~𝘿𝙞𝙚 𝙃𝙤̈𝙡𝙡𝙚 𝙗𝙚𝙨𝙩𝙚𝙝𝙩 𝙙𝙤𝙘𝙝 𝙖𝙪𝙨 𝙀𝙞𝙨~
Christian atmet tief durch. Er hat Chloe nun zwei Tage nicht gesehen. Das ist nicht gut. Gerade jetzt, wo sie sich langsam an ihn zu gewöhnen scheint. Sie hat zwar auf seine Frage hin, ob sie sich noch fürchtet, den Kopf geschüttelt. Doch hat es zu lange gebraucht ihr überhaupt einmal näher zu kommen - und zwar ohne sie unter Alkohol zu setzen.
Bei dem Gedanken an jenen Abend, wo sie mit ihm geflirtet hat, muss Christian schmunzeln. Auch wenn sie das am liebsten vergessen würde. Er möchte es nicht vergessen. Sie war so unbeschwert und fröhlich. Zu dem Zeitpunkt hat sie ihr früheres Selbst gezeigt. Wahrscheinlich ist Chloe gar nicht so abweisend, wie sie immer tut. Sie hat bloß verlernt glücklich zu sein, was Christian ihr keinesfalls verübeln will. Er wäre so gerne ein Halt für sie. Er hat es sich gewünscht.
Immer wieder kommt dieser Wunsch in ihm auf. Dabei steht es ihm nicht zu. Wer gibt ihm das Recht ihre Gefühle durcheinander zu bringen? Wer gibt ihm das Recht bei ihr zu sein und solche erschreckenden Gedanken zu haben? Ja Christian ist über sich selbst erschrocken. Es wird Zeit sich auf seinen Auftrag zu konzentrieren.
Er betritt Freddys Laden und grüßt den Mann freundlich, der wie so oft hinter der Kasse steht und zehn Hände gleichzeitig haben muss.
„Ah, Christian, da bist du ja. Chloe braucht dich ganz dringend im Lager. Geh bitte gleich zu ihr und hilf ihr."
Warum spricht Frederic ihn nicht auf die Polizei an? Hat Chloe es ihm etwa nicht erzählt? Warum sollte sie über den Vorfall schweigen?
Er geht an den vollbepackten Regalen vorbei, grüßt die beiden jungen Damen, die ihm schmachtende Blicke zuwerfen und lässt sie links liegen. Sie interessieren ihn kein bisschen. Die einzige Frau, auf die er sich konzentrieren muss, ist Chloe.
Sie hantiert in der Kühlkammer mit den verderblichen Lebensmitteln. Oh Gott! Hat sie etwa nur ein Shirt und kurze Hosen an? Ist sie denn verrückt. Es mögen draußen vielleicht über zwanzig Grad sein, aber dort drin herrschen Minustemperaturen.
„Chloe?", ruft er dieses Mal von Weitem, um sie nicht wieder zu erschrecken.
Sie bemerkt ihn und stellt die Kiste mit Gemüse vor sich auf den Boden. Das Lächeln, was sie ihm schenkt, lässt ihn alles andere um sich herum vergessen. Es ist so herzlich, das hat er jetzt nicht erwartet. Freut sie sich wirklich ihn zu sehen?
„Du bist da? Wo warst du so lange? Hier tobt der Teufel."
„Echt? Müsste die Hölle nicht wärmer sein?", bemerkt Christian und schaut auf ihre freiliegenden Waden.
„Stimmt. Dann war es wohl die Eiskönigin."
„Bitte, Chloe, zieh dir was über", bittet Christian und versucht krampfhaft nicht mehr auf ihre blasse Haut zu gucken.
„Ich bin eh gleich hier fertig."
„Na schön. Was kann ich tun?"
„Ach du kannst den Verkaufsraum aufräumen. Ich bin im Lager noch eine Weile beschäftigt. Es ist zu eng hier für zwei."
„Aha. Gib's doch zu, du willst nur nicht so eng mit einem Mann in einem Raum sein."
„Ertappt. Na los, geh und mach dich nützlich."
Offenbar ist das Eis zwischen ihnen gebrochen. Vielleicht war es doch nicht so schlimm, dass Christian so lange nicht bei Chloe gewesen ist. Möglicherweise hat sie über alles nachgedacht und beschlossen ihm eine Chance zu geben.
Christian hofft es jedenfalls. Doch brauch er noch eine Menge Geduld mit Chloe. Vertrauen wächst nicht auf Bäumen. Zumindest scheint sie den kleinen Vorfall letztens ganz gut weg gesteckt zu haben.
Er geht wieder in den Verkaufsraum und behält dort Stellung. Dabei nutzt er die Gelegenheit und sieht sich die Kunden an. Der Alkoholiker von neulich ist zurück. Offenbar ein Stammkunde. Die junge Dame mit den schwarzen Locken auch. Sie kauft immer Obst und Kartoffeln ein. Jede Woche das Gleiche. Nicht wichtig also für Christian.
Für einen Augenblick bleibt sein Blick an dem Mann mittleren Alters hängen. Er ist groß, hat blonde Haare und blaue Augen. Er trägt einen Anzug und hält einen Aktenkoffer in seiner linken Hand. Er steht vor dem Weinregal und kann sich offensichtlich nicht entscheiden.
Moment war da nicht auch noch ein anderer Mann? Christain könnte schwören es waren vorhin zwei Männer an ihm vorbei gelaufen. Ist einer von ihnen schon hinaus gegangen? Es ist so schwer hier den Überblick zu behalten. Bis jetzt ist nichts außergewöhnliches zu sehen. Warum hat Christian dann so ein flaues Gefühl im Magen?
Er versucht eine halbe Stunde lang es weg zu ignorieren - ohne Erfolg. Das hat er selten. Normalerweise kann er sich sehr gut auf sein Bauchgefühl verlassen. Irgendetwas stimmt nicht und Christian hat keine Ahnung was es ist. Aufmerksam blicken seine Augen umher. Sie scannen den gesamten Laden wie eine Kamera. Die Leute gehen ein und aus. Keiner ist auffällig.
Nur eines vielleicht. Es ist still. Zu still. Sonst behält Chloe ihn im Auge und achtet genauestens darauf, was er macht. Als wollte sie ihn bewachen und nicht umgekehrt. Was treibt sie denn so lange?
Chritian beschließt nach ihr zu sehen. Er betritt das Lager und sieht sich um. Keine Chloe da. Wo ist sie denn hingegangen? Steckt sie immer noch in der Kühlkammer? Nein, die Kammer ist geschlossen. Er eilt die Treppe hinauf ins Büro. Dort zieht sich Chloe manchmal zurück, wenn sie sich um die Finanzen kümmert. Doch auch hier ist sie nicht.
Als Christian sie auch nicht auf der Toilette findet, gerät er leicht in Panik. Wie kann eine Frau einfach so aus einem Geschäft verschwinden? Er zückt sein Handy und wählt ihre Nummer.
Es klingelt mehrmals, aber Chloe nimmt nicht ab.
"Shit!", flucht er.
Er rennt die Stufen wieder hinab und will gerade zu ihrem Onkel gehen, da hört er ein schwaches Geräusch. Mitten im Lager bleibt er stehen. Es ist in der Nähe. Chloes Handy klingelt. Als Christian sich umdreht und das Klingeln ortet, rustcht ihm das Herz in die Hose.
"Chloe!"
Er rennt auf die schwere Eiesentür zu. Sie ist von außen verschlossen. Wer zum Teufel hat sie von außen verschlossen? Christian betet sie darin zu finden. Andererseits hofft er es auch nicht. Wie lange ist sie schon da drin?
Er entriegelt die Tür zur Eiskammer, schiebt sie auf und stürzt sich in die Kälte. Da ist sie!
"Scheiße! Chloe!"
Christian ist sofort bei ihr, hebt sie hoch und trägt sie aus dem eiskalten Gefängnis. Sie bewegt sich nicht. Warum hat sie denn nicht angerufen? Sie muss doch gemerkt haben, dass die Tür zu ist. Dummes Mädchen, denkt Christian sich, setzt sie auf einem Stuhl im Lagerraum ab und sucht verzweifelt ihre Jacke. Das reicht nicht, stellt er später fest. Er eilt zurück ins Büro, hofft, sucht und findet eine Decke.
Sie ist nicht bei Besinnung. Was ist mit ihr? Wieso hat sie denn nicht gerufen oder seine Nummer gewählt? Oder zumindest die von ihrem Onkel. Chritian versteht es nicht, bis er ihr die Haare aus dem Gesicht streift und die Wunde an ihrer Stirn sieht. Hat sie sich verletzt? Oder wurde sie verletzt? Das kann nur Chloe ihm beantworten. Sie soll um Himmels Willen ihre Augen öffnen.
„Chloe, bitte, tu mir das nicht an. Ich habe dich doch nur für einen Moment aus den Augen gelassen."
Es wundert ihn, dass so etwas nicht passsiert ist, wo er weg war. Wieso passiert es ausgerechnet jetzt? Er ist natürlich froh, dass er sie gefunden hat, aber das war verdammt knapp.
Christian reibt ihre Arme, damit sie wieder auftaut. Sie ist so kalt, so blass und so leblos. Sein Herz wird krank vor Sorge.
„Was ist denn passiert?", fragt Frederic, der auf einmal hinter Christian steht.
"Ich habe sie aus der Kühlkammer geholt. Keine Ahung wie lange sie dort drin eingesperrt war."
"Eingesperrt?", wiederholt Frederic fassunglos.
"Ja."
Da...endlich bewegen sich Chloes blau gewordene Lippen.
Frederic hockt sich neben Christian und sieht sich Chloe genauer an. "Sie muss vielleicht ins Krankenhaus."
"Nein", protestiert Chloe schwach. "Mir geht's gut, ehrlich."
Christian steht auf. Frederic übernimmt für ihn und tut alles, damit Chloe wieder warm wird.
"Sei nicht dumm, Mädchen. Du warst viel zu lange dort drin", versucht Frederic weiter auf Chloe einzureden. Doch diese fasst sich nur an den Kopf und verzieht das Gesicht. Christian bemerkt wie sehr seine Hände zittern. Sie hat ihn furchtbar erschreckt. Er kann es mit jedem Mann, jeder Frau, jedem Feind aufnehemn, aber nicht mit sowas. Wie soll er einen unsichtbaren Feind besiegen?
"Christian?"
Er verbirgt seine zitternden Hände in seinen Hosentaschen. Allerdings fällt es ihm schwer sein Pokerface aufrecht zu erhalten. Erst recht, wenn Chloe ihn jetzt besorgt ansieht. Er flucht erneut innerlich. Wieso macht sie sich denn jetzt Sorgen?
"Bist du okay?", bringt er nur schwach hervor.
"Ja, aber..."
Was aber?
"...ich glaube die Hölle betseht doch aus Eis."
Ihr Lächeln beruhigt ihn etwas und löst gleichzeitig eine solch große Unruhe in ihm aus, dass er glaubt den Verstand zu verlieren. Es ist nicht so, dass sein Leben davon abhängt, aber er würde garantiert seinen Kopf verlieren, wenn Chloe Anderson etwas zustößt, während er im Dienst ist.
Christian atmet laut hörbar die Luft aus und zieht sich in den Verkaufsraum zurück. Dort muss er erst einmal zu sich selbst zurück finden. War es das Bild von ihr, wie sie dort leblos auf der kalten, gefrorenen Erde lag? Zwischen all dem Gemüse und dem Eis. Hat ihn das so erschreckt? Oder der Gedanke, dass er irgendwann nicht rechtzeitig bei ihr sein kann.
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