~𝙑𝙄𝙋 𝙖𝙪𝙛 𝙆𝙪𝙧𝙯𝙯𝙚𝙞𝙩~
Man weckt Chloe leider sehr früh. Klar, bei der Armee gibt es keine Faulheit. Trotzdem ist sie viel zu müde und reibt sich oft die schweren Augenlieder, während sie über den steinigen Platz läuft. Der Soldat vom Vorabend begleitet sie bis zur Mensa, sorgt dafür, dass sie nicht verhungert und führt sie nach einem ausgiebigen Frühstück zu den Fahrzeugen. Chloe staunt über den schwarzen Mercedes, zu dem der schweigsame Mann sie bringt. Er wirft ihre Tasche in den Kofferraum, während Chloe sich das Fahrzeug beguckt.
Sie hätte eher einen Geländewagen erwartet. Ein paar Meter weiter stehen noch weitere drei von den gleichen Wagen. Plötzlich öffnet jemand neben ihr die Beifahrertür.
Es ist Christian, der auf einmal etwas kürzere Haare und seinen Sieben-Tage-Bart getrimmt hat. Nun wirkt er etwas jünger - so wie in der Uni. Ein ungewohntes Gefühl der Vertrautheit überkommt Chloe. Sie ist froh, dass er sie begleitet und niemand anderes. Chloe gibt es nur ungern zu, aber sie hat sich an ihn gewöhnt.
Er macht eine Geste, dass sie einsteigen soll. Bekommt sie nicht mal eine Begrüßung von ihm? Ist er nun Mundtod geworden über Nacht, oder was?
„Guten Morgen!", grüßt sie so freundlich es geht. Doch Christian nickt nur distanziert. Dann sieht er hinter sie und salutiert. Chloe folgt seinem Blick und entdeckt ihren Vater, der in einiger Entfernung steht und ebenfalls zum Abschied salutiert. Für Chloe hat er nur ein warmes Lächeln. Sie hofft ihn bald wieder zu sehen und verspürt eine unerwartete Dankbarkeit für ihren Vater. Dann steigt sie ein.
Christian setzt sich hinters Steuer, lässt den Motor an und fährt den Wagen langsam aus dem Militärlager. Im Rückspiegel erkennt Chloe die anderen drei Wagen, die sich ebenfalls in Bewegung setzen und sie bis zum Highway verfolgen. Dann biegen sie nach und nach in unterschiedliche Richtungen ab und werden nicht mehr gesehen.
Ist das alles zu ihrem Schutz? Alles um die Feinde in die Irre zu führen, sollte sie jemand verfolgen?
Chloe versucht sich zu entspannen und rutscht etwas tiefer in den Sitz. Sie ist immer noch müde. Christian sagt auch kein Wort, dass sie eventuell wach halten könnte. Also beschließt sie ein wenig zu dösen. Immerhin ist sie sicher. Weil er bei ihr ist.
Sie weiß nicht, wie lange sie schläft. Der Sitz ist unglaublich bequem und das sanfte Schaukeln der Limousine hat sie beruhigt. Die Stille weckt sie nach einer Weile.
Das Auto steht. Chloe hat gar nicht bemerkt, dass sie angehalten haben. Sie sieht neben sich. Christian ist ausgestiegen. Sie sieht sich draußen um. Sie stehen auf einem Rastplatz. Neben ihr röhrt die Zapfsäule der angebauten Tankstelle. Nur von Christian ist nichts zu sehen. Ist er ins Geschäft gegangen?
Chloe steigt aus, um sich etwas die Beine zu vertreten. Die frische Luft weckt ihre Lebensgeister und die Sonne kitzelt Chloe an der Nasenspitze. Sie geht ein paar Schritte auf und ab, immer halb Ausschau nach Christian haltend. Neben dem Mercedes steht ein dunkler Geländewagen. Ein Mann bedient den Tankschlauch und beobachtet sie dabei aufmerksam.
Chloe kümmert sich erst nicht weiter um ihn. Doch als sie erneut hinsieht, stellt sie fest, dass er sie immer noch ansieht. Vollkommen emotionslos, aber nicht böse. Seine kahl geschliffene Glatze reflektiert die grellen Scheinwerfer am Dach über ihnen und sein schwarzer Anzug wirkt irgendwie unpassend. Er macht eher einen harten Eindruck und nicht wie einer, der Anzüge trägt.
Er hört einfach nicht auf sie anzusehen. Was soll das? Steht zufällig „Single" auf ihrer Stirn? Wie alt mag er sein? Über Vierzig auf jeden Fall und damit viel zu alt für Chloe.
Dann endlich sieht sie Christian auf sich zukommen. Er geht an dem mysteriösen Kerl vorbei und sieht ihn kurz an. Chloe fällt aus den Wolken, als er ihm auch noch zunickt.
„Wer ist das?", fragt sie sobald Christian bei ihr ist.
„Security", antwortet er knapp und steckt die eben erhaltene Tankquittung in seine Brieftasche. Gleichzeitig überreicht er Chloe ein eingepacktes Tunfisch-Sandwich.
„Für mich?"
Damit meint sie eigentlich die Security-Typen.
Er nickt und öffnet erneut die Beifahrertür.
„Steig ein, wir wollen weiter."
„Willst du keine Pause machen? Wir sind doch bestimmt schon eine Weile unterwegs."
„Keine Sorge, wir sind bald da. Es sei denn du brauchst noch etwas."
Sie schüttelt den Kopf.
„Wo fahren wir denn hin?"
Er stöhnt etwas genervt. Was ist denn plötzlich los mit ihm?
„Hör bitte auf mir so viele Fragen zu stellen. Ich werde keine Details aussprechen, bis wir den Zielort erreicht haben. Danach kannst du mich alles fragen, verstanden? Und jetzt steig bitte wieder ein."
Knurrend und auch etwas eingeschüchtert setzt sich Chloe wieder auf den Beifahrersitz. Christian schließt die Tür und geht zur Fahrerseite. Dabei sieht Chloe erneut zu dem Fahrzeug nebenan. Der Mann steckt den Schlauch zurück in die Säule und setzt sich ans Steuer. Gleichzeitig kommt ein zweiter Mann aus dem kleinen Laden und setzt sich anschließend auf den Beifahrersitz des Geländewagens. Auch er sieht kräftig und viel zu ernst aus. Mal abgesehen von dem dunklen Anzug.
Die weitere Fahrt über wirft Chloe immer wieder einen prüfenden Blick in den Seitenspiegel der Limousine, nur um festzustellen, dass der Geländewagen ihnen immer noch folgt.
„Ich kann ihnen sagen, dass sie mehr Abstand halten sollen, wenn sie dich nervös machen."
Christian hat wohl ihre ständigen Blicke in den Rückspiegel bemerkt.
„Würden sie uns dann nicht verlieren?"
„Der Mercedes ist GPS überwacht. Im Falle einer Notsituation lässt er sich also sehr schnell ausfindig machen. Sie folgen einfach dem Signal."
Meine Güte was für ein Aufwand. Chloe fühlt sich wie eine Prominenz. Begleitschutz, ein Soldat als Leibwächter und ein luxuriöses, Satelliten überwachtes Fahrzeug. Eigentlich müsste sie auf dem Rücksitz sitzen. Sie dreht sich um und schaut sich den Innenraum genauer an. Alles in einem hellen Grau gehalten. Die Sitze bestehen aus hochwertigem Leder und die Türen sind innen mit blauen LED-Lichtern beleuchtet, was dem Ganzen einen gewissen Charme gibt.
„Du magst den Wagen, oder?"
„Ja", gesteht sie leicht verlegen und dreht sich wieder nach vorne. Währenddessen wählt Christian über das Touch-Display eine Telefonnummer. Kurz darauf meldet sich eine tiefe Männerstimme.
„Ja, Lieutenant."
„Bleibt außer Sichtweite. Ihr verschreckt noch meinen Fahrgast."
„Verstanden."
Dann endet das Gespräch.
„Du hättest das nicht so sagen müssen. Ich bin nicht verängstigt."
Nach gefühlt einer Ewigkeit regt sich etwas in seinem Gesicht. Er wirkt amüsiert.
„Chloe...du hast immer Angst."
Sie schnaubt nur, lässt seine Aussage aber unkommentiert.
Sie beschließt ihn wieder zu ignorieren und widmet sich dem Sandwich. Die Fahrt dauert noch etwa zwei Stunden, dann fahren sie einen schmalen, gewundenen Weg bergauf und erreichen schließlich eine hohe Bruchsteinmauer. Ein metallenes Tor öffnet sich und gibt Einsicht auf ein großes mit Holz verkleidetes Haus. Es ist bis in den ersten Stock beleuchtet. Das schwarze Satteldach wirkt wie frisch gedeckt und ist mit allerhand Antennen versehen.
„Was für ein teurer Kasten," bemerkt Chloe und guckt neugierig aus dem Fenster.
„Dieser Kasten wird für die nächsten Tage dein Zuhause sein."
Auf dem Hof ist nicht viel grün zu erkennen. Nur im Bereich der Haustür, stehen ein paar hohe Büsche. Ansonsten wachsen in den perfekt angeordneten Beeten nur kleine Blümchen. Neben den Fenstern befinden sich hölzerne Fensterläden und an der Seite ist ein steinerner Kamin angebaut. Bestimmt hat das Haus mehrere Zimmer, so groß wie es aussieht.
Als der Wagen vor dem Eingang hält und Chloe aussteigt, kommt ein weiterer Anzugträger aus dem Haus. Im selben Moment bemerkt Chloe noch zwei weitere. Sie sehen alle in ihre Richtung, kümmern sich aber nicht weiter um sie. Einer steht in der Nähe der Mauer, die das gesamte Grundstück zu umranden scheint. Der Mann vor ihr geht langsam über den kurz gemähten englischen Rasen zu ihrer Rechten.
Der Mann, der gerade aus dem Haus gekommen ist, wirkt jung, athletisch und fröhlich. Er lächelt ihr leicht zu und wendet sich dann an Christian, der bereits Chloes Sachen aus dem Kofferraum geholt hat.
„Second Lieutenant Liam Mitchell meldet sich zum Dienst", rattert er herunter und salutiert vor Christian. Dieser erwidert den Gruß.
„Willkommen, Lieutenant. Hier nimm und lass den Quatsch. Wir sind auf Sondermission", sagt er anschließend grinsend und drückt ihm Chloes Tasche in die Hand.
„Schön Sie kennen zulernen, Miss Anderson."
Das braune, aber gleichmäßig geschnittene Gesicht des Mannes grinst sie erwartungsvoll an. Seine lange Nase ist wohl das auffälligste an ihm und der Millimeterhaarschnitt. Er ist so ein Wentworth-Miller-Verschnitt, was ihn für Chloe sympathisch macht.
„Lieutenant Mitchell wird mit mir zusammen für deine Sicherheit verantwortlich sein," erklärt Christian während sie durch die graue Tür das Haus betreten. „Wir kennen uns schon fünf Jahre und haben zusammen viel durchgemacht. Ich vertraue ihm mehr als mir selbst, also kannst du das auch."
Chloe erkennt, dass Liam mehr als nur ein vertrauenswürdiger Soldat ist. Er scheint auch mit Christian befreundet zu sein.
„Hast du alle Vorbereitungen getroffen?"
„Sicher Christian, so wie du es wolltest. Du kannst es gerne überprüfen."
„Das mache ich auch."
„Hältst du denn so viele von diesen Security-Typen für notwendig? Es ist besser verborgen zu bleiben", gibt Liam zu bedenken.
„Aber so wird es auch schwierig aufs Grundstück zu kommen."
„Erwartest du denn jemanden?", fragt Chloe nun wieder leicht angespannt.
„Fürs Erste haben wir Ruhe, aber sie werden wieder kommen. Dann möchte ich vorbereitet sein."
Chloe sieht sich im Erdgeschoss um. Ein gemütliches Wohnzimmer mit großen Fenstern, die Aussicht auf einen herrlichen, großen See hinter dem Haus zeigen. Er liegt etwas weiter den Hang hinunter, wo auch eine kleine Bootshütte und ein langer Steg zu erkennen sind. Die Abendsonne taucht den Horizont in ein warmes Orange und lässt das unruhige Wasser glänzen.
„Wow!" Chloe vergisst sich den Rest des Hauses anzusehen. Sie stolpert fast über den fransigen Teppich neben der schwarzen Ledercouch, als sie abgelenkt zum Fenster geht.
Am liebsten möchte sie jetzt sofort in den See springen, aber das würde man ihr sicher nicht gestatten. Davon abgesehen hat sie nicht daran gedacht sich Badezeug einzupacken. Wer rechnet auch mit sowas, wenn man sich eigentlich verstecken muss. Das ist wie ein Traum, wie „Plötzlich Prinzessin" nur ohne Märchenprinz und Krone. Dieses Haus ist der Wahnsinn. Es sollten nur ein paar Wochen sein? Warum nicht für immer?
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