~𝙎𝙘𝙝𝙖𝙘𝙝𝙢𝙖𝙩𝙩~
Wie kann man so früh am Morgen nur so gut aussehen? Chloe macht sich bewusst, wie schlecht sie aussehen muss. Sie hat immer noch ihre Shorts und ein zerknittertes Shirt an. Ihre Haare sind nicht gewaschen, nur einfach zurück gekämmt und geschlafen hat sie auch nicht lange. Deshalb muss sie schon wie eine Eule aussehen. Ausgerechnet jetzt kommt Christian herein. Sie hat noch nicht mit ihm gerechnet. Er trägt Jeans und T-Shirt, darüber seine schwarze Lederjacke, sieht überhaupt nicht müde aus und seine Haare liegen perfekt.
Chloe sollte doch die Finger vom Alkohol lassen. Es wundert sie, warum sie trotz des Weins kein Auge zugemacht hat. Noch mehr wundert es sie, dass sie um halb Acht schon auf den Beinen ist. Selbst Magda ist noch nicht da. Sie taucht immer erst um Neun auf.
„Guten Morgen", haucht seine raue Stimme.
Er lächelt und setzt Kaffee auf.
Oh ja, sehr gute Idee. Koffein hilft ihr wach zu werden.
Sie grüßt verlegen zurück und schaut auf ihr weich gewordenes Müsli.
Dann bemerkt sie einen strengen Geruch. Nicht stark, nur ganz leicht, aber wohl bekannt.
„Hey, ähm...hast du geraucht?"
„Ja vorhin."
Er stützt sich mit den Armen aufs Küchenbüffet und betrachtet das glänzende Muster, welches in die Steinplatte eingearbeitet ist.
„Ich dachte du rauchst nicht."
„Habe eigentlich auch aufgehört."
Offenbar nicht so ganz. Doch es geht Chloe nichts an. Soll er doch rauchen, wenn ihm danach ist. Sie raucht auch gelegentlich, wenn sie nervös ist oder Angst hat.
Hier brauch sie keine Angst zu haben, hier ist es sicher. Bei ihm ist sie sicher, nicht wahr?
Wie kann man sich jahrelang fürchten und dann auf einmal fühlt man sich bei einer einzigen Person sicher. Liegt es daran, dass Christian ihr schon dreimal das Leben gerettet hat?
„Wir gehts dir, Chloe?"
Wo kommt das denn jetzt her? Sieht sie so übel aus?
„Gut...denke ich."
„Ich bedaure deine Isolation. Doch ist das notwendig."
Das hat sie ja schon längst verstanden. Wieso sagt er das jetzt nochmal?
Die Kaffeemaschine piept. Christian holt zwei Tassen und Milch auf den Tresen und sieht Chloe abwartend an.
„Bitte für mich auch."
„Kein Zucker?"
Sie schüttelt den Kopf.
„Du vermisst sicher deinen Onkel."
Natürlich tut sie das.
„Ich kann dir eine Möglichkeit bieten in Kontakt mit ihm zu treten."
„Wirklich?"
Das wäre zu schön, um wahr zu sein. Ist es nicht zu gefährlich? Selbst ihr Handy darf sie nicht benutzen, also wie will er es möglich machen?
Er stellt ihr die Tasse vor die Schüssel und trinkt einen Schluck aus der eigenen.
„Dazu müsste ich kurz in die Stadt etwas besorgen."
Das ist nicht gut. Kann er denn so einfach weg gehen?
„Jetzt?"
„Nein. Ich warte, bis Liam wieder wach ist. Es dauert auch nicht lange."
Chloe würde sich so freuen mit Onkel Freddy reden zu können. Sie hat sich ja nicht einmal von ihm verabschieden können.
„Und bis dahin fordere ich dich heraus."
Sie verschluckt sich fast an ihrem Kaffee.
„Zu was?"
„Kannst du Schach?"
Sie hält inne. Klar kann sie Schach. Nicht besonders gut, weil ihr die Übung fehlt, aber die Regeln sind ihr bekannt. Ihr Vater hat sie das ein oder andere Mal herausgefordert, wenn er denn mal da gewesen ist.
„Dann lass uns nachher spielen."
Chloe hat keine Ahnung wie er plötzlich auf Schach kommt, aber sie ist froh Gesellschaft und Abwechslung zu bekommen.
Eine Weile später sitzen Beide in bequemen mit Leder überzogenen Sesseln vor dem Kamin und starren auf die schwarz-weiße Platte vor sich. Chloe ist am Zug. Sie denkt immer viel zu lange nach. Deshalb hat sie auch darauf bestanden ohne Uhr zu spielen.
Christian lächelt erfreut, als sie den Läufer in eine günstige Position für ihn bringt. Oje, jetzt hat er Platz, um seinen Springer näher an den König zu bringen. Naja, noch ist nichts verloren.
„Du bist ein guter Stratege."
Er lacht.
„Ich bin Soldat, Chloe. So etwas lernt man mit der Zeit."
Da kommt ihr plötzlich ein Gedanke.
„Hast du je mit meinem Vater gespielt?"
Er sieht sie forschend an.
„Ein paar mal."
Klar, Christian könnte auch die Art Sohn für ihn sein, die er sich immer gewünscht hat.
Chloe wirft ihre Haare zurück und knetet ihre Finger. Ohne Zweifel macht Christian sich einen Spaß daraus sie zu necken. Seine gesamte Ausstrahlung verrät das. Trotzdem verliert sie nicht die Lust am Spiel, noch überfällt sie der Gedanke weg zu laufen. Es ist gut so unbeschwert zu sein. Das war ihr bisher nur bei Rick und Izzy möglich. Ob Rick gerade wieder einem Rock hinterher läuft? Und steht Izzy immer noch auf den einen Dozenten?
Ernsthaft, wie kann man sich in seinen Dozenten vergucken? Wie verguckt man sich überhaupt in jemanden? Woher weiß man, dass dieser jemand der oder die Richtige ist? Weiß man es, wenn man der Person in die dunkelbraunen Augen blickt, sich nicht abwenden kann und plötzlich Hitzewellen bekommt? Wenn die Konzentration flöten geht und die Hände schwitzig werden? Oder ist das erneut ein Anzeichen von Angst? Nur warum hat Chloe dann keine Schnappatmung? Und wovor sollte sie bitte Angst haben?
Doch nicht etwa vor diesem stechenden, schelmischen Blick, mit dem Christian sie die ganze Zeit ansieht. Was soll das? Kann er bitte wo anders hinsehen?
„Schachmatt, Chloe."
Sie sieht aufs Spielbrett und muss erschrocken feststellen, dass er gerade ihren König matt gesetzt hat. Wann, nein wie ist das passiert? Er hat sie abgelenkt. Frustriert und enttäuscht zieht sie eine Schnute. Schade! Sie ist ohnehin nicht besonders gut in Strategie- und Logikspielen. Da muss er sie doch nicht noch ablenken, um einen Vorteil zu gewinnen. Mensch wie peinlich.
„Revange?", fragt er mit diesem zuckersüßen Lächeln, das kein Wässerchen trüben kann.
„Erstmal nicht. Ich brauche jetzt was kaltes, ein Eis oder sowas."
„Ich weiß nicht, ob wir welches da haben", gibt Christian zu bedenken. Doch das hält Chloe nicht auf. Sie geht in die Küche, um nachzusehen. Tatsächlich wird sie fündig.
„Machst du mir bitte auch eins?"
Wann ist Christian in die Küche gekommen? Sie hat es nicht gehört.
„Wir haben nur Vanille."
„Ich liebe Vanille."
Er sieht ihr einen Moment zu und setzt sich auf einen der Hocker.
„Welches ist deine Lieblingssorte?"
„Erdbeere."
„Guter Geschmack. Ich kann nachher welches aus der Stadt mitbringen."
„Nicht nötig. Da ist ein großer Kasten mit Vanille."
„Ist aber nicht Erdbeer."
Chloe möchte keinen unnötigen Einkauf machen, wenn so viel Eis da ist. Sicherlich meint Christian es gut. Doch Chloe hat noch nie unnötig eingekauft. Das hat sie von ihrem Onkel und der Arbeit in seinem Geschäft gelernt.
„Komm schon, du isst es doch lieber."
„Ehrlich, Christian, ist nicht nötig."
Damit wandert das Eis zurück in das Gefrierfach und beide essen ohne ein weiteres Wort ihr Eis. Dabei hat Chloe das Gefühl, dass das Spiel nicht ganz beendet ist. Das Schachspiel der Wirklichkeit geht weiter. Nur welche Figur nimmt Christian dabei ein?
Am Nachmittag kommt Liam dazu und kümmert sich um Chloe, während Magda die obere Etage bearbeitet und Christian sich darauf vorbereitet in die Stadt zu fahren.
„Hast du dein Handy mit?"
„Ja, Liam. Das hast du mich gerade schon gefragt. Ich bleib nicht lange weg. Geht einfach nur nicht raus und stellt keine Dummheiten an."
„Würde mir nie einfallen", erklärt Liam mit einem sarkastischen Unterton.
„Nein, überhaupt nicht", antwortet Christian ironisch und klopft seinem Freund auf die Schulter. Dann schließt sich die Haustür hinter ihm. Kurz darauf hört Chloe ein Auto vom Hof fahren und sie verspürt eine seltsame Leere in sich. So ein Gefühl hatte sie jedes Mal wenn ihr Vater fort gegangen ist und eine ganze Weile nicht zurückkam.
„Ich hasse Soldaten", sagt sie mehr zu sich selbst. Für einen Moment vergisst sie Liam, der immer noch bei der Treppe steht und sie nun neugierig mustert.
„Warum eigentlich?"
Erst stottert sie herum und überlegt sich eine passende Ausrede. Dann sieht Chloe ein, dass es doof wäre Liam etwas vor zu machen.
„Sie tun gefährliche Dinge, sind ständig fort und kommen sehr lange nicht zurück."
Liam antwortet nicht darauf. Mag er Chloes Aussage deuten wie er möchte. Sie zieht sich zurück und schaut eine Weile fern. Was kann sie auch sonst tun? Rausgehen darf sie nicht, telefonieren darf sie nicht. Freunde hat sie nicht. Echt öde hier draußen. Meilen weit nur Wald und Berge. Das zeigt ihr ein erneuter Blick aus ihrem Schlafzimmerfenster, als sie gegen Abend nach oben geht, um ein warmes Bad zu nehmen. Badewanne und Buch täten ihr jetzt gut.
Es ist schon lange dunkel draußen, als Chloe das Bad verlässt und sich anzieht. Christian ist bestimmt schon zurück.
Sie geht nach unten und entdeckt nur Liam, der gerade Magda verabschiedet und dann zu Chloe kommt. Sie bleibt auf der letzten Treppenstufe stehen. Sie würde so gerne nach Christian fragen, kommt sich aber komisch dabei vor. Liam wird ihr dann bestimmt einen Spruch drücken und sie aufziehen. Er würde es falsch verstehen und darauf hat sie keine Lust. Also schweigt sie. Zum Glück kann er irgendwie ihre Gedanken lesen.
„Er ist noch nicht zurück. Er hat eine Nachricht von einem Vorgesetzten erhalten und muss noch ein paar Dinge mehr erledigen. Also wundere dich nicht, dass es etwa länger dauert."
Liam kann sich das Grinsen kaum verkneifen, auch wenn er es wenigstens versucht.
Peinlich berührt will Chloe wieder nach oben gehen, doch kaum hat sie sich umgedreht geht das Licht aus.
„Was ist denn jetzt los?"
Es ist stockdunkel. Sie dreht sich zu Liam um und erkennt nur schwach die Konturen seines hellen Gesichtes. Irgendwo kommt etwas Licht von draußen. Das ist der Mond. Alle anderen Lichtquellen sind tot.
Er greift an seine Hosentasche und holt das Funkgerät hervor.
„Wer ist für den Strom zuständig?"
Er bekommt keine Antwort.
„Boris? Stuart? Antwortet!"
Als er wieder keine Antwort bekommt, stößt er einen leisen Fluch aus und tauscht das Funkgerät gegen eine Pistole. Hat er sie die ganze Zeit bei sich getragen?
„Was ist los?"
„Gar nichts, Chloe. Das muss nichts bedeuten. Doch sollte ich nachsehen."
Chloe wird nervös. Ein Stromausfall hat nie etwas gutes zu bedeuten. Das ist wie in den Filmen, wo sie auch immer den Strom abschalten und dann den richtigen Augenblick abpassen, um sich ins Haus zu schleichen.
Plötzlich poltert etwas. Liam deutet Chloe an still zu sein, indem er einen Finger vor den Mund hält und seine Pistole scharf macht.
Chloe wagt keinen einzigen Laut von sich zu geben. Sie folgt Liam auf spitzen Solen durchs Erdgeschoss und kommt sich dabei wie ein Bauer vor. Sie beide sind Bauern die geradewegs in eine Falle laufen und dem Gegner geopfert werden. Es sind doch Bauern, oder? Sie werden zu Untaten benutzt und können sich manchmal gar nicht dagegen wehren. Werden sie dazu gezwungen oder machen sie das freiwillig?
Chloe kann es nicht sagen. Nichtmal dann, als sich jemand von der Treppe oben herab auf Liam stürzt und ihn innerhalb von Sekunden entwaffnet.
Dann tauchen weitere Personen auf. Vermummt und dunkel gekleidet.
„Chloe, lauf weg!", ruft Liam ihr zu, während er am Boden mit seinem Angreifer ringt. Chloe will tun, was er sagt, doch jemand packt sie mit eisernen Händen. Sie hat keine Chance sich zu wehren.
„Nein, Chloe!"
Man zerrt sie rückwärts Richtung Ausgang.
„Liam!"
Ein weiterer Angreifer kommt auf ihn zu. Er hält etwas in der Hand. Oh Gott, was ist das? Liam kämpft immer noch mit dem ersten Angreifer. Er sieht es nicht kommen und reagiert zu langsam. Der zweite Angreifer hebt den Arm und schlägt Liam etwas mit brutalster Gewalt auf den Kopf. Dieser ist wie erstarrt, sackt drei Sekunden später zusammen und rührt sich nicht mehr.
„Liam!"
Chloe schreit verzweifelt und kann nicht anders als den reglosen Mann am Boden anzusehen. Er hat keine Chance gehabt alleine etwas gegen vier Leute auszurichten. Dafür war er zu unvorbereitet. Wo sind die anderen Sicherheitstypen? Hat das denn keiner mitbekommen?
Man schleppt sie zu zweit auf den Hof, wo ein Van bereit steht. Chloes Frage beantwortet sich schnell, als sie im Gebüsch neben dem Eingang die Konturen einer Person erkennt. Nur die Beine und den Rücken. Doch es reicht, um den Security-Mann zu erkennen. Sie haben ihn ausgeschaltet. Ist er tot? Die anderen auch? Sie haben zehn Männer und Liam einfach so ausgeschaltet. Diese Gestalten sind schlimmer als die letzten.
Nein! Das darf nicht sein! Bitte nicht. Warum ausgerechnet jetzt? Wo ist Christian? Irgendwer muss ihr doch helfen können. Chloe beginnt durchzudrehen. Sie spürt ihren Körper beben und ihre Atmung versagen.
Die Seitentür des Vans öffnet sich und ein fünfter vermummter Mann kommt heraus. Chloe ahnt anhand seiner Größe und Statur, dass er männlich ist. Er drückt ihr unsanft ein übel richtendes Tuch vor Mund und Nase. Ihr wird schlecht, dann schwindelig und kurz darauf verabschiedet sich ihr Geist ins Nirgendwo.
Sie ist wohl gerade Schachmatt gesetzt worden. Wie ein hilfloser kleiner Bauer, der sich für seinen König geopfert hat. Rettung ausgeschlossen.
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