04. American Diner


♪ Last Dance – Donna Summer


~~~ Niall ~~~


Für einen Moment herrschte Stille am anderen Ende der Leitung, dann jedoch vernahm ich Eves markante Stimme.

„Das ist richtig, aber ich dachte ehrlich gesagt nicht, dass du es tun würdest."

„Warum nicht?", entwich es mir perplex. „Mich bittet nicht alle Tage eine berühmte Sängerin um einen Rückruf."

Ihr helles Lachen erklang in meinen Ohren.

„Eine berühmte Sängerin, das gehört der Vergangenheit an. Aber wie dem auch sei, ich möchte es gerne noch einmal versuchen. Allerdings brauche ich dazu jemanden, der gute Texte und Melodien schreiben kann."

Es wäre so viel einfacher, ihr jetzt gegenüber zu sitzen, um das Gespräch weiter fortführen zu können, denn am Telefon war ich echt gehemmt.

„Vielleicht sollten wir uns treffen?", schlug ich deshalb ein wenig schüchtern vor.

„Das ist eine gute Idee. Wann hast du Zeit?", ging sie sofort auf meinen Vorschlag ein.

„Jetzt", entwich es mir prompt. Hoffentlich klang das nicht zu voreilig und sie stempelte mich aufgrund meiner Euphorie als einen Psychopaten ab. Doch Eve nahm das alles zum Glück recht locker.

„Fein, ich habe auch gerade nichts zu tun. Kennst du das Verve Coffee, in der Melrose Avenue in West Hollywood? Ich könnte in einer halben Stunde dort sein", sagte sie.

„Ich kenne es zwar nicht, aber ich werde es wohl finden", erwiderte ich wahrheitsgetreu.

„Fein, dann sehen wir uns dort in einer halben Stunde. Und das Sie kannst du steckenlassen, ich bin Eve, ok?"

Nach diesen Worten legte sie auf und ließ mich mit klopfendem Herzen da stehen.

„Ach du Scheiße", entfuhr es mir, während ich mir die Haare raufte. Auf was ließ ich mich da bloß ein? Eve Lancaster wollte sich bestimmt nicht mit mir auf einen netten Plausch treffen – sie erwartete, dass ich Songs für sie schrieb.

„Niall, du musst total verrückt sein", führte ich mein Selbstgespräch fort und versuchte dabei meine Sneakers anzuziehen. Unglücklicherweise legte ich mich beinahe auf die Fresse, ich konnte mich gerade noch am Türrahmen festhalten und hätte mir um ein Haar den Kopf angeschlagen. Heute war ich echt tollpatschig – hoffentlich setzte sich das nicht fort.

Hastig schnappte ich meine Autoschlüssel, griff nach der Sonnenbrille und rannte nach draußen. Vor dem Haus parkte mein Range Rover, der gleiche, wie ich ihn in Europa besaß. Ich liebte diesen Wagen und wollte nicht auf den großen Komfort verzichten, den das Gefährt bot. Besonders beim Einkaufen war er mehr als nur praktisch. Wenn ich ein Barbecue mit Freunden plante, benötigte ich so einiges, doch das Platzangebot des Range Rovers hatte mich in dieser Hinsicht noch nie enttäuscht.

Heute allerdings musste er mich nur so schnell wie möglich von A nach B bringen. Nachdem ich mich angeschnallt hatte, schaltete ich die Klimaanlage ein, denn selbst im Januar herrschten hier in LA Temperaturen um die achtundzwanzig Grad. Für mich als Ire war das Hochsommer. Das Radio dudelte vor sich hin, während ich nach der Adresse des Cafés suchte, welches Eve mir genannt hatte. Kaum hatte ich es gefunden, ließ ich den Wagen losrollen. An das Automatikgetriebe hatte ich mich inzwischen vollends gewöhnt, ebenfalls an den Rechtsverkehr. Mir war es mittlerweile egal, auf welcher Seite ich fahren musste, ich kam überall zurecht.

Nach ungefähr einer halben Stunde erreichte ich das Ziel und schaute mich nach einer Parkmöglichkeit um. Gott sei Dank fuhr gerade jemand aus einer Parklücke, in die der Range Rover hineinpasste. Ich löste ein Ticket, legte es hinter die Windschutzscheibe und trat den Weg in das Café an, in dem ich mit Eve Lancaster verabredet war.

Es gab sowohl einen Innen-, als auch einen Außenbereich, in welchem man sitzen konnte. Langsam ließ ich meine Augen durch den Raum wandern, konnte jedoch von Eve nichts entdecken. Erst als ich einige Schritte geradeaus lief, erspähte ich sie im Außenbereich sitzend. Den Blickfang bildeten eindeutig die Grünpflanzen, meist Bäume, die an der Wand aber auch in der Mitte standen. Das lockerte die Atmosphäre beträchtlich auf und gab dem Ambiente kein steriles Image. Ich mochte das Café und konnte mir gut vorstellen, weshalb Eve dieses ausgesucht hatte.

Langsam trat ich auf den Tisch zu, an dem sie saß. Sie hob den Kopf, als ob sie meine Anwesenheit plötzlich spürte, und lächelte mich aufmunternd an.

„Hallo, Niall, schön, dass du da bist. Setz' dich doch."

Dieser Aufforderung kam ich nur zu gerne nach, allerdings nicht ohne die obligatorische Frage zu stellen. „Bin ich zu spät?"

„Nein, nein, ich war zu früh."

Als ich mich auf dem Stuhl ihr gegenüber niederließ, nahm ich sie kurz in Augenschein. Eve trug eine helle Hose, weiße Sneakers sowie eine bunte Bluse aus hauchzartem Stoff. Vor ihr auf dem Tisch lag eine Sonnenbrille, direkt daneben ein iPhone der neuesten Generation. Ich besaß selbst so ein Teil, deswegen kannte ich mich damit aus. Kurz nachdem ich Platz genommen hatte, tauchte die Bedienung auf, um nach unseren Wünschen zu fragen.

„Ich hätte gerne den Eisbecher nach Art des Hauses", kam es prompt von Eve.

„Ist der gut?", fragte ich sofort, worauf sie vehement nickte.

„Fein, dann nehme ich den auch."

Eve lehnte sich kurz in ihrem Stuhl zurück, als sie mich mit ihren ausdrucksstarken Augen taxierte „Bist du immer so entscheidungsfreudig?", wollte sie wissen.

„Leider nicht immer, aber wenn es um das Essen geht, schon", erwiderte ich grinsend.

Ihr ansteckendes Lachen erklang fröhlich und bewirkte, dass sich meine Mundwinkel automatisch nach oben zogen. Eve hatte eine umwerfende Wirkung auf ihre Mitmenschen, derer sie sich vermutlich ziemlich gut bewusst war. Als sie allerdings ihre nächste Frage formulierte, verging mir zunächst das unbeschwerte Lachen.

„Also, Niall, wie viele Songs hast du schon für andere Künstler geschrieben?"

Ich schluckte kurz, bevor ich antwortete. „Keine, nur für mich selbst oder für One Direction."

Eve musterte mich gründlich. „Das ist eine sehr ehrliche Antwort. Ich schätze Ehrlichkeit, weißt du das?"

„Jetzt ja."

Die Bedienung servierte unsere Eisbecher, womit die Konversation kurz unterbrochen wurde. Erst als ich meinen Löffel in das Eis eintauchte, redete Eve weiter.

„Weißt du, Niall, es kommt nicht immer darauf an, wie viele Songs du schon für andere geschrieben hast, sondern darauf, dass die Chemie zwischen den Personen stimmt, für die du das tust. Die Leute von Morris haben haufenweise Songs für andere fabriziert, aber sie können keinen für mich abliefern. Zumindest keinen, der zu mir passt. Verstehst du was ich meine?"

Erneut fixierten mich ihre blauen Augen und ich konnte nichts anderes tun als nicken.

„Ich denke, ich verstehe das. Aber meinst du wirklich, dass ich dir dabei helfen kann?"

„Das käme auf einen Versuch an", erwiderte sie leichthin. „Schlimmer als das Zeug bei Morris kann es nicht werden. Du gehst kein Risiko ein und ich auch nicht, denn wir haben keinen Vertrag. Zumindest nicht im Moment."

„Das ist wohl wahr."

Eve kannte sich in der Branche natürlich aus und auch ich war kein Neuling mehr. Das, was wir hier versuchten, war nicht mehr als das Herantasten an den anderen, um herauszufinden, wo man mit den Songs ansetzen konnte. Es war unglaublich, dass sie mir diese Chance gab. Ich konnte das gar nicht richtig fassen und war noch immer dazu geneigt, aus diesem Traum zu erwachen. Normalerweise hatten Louis und Liam immer den Löwenanteil an den Songs für One Direction geschrieben, ich hatte meist nur einen oder zwei für das Album beigesteuert. Erst als ich für mich selbst kreativ wurde, da spürte ich, dass so viel mehr in mir steckte. Vielleicht konnte ich wirklich etwas für Eve tun – und wenn es nur ein einziger Song war, der dabei herauskam. So lange dieser ihr gefiel, würde mich das glücklich machen und mein Ego stärken.

„Vielleicht sollten wir es wirklich versuchen", meinte ich, während ich den langen Löffel erneut in den Eisbecher tauchte. Das Zeug schmeckte verdammt gut. Sowieso war ich im Moment anfällig für Süßes jeglicher Art und deshalb verputzte ich das Eis in Rekordzeit.

„Hast du Hunger?", fragte Eve grinsend, die noch mit ihrer Portion zu kämpfen hatte.

„Es geht."

„Du kannst ruhig ehrlich zu mir sein. Ich kenne ein tolles American Diner, die servieren hausgemachte Burger. Nicht so einen Scheiß wie diese Ketten mit ihren plattgedrückten fleischähnlichen Pfannkuchen."

Eves Ausdrucksweise reizte mich schon wieder zum Lachen. Ich beugte mich ein wenig über den Tisch, als ich sprach: „Und wo ist dieses Diner?"

„Etwas außerhalb von LA. Ich kann dich hin lotsen, wenn du möchtest."

„Kennst du die Adresse nicht?"

Sie winkte kurz ab. „Wer braucht denn eine Adresse? Früher haben wir auch alles gefunden, da gab es keine Navigation. Aber heutzutage flippen die Leute aus, wenn sie nach Schildern oder gar Straßenkarten fahren sollen. Kannst du überhaupt Karten lesen?"

„Nein, aber Noten", entgegnete ich trocken.

Sofort verzog sich ihr Gesicht zu einem Schmunzeln. „Ich mag deinen Humor, Niall. Das mit uns könnte was werden. Also lass uns einen Burger essen und alles Weitere besprechen."

Ohne Navigation durch LA zu fahren war etwas vollkommen Neues für mich. Normalerweise verließ ich mich immer auf die weibliche Stimme, die mich durch die Straßen dirigierte. Das hatte ich zwar jetzt auch aber in völlig anderer Form.

„Da vorne musst du links abbiegen."

„Halb links oder ganz links?"

„Ganz natürlich. Wir machen keine halben Sachen", lautete Eves Ansage, worauf ich brav die Spur wechselte.

„Sind wir noch richtig?", wollte ich ungefähr nach einer Meile wissen.

„Natürlich, was denkst du denn?", kam es leicht empört zurück.

Ich verließ mich also weiterhin auf Eve, mein neues Navigationsgerät auf dem Beifahrersitz. Je weiter wir aus LA herausfuhren, desto mulmiger wurde mir zumute. Hier kannte ich mich überhaupt nicht aus, geschweige denn, wusste ich nicht einmal, wo genau ich mich befand. Die Frage, ob wir noch richtig seien, verkniff ich mir jedoch, denn ich wollte nicht als Weichei dastehen.

Nach einer gefühlten Ewigkeit bat Eve mich, rechts abzubiegen, was ich gehorsam tat.

„Wir sind gleich da", meinte sie. „Es wird auch Zeit, denn ich habe jetzt mächtig Hunger."

Inzwischen war es stockdunkel draußen, was aber den untrüglichen Vorteil hatte, dass man die Beleuchtung des Diners schon von weitem ausmachen konnte. Das Teil stach einem wirklich ins Auge und wirkte wie ein originales Gebäude aus den fünfziger Jahren.

„Das ist krass", entfuhr es mir, als wir uns dem Parkplatz näherten, der sich vor dem Diner befand.

„Super, oder?" Eve grinste mich zufrieden an, während ich den Sicherheitsgurt löste.

„Wer hätte gedacht, dass es in dieser Einöde solch ein Juwel gibt?", warf ich die Frage in den Raum.

„Tja, da muss erst ich daher kommen und dich darauf aufmerksam machen", lauteten Eves Worte, die sie mit einer dramatischen Handbewegung untermalte. „Übrigens, du hast einen netten Wagen", ließ sich noch heraus, bevor sie aus dem Range Rover stieg.

„Danke, mir gefällt er auch. Er ist ziemlich praktisch."

„Hat er Liegesitze?"

„Keine Ahnung."

„Woher willst du dann wissen, ob er praktisch ist?"

Das leichte Zwinkern ihrer Augen konnte man auf keinen Fall missverstehen, ebenso wenig das Glucksen, welches ihrer Kehle entfuhr, als sie mich anblickte.

„Hör mal, ich vögele meine Tussen nicht im Auto", klärte ich sie auf. „Dafür ist der Wagen viel zu teuer. Stell dir mal vor, die Sitze würden eingesaut werden."

„Das ist aber schade. Zudem hast du mir gerade einige wichtige Details aus deinem Leben verraten."

Irritiert blickte ich Eve an und im gleichen Moment entwich mir ein lautes Schnaufen.

„Ich soll die Songs für dich schreiben, also musst du mir alles über dich erzählen und nicht umgekehrt", blökte ich ein wenig ungehalten los.

Doch Eve schüttelte nur ihren Kopf, während sie in Richtung Eingang stolzierte. An der Tür drehte sie sich kurz zu mir. „Das stimmt nicht ganz. Songschreiber und Sänger sind ein Team. Und je mehr beide voneinander wissen, desto perfekter werden die Songs."

Seufzend lief ich ihr hinterher und erreichte die Tür gerade noch vor ihr, um diese für sie aufzuhalten. Als ich das Diner hinter Eve betrat, blieb mir im ersten Moment vor Überraschung der Mund offenstehen. Das Ding war echt der Hammer.

Jedes einzelne Detail stimmte mit den Originalen aus den fünfziger, sechziger Jahren überein. Angefangen von den schwarz-weißen Fliesen, über die roten Bänke und Stühle bis hin zu der alten Wurlitzer Jukebox, die ganz sicher ein Vermögen wert war. Ich konnte mich nicht satt sehen.

„Wow, es ist absolut toll hier", sagte ich ehrfürchtig, während ich meine Blicke erneut durch den großen Raum schweifen ließ. Zu dieser Uhrzeit war das Diner noch ziemlich gut besucht, trotzdem fanden wir einen etwas abgelegenen Tisch, an dem sicher eine ungestörte Unterhaltung möglich sein sollte.

Als die Bedienung, welche ebenfalls im Stil der fünfziger Jahre gekleidet war, die Speisekarte brachte, lief mir buchstäblich das Wasser im Mund zusammen. Eve schien ihre Wahl bereits getroffen zu haben, denn sie blickte nur kurz in die Karte, um dann zu sagen: „Ich weiß schon, was ich nehme. Das Übliche."

„Und das wäre?", wollte ich wissen.

„Den kleinen hausgemachten Cheeseburger mit Bacon und Fritten. Dazu hätte ich gerne eine Cola."

Als ich bemerkte, dass die Burger in drei unterschiedlichen Größen angeboten wurden, entschied ich mich für die mittlere Variante, die Fritten sowie ein Wasser. Anschließend klappte ich die Speisekarte wieder zu und wandte mich an Eve.

„Hast du dir eigentlich schon Gedanken über deine Songs gemacht? Ich meine, was sollen die beinhalten? Welche Themen möchtest du ansprechen?"

Ein zartes Lächeln zierte ihr Gesicht, als sie antwortete: „Nicht wirklich, aber du scheinst dir schon Gedanken gemacht zu haben."

„Wie kommst du denn darauf?"

„Sonst würdest du nicht fragen", kam es prompt von ihr.

„Na ja", erwiderte ich wahrheitsgetreu, „eigentlich muss ich wohl eher alles auf mich zukommen lassen."

Eine andere Wahl hatte ich wirklich nicht, als das zu verwerten, was sie bereit war, über sich preiszugeben. Ehe ich noch etwas sagen konnte, erklang plötzlich Musik aus der alten Jukebox. Jemand hatte Geld eingeworfen und einen Song ausgesucht. Passend zum Stil ertönte 'Rock around the Clock' von Bill Haley.

„Ich mag diesen Song", erklärte ich, als sich Eves Blick auf mich richtete.

„Ja? Das finde ich toll. Magst du generell ältere Songs oder ist das ein Zufall?", erkundigte sie sich interessiert.

„Ich mag alle Arten von Musik, egal ob modern oder Oldies", gab ich zur Antwort.

„Das ist gut, dann bist du also nicht festgefahren, was die Richtung angeht."

„Keineswegs."

Wir unterhielten uns ganz locker über Musik, bis unser Essen serviert wurde. Die Fritten lagen in einem extra Körbchen und die Burger sahen unglaublich lecker aus. Eve verteilte den Ketchup großzügig über ihre Fritten, ehe sie die Plastikflasche an mich weiterreichte.

„Lass es dir schmecken, Niall."

„Danke, Eve, du dir auch."

Es brauchte nur einen Bissen, um festzustellen, dass ich gerade einen Burger der Extra-Klasse verspeiste. Ich war Eve so unglaublich dankbar, dass sie mich in dieses Diner gelockt hatte, aber nicht nur wegen des guten Essens. Die ganze Atmosphäre haute mich schlichtweg um, denn diese war so außergewöhnlich wie die Frau, die mir gerade gegenüber saß. Eve gab sich ganz natürlich, sie brauchte niemandem und erst recht nicht mir, etwas zu beweisen. Wir lachten viel und scherzten, bis sie plötzlich einen Satz heraushaute, der mich sprachlos machte.

„Ich mag deine Augen, Niall."

Langsam kroch die Röte in meinen Nacken, was Eve natürlich nicht verborgen blieb.

„Das ist ja niedlich", meinte sie. „Hat dir noch nie eine Frau ein Kompliment gemacht oder warum wirst du so rot?"

„Doch aber keine, die-." Ich stoppte, um nichts Falsches zu sagen, da sprach sie auch schon: „Keine, die so alt ist wie ich. Ich verstehe schon."

Ihr Lachen erklang erneut in meinen Ohren. „Weißt du, Niall, das Schlimme am Älterwerden ist, dass man nicht blind wird, sondern manche Dinge klarer sieht."

„Sowas wie meine Augen?", frotzelte ich.

Eve brach in lautes Gelächter aus. „Das war gut gekontert. Du lernst schnell."

„Das will ich doch hoffen."

Vorwitzig stibitzte ich ihre letzte Pommes, da Eve bereits das Besteck zur Seite gelegt hatte. „Darf ich dich etwas fragen?", meinte sie, während sie ihre Papierservierte zerknüllte.

„Klar."

Was kam nun schon wieder?

„Wie viele Freundinnen hast du?"

Wie aus der Pistole geschossen erfolgte meine Antwort. „Zwei."

Erneut verzog sich ihr Gesicht zu einem Schmunzeln. „Das ist mickrig. Ich dachte, ein Star deines Kalibers hat an jeder Hand zehn Frauen."

„So einfach ist das nicht. Wenn ich mit so vielen Frauen herummachen würde, wäre ich ganz schnell als männliche Schlampe verschrien", legte ich meine Ansicht dar, was Eve mit einem Schulterzucken quittierte.

„Was denkst du, haben die Stones früher gemacht?"

„Das war doch etwas ganz anderes", entfuhr es mir erstaunt. „Man kann doch unsere Generation nicht mit den Stones vergleichen."

„Man kann alles vergleichen, was dem Vergleich standhält", gab Eve kontra.

Nachdenklich betrachtete ich ihre klaren blauen Augen. „Du sagst immer, was du denkst, oder?"

„Ja, damit bin ich in der Vergangenheit ziemlich gut über die Runden gekommen. Ich bin achtundvierzig, Niall. Mir kann man nichts mehr vom Leben erzählen."

Ich sprach aus, was ich in jenem Moment dachte: „Du bist genau doppelt so alt wie ich."

„Das stimmt, allerdings wird es dich nicht davon befreien, einen oder mehrere Songs für mich zu schreiben."

Grinsend schaute ich sie an. „Wir sind also noch immer im Geschäft?"

„Oh ja, das sind wir."

Ich wollte hoffen, dass ich es nicht vermasselte, denn für jemanden wie Eve schreiben zu dürfen, sah ich als eine große Ehre und Herausforderung an. Diese Chance durfte ich nicht ungenutzt lassen. Da sich das Diner inzwischen geleert hatte, waren wir die einzigen beiden Gäste, die noch am Tisch saßen.

„Machen die hier gleich zu?", wisperte ich über den Tisch, worauf Eve ihren Kopf schüttelte.

„Hier ist der Kunde noch König. Wenn wir bis drei Uhr morgens bleiben würden, dann würden sie uns so lange Kaffee oder Cola servieren, bis wir endlich genug hätten."

Ich für meinen Teil hatte noch nicht genug, denn es gab eines, was ich an diesem Abend gerne noch erledigen wollte, nämlich die Musikbox in Gang zu setzen. Allerdings fehlte mir hierfür das nötige Kleingeld.

„Was muss ich in die Jukebox einwerfen?", erkundigte ich mich bei Eve.

„Es ist erschreckend, was du alles nicht weißt", kam es zurück, während sie mir ein Geldstück reichte. „Einen Dime, aber triff deine Wahl mit Bedacht, denn es ist mein Letzter."

Das wollte ich gerne tun und deshalb erhob ich mich, nachdem ich mich für den Dime bedankt hatte und studierte die Titel der alten Wurlitzer Box. Ein Song stach mir sofort ins Auge, einem den ich neulich erst in London gehört hatte. Etta James war meine Wahl.

Langsam ließ ich den Dime in dem Schlitz verschwinden und drückte die entsprechende Kombination, welche den Song freigab. Es dauerte, bis das altertümliche System in Gang kam und diese Zeit nutzte ich, um zu unserem Tisch zurückzukehren. Gerade als die ersten Takte von 'I'd rather go blind' erklangen, reichte ich Eve meine Hand. Sie deutete meine Aufforderung sofort richtig und erhob sich ohne Umschweife. Mit ihren flachen Sneakers wirkte sie um einiges kleiner als mit den hochhakigen Stiefeln, die sie bei unserem ersten Zusammentreffen in London getragen hatte. Trotzdem fühlte es sich perfekt an, als ich meine Hände an ihre Hüften legte. Wirklich schnell konnte man zu diesem Song nicht tanzen aber das war auch egal. Es ging einzig und alleine um die Atmosphäre in diesem Diner, dessen schummeriges Licht die musikalische Untermalung unterstrich. Doch das, was dann passierte, ließ mich wissen, dass die Songs für Eve vermutlich ganz anders werden würden, als gedacht.

Als der Einsatz von Etta James' kam, da hörte ich Eve plötzlich singen.

„Something told me it was over - When I saw you and her talking-."

Der Klang ihrer Stimme löste eine wahre Gänsehaut auf meinen Armen aus und in diesem Augenblick realisierte ich es. Das, was alles anders machte.

Ich hörte den Soul in ihrer Stimme.

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Dieses Kapitel ist bis jetzt mein Lieblingskapitel, weil es eine Schlüsselszene besitzt aber auch, weil es viel über Niall und auch über Eve aussagt. Ich hoffe, ihr mochtet es. Oben seht ihr ein Bild von einem Old American Diner, inklusive der Wurlitzer Musikbox. Diese Dinger sind unglaublich viel Wert und ich finde sie mega cool.

Danke für euren Support zu dieser Story und für alle, die noch nicht so recht wissen, was sie davon halten sollen: SOUL wird sich euch öffnen, wenn ihr euch darauf einlasst. ;)

LG, Ambi xxx

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