~𝙏𝙧𝙖𝙪𝙢𝙝𝙖𝙪𝙨, 𝙒𝙚𝙞𝙣 𝙪𝙣𝙙 𝙒𝙤𝙡𝙛 ~
Die Situation ist zu ernst, um sich vollkommen zu entspannen. Doch für Chloe fühlt es sich wie Urlaub an. Nur dass sie niemals alleine Urlaub machen würde. Zwei Tage ist sie schon in dem sogenannten Safehouse. Zwar ist sie nicht alleine, aber sie hat keinen, mit dem sie reden kann. Da kann das Haus noch so schön sein. Magda muss es zu Weilen erdulden, dass Chloe ihr die Ohren taub quatscht. Doch die etwas ältere Dame hat nicht rund um die Uhr Zeit dafür. Sie hat ihre Aufgaben.
Was bleibt Chloe dann noch, um ihre Langeweile zu vertreiben? Eigentlich nur der Fernseher oder die wenigen Bücher aus dem Regal im Wohnzimmer. Dabei würde sie gerne schwimmen gehen oder einfach nur mal spazieren gehen. Kann es denn so gefährlich sein raus zu gehen? Wer könnte ihr hier schon schaden? Sie hat Liam und Christian abwechselnd immer an ihrer Seite. Zudem laufen am Tage und bei Nacht immer zehn Sicherheitsbeamte übers Grundstück.
Chloe fühlt sich wie eine Gefangene ohne etwas verbrochen zu haben.
Doch irgendwie bringt sie den Tag hinter sich und beschließt abends das halbwegs interessante Fernsehprogramm durchzusehen. So landet sie gegen acht mit einem kleinen Glas Wein und ein paar Snacks vor der Couch auf dem Boden. Richtig lustig ist der Film jetzt nicht, aber er lenkt ab. So bemerkt sie Christian erst in der nächsten Werbepause. Wie lange steht er schon hinter ihr?
„Oh du bist hier", stellt sie erstaunt fest.
Er nickt und kommt langsam zu ihr. Seine Augen erblicken den Wein.
Plötzlich bekommt Chloe ein schlechtes Gewissen.
„Ich weiß, du wirst jetzt sagen, dass das keine gute Idee ist und ich doch vernünftig bleiben soll."
„Wieso?"
Sie schaut irritiert, während er sich ungefragt neben sie setzt und die Flasche nimmt.
„Ich muss nur auf dich aufpassen, Chloe, nicht dir vorschreiben, wie du leben sollst."
Mit diesen Worten schenkt er ihr nach.
„Nur bitte übertreib es nicht. Irgendwas sagt mir, dass du nicht so viel Alkohol verträgst."
Sofort wird ihr warm. Das letzte Mal, als sie betrunken gewesen ist, hat sie angeblich mit ihm geflirtet. So eine peinliche Erinnerung.
„Keine Panik, Ich verrat's keinem."
Hat er ihre Gedanken gelesen? Unbehaglich weicht sie seinem Blick aus. Er scheint sich jedoch mehr für den Film zu interessieren.
„Eine Komödie. Glaube nicht, dass dich das interessiert", vermutet Chloe.
Er zuckt nur mit den Schultern und mopst von den Keksen. Seine Anwesenheit stört sie mittlerweile nicht mehr. Sie hat sich an ihn gewöhnt. Nur wundert es sie, dass er sich freiwillig so einen Mist ansieht. Nicht einmal Chloe kann dem Film noch komplett folgen.
„Die Beiden sind auch nicht ganz helle, oder?", fragt Christian nach einer Weile. „Sie mögen sich, sind aber zu eigen es einzugestehen. Außerdem streiten sie sich in jeder zweiten Szene. Warum können sie sich nicht einfach entschuldigen und ‚Ich liebe dich' sagen? Dann wäre die ganze Sache weniger kompliziert."
„Aber dann gäbe es wohl keine Geschichte zu erzählen", merkt Chloe an.
„Ich bitte dich. Welche Geschichte? Es geht die ganze Zeit nur darum, wie sie sich streiten und wieder zusammen kommen. Nur um sich dann wieder zu streiten."
„Das ist das Leben, Christian. Ich glaube die Aussage soll sein, dass jeder eine zweite Chance verdient. Manchmal sogar drei oder vier."
Sie lacht unsicher.
„Irgendwann sollte man aber auch mal wissen, was man will."
Er knabbert nachdenklich an dem zweiten Keks. Seine dunklen, kurzen Haare hat er heute mit Gel etwas zurück gestylt. Er sieht schon gut aus. Oje, das ist der Wein. Er ist der Grund für Chloes abschweifende Gedanken. Sie zwingt sich dazu den Bildschirm anzustarren und nicht Cristian. Sie will sich nicht weiter um ihn kümmern. Andererseits ist sie auch froh nicht allein zu sein. Er muss gar nichts sagen. Seine Anwesenheit allein ist beruhigend. Nicht zu glauben, dass dass vor wenigen Tagen noch anders war.
„Das sind aber keine zwei Meter, Christian."
Chloe dreht sich um und sieht Liam mit verschränkten Armen an dem Pfeiler neben der Treppe lehnen. Er grinst verschmitzt und wieder wird Chloe nervös. Doch dann erinnert sie sich an das Gespräch von letzter Nacht und fängt herzhaft an zu lachen. Sie lacht so laut und ungezwungen, dass beide Männer sie wie ein Einhorn anstarren. Besonders Christian macht den Eindruck, als ob er sie noch nie gesehen hätte.
Chloe kann gar nicht mehr aufhören zu lachen. Dann tritt Liam immer noch grinsend näher und freut sich über ihre Reaktion.
„Ich habe das Gefühl, dass sie uns gestern belauscht hat."
„Entschuldigung...", beginnt sie immer noch halb lachend. „Ich habe das Funkgerät ausprobieren wollen. Dabei habe ich zufällig mitbekommen, was ihr gesagt habt."
„In Zukunft achte ich darauf, was ich über Funk sage", murmelt Christian für sich. „Sie ist ein Spion, Liam, ich schwöre es."
„Sieht ganz so aus."
Auch Liam gesellt sich zu den Beiden. Doch er nimmt lieber auf dem dunklen Sofa Platz und nicht davor. „Was seht ihr euch da an?"
Chloe kommt es komisch vor mit ihren beiden „Aufpassern" so gemütlich Zeit zu verbringen. Doch wer sagt denn, dass sie das nicht darf? Sie müssen ja nicht zehn Meter hinter ihr stehen - wie im finsteren Mittelalter - und keinen Muskel bewegen.
So leisten sie ihr Gesellschaft und tun so, als würden sie Chloe schon ewig kennen. Das macht die Sache etwas unkompliziert und Chloe gewinnt immer mehr Vertrauen zu ihnen.
„Wollt ihr nichts trinken? Ich komme mir seltsam vor alleine ein Glas Wein zu trinken."
Beide schütteln gleichzeitig den Kopf.
„Kein Alkohol während Missionen."
„Hmm. Muss euch das nicht total langweilig erscheinen?"
„Wieso?, fragt Liam überrascht.
„Nun ihr müsst doch spannenderes gewöhnt sein, als mit mir hier in diesem Haus fest zu sitzen."
„Es ist eine willkommene Abwechslung", meint Liam und klaut sich ebenfalls ein paar Kekse. „Man kann ja nicht immer nur in Aktion sein. Abgesehen davon sind wir nicht ganz der Meinung, dass es langweilig ist dich zu beschützen. Wir mussten bei weitem schon unfreundlichere und schwierigere Personen beschützen. Dagegen macht es schon fast Spaß hier zu sein."
„Und das sagst du nach so kurzer Zeit?"
„Ich kenne Menschen, Chloe. Du gehörst nicht zu den schwierigen Fällen."
Auf einmal verschluckt sich Christian und muss ganz doll husten. Er kassiert nur einen verurteilenden Blick von Chloe. Daraufhin fängt er an zu grinsen und dreht sich weg.
„Abgesehen davon...", fährt Liam einfach fort ohne Christians Reaktion zu deuten, „...haben Männer unseres Ranges vielseitige Verpflichtungen und Talente."
„Vielseitige Talente?", wiederholt Chloe und macht eine Denkerpose. „Zum Beispiel Frauen zu umgarnen?"
Wieder hustet Christian. Dann schaut er Chloe so an, als würde er nicht glauben, dass sie das eben gefragt hat. Doch sie hat es gefragt. Sie will unbedingt mehr über die beiden Freunde erfahren. Vor allem über diese sogenannte „Playlist".
„Ich weiß nicht was du meinst", spielt Liam den Unschuldigen.
„Ich glaube dir kein Wort."
„Du glaubt ja nie was", murmelt Christian todesmutig und bringt sich vorsichtshalber in Sicherheit.
„Stimmt ja gar nicht", protestiert Chloe und zieht eine Flunsch.
„Wenn ich dir nun sage, dass ich kein typischer Playboy bin, glaubst du mir das dann?"
Chloe sieht in seine großen braunen Augen und versucht darin die Wahrheit zu erkennen. Vielleicht war er es mal, aber er hat ja gesagt, dass er gar keine Zeit für Affären hat. Zumindest hat Chloe es so verstanden.
„Sollte es sie überhaupt interessieren?", gibt Liam total nüchtern zu bedenken.
Er hat recht. Warum denkt sie überhaupt darüber nach? Es geht sie nichts an mit wem oder wie oft er sich irgendwie einlässt. Er soll sie nur beschützen, nicht ihr Bräutigam werden. Allein dieser Gedanke ist so abwegig, dass Chloe darüber lachen könnte.
Vermutlich wird sie niemals heiraten. Kein halbwegs vernünftiger Mann würde einen Freak wie Chloe nehmen und solange sie immer noch Laternen-Probleme hat - sie wird es immer so nennen, auch wenn die Laterne nicht wirklich ihr Problem ist - bleibt sie ein Freak.
Christian sieht sie immer noch abwartend an. Er scheint es also wirklich ernst zu meinen. Kennt sie ihn denn gut genug, um sich überhaupt ein Urteil erlauben zu können? Sie zuckt nur ratlos mit den Schultern, um der Antwort aus dem Weg zu gehen.
„Pech gehabt, Wolf. Für Chloe siehst du wohl zu kokett aus." Liam grinst in sich hinein und verlässt die Beiden ohne ein weiteres Wort.
Ehrlich, das hat sie nun wirklich nicht gedacht. Doch würde es sie nicht wundern, wenn er bei Frauen gut ankommt. Er ist groß, hat eine gut trainierte Figur, sofern Chloe das einschätzen kann. Er hat dichtes, kurzes Haar, ein nettes Gesicht und vor allem ist er Vertrauen erweckend. Zumindest denkt sie das, jetzt wo sie ihn etwas besser kennt. Lange nicht genug.
Doch würde sich jede Frau an seine Seite wünschen. Es liegt in der menschlichen Natur - vor allem in der weiblichen - sich zu starken Männern hingezogen zu fühlen, weil sie Sicherheit bieten. Was ist wichtiger im Leben? Für Chloe ist Sicherheit das Wichtigste, eben weil sie bisher niemals wirklich sicher gewesen ist. Kann sie es hier sein? Hat sie noch etwas zu befürchten? Kann sie ihren Bodyguards zu hundert Prozent vertrauen? Sie wünscht es sich so sehr.
„Was ist?"
Christians Stimme holt sie aus ihren Gedanken.
„Nichts, warum?"
„Weil du mich seit fünf Minuten anstarrst, ohne etwas zu sagen."
Chloe wird warm. Sofort blickt sie wo anders hin. Auf dem großen Bildschirm wird der Abspann des Films angezeigt. Der ist aber schnell vorbei. Chloe hat sich überhaupt nicht mehr dafür interessiert. Stattdessen denkt sie schon wieder dummes Zeug. Ist es eine Krankheit, dass Frauen so viel nachdenken, oder ist das normal? Schon wieder zu viel nachgedacht.
Christian hat sich wieder vor sie hingehockt und mustert sie halb schmunzelnd, halb besorgt.
„Langsam mache ich mir Sorgen, Chloe. Bitte sag doch etwas."
„Was soll ich denn sagen?"
„Irgendwas."
Das alles erscheint ihr so sinnlos. Soll sie etwas banales sagen, nur um zu reden? Die ganze Unterhaltung zuvor ist schon sinnlos gewesen. Sie sollte sich keine Gedanken um Christian oder Liam machen. Wenn ihr Auftrag sie zu beschützen vorbei ist, wird jeder seiner Wege gehen und Chloe sieht sie wahrscheinlich nie wieder. Also warum sollte sie sich solche Gedanken machen? Warum sollte Chloe erst versuchen sie besser kennen zu lernen?
Weil sie bisher jedem Mann aus dem Weg gegangen ist. Weil sie vielleicht keine Lust mehr hat immer nur misstrauisch zu sein. Weil Christian ihr seit langer Zeit endlich keine Angst mehr macht und sie das auskosten sollte, solange sie noch kann.
„Ich sehe, dass du über etwas ganz angestrengt nachdenkst. Nur kann ich dir nicht helfen, wenn du nichts sagst."
Sie schaut ihn wieder an und wird nervös. Hat sie nicht gerade noch gedacht sich in seiner Nähe sicher zu fühlen? War wohl ein Irrtum. Ihr Herz klopft so laut, dass sie Angst hat er könnte es hören. Ihr ist plötzlich unnatürlich warm und sie hat auf einmal einen trockenen Mund. Nicht doch, nicht schon wieder. Sie will sich nicht mehr fürchten. Noch dazu ist er ihr nicht zu nahe gekommen.
Chloe flucht innerlich und steht so schnell auf, dass sie sich unglücklich am Couchtisch stößt. Sie ignoriert den drückenden Schmerz am Ellenbogen und sucht Abstand zu Christian.
„I-Ich bin müde. Ich gehe jetzt schlafen."
Sie hat keine Ahnung, ob es überhaupt Schlafenszeit oder noch zu früh ist. Sie muss einfach weg von ihm.
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