~𝘼𝙡𝙥𝙩𝙧𝙖𝙪𝙢~

„Chloe!"
Die verzweifelte Stimme ihrer Mutter brennt sich tief in ihr Gedächtnis. Sie sieht die Angst in ihren wunderschönen, großen Augen. Nicht um sich selbst, nur um ihre Tochter.
Diese drückt sich panisch an die Wand, hilflos und verzweifelt muss sie mitansehen, wie die maskierten Männer auf die Frau einschlagen und ihr Schmuck und Geld stehlen. Chloe zittert und schnappt nach Luft. Das ist entsetzlich.

Einer der Typen bemerkt das Mädchen und kommt auf sie zu.
„NEIN! LASS SIE IN RUHE, DU SCHWEIN!", ruft ihre Mutter außer sich vor Sorge.
Doch der Mann kümmert sich nicht länger um ihre Mutter. Er hat das Mädchen entdeckt und will ihr ganz sicher etwas antun. Sein Gesicht ist nur zur Hälfte von dem schwarzen Tuch verdeckt. Das blasse Laternenlicht aus der Ferne verrät, dass er einen Vollbart trägt.
Seine behandschuhte Hand greift nach ihr, zieht sie an sich ran.
Sie schreit und wehrt sich verzweifelt.
„Wir können das hier ganz schnell und einfach hinter uns bringen, Süße. Das liegt ganz bei dir."

Sie fürchtet sich vor seiner rauen Stimme, dem fauligen Atem und seinen starken Händen, die sie ganz fest umklammert halten.
„Bitte! Lass sie doch."
„Halt die Klappe!", ruft der andere Kerl bei ihrer Mutter und zielt mit einer Pistole auf sie.
Oh Gott! Er wird doch nicht wirklich schießen, oder?

„Bitte schießt nicht auf sie. Dann könnt ihr mit mir machen, was ihr wollt", erklärt sich Chloe bereit.
Sie hört mehr das Grinsen von dem Bärtigen hinter ihr, als dass sie es sieht. Er fängt an sie zu begrapschen, während ihre Mutter verzweifelt schreit und fleht. Irgendwann hält man ihr den Mund zu und drückt ihr regelrecht die Waffe an den Kopf. Chloe schüttelt nur den Kopf, um sie zum Schweigen zu bringen. Sie will nicht, dass ihr etwas geschieht. Also hört sie auf zu zappeln und lässt den ekelhaften Mann sie anfassen.

Erst drückt er unsanft ihre Brüste und leckt mit der Zunge über ihren Hals. Das ist so wiederwertig. Chloe wird übel. Dann zieht er die Handschuhe aus und fährt fort. Die kalte Hand krabbelt unter ihr Shirt, zieht an ihrer Brust, drückt sie und spielt mit ihr. Dann will seine zweite Hand ihre Hose öffnen. Chloe hält die Luft an. Sie möchte lieber ersticken, als das live mitzuerleben.

Heiße, unglückselige Tränen laufen ihr übers Gesicht und scheinen förmlich ihre Haut zu verbrennen. Chloe bemerkt die kleinen Atemwölkchen von seinem Mund aufsteigen. Sie schließt die Augen und wünscht sich weit, weit weg.
Schwindel überfällt sie, macht sie dösig und lässt ihren Körper wie Wachs zu Boden sinken. Offenbar scheint dem Mann mit Bart das zu gefallen. Nun hat er sie genau da, wo er sie haben will.

Chloe ist nicht mehr da. Für sie ist das alles nur noch ein Alptraum. Ja genau, es ist nur eine Vorstellung, wie er sie berührt und ableckt. Es tut weh. Der Schmerz durchfährt ihren gesamten Körper und ihre Seele.
Ein Geräusch durchbricht die Nacht. Sind das Sirenen? Würde man dieses grauenvolle Spiel beenden?

Es ist zu spät. Chloe will nur noch weg. Ihr Geist ist so müde. Sie hört erneut jemanden schreien. Ihre Mutter? Dann ein Schuss! Chloe kann es nicht mehr sehen. Sie ist nicht in der Lage sich zu bewegen. Die Sirene wird immer lauter, man lässt sie einfach auf die nasse, kalte Erde fallen. Dann spürt sie etwas warmes im Rücken. Es umschlingt sie wie eine liebevolle Umarmung und ist gleichzeitig so endgültig und traurig.

Genau wie sie.

Sie taucht ein in völlige Dunkelheit und Schwerelosigkeit, fliegt durch die Lüfte wie ein Vogel und landet doch wieder in einem weißen, mit Federn geschmückten Nest. Es ist so angenehm warm und vertraut.

Ein beißender Geruch holt sie zurück in die Wirklichkeit. Oder doch nicht? Sie hört sich husten und rekelt sich auf den weichen Federn. Ach könnte sie doch für immer hier bleiben, den Alptraum vergessen und alles hinter sich lassen. Sie würde hier auf ihre Mutter warten, bis sie zurück kommt und sie beschützend in ihre Arme nimmt.

Das ist für Chloe das höchste Glück. Ihre Mutter ist immer für sie da. Ganz anders als ihr Vater, der ja ständig unterwegs ist und sich keinen Deut um seine Tochter kümmert. Er hat sich immer einen Sohn gewünscht, der wie er selbst zur Armee geht und Erfolge nach Hause bringt.
An den wenigen Tagen, die er zuhause verbracht hat, ist er stets reserviert geblieben. Wenn sie mit einem roten Feuerwehrauto angekommen ist und ihn gebeten hat mit ihr zu spielen, hat er immer nur die Nase tiefer in die Zeitung gesteckt und „später" gemurmelt. Doch es ist nie zu „später" gekommen.

Stattdessen ist ihre Mutter stundenlang mit ihr auf dem Boden herumgekrochen, hat die Bahngeräusche nachgemacht und die schwarzfahrenden Passagiere bestraft.
Die Zeiten sind längst vorbei. Heute hat Chloe andere Probleme. Wenn sie zum Beispiel Ärger mit ihren Freunden hat oder für einen Schauspieler schwärmt, setzt sich ihre Mutter mit ihr vor den Fernseher und hört sich stundenlang ihre Schwärmereien für einen Mann an, der erstens viel zu alt für sie ist und zweitens unerreichbar.

Aber sie hat es immer mit Geduld und viel Freude getan. Noch dazu kann man mit ihr super über Schminke diskutieren. Es ist schon lustig, weil Chloe immer für dezentes Make-up ist und ihre Mutter sie stets dazu drängen möchte, mehr für ihre Schönheit zu machen. Dabei ist Chloe doch viel hübscher ohne das ganze Zeug. Sie hat ebenmäßige Gesichtszüge, ein weich geschnittenes Profil und schöne große Augen, deren Pupillen die Farbe von weichem, dunklem Holz haben.

Dank ihrer dunklen Wimpern, braucht sie keine Tusche zu verwenden. Ihre Lippen sind natürlich rosa und der schönste Schmuck sind ihre langen, rotbraunen Haare. Chloes Mutter liebt es mit den Fingern dadurch zu gehen und jedes Mal wieder darüber zu staunen, dass sie nicht eine Welle haben. Sie sind so glatt, wie gebügelt und Chloe trägt sie immer offen - außer beim Sport oder in Onkel Freddys Laden.

Stimmen holen sie aus ihren Gedanken. Ist das etwa schon wieder ein Traum gewesen?
Mehrere Personen flüstern neben ihr. Ihr Kopf schmerzt, als sie langsam die Augen öffnet und erst einmal gegen das weiße Deckenlicht anblinzeln muss. Zuerst versucht sie sich zurecht finden. Ein weißer Raum. Ein Krankenzimmer? Die vielen medizinischen Geräte lassen darauf hin schließen.

„Chloe, du bist wach."
Ist das nicht die Stimme ihres Onkels? Frederic Anderson ist der ältere Bruder ihres Vaters. Seine kleinen braunen Augen blicken sie nun besorgt an, während seine warme Hand nach ihrer greift und sie leicht drückt. Hinter ihm stehen zwei Ärzte - so wie sie aussehen.
„Was...was ist passiert?", fragt Chloe krächzend und viel zu leise. Onkel Frederic - den sie sonst nur liebevoll Freddy nennt - hat sie trotzdem verstanden. Seine Stirn kräuselt sich zusammen und lässt ihn älter aussehen, als er ist. Oder liegt es an den grauen Haaren? Er hat schon mit dreißig eine Halbglatze bekommen. Jetzt geht er auf die Sechzig zu. Auch sein kurzer Schnäuzer zeigt die Zeichen der Alterung.

Das Einzige, was sich wohl niemals ändern wird, sind seine schrillen, bunten Klamotten. Onkel Freddy hat wirklich keinen Geschmack für Mode.
Das ist ihr im Augenblick unwichtig. Sein besorgtes Gesicht, beunruhigt Chloe.
„Ihr wurdet überfallen", erklärt er zitternd und beißt sich auf die Unterlippe.
Oh nein! Das ist kein Traum gewesen. Das ist also wirklich geschehen.
„Miss Anderson..."

Einer der Ärzte tritt an Chloes Bett heran.
„Es waren wohl mehrere Männer, die sie auf der Suche nach Geld überfallen haben. Allerdings haben wir bei Ihnen auch andere Verletzungen festgestellt."
Chloe schluckt ihre Angst hinunter. Bei den Worten des Arztes kommen die Erinnerungen zurück. Er hat sie angefasst. Hat er sie...vergewaltigt?
Der Arzt bestätigt ihre Annahme.
„Die Polizei wartet draußen und möchte gerne ihre Aussage aufnehmen. Sie können von Glück sagen, dass Sie noch am Leben sind."

Chloe ringt nach Luft. Wieso fällt es ihr plötzlich so schwer zu atmen? Sie fühlt sich unwohl. Noch mehr bei der Frage, was mit ihrer Mutter geschehen ist. Chloe erinnert sich daran einen Schuss gehört zu haben.
„Mum?", fragt sie vorsichtig und blickt dabei zu Freddy.
Er beginnt leise zu weinen, versucht es zu unterdrücken, aber kann es doch nicht.
„Sie wurde uns genommen, Chloe."
Es ist, als würde man ihr mit irgendetwas hartem in den Magen schlagen.
„Mein aufrichtiges Beileid", verkündet der Arzt von eben. Er erkennt wie unsinnig es ist, ihr jetzt weitere Fragen zu stellen oder ähnliches. Er nimmt seine Unterlagen und verlässt das Krankenzimmer.

Chloe will es nicht glauben. Sie kann es nicht glauben. Ihr ist so schlecht und schwindelig zugleich. Das Zimmer dreht sich. Etwas schnürt ihr die Kehle ab. Ein unsichtbares Band zieht sich immer fester und hindert sie daran zu atmen. Sofort ist die hübsche Schwester bei Chloe, die nicht mit dem Arzt das Zimmer verlassen hat. Sie spricht ihr beruhigende Worte zu und setzt ihr ein Atemgerät auf. Es hilft nur geringfügig. Dann sieht sie noch wie man etwas in ihre Infusion spritzt. Chloe ist an einen Schlauch gekettet. Das hat sie zuvor gar nicht bemerkt.

Es ist egal. Alles ist plötzlich so unbedeutend. In ihrem Kopf wiederholen sich ständig die Worte ihrer Onkels: „Sie wurde uns genommen, Chloe."

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