬𝘢𝘯𝘯𝘴𝘵 du nicht tun.
Meine Schritte setzte ich vorsichtig. Die Dunkelheit brachte mich um meinen Verstand und auf harte Steine treten tat ich auch. Ich konnte den Boden unter mir nicht zuordnen. Er war sandig, kratzte und gleichzeitig war er auch weich wie Erde. Es fühlte sich an wie auf kleinen Nadeln rumzulaufen, die sich am Strand unter den Sandkörnern versteckten. Mir schmerzten die Füße ganz schnell schon schrecklich, der Schmerz war viel schlimmer, als nach einem langen Tag auf dem Feld nach Hause zu kommen. So, so viel schlimmer.
Ich kam nicht weit. Vielleicht einige Minuten, nachdem ich mich immer weiter gequält hatte voran zu kommen, fiel ich hinab auf meine Knie und spürte die harte Erde an meinen Händen und zwischen den Fingern. Es sah fast so aus, als wäre ich auf die Knie gegangen, um zu beten. Und das versuchte ich auch.
"Erbarmen." Denn meine Lippen zitterten so stark, dass keine ganzen Sätze meinen Mund verlassen konnten. Ich brauchte nur Erbarmen, Gott.
Es begann zu ruckeln. Die Wände zitterten und der Sand bebte unter mir. Meine Beine gingen auseinander, direkt unter mir begann sich ein Spalt zu bilden. Er wurde immer breiter, die sandige Erde streute hinein. Ich versuchte mich an den Rand der Höhle zu flüchten, einen kleinen Unterschlupf in der Dunkelheit zu finden. Aber nun brach die Erde auch an meinen Füßen und Richtung meines Kopfes und mir war, als würde es sich durch die ganze Höhle ziehen.
Ich begann zu schreien, schrill und flehend, aber niemand hörte mich. Meine Gebete und das Weinen wurde von der Dunkelheit verschluckt.
In der Panik versuchte ich mich irgendwo festzuhalten. Und das versuchte ich, während es schwarz um mich herum war. Meine Arme stießen an die harten, steinigen Wände, die sich mir zu nähern schienen und ehe ich mich versah, presste mich die Decke hinunter. Durch meine Oberschenkel schoss ein schrecklicher Schmerz, da sie so auseinander gezogen wurden und dann rutschte mein eines Knie ab. Mein Kopf stieß hart gegen etwas Hartes und ich fiel geradewegs in den breiten Spalt hinein.
Ich schrie.
Ich schrie meine Lunge aus, doch kein einziger Ton verließ meine Lippen. Das einzige, was ich spürte, war der kalte Wind, der von unten durch meine Kleidung wirbelte und die endlose Leere unter mir, die mich in mein Schicksal hinein zog.
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Meine Augen rissen sich auf. Ruckartig saß ich kerzengerade da, konnte mich nicht an die Helligkeit um mich herum gewöhnen, das Licht stach grell durch meine Augenlider. Ich hatte mein Gesicht mit meinen Händen verdeckt, versuchte ganz umständlich aufzustehen und schaffte es schlussendlich auch.
Mit der Zeit konnten sich meine Augen an die schwerwiegende Helligkeit gewöhnen und das erste was ich tat, war an mir selber hinunter zu blicken. Meine Knie waren stark aufgeschürft, sie bluteten sogar. An meinen Armen hatte ich blaue Flecken, wie eigentlich überall wenn ich mich so genauer betrachtete. Der Mund war trocken, die Beine zitterten.
Wo war ich hier?
Ich sah mich um. Über mir erstrahlte ein wolkenfreier, blauer Himmel, die Vögel flogen ganz dicht über meinem Kopf umher. Ich hörte ihr Krächzen und lauschte den Liedern, die sie sangen. Der Boden unter mir war weiß. Rauch lag wie dichter Nebel über diesem, es ging mit fast bis zur Hüfte. In der Ferne.. befand sich eine Art Berg. Riesig, erhaben. Er war schneeweiß und wenn ich genauer hinsah, konnte ich erkennen, dass der Berg wie eine Wolke aussah.
Schnell rannte ich los, ich gab mir eine große Mühe meine Ausdauer nicht sofort zu verbrauchen. Mit schnellen Schritten eilte ich durch den Nebel und kam dem riesigen Berg immer näher. Ich konnte die Details erkennen, je näher ich dem kam. Es wirkte wie eine Stadt, die auf einem hohen Hügel erbaut wurde. Ich erkannte Konturen von Häusern und Brücken, Flüsse, Seen. Und alles war aus Wolken. Als hätte man mit weißer Zuckerwatte eine ganze Stadt erbaut.
"Und wer bist du?" Ich zuckte hoch, drehte mich erschrocken um. Dort stand ein kleines Wesen, doppelt so klein wie ich. Es war eine Wolke, die die Silhouette eines Menschen hatte. Ich konnte einen pummeligen Mann erkennen, der einen Zylinder auf dem Kopf trug und einen Schnäuzer hatte. Ich begann zu stammeln: "Ich bin die Opfergabe für E'las, Sir. Mein Name ist Jungkook."
Der Wolkenmann sah mich skeptisch an, zupfte etwas im Nebel herum und formte daraus ein Blatt. Er zupfte wieder in der Luft herum, dann hatte er einen dicken Stift in der Hand. Er schien sich auf dem Blatt etwas anzusehen, dann kritzelte er darauf herum. "Jeon Jungkook, ja?" Ich nickte.
Er begann zu grummeln und sich mit dem Stift am Kopf herum zu kratzen. "Normalerweise kommen die Menschen immer direkt zum Herren. Seltsam."
Mit großen Augen musterte ich ihn. "Ich habe keine Ahnung, was ich tun soll. Was soll mit mir passieren? Wo bin ich hier? Wieso bin ich nicht direkt bei E'las gelandet?"
Der Wolken-Mann fuchtelte mit seiner Hand herum. "So viele Fragen, ihr Menschen seid so wissbegierig!" Er grummelte wieder, danach ging er auf die Knie, woraufhin ich nur noch seinen hohen Hut aus dem Nebel herausgucken sah. Ich hockte mich zu ihm runter, und ich sah seine weiße Hand am Boden, er schien den Nebel zur Seite schieben zu wollen. Nach etwas herumgefuchtel bildete sich ein kleines Loch und ich konnte hinab auf eine Stadt blicken, weit, weit unter mir.
"Das ist doch-.." Meine Augen wurden groß.
"Ja, das ist deine Stadt. Dein Zuhause."
Die Lücke schloss sich wieder, der Nebel legte sich über diese und versperrte mir einen längeren Blick dadurch.
"Wie ist das möglich?" Der Wolkenmann stand auf, ich tat es ihm gleich.
"Tja, eine gute Frage ist das!" Er ließ das Blatt und den Stift aus.. 𝗪𝗼𝗹𝗸𝗲 los, woraufhin diese sich einfach auflösten. Der Mann richtete die Mütze und tapste davon.
Hastig folgte ich ihm, holte ihn mit meinen großen Schritten auch sofort wieder ein. Er war ja ganz schön schnell. "Bitte bring mich zum Herren. Ich muss zu ihm."
Der Wolkenmann sah zu mir hoch. "Was denkst du denn, was ich gerade mache, hm?"
Ich lächelte erleichtert und folgte dem kleinen Mann.
Wir näherten uns bald dem riesigen Berg, der Stadt, die aus Wolken bestand.
"Wow, was ist das hier für ein Ort?" Der Mann sah zu mir hoch, sein Hut hüpfte bei seinen kleinen Schritten immer wieder etwas hoch. Ich musste lächeln. "Du kannst es das Wolkenland nennen." Darauf wäre ich auch von selber gekommen. "Und was bist du für ein.. Wesen? Bestehst du aus Wolken?"
Wir kamen am großen Tor an und meine Fragen waren wie vergessen. Die weißen, wolkigen Wände erstreckten sich hoch vor mir und weit und breit gab es nur diesen einen gebogenen, riesigen Eingang. Ich folgte dem Wolkenmann, wir schritten durch das große Tor hindurch, hinein in das Wolkenreich.
Überall erblickte ich kleine Wesen, sie hüpften durch die Straßen und ich hörte auch, wie sie sprachen. Ich konnte es nicht verstehen, denn es war, als würden sie wie das Pfeifen des Windes miteinander kommunizieren. Es war sanft, klang wie Musik in meinen Ohren.
Das Wolken-Volk warf mir ständig stechende Blicke zu. Das bemerkte ich, wenn der Tumult um mich herum zu stoppen anfing und die kleinen Wesen still dastanden, um mich einfach nur anzusehen. Mir war es unangenehm, aber mir blieb nichts anderes übrig als dem kleinen Mann zu folgen. Seine Schritte waren schnell und der Berg steil, mir ging schnell die Kraft aus.
Es dauerte lange, bis wir ganz oben an der Stadt ankamen. Vor mir erstreckte sich ein riesiger Palast, die Säulen und Wände funkelten glatt, als bestünde es aus reinen Diamanten. Es verschlug mir die Sprache. "Da oben", begann der Wolkenmann, "da wohnt er. E'las."
"Dort wohnt er?"
Er blieb stehen. Ich hielt Ausschau nach einem Eingang, aber ich fand keinen. "Er hat keine andere Wahl." Mein Blick ging sofort auf ihn hinab. "Keine andere Wahl?"
Der kleine Mann sah zu mir hoch, er nahm seinen Zylinder von seinem Kopf und stellte sich direkt neben mich. "Ja, keine andere Wahl."
Warmer Wind begann an meinen Beinen vorbei zu wehen und direkt unter uns begann sich eine Wolke zu bilden, die uns vom nebligen Boden abheben ließ. Aus Reflex versuchte ich mich an dem kleinen Mann festzuhalten, aber meine Hände glitten nur durch ihn hindurch. Er sah zu mir hoch, rieb sich seinen Schnäuzer. "Beweg dich nicht zu stark, Mensch. Du kannst runter fallen."
Ich versuchte still zu stehen. Die Wolke brachte uns hoch, hoch hinauf und wenn ich runter sah, dann konnte ich nur noch grob erkennen, wo wir gerade noch gestanden haben müssten.
Das Palast war noch viel höher als dass ich es mir von dort unten hätte vorstellen können. Kleine Wolken-Wesen flogen an uns vorbei, nach unten, nach oben, aus dem Palast heraus oder hinein. Es gab überall kleine Öffnungen, die rein führten.
"Kannst du denn nicht fliegen?", fragte ich den Wolkenmann, dieser lachte nur etwas und setzte sich den Hut wieder auf. "Kannst 𝙙𝙪 denn fliegen?" Ich schwieg.
"Ich begleite dich, Junge. Du würdest dich nur verlaufen, wenn du alleine gehen würdest." Das leuchtete mir ein. Verstehend gab ich ein Nicken von mir.
Wir kamen ganz oben an der Spitze des Palastes an.
Vor uns erstreckte sich ein verhältnismäßig großer Eingang, genauso gebogen und offenstehend wie das Tor unten an der Stadt. Die kleine Wolke ließ uns hinein schweben, bis sie sich dem Boden näherte, landete und sich auflöste. Ich sah mich neugierig um.
Die kristallenen Wände glitzerten und schimmerten im Licht, warfen kleine, tausende Regenbögen auf den nebligen Boden. Der Raum war riesig, rund. Über unseren Köpfen hing ein gigantischer Kronleuchter, an dem Kerzen aus Nebel waren und, wie das Feuer, kleine Flammen abgaben. Diese waren aber golden, nicht orange-rot.
Der Wolkenmann führte mich in die Mitte des großen Saales, wedelte mit der Hand in Richtung Boden, woraufhin sich der Nebel legte und der schimmernde Boden zum Vorschein kam. Er bestand aus den schönsten Kristallen, die ich je gesehen habe. Jede einzelne Farbe konnte man hier wiederfinden, die zusammen ein gigantisches Mosaik ergaben. Ich berührte den Boden mit meinen Fingern, er fühlte sich glatt an.
Ich zuckte zusammen, als plötzlich helles Licht zwischen den Schlitzen der Kristalle erschien und sie sich aus dem Boden lösten, direkt vor mir zu tanzen begannen. Der Nebel kehrte zurück, er vermischte sich mit den leuchtenden Kristallen und bewegten sich in einer Art Strudel, schienen etwas zu umkreisen. Der Nebel versperrte fast meine komplette Schicht, bis er sich sachte wieder legte und die Kristalle an Bewegung verloren, ehe sie zu Boden sackten und an ihren Platz zurückkehrten. Der kristallklare Boden nahm die Steine in sich auf und sie ergaben wieder ihr vorheriges Muster. Mich durchfuhr ein Schauer.
Mit großen Augen blickte ich auf und konnte eine Gestalt am Boden hocken sehen, die Umrisse nahmen langsam an Schärfe an. Das erste, was hinausstach, war der pechschwarze Haarschopf. Der Kopf der Person war gesenkt, ich konnte eine schwere Atmung hören. Sie trug ein weißes, dünnes Gewandt, welches fast zum Boden reichte, würde der Fremde stehen.
Der Wolkenmann lief auf diese Person zu und schien sie an der Schulter zu berühren. Er bewegte sich, begann laut zu husten. "Herr", fing der Wolkenmann an, "er ist da."
Und dann hob er den Kopf an. Dunkle Augenpaare durchstachen meine Seele, das Gesicht war blass und mager. Ich konnte die herausstechenden Schlüsselbeine sehen. Ich schüttelte mich, etwas in mir begann sich zu regen. Ganz leicht, ganz sachte. Dieses Zittern.. es zog sich durch meinen ganzen Körper. Meine Gedanken, sie.. drehten am Rad. Schnell stellte ich mich gerade hin, meine Knie begannen wieder zu bluten.
Ein sanfter Luftzug zog an meinem Rücken entlang, er schien mich in Richtung des Mannes zu drängen. Ich trat vor, verbeugte mich tief. Meine Glieder fühlten sich schwer an, die Beine weich wie Wackelpudding. "Jungkook, das ist E'las." Mein Kopf schnellte ruckartig hoch. Ich starrte den Mann vor mir an, der schwach am Boden saß und vom Wolkenmann gestützt wurde. Ich riss meine Augen auf, die Kehle begann wieder trocken zu werden.
"Ich.. ich verstehe nicht.."
Der Mann öffnete erschöpft seine Augen, er hielt sich an dem kleinen Mann fest und versuchte aufzustehen. Doch er sackte wieder in sich ein. Seine Hände glitten nicht einfach so durch den Wolkenmann, so wie es bei mir passiert war. "Möchtest du es ihm erklären, Herr?" Der Gott blickte zu ihm hinauf und nickte etwas. Ich fühlte mich so fehl am Platz.
"Meine Kraft neigt sich dem Ende zu.", hustete E'las und hielt sich die Hand vor den Mund. Seine Arme waren ganz dürr, sein Kiefer stach stark heraus. "Sieh mich an.. nicht einmal meine göttliche Form konnte ich beibehalten. Mir blieb nur noch diese.. schwache Hülle des Menschen. Zu mehr wäre ich nicht fähig gewesen."
Mit großen Augen hockte setzte ich mich zu ihn auf den Boden, nahm seine kalten Hände in meine und versuchte sie zu wärmen. "Ich wurde für dieses Jahr ausgelost, um Euch geopfert zu werden. Was muss ich tun? Was 𝙠𝙖𝙣𝙣 ich tun?" Seine müden Augen sahen mich an und ein wohliges, starkes Gefühl durchzog mich. Ich fühlte mich gut und gesund, der Schmerz an meinen Knien und Körper ließ nach. Ich blickte auf mich herab, konnte sehen, wie die blutenden Wunden zu heilen anfing.
"Du kannst nichts tun" Seine Fingerspitzen berührten meine Stirn, die Kopfschmerzen ließen nach. Eine Wärme füllte mein Herz aus. "Ich habe alles versucht, um meine Herzsplitter wiederfinden zu können. Ich habe gesucht und gesucht und euch Menschen zu mir genommen, damit ihr mir helfen könnt. Aber ohne Erfolg."
Meine Hände umklammerten seine fester. Der Blick verzweifelt, ich wollte nicht wahrhaben, was er da sagte. "Nein, das kann nicht sein. Man muss doch irgendwas tun" Ich sah zu Boden, danach zum Wolkenmann. "Wie konntet Ihr denn bisher keinen einzigen Herzsplitter ausfindig machen? Ihr seid mächtig!- oder.. Ihr wart es zumindest."
E'las lachte rau auf. Er zog seine Hände aus meinen, stützte sich am Boden ab.
"Du verstehst es nicht. Keiner der anderen Göttern versteht es." Seinen Kopf legte er schief, die matten Augen musterten mich. "Dieser Körper hier... er gehört nicht mir.", sprach der Herr und der Wolkenmann stellte sich hastig hinter ihn, damit er sich an ihn lehnen konnte. "Er gehörte einem Jungen namens Taehyung. Damals, da wurde er zu mir gebracht. Meine erste, junge Seele.."
Er leckte sich über seine Lippen. "Ich musste sie in mich aufnehmen. Seine Seele, meine ich." Mir fror das Blut ein. Er starrte mir tief in meine Augen, dann lächelte er. "Du weißt das, also tu nicht so als wärst du überrascht." Ich fühlte mich ertappt.
"Ja, in der Verka stand etwas davon.", antwortete ich eingeschüchtert und mit leiser Stimme. Er nickte. "Ich habe sie alle gefressen. Jede einzelne von ihnen." Seine Stimme war ein Hauchen. "Anders konnte ich nicht wissen, ob sie einen meiner Herzsplitter in sich trugen oder nicht. Und ich habe mit jedem Jahr eine weitere, unschuldige Seele getötet. Nur um meines Wohlergehens."
Sofort horchte ich auf. "E'las, Ihr Wohlergehen steht über jedermann. Sie sind das einzige, was zählt."
Langsam schüttelte er seinen Kopf. "Nein, ihr seid das wichtigste. Ihr Menschen seid es. Nicht ich, hörst du? Ihr seid doch der Grund, warum ich überhaupt da bin."
Es begann in meiner Brust zu schmerzen. Ich.. konnte nicht verstehen, was gerade passierte. Wen ich da vor mir sitzen hatte, wen ich berühren konnte. Meinen Gott, mein Heiliger. Ich öffnete meinen Mund, wollte etwas entgegen, aber E'las griff fest nach meiner Hand und sah mich eindringlich an. Seine Atmung ging schwer. "Hör mir ganz genau zu, Jungkook.." Die Worte kamen ihm rau über die Lippen.
"Seite 291, Zeile drei: was genau steht da in der Verka? Weißt du es?" Mir wurde heiß und kalt. Leicht schüttelte ich meinen Kopf, er umhüllte meine Hände mit seinen. "𝘼𝙧𝙢𝙖𝙣𝙙𝙖." Wiedergeburt. Es schoss mir in den Sinn. "Der Austausch?" Er nickte schwach. "Was genau wird dort erzählt?" Ich musste nicht lange nachdenken. Die Verka war ein dickes Buch, aber ich kannte sie fast schon auswendig.
"Bei Auslöschung E'las' wird ein neuer Gott erschaffen, der seinen Platz einnimmt. Aber niemand darf davon erfahren." Er berührte meine langen, gewellten Haare, strich mir eine Strähne hinters Ohr. "Gut. Sehr gut." Sein Blick wanderte zur Decke, er rollte seine Augen nach hinten, schloss sie dann. Der Boden unter mir bebte für einen Moment. "Was befindet sich auf der letzten Seite?" Meine Atmung verschnellerte sich, meine Gedanken schossen wild durch meinen Kopf. "Es ist- es ist nichts relevantes.. ich-"
"Ich rede von der Seite, die damals aus der Verka entnommen wurde."
Mein Atem stockte. Ich starrte E'las für einige Sekunden an, jedoch fiel mir keine Antwort ein. "Ich verstehe nicht.."
Er musterte mich. Lange, nahm ich an, denn irgendwann stieß er ein langes Seufzen auf und setzte sich mit Mühe aufrecht hin. Der Wolkenmann stützte ihn weiterhin, stemmte sich gegen seinen Rücken. "Die Legende besagt, dass eine auserwählte Person kurz vor dem Auslöschen eines Gottes zu ihnen geführt wird und deren Platz einnimmt. Dass dieser Jemand, dass 𝗱𝘂, meinen Platz einnehmen wirst."
Es dämmerte mir. Ich konnte mich an die letzte Seite im Buch erinnern, welche über etwas unrelevantes erzählte und mitten im Satz abgebrochen wurde, die eigentlich auf der nächsten Seite fortgesetzt werden müsste. Doch dort befanden sich nur die Reste von Papier, als hätte man eine Seite mit Absicht rausgerissen. Eine Seite, die anscheinend niemand lesen durfte. Aber wer wollte sie verstecken? Wer wollte verheimlichen, dass ein Sterblicher zum Gott werden konnte?
"Nein" Meine Stimme glich einem Hauchen.
"Nein, das könnt Ihr doch nicht ernst meinen. Da- da muss ein Fehler unterliegen, ich- ich-!" Der Wolkenmann sah zu mir hinauf, sein Blick war betrübt, das Weiß in seinem Gesicht wechselte zu einem leichten Grau. Er schien fast schon angeschlagen. Aber ich.. ich..
"Wenn du das nicht tust, wird deine Familie verhungern", keuchte mein Gott, er hatte meine Hände fest umklammert. "Die ganze Stadt wird verhungern. Ich kann die Dürre nicht mehr unter Kontrolle bringen, dafür bin ich zu schwach. Aber du.. du wirst es schaffen. Mit meinem Segen, in meiner Position."
Ich riss meine Augen weit auf, begann meinen Kopf zu schütteln. Langsam, bis ich ihn panisch hin und her warf. "Nein! Ich bin dem nicht gewachsen! Bitte.. sucht Euch jemand anderen aus! Jemand Würdigen! Jemanden mit Kampfgeist und mit Erfahrung! Bitte, ich.. werde es auch niemanden erzählen. Ich werde schweigen über alles, was ich hier je gesehen und gehört habe. Bitte.." Ich setzte mich auf meine Knie, drückte E'las' Hände an meine Stirn und schluchzte laut.
Wie könnte ich jemals den Platz eines Gottes einnehmen? Einem Herrscher, der auf seine Gläubiger achtete? Ich konnte doch nicht einmal selber auf mich aufpassen. Ich war ein.. Niemand.
"Es gibt niemand anderen, Jungkook. Es gibt nur dich. Nur dich, hörst du? Du 𝙢𝙪𝙨𝙨𝙩 es tun. Du hast keine andere Wahl."
Erneut schüttelte ich meinen Kopf, meine Hände begannen zu zittern. "Oh doch, ich habe eine Wahl" Ich entriss E'las meine Hände, erhob mich auf meine Beine. Er blickte erschrocken zu mir hoch, der flehende Blick brannte sich in meinen Kopf. "Ich bin nicht jemand, den man rumkommandieren kann, hörst 𝙙𝙪?! Ich habe eigene Wünsche und eine Zukunft, die ich erleben will. Unten, bei den Menschen. Ich habe immer versucht es allen recht zu machen und mich nie gewehrt, aber jetzt reicht es!"
Meine Stimme war erfüllt mit Zorn. Vater hätte mich zu Tode geprügelt, würde er mich jetzt sehen. Wie ich dreckige, böse Worte auf unseren Herren spuckte, der uns doch immer so erbarmungsvoll im Arm gehalten hatte. Doch ich konnte das nicht mehr. Diese Unterordnung. Dieser Druck, der auf mir ausgeübt wurde. Jungkook tu dies, Jungkook tu das. Mein Kopf rauchte. "Was ist mit meinen Gefühlen, hm? Wieso fragt mich niemand was 𝙞𝙘𝙝 will, was 𝙢𝙚𝙞𝙣𝙚 Meinung ist? Es reicht mir, mich immer fügen zu müssen! Ich bin kein Tier, dass auf jeden Befehl hören muss! Du bist mein Herr und ich bete zu dir, aber du besitzt mich nicht, hörst 𝙙𝙪?!"
Das Atmen fiel mir schwer. Im Augenwinkel sah ich das erschrockene Gesicht des Wolkenmannes, aber ich konzentrierte mich nur auf E'las. Sein Blick war trübe, er schien in die Leere zu starren. Seine dürren Beine zog er an sich heran, die Arme legte er um sie. Ich zog verachtend meine Oberlippe nach oben, seufzte schwer auf.
"Du gibst einfach so auf? Du gibst auf ohne es weiter zu versuchen?"
Er sah mich dunkel an, die Lippen spröde und trocken. "Ich habe gekämpft. Bis zur letzten Sekunde habe ich das. Du hast doch keine Ahnung."
"Lüge! Du bist noch hier, als kannst du doch kämpfen, oder nicht? Solange du noch hier bist-"
"Ich habe keine Macht mehr, verstehst du denn nicht?!" Das Brüllen schallte laut im großen Saal umher. Meine Bewegungen froren ein, genauso wie meine Mimik. "Ich kann nichts mehr tun, verdammt. Schau mich doch an! Ich kann nicht einmal laufen, ohne dass ich die ganze Zeit zu Boden falle. Verstehst du denn gar nichts? Ich bin nichts mehr! Ich bin... ich bin.. verletzlich."
Nein, das konnte ich nicht wahrhaben. Ich wollte es nicht. Ich ballte meine Hände zu Fäusten. "Wir werden deine Herzsplitter suchen gehen", sprach ich dann laut und voller Zuversicht. E'las sah mich an, als wäre ihm gerade ein Geist vor die Füße getreten. Auf seiner Stirn bildeten sich Falten. "Unmöglich. Wie willst du das schaffen, als Sterblicher?"
Auf meine Lippen huschte ein Lächeln. "Tu nicht so, als wärst du jetzt nicht auch ein Sterblicher." Er seufzte schwer.
"Ich werde es versuchen. Und.. sollte es nicht funktionieren, dann werden wir eine andere Lösung finden." Ich wusste genau dass er sagen wollte, dass wir keine Chance hatten. Dass es keinen Sinn hatte, einem vergangenen Ziel hinterher zu jagen.
Ich ließ ihn nicht zu Wort kommen. "Ich bin nicht dem gewachsen, diese unglaubliche Aufgabe anzunehmen. Du wirst mich ins kalte Wasser schmeißen, wenn du mich dazu zwingen wirst."
"Aber irgendwann wirst du doch lernen, wie man schwimmt."
"Oder ich werde ertrinken." Seine Augen wichen meinem Blick ab.
"Du bist der Auserwählte, Jungkook. Für mich ist alle Hoffnung verloren. Es ist nicht wichtig, ob du daran nicht glaubst, denn es ist dein Schicksal. Es ist in Stein gemeißelt, ob es dir recht ist oder nicht."
Sein Husten war laut zu hören. Ich konnte sehen, wie besorgt der Wolkenmann ausschaute. "Jungkook, bitte.."
Ich schüttelte meinen Kopf. "Jungkook.. ich war auch ein Mensch gewesen.. Damals, bis ich auch auserwählt wurde."
Ungläubig sah ich E'las an. Sein Blick war gequält, er schien es schwer zu haben zu sprechen. "Ich wurde nicht als Gott geboren, hörst du? Ich habe auch einen Posten abgenommen, als sich das Ende des letzten Gottes genähert hatte. Und ich habe es geschafft. Du.. du wirst es auch schaffen, das weiß ich genau."
Meine Atmung ging wieder so schwer. Eine große Last legte sich auf mein Herz, es begann schneller zu schlagen. "Aber deine Herzsplitter.. werde ich nicht genauso schwach sein wie du, wenn ich es tue?" Sachte schüttelte ich meinen Kopf. "Nein, du wirst nur meinen Segen bekommen. Alles danach wird sich schon von selber klären.. glaube mir."
Nachdenklich blickte ich zu Boden. Verdammt, was sollte ich tun? Es war zum Haare raufen.
Ich legte meinen Kopf in den Nacken, betrachtete still den funkelnden Kronleuchter und die vielen Diamanten, die diesen verzierten. "Okay, ich mache es."
E'las' Gesicht begann zu leuchten. "Aber nur unter einer Bedingung." Sofort nickte er. "Alles, was du willst."
Ich atmete schwer auf. "Lass uns wenigstens versuchen, deine Herzsplitter wiederzufinden." Das Lächeln verschwand aus seinem Gesicht, ein schweres Seufzen verließ seine Lippen. "Wir haben nichts zu verlieren!", begann ich weiter zu sprechen. "Wenn wir es nicht schaffen wirst du sterben, aber das wirst du sowieso wenn wir nichts tun! Ich erkläre mich bereit dazu, deinen Platz zu vertreten. Egal ob wir es schaffen oder nicht. Also ist es doch abgesichert, oder?"
Der Wolkenmann sah zu mir hinauf, dann zum Herrn. "Nun, da muss ich ihm recht geben.. niemand hat was zu verlieren. Wir können es wenigstens versuchen."
E'las schien hin und her gerissen zu sein. Unsicher sah er zu mir hoch, schloss für einen Moment die Augen. Ich war voller Hoffnung. Ich sprach in meinem Kopf ein kleines Gebet aus, und als würde er es hören, blickte er mir direkt in meine Augen, begann über den Boden zu kratzen. Er hob seine Hand, wank abfällig in meine Richtung ab. "Los, geh mir aus den Augen. Dir bleibt nicht mehr viel Zeit."
Voller Freude klatschte ich laut in meine Hände und verbeugte mich tief. "Danke, danke!"
Die Kristalle im Boden erhoben sich wieder, der Nebel wurde dichter und E'las verschwand in demselben Strudel, mit dem er hergekommen ist. Der Wolkenmann stand noch da, wo er unseren Herrn gestützt hatte. Ich grinste ihn an. "Los, gehen wir die Herzsplitter suchen!"
Ich stapfte in Richtung Ausgang, der Wolkenmann folgte mir. "Warte- wie sucht man sowas überhaupt?"
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Die Sprache des Wolken-Volks war eigentlich ganz leicht zu verstehen, wenn man nur genauer hinhörte. Sie sangen dem Wind nach, ihre Worte fühlten sich wie ein sanfter Luftzug im Sommer an, doch wenn man die Augen schloss und dem Pfeifen lauscht, konnte man das leise Flüstern zwischendrin hören. Es kitzelte einen in den Ohren.
Der Wolkenmann brachte mich vom Palast runter, er erzählte mir davon, wie sie das Leiden von uns Menschen von dort oben jeden Tag mitbekommen haben. Wie unser Land trockener wurde, unser Korn aufhörte zu wachsen. "E'las hat versucht, die Dürre so lange es geht vorzubeugen", hatte er erzählt. Er steckte all seine verbliebene Kraft darin, dass wir das Nötigste hatten. Er war froh, dass er sich bisher noch nicht um das Wasser kümmern musste. Aber wenn die Brunnen zu austrocknen begannen, könnte er nichts dagegen tun. Er würde dabei zusehen, wie wir alle langsam verdurstet wären. Vielleicht hätten die meisten versucht zu fliehen um in die nächste Stadt zu kommen, aber diese war mehrere Kilometer von hier entfernt und bei dem Mangel an Proviant wären die meisten wahrscheinlich während der Flucht verstorben. Die Kinder, die Alten, die Schwangeren. Starke, junge Männer hätten es mit Sicherheit geschafft. Aber mit welchem Preis?
"Aber wieso helfen uns die anderen Götter nicht?", fragte ich betrübt, während ich auf dem Boden saß. Einige Wesen aus dem Wolken-Volk saßen vor mir, wir sprachen über einen Plan, den wir noch gar nicht hatten. Wie man die Herzsplitter ausfindig machen konnte. "Sie verachten E'las", schnatterte eines der Wolken-Wesen. "Egal, ob Nachfolger oder nicht. E'las steht dafür, selbstverliebt und arrogant zu sein. Jemand, der nicht einmal bei einer Entscheidung um Leben und Tod den eigenen Kopf hinhalten würde."
"Aber E'las denkt in diesem Moment nur an seine Gläubigen! Er hat seine ganze Macht nur in sie gesteckt, anstatt sie für sich selber aufzuheben!" Ich klang aufgebracht, sehr sogar. Die kleinen Wölkchen warfen sich Blicke zu, der Wind pfiff an mir vorbei. "Ein einfacher Sterblicher kann keinen Kontakt zu fremden Göttern aufnehmen. Du kennst nicht ihre Gebete, ihre Zeilen, die sie aufhorchen lassen."
Seufzend nickte ich leicht. "Gibt es denn noch eine andere Möglichkeit? Ohne Hilfe werden wir es nicht schaffen, E'las zu retten!" Der Wolkenmann mit dem Schnäuzer und Zylinder auf dem Kopf trat vor, er hatte seine Hände vor seinem Bauch verschränkt. "Wieso stressen wir uns so sehr, obwohl wir doch den einfachen Weg gehen könnten? Jungkook, bitte.. du wirst es nicht schaffen, den Herrn zu retten. Du zögerst sein Leiden so weit hinaus, ist es wirklich das was du willst?"
Tränen schossen in meine Augen. Aufgebracht stand ich auf, rieb mir mit dem Unterarm über meine Augenpartie. "Wir müssen es doch versuchen, bitte. Ihr dürft nicht einfach so aufgeben und es akzeptieren. Ist euch der Herr nicht ans Herz gewachsen? Dass ihr ihn einfach so gehen lassen könnt, als wäre es nichts?"
Die kleinen Wolken gerieten ins Schweigen, sie senkten betrübt ihre Köpfe. Der Wolkenmann legte seine Hand an meinen Oberschenkel, ich konnte die weiche Berührung spüren. Es fühlte sich an wie Zuckerwatte auf der Haut. "Es gibt einen Weg." Die Stimme war ganz leise, aber ich konnte sie hören. Sofort blickte ich auf, entdeckte ein kleines Wolken-Wesen zwischen den anderen, das mich ansah. Es war nicht vollkommen weiß, sondern schimmerte golden in der Sonne. Ich legte meinen Kopf schief.
"Ich.. bin ein Botschafter der Götter in unserer Nähe. Sie haben mich aufgrund der Reibereien zwischen ihnen und E'las erschaffen. Dass sie in bedrohenden Situationen rechtzeitig gewarnt werden konnten. Ich habe dem Herrn schon vor Jahren vorgeschlagen dass ich sie alle über die Situation deiner Stadt aufklären konnte, aber E'las hat sich geweigert. Es wäre nie so rapide zu dieser Dürre gekommen, hätten wir Hilfe bekommen. Und der Herr hätte sich schonen können. Aber ich denke, dass sein Stolz zu hoch für sowas war. Um Hilfe zu beten. Schwäche zu zeigen. Verletzlich zu sein."
Meine Augen wurden groß, voller Hoffnung sah ich den schimmernden Wolkenjungen an. "Bedeutet das, dass du zu den anderen Göttern hinfliegen kannst und sie hierher bringst?"
Ich erhielt ein Nicken als Antwort. "Ja, das ist richtig. Aber ich weiß nicht, ob sie es tun werden. Wenn ich Pech habe, weigern sie sich."
"Du musst seine Gläubigen erwähnen", fiel ich ihm ins Wort. "Ihnen steht das Wohlergehen der Menschen an erster Stelle, oder? Da ist es doch egal, welcher Gott über sie herrscht. Du musst ihnen erzählen, dass sie hungern und bald die Brunnen austrocknen werden. Aber bitte, sprich nicht über mich. Sie dürfen nicht wissen, dass es einen Plan B gibt. Sonst werden sie bestimmt nein sagen."
Der Wolkenjunge wirkte ganz aufgeregt. "Sag, dass ich eine ganz gewöhnliche Opfergabe bin, okay? Du darfst nicht verraten, hörst du?" Das Wölkchen schwang in die Luft, es nickte mir hastig zu. "Also habe ich die Erlaubnis?" Ich lächelte.
"Los, flieg so schnell wie du nur kannst. Hol sie alle hierher, wir werden viel zu tun haben."
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Uns blieb nichts anderes übrig als zu warten. Ich hatte den Wolken befohlen, sich um E'las zu kümmern. Sie sollten bei ihm bleiben und mich warnen kommen, wenn sich sein Zustand verschlechterte.
Die Zeit rannte gegen uns.
Ich befand mich ganz oben im Palast, dort wo ich das erste Mal unseren Herrn angetroffen hatte und saß genau in der Mitte des Raumes. Ich starrte auf die funkelnden Kristalle auf dem Boden, zupfte immer wieder ungeduldig an dem großen Loch meiner Hose herum und verlor in dieser Unwissenheit meinen Verstand.
In Stille betete ich um Erbarmen der anderen Götter und dass sie herkamen, um zu helfen. Das wichtigste waren die Menschen dort unten. Irgendwie würde ich es schon schaffen, die Herzsplitter ausfindig zu machen. Aber jetzt musste meine Familie ihren Hunger stillen können. Oh, bitte..
Der Boden begann stark zu vibrieren. Er bebte heftig, der Nebel wurde dichter und vor mir bildeten sich langsam vier Gestalten, dessen Konturen immer schärfer wurden. Mir krabbelte eine Gänsehaut den Rücken herunter.
Ich erkannte die vier Götter der Elemente: Feuer, Wasser, Erde, Luft. Hephaistos, Poseidon, Gaia, Aeolus. Sie bauten sich mächtig vor mir auf, ihre Augen lagen auf mir. Ihre Beine schienen in Nebel aufzugehen, sie schwebten über den kristallenen Boden. Hinter ihnen erschien der goldene Wolkenjunge, sein Gesicht schien zu leuchten. Er flog zu mir, half mir beim aufstehen. "Die Götter der Elemente, ist das dein Ernst?", zischte ich ihm schockiert zu, konnte die unglaublichen Mächte der Götter in mir spüren.
"Alle anderen haben sich geweigert", sprach die kleine Wolke, "ich hatte keine andere Wahl."
Die Götter waren mindestens drei mal so groß wie ich. Deren Köpfe erreichten beinahe den hoch angesetzten Kronleuchter, dieser klimperte leise durch deren Anwesenheit. Ich legte meinen Kopf in den Nacken, blickte mit großen Augen zu ihnen hinauf. Aeolus beugte sich langsam hinunter, er hockte sich hin und ich trat schnell einige Schritte zurück, um ihm nicht in die Quere mit meiner mickrigen Größe zu kommen. Seine Gesichtszüge waren sanft und weich, er sank seine riesigen Hände und legte sie, mit dem Handrücken nach unten, auf den Boden.
Ich kletterte auf seine Finger, stand auf der Innenhandfläche und ließ mit von dem Gott langsam in die Höhe heben. Der Wolkenjunge folgte mir schnell, er verließ nicht eine Sekunde meine Seite. "Du bist also der Junge, von dem die kleine Wolke gesprochen hat?" Der Gott der Erde, Gaia, begann zu sprechen. Die Stimme hinterließ ein Beben in mir, sie war kräftig und stark. "Das bin ich."
Zitternd kniete ich mich hin, faltete meine Hände ineinander und sah zu den Göttern hinauf. "Bitte.. bitte, ihr müsst helfen. E'las wird es nicht überleben, wenn wir nichts tun. Er liegt im Sterben. Bitte, kümmert euch um die Menschen dort unten. Gebt ihnen Essen, lasst das Land wieder grün werden. Die Dürre hat sich zu stark ausgebreitet, lange werden sie es nicht mehr durchhalten."
"Und was ist mit deinem Gott, Junge?" Hephaistos, der Gott des Feuers, blickte auf mich herab. Seine Haut war ein helles Rot, in seinen Augen leuchtete eine bedrohliche Flamme. Die Blutgefäße an seiner Haut stachen stark heraus, es sah so aus, als würde leuchtendes, helles Lava durch diese hindurch fließen. Es wirkte einschüchternd, sehr sogar. "Er hat seine Herzsplitter verloren."
Poseidon, der Gott des Wassers, zog scharf die Luft ein. Meine Hände begannen zu schwitzen, es fiel mir schwer zu sprechen. "Und das nicht vor kurzem. Es steht in unserer Verka, unserer Bibel. Das bedeutet, dass er sie schon zu diesem Zeitpunkt verloren hatte, als sie von uns Menschen geschrieben wurde. Und das ist schon viele Jahre her."
"So schnell verschwindet die Kraft eines Gottes nicht", erwiderte Aeolus, der Gott der Luft. Er bestätigte meine Aussage damit. Die Götter sahen sich untereinander an. Ich blickte zu ihnen hinauf und wartete, bis sie wieder zu sprechen anfingen. Gaia und Poseidon blickten auf mich hinab, sie nickten synchron. "Wir werden uns um die Menschen dort unten kümmern. Ihr beide werdet mit den anderen Göttern in der Nähe in Kontakt treten uns sie dazu zwingen herzukommen, wenn es sein muss. Sie alle werden helfen. Es gibt keine Ausnahme."
Aeolus und Hephaistos nickten sofort, der Gott des Windes ließ mich dabei wieder sanft auf den Boden zurück. Meine Beine zitterten, als ich die glatte Oberfläche unter meinen nackten Füßen spüren konnte. "Hab keine Angst", sprach Aeolus zu mir. Sein Lächeln war sanft, die Augen warm. "Wir werden alles in unserer Macht stehende tun um die Herzsplitter deines Gottes wiederzufinden. In Ordnung?"
Hoffnungsvoll nickte ich. Dankend blickte ich zu ihnen hinauf und sah dabei zu, wie der Nebel der Wolken sie zu umhüllen begann und alle vier Götter nacheinander verschwanden. Mein Herz pochte wie wild.
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Von hier oben bemerkte man den Unterschied sehr schnell. Poseidon und Gaia haben sich auf der Stadt niedergelassen und das Land binnen weniger Minuten zum sprießen gebracht. Die Pflanzen schossen beinahe aus der Erde und erstreckte sich hoch, das Obst und Gemüse brauchte keine zehn Sekunden um zu wachsen. Dort, wo eben noch die Erde staubtrocken war, wuchs nun Gras und die Pflanzen, die man während der Dürre anpflanzen wollte.
Das glückliche Gejubel und die fassungslosen Rufe waren bis hier oben hin hörbar. Die Menschen kamen aus ihren Häusern und sahen dem großen Wunder zu, welches sich direkt vor ihren Augen abspielte. Voller Freude fielen sie alle auf die Knie und dankten ihrem Gott aus tiefsten Herzen, als es langsam anfing, aus den dicken Wolken zu regnen.
Die Kinder liefen mit nackten Füßen auf die Felder hinaus und spielten im Schlamm herum, pflückten die reifen Tomaten und die Gurken. "Wie wunderschön", flüsterte ich und blickte durch die kleine Lücke unten am Boden auf die Menschen hinab. Sie sahen aus wie kleine Ameisen, was mich etwas lächeln ließ. Der Wolkenmann setzte sich neben mich, er nahm den Hut ab und war im Nebel beinahe unsichtbar.
"Wirst du es ihnen sagen?"
Ich hob meinen Kopf, die Stirn gerunzelt. "Was meinst du?"
Nachdenklich blickte der kleine Mann auf die Lücke im Boden, welche sich langsam wieder schloss. Sein Blick verriet, dass er mit sich selber kämpfte. Ich fühlte mich unwohl. "Wenn du wieder unten bist. Wirst du von uns erzählen?"
Meine Augen wurde groß. Unten? Meinte er etwa..? "Ich dachte, ich kann diesen Ort niemals verlassen.." Der Wolkenmann seufzte schwer, schwer auf, der Stein an seinem Herzen war nicht zu übersehen. "Sollten wir es wirklich schaffen E'las zu retten, gibt es keinen Grund für dich, hier zu bleiben. Du hattest einen Nutzen, aber dann wärst du nicht mehr zu gebrauchen."
Bedrückt schluckte ich, unsicher wich ich seinem Blick aus. "Du bist ein Mensch, Jungkook", fuhr er fort. "Du empfindest Hunger, Durst, Müdigkeit. Du gehörst nicht hierher, hörst du? Deine Welt ist dort unten. Hier oben können wir dir nicht das bieten, was du dir wünscht."
Die Stille war erdrückend. Lange dachte ich über seine Worte nach, bis ich einen starken Windstoß in meinem Rücken spürte und mich langsam erhob. "Ich werde kein Wort über euch verlieren. Das verspreche ich. Alles, was hier passiert, werde ich geheim halten." Der Wolkenmann lächelte leicht, den Zylinder setzte er wieder auf seinen Kopf.
Ich drehte mich um, konnte in der Ferne die Götter Aeolus und Hephaistos erblicken. Hinter ihnen war ein dunkler Schatten, und je näher sie uns kamen, desto schärfer wurden die vielen Gestalten. Ich erkannte sie alle wieder.
Zeus, Demeter, Apollon, Artemis, Athene, Ares, Aphrodite, Hermes, Hesita: es waren noch so viele mehr, dass ich sie gar nicht aufzählen konnte. Aeolus' Lächeln war stolz, sanftmütig blickte er auf mich herab und hob mich mit seinen riesigen Händen hinauf. Sie waren alle da, um meinen Gott zu retten. Die Tränen rannten still über mein Gesicht, mein Herz blühte voller Erleichterung auf. Sie alle sahen zu mir hinunter, sie waren alle genauso groß wie die Götter der Elemente.
Gaia und Poseidon näherten sich ebenfalls, sie schlossen sich dem großen Kreis an. Ich befand mich mit dem Gott der Luft in der Mitte, während sie alle um uns herum standen. Solch ein überwältigendes Gefühl hatte ich noch nie erlebt. Die Stromschläge schossen durch meinen Körper und die Finger zitterten mir, ohne damit aufzuhören. Die Augen, sie starrten mir in die Seele.
"Unsere Aufgabe ist es, die Herzsplitter eines Gottes zu finden." Die Stimme von Aeolus war laut und brummend, fühlte sich an wie das Knistern eines Feuers. Das Tuscheln begann, die Götter flüsterten sich Dinge zu und schienen schockiert über diese Neuigkeit. "Es hätte uns viel früher auffallen sollen. Es stand sogar in der Bibel der E'lasiten, wir waren viel zu unachtsam. Auch kleine Götter sind Götter, also darf sowas niemals wieder noch einmal passieren."
Sie nickten alle zustimmend. "Wenn jemand seine Herzsplitter verliert, muss es unverzüglich gemeldet werden. Lasst euch nicht davon beeinflussen, wenn ihr Unbeliebt Sein genießt. Ihr habt die Plicht auf lebende, atmete Kreaturen acht zu geben und dafür zu sorgen, dass sie von Leid befreit sind. Dies ist aber nicht möglich, wenn man selber Qualen durchstehen muss."
Es war beängstigend wie deutlich und kraftvoll er sprechen konnte. Als Gott der Lüfte musste man seine Position nutzen, damit man auf einen hörte. Sie alle waren still und lauschten dem, was er zusagen hatte. "Ihr habt es sicher bereits gemerkt", fuhr er fort. Er sah zu mir hinunter, seine Hand wärmte meine nackten Füße. Ich blickte hinauf, direkt in seine Augen und es kam mir vor, als hätte sich das Thema geändert, worüber er gerade noch gesprochen hatte.
"Dieser Mensch hier ist dazu auserwählt, E'las zu ersetzen." Ich sah erschrocken zum goldenen Wolkenjunge und dachte, dass er mich doch verpetzt hatte, aber dieser sah genauso verwundert deswegen aus und schüttelte seinen Kopf. Aeolus lächelte mich sanft an, es wärmte mein Herz von innen. "Sowas kann man nicht vor uns verheimlichen, Menschenjunge." Seine Lache war tief und laut. Die anderen Götter schmunzelten nur darüber.
"Also seid nicht allzu traurig, wenn wir nicht zu Erfolgen kommen. Ruht euch aber nicht darauf aus, dass der Junge schlimmstenfalls alles geradebiegen könnte. Ihr wisst wie es ist, zum Gott zu werden. Es ist eine qualvolle Prozedur." Sie stimmten mit ein.
Fasziniert sah ich mir die Götter genauer an und bemerkte anfangs nicht, wie sie mich weiterhin anstarrten. Nicht dieses normale anschauen, sondern dieser Blick, der einem eine Gänsehaut brachte. Ich verstand nicht, warum sie so still waren. Meine Augen waren groß, ich sah beschämt zu Boden. "Jungkook", ich traute mich nicht, mich zu bewegen. Eine mächtige Aura näherte sich mir und ich hob ruckartig meinen Kopf an, sah Hephaistos, dem Gott des Feuers, in die Augen.
"Du trägst den größten Herzsplitter in dir, selbst wir können ihn spüren." Ich erstarrte. Schockiert weitete ich meine Augen, der Mund war wieder so trocken, dass ich kein Wort sagen konnte. "Es ist also kein Zufall, warum du jetzt hier bist."
Hephaistos begann zu schrumpfen. Er wurde kleiner, bis er dieselbe Größe wie ich hatte und lächelnd in der Luft schwebte, direkt vor mir. Er näherte sich mir, seine Hände berührten meine. "Du bist gesegnet. Durch dich werden wir die Herzsplitter alle ausfindig machen. Sie sind wie Magneten, weißt du? Sie ziehen sich an und wollen wieder zueinander finden." Meine Finger zitterten unser seinen Berührungen und mein Blut begann zu kochen. Diese Worte überwältigten mich, ich konnte gar nicht verarbeiten, was gerade passierte.
"Aber- aber muss der Herr die Seelen fressen? Muss er das?"
Die Götter sahen sich an, lange, bis sie wieder zu mir sahen. Hephaistos seufzte schwer, seine Hände umgriffen meine ganz fest. "Götter sind Seelenfresser, Jungkook. Ohne sie können wir nicht wachsen. Wir haben euch erschaffen, damit wir selber geboren werden können. Es führt kein Weg dran vorbei."
Langsam senkte ich meinen Kopf, ich starrte auf die roten Venen an den Armen des Gottes. Meine Lippen waren fest aufeinander gepresst, ich konnte nur vorsichtig nicken. "Okay", flüsterte ich. "Gott steht über allem. Das wird es die Opfer wert sein."
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Ich flog. Ich flog über die Köpfe der Menschen unter mir und berührte jeden einzelnen von ihnen. Teranda, der Gott der Sicht, machte mich für das Volk unsichtbar und Aeolus begleitete mich. Er hatte auch meine Körpergröße angenommen und hielt meine Hand fest, während seine Windzüge uns trugen. Es fühlte sich unglaublich befreiend an. Ich hatte meine Arme ausgestreckt und segelte mit ihnen über die Stadt, klapperte alle Seelen nacheinander ab. Und es waren so viele.
Wir brauchten sehr lange, bis wir den ersten Herzsplitter finden konnten. Ein Witwer am Rande der Stadt trug ihn in sich uns es tat mir so schrecklich weh, als wir durch die offene Haustür in sein Haus flogen. Er saß alleine am Küchentisch und aß in Stille sein Abendessen. Es war bereits schon dunkel geworden, der Horizont verschluckte gerade den letzten Strahl der Sonne.
Teranda schwebte direkt vor sein Gesicht und pustete sanft in dieses, woraufhin der alte Mann sich über seine Augen rieb und verwirrt aufstand. "Oh? Ich kann ja nichts mehr sehen", murmelte er zu sich selber und der Gott berührte den Mann vorsichtig am Nacken, woraufhin dieser zu Boden fiel und sich nicht mehr bewegte. Er nahm den Witwer hoch in seine Arme und gemeinsam brachten wir diesen hinauf zu den anderen Göttern.
Die Zeit rannte gegen uns. E'las ging es immer schlechter, er konnte bereits nicht einmal mehr sitzen und hatte es schwer, auch nur ein Wort zu sagen. Die Angst und Panik kroch mir nackt den Rücken hoch und auch wenn ich bettelte, dass wir schneller machen mussten, ging das nicht so einfach. Wir mussten in jedes Haus, in jede Gasse, in jedes Viertel der Stadt. Ich sah so viele neue Gesichter, von dessen Existenz ich nicht einmal gewusst hatte. Fremde Kinder, Gleichaltrige, Erwachsene.
Wir fanden mit unserer Mühe vier weitere Herzsplitter. Die Menschen brachten wir zu den Göttern nach oben, damit sie auf diese aufpassen konnten. Denn jetzt fehlte nur noch eines. Ein letzter Splitter, eine Seele, und wir hätten es geschafft. Das Ziel war zum greifen nahe. Noch ein bisschen, ein ganz kleines bisschen..
Nach langer Zeit kamen im letzten Viertel der Stadt an. Sie war heruntergekommen und nicht wirklich aktiv bewohnt. In Eile klapperten wir die Häuser ab, flogen von Tür zu Tür, bis wir an einem Haus ankamen, bei dem ich das Gefühl hatte, hinein gehen musste. Diese Anziehung die ich verspürte, wenn ein Herzsplitter in der Nähe war. "Dort!" Ich zeigte auf das Haus, als wir gerade noch ein anderes durchsuchen wollten.
Unsere Blicke trafen sich, wir drei grinsten uns glücklich an. Wir werden es schaffen. Wir konnten E'las retten! Die Tür schwang auf und wir flogen hinein. Das Wohnzimmer war leer, generell der gesamte Erdgeschoss lag in Stille und Dunkelheit. Ich hatte das Zeitgefühl verloren, aber es war schon tief, tief in der Nacht. Also war es nicht verwunderlich, dass wir keinen einzigen Ton hörten.
Und dennoch war mir, als stimmte etwas nicht. Es war anders. Dieses Gefühl war anders.
Aber ich sagte nichts, denn es war doch sicher die Aufregung. Die Aufregung, meinen Gott retten zu können. Ihm seine Macht wiederzugeben, nachdem er all die Zeit so viel gelitten hatte. Fest hielt ich mich an Aeolus' Hand fest, als wie die Treppen hinauf stiegen und mit einem leisen Quietschen die Tür öffneten, die uns im Flur als erstes in den Blick kam.
Der Wind stieß durch das offene Fenster hinein in das Zimmer und jagte mir eine gefährliche Gänsehaut über den Körper. Meine Hände zitterten, und auch, wenn das Gefühl des Herzsplitters in der Nähe so viel stärker geworden ist, konnte ich nicht über den Fakt hinweg sehen, dass etwas ganz und gar nicht stimmte. Etwas rumpelte kurz.
Ich riss die Götter an den Händen zurück und versuchte, die Umrisse des Raumes in der Dunkelheit erkennen. Es schien etwas im Bett zu liegen, ich konnte die Wölbung erkennen. Teranda ließ meine Hand los, er tastete sich zur Lampe am Nachtschrank und drückte den Knopf. Das Licht war hell, ich kniff meine Augen zusammen.
"..𝘕𝘦𝘪𝘯...", hörte ich Aeolus hauchen. Er ließ meine Hand los, woraufhin ich sanft zu Boden sank und mit meinen Füßen den Teppich berührte. Ich blinzelte stark, meine Augen gewöhnten sich an die Helligkeit. Auf dem Bett lag ein Kind, der Rücken durchgedrückt und der Mund starr geweitet. Der Kiefer schien ausgerenkt, am Hals befanden sich Würdemale. Es bewegte sich nicht.
"Ihr wurde die Seele entnommen. Und der Herzsplitter damit auch.", flüsterte Aeolus in vollkommenen Schock und legte seine Hand an den Arm des Mädchens, spürte ihre warme Haut. Seine Augen zuckten. Ruckartig drehte er sich um und starrte mir direkt in meine Augen. Mir lief es kalt den Rücken runter. "Es ist gerade eben passiert."
Meine Atmung ging immer schneller. Mir wurde schwindelig, ich hatte es schwer, aufrecht zu stehen. Teranda kam, er stützte mich. "Wir.. wir müssen doch etwas tun!" Ich hatte Tränen in den Augen. Aeolus blickte zu mir und er öffnete den Mund, doch wir wurden unterbrochen, als der goldene Wolkenjunge durch das Fenster geflogen kam und uns mit riesigen, ängstlichen Augen ansah.
"Er- Er wird jeden Moment-" Der Wolkenjunge brauchte nicht einmal auszureden. Wir flogen in Windeseile aus dem Zimmer, steil nach oben in den Himmel hinauf. Mein Blick glitt nach unten und ich verfolgte das Dach des Hauses so lange, bis ich es nicht mehr von den anderen in der Nachbarschaft unterscheiden konnten. Die Tränen rannten mir dick und hässlich übers Gesicht und ich schluchzte einmal laut, presste vor lauter Verzweiflung meine Augen fest zusammen.
𝘕𝘦𝘪𝘯, 𝘯𝘦𝘪𝘯, 𝘯𝘦𝘪𝘯..
Wir kamen ganz oben am Palast an und flogen durch die große Öffnung in den riesigen Saal. Alles war überfüllt mit dem Wolken-Volk, sie umkreisten alle die Mitte, in der sich.. E'las befand. Meine Sicht war verschwommen, als wir landeten und doch rannte ich so schnell wie ich nur konnte zu ihm.
Ich fiel auf meine Knie, umarmte seinen dürren Körper ganz fest und weinte laut in sein Ohr. Das.. konnte doch nicht wahr sein! Ich habe alles getan was in meiner Macht stand und trotzdem lag er nun hier und... und..
"Bitte, gebt ihm seine anderen Herzsplitter! Bitte!" Ich schrie sie an. Alle von ihnen. Weinend blickte ich zu Aeolus hinauf, er hatte seine Lippen aufeinander gepresst. "Das geht nicht", sprach er bedrückt. "Es muss komplett sein."
"Nehmt den Splitter aus mir heraus, mir ist das völlig egal! Bitte versucht es! Es- Es fehlt doch nur ein Stück! Ein e-einziges Stück..!" Meine Stimme klang ganz weinerlich und wirr und ich hielt doch trotzdem so verzweifelt an meinem geliebten Gott fest, als würde ich hoffen, dass es ihm helfen konnte. Aber es.. "Es würde ihn von innen zerstören." Gaia trat hervor, er blickte mit dunklen Augen auf mich herab.
Laut wimmernd sah ich in E'las' Augen, sie waren ganz matt, das Leben schien aus ihnen zu weichen. Ich schluchzte und legte meine Hand an seine Wange, spürte die warme Haut und die Knochen. "Ihr habt es nicht geschafft?", hauchte er mir zu und ich schüttelte schwach meinen Kopf, strich vorsichtig über seine Wange. Er hauchte seinen Atem aus, als könnte er es nicht fassen. Kurz schloss er seine Augen, leckte sich über die trockenen Lippen.
"Jemand hat einen Herzsplitter gestohlen", flüsterte ich ihm zu und mein Kinn begann wieder zu beben. Ich schnappte nach Luft, versuchte ich zu beruhigen. "Es tut mir so leid, ich hätte schneller sein müssen. Mit allem. Sonst hättest du es geschafft. Ich bin so eine Enttäuschung.."
Langsam hob mein Herr seine Hand an und strich mir durch meine dunklen, langen Haare. Ich atmete schwer und zittrig, hielt ihn fest in meinen Armen. "Du hast alles getan was du nur konntest und noch so viel mehr. Ich danke dir, dass du für mich gekämpft hast. Du bist der wahre Gott in diesem Raum."
Weinend griff ich nach seinem Handgelenk, schüttelte langsam meinen Kopf. "Nein, bitte.. tu mir das nicht an, mein Herr." Seine Augenlider flatterten und ich ließ sein Handgelenk los, als er sachte daran zog. "Ich bin nicht mehr dein Herr. Jetzt bist 𝙙𝙪 meiner."
Langsam legte er seine Finger an meine Stirn, flüsterte leise Worte auf der Sprache, in der die Verka geschrieben wurde. Manchmal stockte er kurz und schien sich erinnern zu müssen, bis seine Worte immer leiser wurden und er mir schlussendlich anlächelte. "Ich gebe dir meinen Segen, dass du würdig genug bist meinen Platz zu vertreten und auf die Wesen acht gibst, die unter deinem Schutz stehen. Versprich es mir. Sei besser als ich und verliebe dich nicht in einen Menschen, so wie ich es getan habe."
Die Tränen wollten nicht aufhören zu fließen. Wimmernd nickte ich stark, drückte seinen Kopf an meine Brust. Meine Atmung ging schnell und schwer, ein Teil in mir begann zu brechen. "Ich verspreche es.."
Sein Körper begann sich langsam aufzulösen, die Beine und Arme verblassten wie der Nachmittagswind und bevor er vollkommen im Nebel verschwand, blickte ich ihm noch ein letztes Mal in seine Augen. Er betrachtete mich, mein Gesicht, meine Haare, meine Augen. Seine Lippen zierte ein Lächeln. "𝘝𝘪𝘦𝘭𝘭𝘦𝘪𝘤𝘩𝘵 𝘬𝘢𝘯𝘯 𝘪𝘤𝘩 𝘥𝘪𝘤𝘩 𝘪𝘮 𝘯ä𝘤𝘩𝘴𝘵𝘦𝘯 𝘓𝘦𝘣𝘦𝘯 𝘭𝘪𝘦𝘣𝘦𝘯.", flüsterte er mir zu. Weinend nickte ich und krallte mich in seine dunklen Haare. "ja, vielleicht im nächsten Leben..", hauchte ich ihm zu, bis auch sein Gesicht im Nebel unter mir verschwand.
Meine Hände griffen ins Leere, das Gefühl seiner Haare konnte ich noch immer zwischen meinen Fingern spüren. Ich starrte ins Nichts, mein Herz schlug ganz langsam in meiner Brust. Es krachte in mir, alles stürzte in sich zusammen.
Das nächste Leben.. ob mich die Qualen bis dahin auch hin verfolgen würden?
Ende.
- 10.812 Wörter
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