~𝘿𝙞𝙚 𝙡𝙚𝙩𝙯𝙩𝙚 𝙇𝙖𝙩𝙚𝙧𝙣𝙚~
Chloe bringt den Tag nur unter Anspannung hinter sich. Christian scheint ihr auf den ersten Blick zwar nicht gefährlich, aber man weiß ja nie was in den Leuten steckt, bis sie ihr wahres Gesicht zeigen. Gegen Acht Uhr schließt Onkel Freddy pünktlich die Ladentüren zum Verkaufsraum und hilft noch etwas beim Aufräumen. Chloe kümmert sich um die Kasse und Christian zerreißt die leeren Kartons und bringt sie zum Container hinter dem Haus.
Chloe fängt gerade an sich etwas zu entspannen, sofern das in Christians Gegenwart überhaupt möglich ist. Er macht sie immer nervös. Seien es seine seltenen Blicke zu ihr aus seinen kastanienbraunen Augen oder seine pure Nähe. Er sieht so stark aus. Wahrscheinlich könnte er sie auf seinen Armen tragen ohne mit der Wimper zu zucken. Nicht, dass Chloe sich das jemals wünschen würde. Alles, nur das nicht.
„Geh nach Hause, Chris, du warst heute eine große Hilfe."
Chris? Ernsthaft, Onkel Freddy nennt ihn nach einem Tag schon Chris? Chloe fehlt jegliches Verständnis dafür.
„Ich habe doch überhaupt nichts gemacht", meint Chris bescheiden.
„Heute war ja auch noch ein ruhiger Tag. Warte bis zum Wochenende, dann ist hier richtig was los. Dann werde ich Chloe vermutlich auch brauchen."
„Kein Problem, Freddy, ich werde hier sein", bestätigt Chloe und sieht dabei zu Christian.
„Ich habe befürchtet, dass du das sagst."
Christian unterdrückt ein Grinsen, das nimmt Chloe gerade noch wahr, bevor er sich umdreht und zum Hinterausgang geht.
Sobald er verschwunden ist, kann sich Chloe richtig entspannen. Sie lehnt sich an das Laufband vor der Kasse und pustet laut die Luft aus.
„Na so schlimm ist er doch gar nicht, was meinst du, Chloe?"
Sie wirft ihrem Onkel nur einen schiefen Blick über die Schulter zu und verschränkt die Arme vor dem Oberkörper.
„Du bist unmöglich", schimpft Freddy kopfschüttelnd.
„Und wenn schon. Du hast eben nicht erlebt, was ich erlebt habe", erklärt sie leicht gereizt.
„Nein, möge Gott mich jemals vor einem solchen Schicksal bewahren. Nur kannst du doch nicht bis an dein Lebensende alle Männer hassen, mein Kind."
„Warum nicht?"
Freddy lacht.
„Das täte mir sehr leid für dich. Möchtest du denn niemals heiraten?"
„Das ist nicht so wichtig. Fürs Erste brauchst du noch meine Hilfe."
„Während deines Studiums ist das auch okay, aber bitte vergiss nicht zu lernen. Du vernachlässigst das schon zu oft."
Chloe verdreht die Augen. Nun hält Freddy ihr wieder einen Vortrag.
„Mach dir keine Sorgen, ich vernachlässige nichts. Ich habe Mum nur versprochen dir im Geschäft zu helfen."
„Das ist Ewigkeiten her, Chloe. Willst du denn gar nicht leben? Du kannst doch nicht für immer hier bleiben."
„Warum nicht? Vielleicht macht mich ja genau das glücklich", erwidert sie aufgebracht. Sie hat keine Lust dieses Gespräch immer und immer wieder zu führen. Ihr Onkel würde sie nie verstehen. Keiner kann sie vor den Schatten dort draußen beschützen.
Chloe holt ihre Sachen aus dem Lager und geht ohne ein weiteres Wort hinaus. Sie ist wütend. Das Blut kocht noch in ihr, während sie die Straße entlang läuft. Es sind nur wenige Fahrzeuge unterwegs und noch weniger Fußgänger. Chloe geht schnellen Schrittes nach Hause. Ihre Wohnung ist ein paar Blocks entfernt. Nicht weit weg also.
Es ist schon dunkel und in der Woche ist es abends immer so still. Chloe merkt wie ihr Frust langsam nachlässt und ihre Schritte immer langsamer werden. Letztendlich schlendert sie nur noch über den Gehweg. Ihre Füße sind so schwer wie Blei. Noch zwei Blocks. Sie bleibt stehen, schaut auf den Boden vor sich, als wäre da des Rätsels Lösung zu finden. Es ist hell. Sie steht genau unter einer Straßenlaterne. Zwei Schritte weiter beginnt die unheimliche Dunkelheit. Danach gibt es kein Licht mehr bis zu ihrer Haustür. Es ist die letzte Laterne auf ihrem Heimweg.
Dort bleibt sie oft stehen, wenn sie im Dunkeln erst nach Hause läuft. Ihre Augen wandern wachsam umher. Auf einmal ist sie ganz alleine. Soll sie sich nun darüber freuen oder eher nicht?
Sie beginnt in ihrer Umhängetasche zu wühlen. Wo sind die Zigaretten? Chloe raucht nicht oft. Eigentlich nur in solchen Situationen. Nur was für eine Situation soll das sein? Sie steht unter einer Straßenlaterne und traut sich nicht weiter, weil es danach nur Dunkelheit gibt. Wie bescheuert ist das denn? Verärgert über sich selbst, kramt sie nach dem Feuerzeug. Sie findet es auch gleich, steckt sich die Zigarette an und nimmt ein paar Züge. Es beruhigt sie. Mag vielleicht nur Einbildung sein, aber es beruhigt sie.
~
Was zum Teufel macht sie da? Wieso geht sie nicht nach Hause?
Christian steht in einer Nische zwischen zwei Häusern und beobachtet Chloe, wie sie da steht und in Seelenruhe eine Zigarette raucht. Wenn sie von seiner Anwesenheit wüsste, würde sie vermutlich durchdrehen. Was macht sie da nur so lange? Sie telefoniert nicht, sieht sich nur gelegentlich um und steckt sich schon die zweite Zigarette an.
Christian wird nicht schlau aus ihr. Man hatte ihm ja gesagt, dass sie Probleme hat. Anscheinend sind diese Probleme größer, als gedacht. Kein Wunder, nach allem, was sie hat durchmachen müssen. Christian empfindet Mitleid mit ihr. Sie ist doch unschuldig und muss so sehr leiden.
Nur steht es ihm nicht zu etwas daran zu ändern, obwohl er es mit jeder vergehenden Minute mehr möchte. Er muss dort stehen bleiben und dabei zusehen, wie sie sich keinen Schritt weiter traut. Liegt es an der Dunkelheit? Sie soll nach Hause gehen.
~
Verdammt! Es ist so ätzend! Ihre Wohnung ist bloß zwei Blocks entfernt und Chloe traut sich einfach nicht es mit der Dunkelheit aufzunehmen. Noch dazu fühlt sie sich beobachtet. Sie dreht sich immer wieder um, doch es ist niemand zu sehen. Langsam fürchtet sie den Verstand zu verlieren. Jedes Mal das Gleiche bei dieser blöden Laterne. Chloe funkelt böse das stählerne Ding an.
Ein Tritt dagegen hilft lediglich ihren Frust los zu werden, nicht aber ihre Angst. Die Laterne wackelt etwas, schert sich aber einen Dreck um Chloes Emotionen.
Dann versucht sie sich zu beruhigen. Es nützt nichts die Laterne dafür verantwortlich zu machen. Chloe nimmt ihr Handy aus der Tasche, macht die eingebaute Taschenlampe an und tritt langsam aus dem Lichtkreis.
Sie muss einfach gehen. Ohne groß darüber nachzudenken. Sie kann nicht verhindern, dass ihre Schritte eilig werden. Die letzten zehn Meter bis zur Haustür des Mehrfamilienhauses rennt sie sogar. Sie ist nur froh, dass die kleine Lampe über der Eingangstür an ist. Manchmal vergessen die Nachbarn es sie einzuschalten. Das kann Chloe nicht leiden. Hektisch kramt sie den Hausschlüssel hervor und schließt auf. Sie wagt es nicht noch einmal hinaus zu sehen und eilt die Treppe hinauf in den dritten Stock.
Kaum ist sie in ihrer Wohnung entschlüpft ihr ein leiser Seufzer der Erleichterung.
„Mensch, Chloe, du bist schon ein Wrack", sagt sie zu sich selbst und schlüpft aus den Schuhen ohne sie aufzuschnüren. Sie will in die Küche gehen und bleibt am Spiegel im Flur hängen. Sie sieht blass aus. Was für ein verrückter Tag ist das nur?
Anfangs war er ja ganz okay gewesen, aber Christian hat sie komplett aus der Bahn geworfen. Kein Wunder, dass sie ihr Laternen-Problem nicht in den Griff bekommt. Als würde er sie heimlich verfolgen und beobachten. Wie paranoid kann man nur werden.
Chloe geht kopfschüttelnd in die Küche und setzt heißes Wasser auf. Dann zieht sie ihre Kleider aus und schlüpft in den kuscheligen Hausanzug. Ihr knurrender Magen hat schon wieder etwas normales und beruhigendes. Essen! Na klar!
Heute soll es eine Suppe werden. Etwas Brot dazu ist auch noch da. Perfekt.
Wenig später sitzt Chloe auf der Couch, die Beine angewinkelt und löffelt die warme Tomatensuppe. Das tut gut. Selbst im Sommer isst sie so etwas gerne. Die Kapuze ihres türkisfarbenen Hausanzuges hat sie sich übergestülpt und kuschelt sich gemütlich in die bunten Kissen. Ja das ist wie eine sanfte Umarmung. Sie ignoriert den leisen Seufzer und schaltet den Fernseher ein.
Eine gute Komödie könnte sie jetzt wieder aufbauen und für den restlichen Abend würde sie keinen einzigen Gedanken mehr an Christian verschwenden.
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