~𝘼̈𝙣𝙜𝙨𝙩𝙚 𝙬𝙚𝙧𝙙𝙚𝙣 𝙬𝙖𝙝𝙧~

„Wie geht's denn Christian? Lass mich raten, du hast seit dem Vorfall beim Fernsehabend kein Wort mehr mit ihm geredet."
„Na sicher. Du hast mir doch nur Blödsinn erzählt, weil du mich anscheinend mit ihm verkuppeln möchtest", antwortet Chloe etwas bissig und schlürft ihren Shake. Die beiden Freundinen sitzen im Café gegenüber der Bibliothek und schlürfen beide einen fruchtig-süßen Shake. Bis vor kurzem ist auch noch Rick bei ihnen geblieben, doch der ist zu seiner derzeitigen Eroberung geflüchtet. Das nutzt Izzy wohl als Gelegenheit ihre Freundin auszuquetschen. Sie sieht grinsend über ihre Brille hinweg zu Chloe.

„Nein, was ich dir erzählt habe, war die Wahrheit. Du hast ihm schöne Augen gemacht und er hat dir heroisch widerstanden. Trotzdem glaube ich, dass er was für dich übrig hat."
Chloe schenkt Izzy nur einen skeptischen Blick.
„Und woran machst du das bitte fest?"
Izzy grinst verschmitzt. „Naja er hat dich bei deiner Panik-Attacke keineswegs verstört angesehen oder so. Er schien eher besorgt um dich. Ernsthaft Chloe, du hättest mal sein Gesicht sehen sollen."

„Das du noch Zeit hattest darauf zu achten. Ich sag's dir, Izzy. Der Mann ist ein Buch mit sieben Siegeln und hat keinerlei Interesse an mir."
„Bist du dir sicher?"
Chloe überlegt. Sie starrt ihr Glas mit rotem Erdbeermilchshake an und erinnert sich an die vielen zufälligen Begegnungen mit Christian. Er scheint immer in ihrer Nähe zu sein. Wie aufs Stichwort schaut sie sich prüfend im Café um. Er ist nicht da.

Trotzdem ist das merkwürdig. Hat er sie verfolgt, weil er vielleicht Interesse an ihr hat? Er hat sie auch unter allen weiblichen Studentinnen an der Uni angesprochen und scheint sich dort für sonst niemanden zu interessieren. Selbst die hübsche Samantha hat einen Korb von ihm bekommen. Sie macht daraus zwar ein riesiges Geheimnis, doch es weiß sowieso die ganze Uni.

„Ich sehe schon, der Arme brauch sich keine Hoffnungen zu machen", meint Izzy nach einer Weile seufzend und trinkt ihr Glas leer.
„Ich gehe jetzt, muss noch kurz zu meiner Famile."
„Jetzt noch? Es ist gleich Neun Uhr."
„Ja, es dauert nicht lange. Kommst du allein zurecht?"
Sicher. Warum auch nicht? Chloe ist doch früher auch alleine nach Hause gegangen. Also nickt sie überzeugend und zahlt bei der Kellnerin.

Sie kann einfach nie sagen, dass es nicht okay ist. Chloe will einfach keine Schwäche zeigen. Also geht sie ohne Izzy zur Bushaltestelle. Der Fahrplan sagt ihr, dass der Bus gerade weg ist. Na toll.
Sie setzt sich auf die kalte Plastikbank und holt erneut ihr Handy hervor, steckt die Kopfhörer ein und macht Musik an. Das ist besser als der Stille zu lauschen oder sich vor Schatten zu fürchten.
Der nächste Bus kommt erst in einer halben Stunde. Chloe sieht sich um. Keiner da.

„Vertreib die Schatten", würde ihre Mutter jetzt sagen. In solchen Situationen hat ihre Mutter immer getanzt und es „Vertreibung der Schatten" genannt. Chloe schmunzelt. Soll sie jetzt wirklich hier anfangen zu tanzen? Warum nicht? Es ist ja niemand hier, der sie sehen kann.
So steht sie auf und geht erst ein paar Schritte auf und ab. Dabei wippt sie mit dem Kopf im Tackt zur Musik. Das fühlt sich gut an. Wie Freiheit. Ihre Bewegungen werden schneller und größer. Wann hat Chloe das letzte Mal getanzt? Sie erinnert sich nicht mehr.

Plötzlich ist sie nicht mehr alleine. Da sind andere Menschen. Sofort nimmt sie die Kopfhörer ab und schaut zu den komischen Typen herüber, die sie von der anderen Straßenseite anstarren. Sie rufen etwas. Chloe versteht es nicht, will es nicht verstehen.

Sie ignoriert die fünf Gestalten und geht einfach weg. Sie hat keine Lust mehr in ihrer Nähe zu bleiben. Nervös packt sie die Kopfhörer in die Tasche, behält aber ihr Handy griffbereit. Im Notfall will sie schnell Hilfe rufen können.

Bildet sie sich das nur ein oder verfolgen sie Schritte? Sie dreht sich um. Die Männer von eben. Sie tragen alle Jeans und Westen. Gehören sie zu einer Gang? Chloes Schritte werden immer schneller. Sie rennt plötzlich. Hinter ihr rennt auch jemand. Oh nein, das darf doch nicht wahr sein. Warum? Warum immer sie?

Sie läuft ohne zu achten, wohin sie läuft. Sie stolpert, fängt sich aber schnell und rennt weiter. Ihre eine Hand umklammert das Handy und die andere ihre schwere Umhängetasche. Soll sie die Polizei rufen? Sie entsperrt beim Laufen den Bildschirm.

Dann versperrt ihr plötzlich jemand den Weg.  Ihr Handy ist vergessen, als ein gezielter Treffer es ihr aus der Hand schlägt. Es ist ein Mann. Er trägt eine Baseballmütze und eine Lederjacke. Sie kennt ihn nicht. Der Blick seiner hellen Augen ängstigt sie. Chloe will umdrehen und davonlaufen, doch die Typen von eben haben sie eingeholt und bleiben nun keine zehn Meter vor ihr stehen.
„Was wollen Sie?"
Sie bekommt keine Antwort, nur eine kalte Hand, die sich auf ihren Mund legt und sie sehr schnell zum Schweigen bringt. Jemand packt sie von hinten. Nein! Ihr Herz rast, ihre Augen weiten sich voller Panik und Entsetzen.

Sie werden ihr etwas antun. Warum passiert das immer ihr? Kommt ihr denn niemand zur Hilfe? Sie kann nicht einmal schreien und ihr Handy ist auch weg.
Der Mann zerrt sie ein paar Schritte durch die Dunkelheit bis zu einer versteckten Ecke hinter einem Reihenhaus. Jetzt ist es endgültig vorbei. Sie muss den Alptraum noch einmal durchmachen. So etwas hat sie die ganze Zeit gefürchtet und man hat sie für verrückt gehalten. Was hat sie in ihrem Leben nur falsch gemacht, dass Gott sie so sehr bestraft?

„Hör auf zu zappeln!", befiehlt einer der Männer und hält eine Pistole hoch. Was zum...? Das müssen ganz gemeine Kerle sein. Werden sie Chloe vergewaltigen oder einfach erschießen?
Sie spürt, wie das unsichtbare Band ihr wie so oft die Kehle zuschnürt. Sie kann nicht atmen.

Nun ist sie doch gar nicht weit weg gefahren oder war besonders unvernünftig und trotzdem passiert so etwas. Ihre Panik lässt nicht zu, dass sie aufhört zu zappeln. Sie kann nicht anders.
„Arg!"
Der Mann vor ihr lässt die Pistole fallen. Warum lässt er sie einfach fallen? Die Arme, die sie festhalten lockern sich etwas. Chloe beugt sich etwas vor, bis ihr Blick auf den Boden fällt. Da liegt die Waffe und neben ihr ein großer Stein. Was hat das zu...?

Plötzlich kommt jemand von der Straße angerannt und tritt dem Pistolentyp so gewaltig in dem Magen, dass dieser ächzend zu Boden fällt. Wer ist das?
Chloe wird schwindelig. Sie schnappt mal wieder nach Luft und bekommt nur verschwommen mit, wie eine weitere Person gekommen ist und die Männer um sie herum bekämpft. Zumindest glaubt sie das, denn es hört sich ganz nach einem Kampf an. Sie kann es nur nicht sehen. Ihre Beine geben nach. Wo ist der Mann, der sie eben noch festgehalten hat?

„Chloe!" Ihr Name vermischt sich mit ihrem Husten. Wer ruft nach ihr?
„Chloe, sieh nicht hin. Mach die Augen zu."
Toller Tipp. Meint er etwa, das wäre die Lösung? Moment wieso er? War das etwa? Chloe strengt sich an, schaut auf und sieht...Christian!
Weshalb ist er hier?
Chloe blinzelt, sieht ihn herumwirbeln und dann verschwimmt wieder alles. Da ist der schwarze Betonboden. Wieso ist er nass? Es ist kalt. Doch es ist Sommer. Wird sie wie damals ihr Bewusstsein verlieren? Nein. Bitte nicht noch einmal.

Etwas Warmes fällt über ihren Kopf. Auf einmal ist es noch dunkler und Chloe sieht nichts mehr. Sie hört Stimmen und komische Geräusche. Dann ist alles ruhig. Keine Kälte mehr. Keine seltsamen Geräusche, nur ein Mann, der sie besorgt ansieht.
„Chloe?"
Seine Stimme ist so beruhigend und holt sie aus ihrer Trance heraus. Leitet sie und hindert sie daran hier und jetzt in Ohnmacht zu fallen.
„Beruhige dich, Chloe. Sie können dir nichts mehr antun. Es ist vorbei."

Christian hockt vor ihr, sein T-Shirt ist etwas dreckig und seine Haare zerzaust. Doch sonst sieht er aus wie immer. Sie zieht das warme, schützende Etwas an sich heran und atmet tief ein und aus. Ja, so wie es ihr Arzt empfohlen hat.
Als ihre Atmung sich etwas beruhigt und ihre Sicht wieder einigermaßen normal wird, stellt sie fest, dass sie eine schwarze Lederjacke über dem Kopf trägt. Ist das seine? Der Geruch von Leder vermischt sich mit einem leichten Herrenduft. Chloe mag den Duft und stellt sich vor, dass seine Jacke wie seine Umarmung ist.

„Bist du verletzt?", fragt Christian und mustert sie eindringlich.
Chloe schüttelt den Kopf. Ihr Mund ist trocken, weshalb sie fürchtet nur ein Krächzen hervor zu bringen und zieht es lieber vor zu schweigen. Christian holt sein Handy aus der Tasche.
„Ja...ich möchte gerne einen Überfall melden."
Ruft er die Polizei? Er nennt seinen Namen, dann Chloes Namen und den Standort. Wo sind sie eigentlich? Chloe sieht sich vorsichtig um, doch außer Wänden erkennt sie nicht viel. Es ist zu dunkel. Diese Ecke kommt ihr jedenfalls nicht bekannt vor.

Einen Moment später hört sie Sirenen näher kommen.
Chloe sieht wieder auf Christian, der irgendwas in sein Telefon eintippt. Er hat ihr wohl gerade das Leben gerettet. Nur wie kommt es, dass er schon wieder in ihrer Nähe ist?
Ein Auto kommt, hält in der engen Gasse und blendet Chloe mit den Scheinwerfern. Zwei Polizisten steigen aus, dann kommt noch ein Streifenwagen.
„Sir! Miss! Sind sie verletzt?"
„Uns geht es gut. Diese Frau wurde von den Männern hier angegriffen."

„Sir, haben Sie das getan?"
Was hat er getan? Chloe dreht sich um und hält erschrocken die Luft an. Vor ihr liegen mehrere bewusstlose Männer auf dem Boden. Chloe hofft, dass sie nur bewusstlos und nicht tot sind. Ihr Blick wandert erneut zu Christian. Die Frage ist berechtig: Hat er das getan?

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