2. Aufmerksamkeit

Ich schluckte mehrmals schwer, als mein Kopf episch die fast glatte Wasseroberfläche durchstieß, zerrte ungelenk einen frustrierend schweren Körper mit mir.

Wir hätten sie ertrinken lassen sollen.

Hanbins Hände griffen ungeschickt nach dem schlaffen Mann in meinen Armen, teilten das Gewicht zwischen ihm und mir auf.

Der Schwarzhaarige hing leblos zwischen uns, schwebte einwandslos mit uns durch das kühle Wasser, als wir zielstrebig auf das Land zu hielten.

"Wie viele haben wir?", schnaufte Hanbin angestrengt neben mir, seine kraftvollen Schwimmbewegungen wühlten das Wasser und dessen Bewohner auf.

"6? Oder 7? Ich glaube Donghyuk meinte 8, aber den Toten brauchen wir ja nicht zu zählen." Ratlos hob ich die Schultern und hielt den Arm des großen Mannes etwas fester, als er drohte von meiner nassen Haut abzurutschen.

Hanbin nickte grimmig und sah dann wieder stur geradeaus, auf den weißen, blendenden Sandstrand, der uns immer näher kam, für uns das rettende Ufer bedeutete.

Wir entließen den Mann frühzeitig aus unserer Umklammerung, stießen ihn sanft vorwärts, damit er den Rest alleine zurück legte.

Sobald er sicher und wohlbehalten am Ziel angekommen war, wandten wir uns um und schwammen wieder auf das Meer hinaus, suchten nach weiteren Opfern des Schiffsbruchs vom vorherigen Tag.

Wir durchsuchten strategisch geschickt, fragten das umliegende Meervolk um Hilfe und gingen kein Risiko ein ein Stück Blech mit einem Menschen zu verwechseln.

Als Jiwon uns nach einigen Minuten eifrigen Suchens entgegen kam, hing ihm das schwarze Haar in einem hoffnungslosen Chaos in den schmalen Augen, bedeckte eigentlich mehr oder weniger sein gesamtes Gesicht. Im muskulösen Arm trug der Mann einen älteren Herren, der Captain vielleicht, der nicht mehr besonders frisch wirkte.

Jiwon grinste uns jungenhaft entgegen, sobald er in Reichweite war.

"Lebt er?", las Hanbin skeptisch meine Gedanken und piekte vorsichtshalber den Arm des alten Seebären, erhielt keine Reaktion.

"Selbst wenn nicht, dann will ich ihn nicht in meinem Meer haben. Ich liefere ihn ab.", gab Jiwon nur milde irritiert zurück und passierte uns in einem Schimmer von schillernden, schwarzen Schuppen.

Ich spürte das Wasser über meine Haut kitzeln, als der Mann sich von uns entfernte, unnötig viel Luft aufwirbelte.

"Sind 9.", kommentierte Hanbin neben mir, schürzte dann die vollen Lippen. "Das dürften alle sein, sollen wir bei Jinhwanie nachfragen gehen?"

Ich nickte stumm und folgte meinem Freund durch die Wellen, behielt den Blick immer stur auf dem silbernen Leuchten seiner eigenen Schuppen, die mir den Weg durch das tiefe Blau wiesen.

Wir passierten einige vertraute Fischschwärme, befreiten noch ein Riff von störenden Maschinenteilen und vertrödelten noch ziemlich viel Zeit, bis wir endlich das taten, was anstand.

Jinhwan erwartete uns mit verschränkten Armen und ruhigen, kraftvollen Bewegungen seiner Fischhälfte, die sich in einem zarten Grün von seiner Hüfte abwärts ausbildete.

"Ihr habt lange gebraucht.", begrüßte er uns streng und ich verdrehte die Augen, schwamm dann kurzerhand zu ihm hinüber, um meine Dominanz klar zu machen, ihn mühelos zu überragen.

Mein Arm fand seine schmäleren Schultern, zog den Mann nah an meine Seite, so nahe, dass sein Ellbogen an meine Seite gepresst war und seine Schwanzflosse regelmäßig die meine streifte.

Nachdenklich legte ich das Kinn auf seinem hübschen Kopf ab, starrte gedankenverloren in das diffuse Meer hinaus, während er sich mit Hanbin absprach.

"Wir mussten noch ein Riff retten. Wie ist die Lage oben?"

Jinhwan war - im Gegensatz zum Rest von uns - ein Gestaltwandler, ihm standen also auch die 0815 langweiligen Menschenbeine zur Verfügung.

"Auf der ersten Insel haben sich alle gefunden außer einem, er ist gestern noch in den Wald gelaufen. Sie sind zu viert unterwegs und suchen inzwischen ihren Freund.", erklärte Jinhwan uns ernst, sah stur nicht zu mir auf, sondern zu Hanbin hinüber, der nachdenklich seinen Kopf hin und her wiegte.

"Wir haben eben noch jemanden auf der zweiten Insel abgegeben. Jiwon hat die Leiche eines Toten mit sich herum gezerrt."

Ah ja, die Leiche eines Toten.

Jinhwan schien dasselbe zu denken und entspannte sich etwas unter mir, widerstand dem Drang seine geschwimmhäutete Hand gegen seine Stirn zu bringen.

Ich ließ eine große Hand in sein ebenso grünliches Haar gleiten, spielte abwesend mit den davonschwebenden Strähnen vor meinem Gesicht.

"Dann sind es dort 2 Überlebende. Ich glaube einer fehlt uns noch. Ich werde die Otter fragen, ob sie ihn gesehen haben."

Damit schlüpfte der ältere Meermann geschickt aus meinem engen Griff und beeilte sich davon zu kommen, verschwand elegant tiefer zwischen den Riffen.

Ich hob die Augen zu Hanbin, der unsicher seine unschuldige Lippe biss.

"Stimmt etwas nicht?", hinterfragte ich vorsichtig, sprach leise, um ihn nicht versehentlich zu erschrecken.

Hatten wir etwas übersehen?

Hanbin richtete verpeilt seine jungen Augen auf mich, erwachte aus seiner selbstgewählten Trance.

"Verdammt... Ich hab daheim das Licht nicht aus gemacht... Jinanie wird mich töten, ugh."

Also war alles wie immer.

Ich winkte ab, hatte andere Sorgen und machte mich dann auf den Weg zu dem Strand, an dem wir zuvor die anderen Opfer nahe beisammen gelegt hatten. Wir brauchten etwas von dort.

Hanbin verzweifelte still und leise weiter mitten im Meer hinter mir, während ich abbog, flussaufwärts durch die vertrauten und sauberen Gewässer der Insel glitt.

Die Sonne tauchte spärlich durch das Blätterdach und zu mir ins Wasser, ich grüßte sie voller Wärme.

Ich betete allein zu sein, dass mich niemand dabei erwischte, als ich in den See tiefer im Wald tauchte, mich verstohlen auf der leeren Lichtung umsah.

Leicht wie Federn schnitten meine Arme durch das vergessene Wasser, als ich mich anschließend geschmeidig zu dem Stein hinüber zog, an dessen Seite wir gestern erst den zerstörten Körper des toten Mannes abgelegt hatten, einiges an Blut war zynischerweise an dem steinernen Tisch getrocknet.

Angeekelt zog ich den Körper zu mir ins klare Wasser, versenkte ihn sofort in der tückischen Flüssigkeit.

Wir brauchten ihn als Beweis dafür, dass der Mann tot und der Rest hier gestrandet war.

Unser Ältestenrat wäre sehr erzürnt über die frohe Botschaft. Ausser sich vor Wut sogar.

Wie schön.

Er hatte die Dinge verkompliziert.

Mino hätte nicht sterben sollen, seine Aufgabe war es den Rest der Mannschaft zu töten und zu uns zu bringen.

Aber nein, dieser Trottel ließ sich töten.

Wir würden mal wieder nur Ärger bekommen.

Aber egal.

Am Ende bekam unser König ohnehin immer genau das, was er wollte.

Ich tauchte ab, überließ den Toten den reissenden Fluten aus denen er geboren war.

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