~𝙁𝙤𝙧𝙙𝙚𝙧𝙪𝙣𝙜𝙚𝙣~
Es ist laut. Da sind viele Stimmen. Schritte auf staubigen oder steinigem Boden. Die Luft ist trocken und kalt, bringt sie zum frieren und lässt sie trotzdem nicht zittern. Dafür ist sie noch zu benommen. Noch dazu tut ihr alles weh. Ihr gesamter Körper schmerzt. Nein, nicht schon wieder! Panisch schreckt Chloe auf und blickt in den dunklen Raum, in den nur ganz wenig Licht durch eine Holzwand dringt. Ihr Mund ist verbunden und ihre Arme und Beine sind an einen Stuhl gefesselt. Das raue Seil beißt sich in ihre zarte Haut und erklärt den eben wahrgenommenen Schmerz.
Chloe fühlt ihre steifen Glieder und versucht etwas den Rücken zu strecken. Kein Wunder, dass ihr alles weh tut. Wie lange hat sie so auf dem Stuhl gesessen? Bestimmt Stunden. Etwas erleichtert sackt sie wieder zusammen. Offenbar hat man ihr nichts angetan, außer sie zu betäuben, entführen und zu fesseln. Als ob das nicht genug wäre.
Hinter der Holzwand hört sie mehrere Männerstimmen. Dieses Mal nicht in Englisch. Es sind Araber. Verflucht! Sie kann echt von Glück reden, dass man ihr bisher nicht mehr angetan hat. Sie gilt als Druckmittel für ihren Vater und andere Verantwortliche, die immer noch IS-Gefangene verhören. Doch irgendwann werden sie ihr etwas antun. Diese Leute schrecken vor nichts zurück.
Wie haben sie es nur geschafft Chloe aus diesem Haus zu entführen? Wäre ihnen das auch gelungen, wenn Christian dort gewesen wäre? Sie glaubt an ihn. Er ist ihre einzige Hoffnung. Doch wie soll er sie finden? Sie hat ja selbst keine Ahnung, wo sie sich befindet.
Es ist nur laut, dunkel und kalt. Als hätte man sie in einen übergroßen Schrank gesperrt.
Sie dreht leicht den Kopf. Da ist nichts, dass ihr helfen könnte sich zu befreien. Da ist nur die Angst. Sie versucht ruhig zu atmen und nicht wieder die Kontrolle zu verlieren. Sie muss stark bleiben.
Also schließt Chloe die Augen und ruft sich das Gesicht ihres Onkels in Erinnerung. Sein Lächeln, seine bunten Klamotten und die vertraute, beruhigende Stimme. Auch ihre Mutter hilft. Ihr schönes Gesicht ist leider wirklich nur noch eine Erinnerung. Doch sie ist da und rät Chloe nicht die Hoffnung zu verlieren.
Die Zeit vergeht. Chloe hat Hunger und vor allem Durst. Sie macht auf sich aufmerksam, indem sie mit dem Stuhl klappert und versucht zu schreien. Das Tuch um ihren Mund verhindert laute Geräusche, doch hat man sie gehört. Vor ihr öffnet sich quietschend eine Tür. Grelles Licht blendet sie kurz, dann ein Schatten und wieder packen sie grobe Hände. Ein grimmiger Kerl löst sie vom Stuhl und zieht sie aus der Kammer, oder was es war.
Er hat fast schwarze Augen, sein Gesicht wird von einem dichten Vollbart umrahmt und seine Kleider wirken fremdländisch und rau. Nicht so rau wie seine großen Hände. Auf dem Kopf trägt er eine Art Mütze. Chloe weiß nicht mehr wie man die traditionelle arabische Kleidung nennt.
Dafür hat sie sich nie interessiert. Er sagt etwas mit unfreundlichem Ton zu ihr, doch Chloe versteht ihn nicht. Sie hat leider kein Arabisch gelernt in ihrem Medizinstudium, das noch nicht einmal praktisch anfangen durfte.
Man führt sie durch ein dreckiges Versteck, keine Ahnung wo. Es ist sehr staubig hier, doch langsam nicht mehr so kalt. Viele dunkle Augen verfolgen sie auf ihrem Weg. Vorbei an maroden, halb zerfallenden Säulen, Steinen, Taschen gefüllt mit Waffen und zerkratzten Möbeln.
Man bringt sie in einen großen Raum, indem noch mehr Leute stehen. Dieses Mal sind ein paar von ihnen vermummt und richten wieder Waffen auf Chloe. Mensch, sie kann sich nicht einmal verteidigen, also was soll das? Der eine Mann, der sie die ganze Zeit begleitet, drückt sie gewaltsam auf die Knie und nimmt ihr das Tuch vom Mund.
Sie funkelt ihn böse an und sieht sich danach nervös um. Warum sind hier so viele Leute? Was machen sie jetzt mit ihr?
Chloe weiß es, als sie die Kamera vor sich sieht. Na klar, das war zu erwarten. Vielleicht nicht so früh, aber diese Leute kommunizieren nun mal so. Jetzt werden sie ihr auftragen die Worte auf der Leinwand laut vorzulesen und dabei hübsch leidend in die Kamera zu gucken. Damit wollen sie die Regierung erpressen. Doch wenn sie leiden muss, um andere Menschen zu retten und die Terroristen aufzuhalten, dann tut sie es. Zumindest würde sie das gerne so tun. Doch in Wahrheit hat sie mehr Angst als Vaterlandsliebe. Erschreckend, wie diese Redewendung zu ihrer Situation passt.
Die Männer bereiten alles vor für ihren großen Auftritt. Derweil hadert Chloe noch mit sich, ob sie vielleicht lieber schweigen sollte. Doch was würde ihr das einbringen? Schmerzen, Ärger und noch mehr Demütigungen.
Nach einigen Minuten ist es dann endlich so weit. Man bringt eine weitere Person in den Raum. Offensichtlich noch ein Gefangener. Er ist mittleren Alters und scheint schon länger gefangen zu sein. Er sieht echt schrecklich aus.
Beiden wird eine scharfe Klinge an den Hals gedrückt. Der Bärtige steht hinter Chloe und fordert mit tiefer Stimme:
"Lies das laut vor."
Er deutet auf die Leinwand über der Kamera auf der nun ein Text mit großen, schwarzen Buchstaben zu sehen ist.
Chloe zögert noch. Doch als man ihr sagt der andere Mann würde sterben, wenn sie nicht anfängt zu lesen, reißt sie sich zusammen.
"Mach schon!", befiehlt der Bärtige energisch.
"Sie haben mich...", beginnt sie unsicher, "in ihrer Gwalt und schrecken nicht davor zurück mir Gewalt anzutun. Sie stellen klare Bedingungen für die Verhandlung meiner Freilassung. Sollten bis in einer Woche nicht sämtliche Gefangene von General Anderson höchst persönlich freigelassen werden, sehen sie sich gezwungen, mich als seine Tochter...", Chloe stockt der Atem. Sie kann das nicht laut aussprechen.
„Weiter!", knurrt der Mann hinter ihr und erinnert sie daran, dass sie eine Klinge am Hals hat. Als ob Chloe das vergessen könnte. Sie ist schon stolz auf sich bisher nicht den Verstand verloren zu haben.
„...mich als seine Tochter...zu exekutierten. Dabei kann die ganze Welt von der Schamlosigkeit und Ehrlosigkeit dieses Schweins General Anderson Zeuge werden."
Das war noch nicht alles. Ein letzter Satz fehlt noch.
„Als Beweis dafür, dass sie es ernst meinen wird an meiner Stelle der Journalist Edison vor euren Augen exekutiert."
Sie glaubt nicht was sie da liest. Doch im nächsten Moment hört sie die Klinge und der Mann neben ihr fällt um. Sein Blut ziert den grau-braunen Steinboden. Seine Augen sind immer noch geöffnet.
„Nein..."
Chloes Stimme versagt. Sie sieht nur das viele Blut und fürchtet sich gleich übergeben zu müssen. Sie lenkt sich ab indem sie ihre wunden Handgelenke betrachtet und sich allein auf den Schmerz konzentriert. Tränen der Verzweiflung laufen über ihr Gesicht. Dann schwillt langsam ihr Hals zu und Chloe bekommt nur schwer Luft. Es wird besser als man sie wieder wegbringt.
Ihre Beine tragen Sie mühselig vorwärts über den unebenen Boden des maroden Gebäudes. Chloe starrt angestrengt auf ihre Füße. Sie zählt die Schritte, um ihre Angst zu kontrollieren.
Wird man auf die Forderungen ihrer Peiniger eingehen? Vermutlich ist dies ihre einzige Chance hier lebendig heraus zu kommen.
Sie bekommt etwas Wasser zu trinken. Sie würgt schon nach dem ersten Schluck. Irgendwie schmeckt das Wasser eisenhaltig und ekelig. Bestimmt ist es Einbildung, doch es schmeckt wie Blut.
Anschließend lässt man sie alleine und Chloe sackt auf dem Boden zusammen. Sie versucht an alles zu denken, nur nicht an den toten Journalisten. Man hat ihn vor ihren Augen umgebracht! Es ist schrecklich. Einfach schrecklich. Was hat sie nur falsch gemacht, um sowas erleben zu müssen?
Die Zeit vergeht und niemand beachtet sie. Soll ihr Recht sein. Chloe kann auf gereizte Männer verzichten, die sich womöglich noch an ihr vergreifen. Nein, diesen Alptraum möchte sie nicht noch einmal erleben. Es ist schon schlimm genug. Sie würde eher sterben, als all das weiter zu erdulden.
Chloe weiß nicht, wie lange man sie festhält. Ist es morgens oder abends? Sie hat schon kein Zeitgefühl mehr. Sie hockt die meiste Zeit in dem düsteren Raum auf dem Boden. Mal sitzend, mal halb liegend. Nach drei Tagen - wie sie hinterher herausfindet - führt man Chloe erneut vor die Kamera und zwingt sie dazu ihren Text noch einmal vorzulesen. Mit dem Unterschied, dass sie jetzt nicht mehr von einer Woche, sondern von vier Tagen sprechen. Und wieder wird jemand ihretwegen umgebracht. Eine junge Frau. Chloe ist dieses Mal schneller und sieht nicht hin.
Sie verspürt solch einen Hass auf diese Organisation, der jedes Mittel recht ist, um ihren Glauben zu verbreiten. Im Irak sind sie gescheitert. Sie haben sich verteilt und versuchen die ganze Welt zu vereinnahmen. Doch damit werden sie nicht durchkommen.
Menschen wie Chloes Vater verhindern, dass unschuldige Menschen für solche Machenschaften sterben müssen. Auch wenn sie Soldaten nicht mag. Chloe bewundert die Liebe, die ihr Vater für sein Land und seine Mitbürger hat. Man muss keine Menschen töten, nur weil sie an andere Dinge glauben. Das ist barbarisch. Chloe wird es niemals verstehen, wie Terroristen denken.
Sie wird aus ihren Gedanken gerissen, als plötzlich laute Geräusche an ihr Ohr dringen. Erst aus der Ferne, dann kommen sie näher. Poltern, Stöhnen, Schritte und Schüsse. Sie richtet sich auf und starrt auf die gegenüberliegende Tür des weitläufigen Raumes. Die letzte Zeit hat man die Kammer nicht verschlossen, vermutlich weil sich Chloe sowieso nicht vom Fleck rührt. Oder damit man sie besser im Auge behalten kann. Jetzt hilft es ihr jedenfalls die Situation zu erkennen.
Die ausländischen Männer reden wild durcheinander in ihrer komischen Sprache. Sie wollen zu ihren Waffen, doch diese sind im Vorzimmer gelagert. Zumindest deutet das Chloe anhand ihres Verhaltens.
Was ist da nur los? Hat man sie tatsächlich gefunden? So schnell? Das kann unmöglich sein. Sie ist mitten in einem Nest von Terroristen. Es wird nicht einfach sein, sie da raus zu bekommen.
Die Tür wird aufgeschleudert und mehrere bewaffnete Soldaten mit dicker Spezialausrüstung stürmen herein. Sie zögern nicht lange und stellen die Terroristen vor die Wahl. Entweder sie ergeben sich augenblicklich, oder sie werden erschossen. Ganze fünf Minuten herrsch lautes Chaos vor Chloe. Menschen schreien und fallen. Sie sieht es wie eine parallele Wirklichkeit.
Dann ist es still um sie herum. Alle Terroristen sind tot. Zumindest die in Chloes Raum.
Sie kann es einfach nicht glauben. Sie haben sie wirklich gefunden. Chloe hat keine Ahnung wie. Sie weiß nur, dass da plötzlich ein Soldat vor ihr steht. Mit schwarzer Ausrüstung, Handschuhen und Schutzhelm. Das Gewehr lässt er sinken und schiebt den Augenschutz hoch. Fast hätte Chloe sofort angefangen zu weinen vor Erleichterung. Wie hat er sie nur gefunden? Schon wieder ist er da und rettet sie.
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